Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.01.2010, Az.: Ss (OWi) 219/09

Anforderungen an das Erkennenmüssen der fortdauernden Wirkung von Drogen bei einem längeren Zeitraum zwischen Einnahme eines Rauschmittels und der Begehung einer Tat bzw. Drogenfahrt

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.01.2010
Aktenzeichen
Ss (OWi) 219/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 11404
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2010:0127.SS.OWI219.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Goslar - 21.09.2009

Fundstellen

  • StV 2010, 687
  • StraFo 2010, 215

Verfahrensgegenstand

Ordnungswidriges Verhalten im Straßenverkehr

Amtlicher Leitsatz

Liegt zwischen der Einnahme eines Rauschmittels und der Begehung der Tat/Drogenfahrt längere Zeit bedarf es hinsichtlich der Feststellung der Fahrlässigkeit nähere Feststellungen, dass der Betroffene die Möglichkeit fortdauernder Wirkung der Drogen hätte erkennen können und müssen.

in der Bußgeldsache
...
hat der Einzelrichter des Senats für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 27.01.2010
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Goslar vom 21. September 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Goslar zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Rechtsbeschwerde hat einen vorläufigen Erfolg.

2

I.

Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen mit einer Geldbuße von 375,00 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat (mit viermonatiger Abgabefrist) belegt worden. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 13, November 2008 um 01.30 Uhr mit dem Pkw Opel, amtliches Kennzeichen XXXX in Goslar u.a. die Waldenburgerstraße befahren habe und dabei unter der Wirkung von Cannabinoiden sowie unter Alkoholeinfluss (Blutalkoholgehalt; 0,67 gPromille) gestanden habe.

3

Hiergegen hat der Betroffene unter Erhebung der Verfahrens- und der Sachrüge die Rechtsbeschwerde eingelegt Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das Rechtsmittel und hat beantragt wie erkannt.

4

Die Rechtsbeschwerde ist in zulässiger Weise eingelegt und begründet worden; sie hat in der Sache selbst bereits auf die Sachrüge hin einen Zwischenerfolg.

5

Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14. Dezember 2009 folgendes ausgeführt;

"Die Feststellungen sind lückenhaft, in sich widersprüchlich und zum Teil nicht nachvollziehbar So ist auf Seite 2 der Urteilsabschrift (B4. 62 d.A.) zunächst die Rede davon, dass der Betroffene sich eingelassen habe, er habe "vor kurzer Zeit im Pavillon des Wohnhauses" eine weitere Flasche Bier getrunken. Auf der Folgeseite ist die Rede davon, dass sich der Betroffene "allenfalls ein bis zwei Minuten im Hause auf gehalten" habe; hier ist von einem Pavillon nicht mehr die Rede, doch scheint es sich um denselben Teil des Sachverhaltes zu handeln.

Im Übrigen ist nicht klar, welche Passsagen der Urteilsgründe Feststellungen sein sollen und in welchen lediglich z.B. die Einlassung des Betroffenen wiedergegeben wird, Dies zeigt sich besonders deutlich auf der ersten halben Seite der Gründe. Ob die Einlassung (Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen ... aufgehalten habe") so festgestellt werden soll, ist nicht ersichtlich. Schon daher kann das Rechtsbeschwerdegericht keine zuverlässige Prüfung des Urteils auf Rechtsfehler zulasten des Betroffenen vornehmen, weil es nicht erkennen kann, von welchem Sachverhalt das Gericht ausgegangen ist.

Zudem fehlt es an Darlegungen zum subjektiven Tatbestand hinsichtlich des fahrlässigen Verstoßes gegen § 24 a Abs. 2 StVG. Wenngleich die lange Nachweisbarkeit von THC bzw. THC-Abbaustoffen im Blut gerade Konsumenten bekannt sein dürfte, so reicht dies für den konkreten Fahrlässigkeitsvorwurf nicht aus. Abgesehen davon, dass auch ein solcher Hinweis im Urteil fehlt, hätte es hier insoweit weiterer Darlegungen bedurft.

