Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.04.2017, Az.: Ausl301AR35/17

Beurteilung der Zulässigkeit der Auslieferung eines Verfolgten nach Rumänien aufgrund des Europäischen Haftbefehls; Auslieferungsersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung; Nichtteilnahme des Verfolgten an der Hauptverhandlung wegen Inhaftierung; Persönliche Anwesenheit in einer Gerichtsverhandlung durch Zuschaltung mittels Videokonferenz

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.04.2017
Aktenzeichen
Ausl301AR35/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 12953
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2017:0421.AUSL301AR35.17.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine Zuschaltung mittels Videokonferenz stellt keine persönliche Anwesenheit in einer Gerichtsverhandlung dar.

  2. 2.

    Eine Auslieferung ist unzulässig, wenn der Verfolgte zwar zur Hauptverhandlung persönlich geladen wurde, er jedoch wegen einer Inhaftierung an dieser nicht teilnehmen kann.

Tenor:

  1. 1.

    Die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts L./Rumänien vom 10. Januar 2017 wird für nicht zulässig erklärt.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verfolgten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Gegen den sich in bis zum 23.08.2019 in der JVA G./Deutschland in Strafhaft befindlichen Verfolgten besteht ein Europäischer Haftbefehl des Amtsgerichts L./Rumänien vom 17.01.2017, aus welchem sich ergibt, dass der Verfolgte durch das seit 19.12.2017 rechtskräftige Urteil dieses Gerichts vom 22.11.2016 zu einer noch vollständig zur Verbüßung ausstehenden Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten wegen folgenden Vorwurfs verurteilt wurde:

Wird ausgeführt

Mit Beschluss vom 08.02.2017 hat der Senat den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls zurückgewiesen, weil das Urteil des Amtsgerichts L./Rumänien vom 22.11.2016 in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist und dieser entgegen § 83 Abs. 2 Nr.1 IRG nicht nur nicht wirksam geladen worden war, sondern auch zur Hauptverhandlung nicht erscheinen konnte, weil er sich seit 17.04.2014 in der Justizvollzugsanstalt G./Deutschland in Strafhaft befindet.

Am 23.02.2017 hat das Amtsgericht L./Rumänien daraufhin mitgeteilt, der Verfolgte sei zwar nicht in der Hauptverhandlung persönlich anwesend gewesen, jedoch dieser mittels Videokonferenz zugeschaltet gewesen. Auch sei dem Verfolgten das Strafurteil vom 22.11.2016 in der Justizvollzuganstalt G./Deutschland persönlich zugestellt worden und er habe trotz einer Belehrung über die Frist von zehn Tagen zur Einlegung eines Rechtsmittels hierauf verzichtet. Insoweit sei das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 MRK gewährleistet gewesen, weshalb an dem Auslieferungsbegehren festgehalten werde.

Am 15.03.2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, und hat am 21.04.2017 ergänzend mitgeteilt, das nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse geltend zu machen.

II.

Die Auslieferung des Verfolgten ist nicht zulässig. Nach § 83 Abs.1 Nr. 1 IRG ist bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung hiervon grundsätzlich auszugehen, wenn die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist. Eine Zuschaltung zur Gerichtsverhandlung mittels Videokonferenz stellt in diesem Sinne schon nach dem Wortlaut keine persönliche Anwesenheit in der Gerichtsverhandlung dar, auch wenn - was aus den vorgelegten Unterlagen nicht zweifelsfrei ersichtlich ist - die Zuschaltung während der gesamten Verhandlung erfolgt sein sollte und nicht nur - was hier näher liegt - lediglich die Vernehmung des Verfolgten zum Tatvorwurf umfasst hat.

Auch ein Ausnahmefall liegt nicht vor. Selbst wenn die rumänischen Justizbehörden den Verfolgten zur Hauptverhandlung am 21./22.11.2016 in der JVA G./Deutschland persönlich geladen hätten, wäre dies entgegen dem Wortlaut des § 83 Abs. 2 Nr. 1 a) aa) IRG nicht wirksam, weil die Ladung einer Person, welcher sich in einem anderen Staat in Haft befindet und deshalb an der Hauptverhandlung gar nicht teilnehmen kann, zu den in Art, 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen eines fairen Verfahrens in Widerspruch stünde und deshalb gegen § 73 Satz 2 IRG verstößt (ähnlich OLG Köln StraFo 2015, 27 für ein Überstellungsverfahren).

Dass der Verfolgte in Kenntnis der anberaumten Verhandlung einen Verteidiger bevollmächtigt hat, der ihn in der Verhandlung verteidigt, und er durch diesen in der Verhandlung auch tatsächlich verteidigt wurde (§ 83 Abs. 2 Nr. 3 IRG), ergibt sich aus den vorgelegten Auslieferungsunterlagen nicht, vielmehr kann diesen allenfalls die Bestellung eines Pflichtverteidigers entnommen werden.

Auch ist nicht belegt, dass der Verfolgte ausdrücklich auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hätte (§ 83b Abs. 3 Satz 1 Nr.1 IRG), vielmehr lässt sich dem Schreiben des Amtsgerichts L./Rumänien vom 23.02.2017 nur entnehmen, dass der Verfolgte nach Zustellung des dortigen Urteils vom 22.11.2016 dieses nicht innerhalb einer zehntätigen Rechtsmittefrist angefochten hat. In einem solchen Fall wäre eine Auslieferung aber auch nur dann zulässig (§ 83 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 IRG), wenn der Verfolgte zuvor ausdrücklich über sein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren, an dem er teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft und das ursprüngliche Urteil aufgehoben werden kann, belehrt worden wäre (§ 83 Abs. 3 Satz 2 IRG). Vorliegend wird aber weder der Inhalt der vom Amtsgerichts L/Rumänien dem Verfolgten übermittelten Rechtsmittelbelehrung mitgeteilt noch wird deutlich, in welcher Form die Teilnahme des Verfolgten an dieser Berufungsverhandlung gesichert sein sollte, wenn er sich doch in der Bundesrepublik Deutschland noch bis zum 23.08.2019 in Strafhaft befindet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 IRG i.V.m. § 467 Abs.1 StPO.