Auch die Sanktionsbemessung dürfte für das Rechtsbeschwerdegericht kaum nach- vollziehbar sein. Zwar wird von einer "Abwägung aller für und gegen den Betroffenen sprechenden Strafzurnessungsgründe" gesprochen, doch ist nicht im Ansatz ersichtlich, welche dies sein könnten. Zudem formuliert das Gericht, dass es sich bei der Geldbuße in Hohe von 375,00 Euro um den Regelsatz des Bußgeldkataloges handele. Dies ist nicht so. Der zum damaligen Zeitpunkt geltende Bußgeldkatalog sah für Verstöße gegen§ 24 a Abs. 1 und § 24 a Abs. 2 StVG jeweils Geldbußen in Höhe von 250,00 Euro vor."

6

Dem ist beizutreten.

7

Hinsichtlich der erforderlichen Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des Füllrens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (§ 24 a Abs. 2 StVG) ist noch auf folgende obergerichtliche Rechtsprechung hinzuweisen: Der Umstand, dass ein Betroffener ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr "unter der Wirkung" berauschender Mittel geführt hat, stellt keine objektive Bedingung der Strafbarkeit dar; die fortbestehende Rauschwirkung zur Tatzeit ist daher Tatbestandsmerkmal. auf das sich die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erstrecken müssen; für eine Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes bedarf es mithin der tatrichterlichen Überzeugung, dass der Betroffene die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Haschischkonsums hätte erkennen können und müssen (OLG Brandenburg, Blutalkohol 45, 135; OLG Hamm NZV 2005, 428).

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Entsprechende Feststellungen sind zwar regelmäßig unproblematisch, wenn der Rauschmittelkonsum kurze Zeit vor der Fahrt stattgefunden hat. Jedoch bedarf es hierzu besonderer Feststellungen, wenn zwischen der Einnahme des Rauschmittels und der Begehung der Tat längere Zeit vergangen ist, weil dann für den Betroffenen möglicherweise die fortdauernde Rauschwirkung im Tatzeitpurkt nicht mehr erkennlaer war (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 249; OLG Gelle NZV 2009, 89; KG NZV 2009, 572). Nach der vorliegender Urteilsgründen kann es sich immerhin um-einen Zeitraum von über 27 Stunden handeln (insoweit bleibt unklar, ob es sich nur um eine Einlassung des Betroffenen oder aber um eine Feststellung des Amtsrichters handelte). Bei einem derartig langen Zeitraum kann es an der Erkennbarkeit der fortwährenden Wirkung des Rauschmittels fehlen (vgl. OLG Frankfurt und OLG Gelle, a.a.O., wo es um ähnlich lange Zeiträume ging).

9

In einem solchen Fall bedarf es näherer Ausführungen dazu, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können, dass der Cannabiskonsum noch Auswirkungen haben konnte. Die Vorstellung des Betroffenen ist unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehenden Beweismittel vom Tatgericht festzustellen. So kann beispielsweise unter Hinzuziehung eines Sachverständigen geprüft werden, ob angesichts der gemessenen Werte der Betroffene entweder zeitnäher zur Fahrt oder aber in weit größerer Menge als angegeben Haschisch genossen haben muss. Möglicherweise lässt sich mit Hilfe des Sachverständigen auch feststellen, ob der Betroffene angesichts der erheblichen Überschreitung des analytischen Grenzwertes von 1,0 ng/ml THC und anderer Messwerte die Wirkung des Rauschmittels bei Fahrantritt verspürt haben muss.

10

Aufgrund der genannten Rechtsfehler war das angefochtene Urteil aufzuheben und war die Sache an das Amtsgericht Goslar zurückzuverweisen,

11

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde war dem Amtsgericht vorzubehalten, da derzeit der endgültige Erfolg des Rechtsmittels noch nicht abzusehen ist.