Arbeitsgericht Stade
Urt. v. 15.01.2002, Az.: 1 Ca 1347/01
Anrechnung überzahlten Nettolohns auf das folgende Monatsgehalt; Wegfall der Bereicherung; Aufrechnungsverbot des § 394 S. 1 BGB (Pfändungsfreigrenzen); Grundsätze des Rechtsmissbrauchs; Aufrechnungserklärung
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Stade
- Datum
- 15.01.2002
- Aktenzeichen
- 1 Ca 1347/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 21656
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGSTD:2002:0115.1CA1347.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 611 Abs. 1 BGB
- § 812 Abs. 1 S. 1 BGB
- § 818 Abs. 3 BGB
- § 394 S. 1 BGB
- § 242 BGB
- § 388 S. 1 BGB
Fundstellen
- FA 2002, 116
- FAr 2002, 116
Verfahrensgegenstand
Forderung
In dem Rechtsstreit
hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Stade
auf die mündliche Verhandlung vom 15.01.2002
durch
den Direktor des Arbeitsgerichts ... Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Versäumnisurteil vom 20. Nov. 2001 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits, mit Ausnahme derjenigen Kosten, die durch die Säumnis des Beklagten im Termin vom 20. Nov. 2001 entstanden sind; diese trägt der Beklagte.
Der Streitwert wird auf 384,62 EUR festgesetzt.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Beklagte berechtigt war, den überzahlten Nettolohn aus September 2001 vom Nettolohn für Oktober 2001 abzuziehen.
Die am ... geborene Klägerin war aufgrund eines Arbeits- und Qualifizierungsvertrages für langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfängerinnen (vgl. Bl. 3/4 d.A.) vom 18. Sep. bis 31. Okt. 2001 bei dem Beklagten tätig. Bzgl. des Lohns ist lediglich auf Tarifvertrag verwiesen (§ 4 des Arbeitsvertrages). Für die Zeit vom 18. bis 30. Sep. 2001 erteilte der Beklagte der Klägerin eine Abrechnung (Bl. 29 d.A.), ohne den Brutto- und Nettobetrag mit DM oder EUR zu bezeichnen. Jedenfalls erhielt die Klägerin über den Nettobetrag von 787,01 Ende September einen EUR-Barscheck, den sie auch einlöste.
Für Oktober 2001 erteilte der Beklagte der Klägerin wiederum eine Abrechnung (Bl. 5 d.A.) ohne Bezeichnung des Brutto- und Nettobetrages als DM oder EUR.
Der Beklagte, der von einer DM-Abrechnung für September 2001 ausgeht, errechnete einen zuviel gezahlten Nettobetrag von 752,25 DM (787,01 EUR = 1.539,26 DM an die Klägerin gezahlter Nettolohn abzgl. 787,01 DM Nettolohnanspruch für September 2001). Diese 752,25 DM zog sie vom Nettolohn Oktober 2001 in Höhe von 1.816,12 DM ab und übergab der Klägerin einen Barscheck über den Betrag von 1.063,87 DM.
Die Klägerin verlangt mit der vorliegenden Klage die vom Oktobernettolohn abgezogenen 752,25 DM, beruft sich auf Wegfall der Bereicherung, da sie nicht erkannt habe, dass der Beklagte ihr für September 2001 zuviel gezahlt habe. Sie hält den Wegfall der Bereicherung für gegeben, da sie das Geld ausgegeben habe. Außerdem habe der Beklagte im Oktober mehr einbehalten als pfändbar gewesen sei. Zudem habe sie den pfändbaren Teil abgetreten.
Im anberaumten Gütetermin vom 20. Nov. 2001 ist für den ordnungsgemäß geladenen Beklagten niemand erschienen.
Auf Antrag der Klägerin erging daraufhin folgendes Versäumnisurteil:
"Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 752,25 DM netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit 01. Nov. 2001 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 752,25 DM festgesetzt."
Gegen dieses ihm am 22. Nov. 2001 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte am 27. Nov. 2001 Einspruch eingelegt und diesen begründet.
Die Klägerin beantragt,
das Versäumnisurteil vom 20. Nov. 2001 aufrechtzuerhalten, jedoch in Höhe von 384,63 EUR.
Der Beklagte beantragt,
das Versäumnisurteil vom 20. Nov. 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise widerklagend,
die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 384,63 EUR netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG ab Erfüllung der Klagforderung zu zahlen.
Der Beklagte nimmt zu dem Vortrag der Klägerin Stellung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten 752,25 DM (= 384,63 EUR), so dass das Versäumnisurteil vom 20. Nov. 2001, gegen das der Beklagte rechtzeitig innerhalb der Frist des § 59 ArbGG Einspruch eingelegt hat, gemäß § 343 S. 2 ZPO aufzuheben ist.
Der Lohnanspruch der Klägerin ist, ausgehend von DM-Abrechnungen der Beklagten, erfüllt, so dass ein weitergehender Anspruch der Klägerin nach § 611 Abs. 1 BGB nicht besteht. Dass es sich bei den Abrechnungen des Beklagten für September und Oktober 2001 um DM-Abrechnungen handelt, kann die Klägerin nicht ernsthaft in Zweifel ziehen. So hat sie ja auch bereits in der Klagschrift vorgetragen, dass ihr für Oktober 2001 ein Bruttoanspruch von 2.302,70 DM zusteht. Das Versehen der Vertreterin des Beklagten (Ausstellung eines Schecks von 787,01 EUR statt DM für September 2001) hätte der Klägerin auffallen müssen. Denn die Abrechnung geht von einem Betrag von 997,84 brutto aus. Als EUR-Betrag entspricht dies 1.951,61 DM, so dass sich für den vollen Monat September 2001 ein Anspruch von 4.503,72 DM ergäbe (1.951,61 DM: 13 Tage v. 18. bis 30.09.2001 × 30 Tage). Ein solcher Monatslohn für die hier vorliegende Qualifizierungsmaßnahme ist jenseits aller Realität. Daran ändert auch nichts, dass in § 4 des Arbeits- und Qualifizierungsvertrages kein konkreter DM-Betrag genannt worden ist. Auch die der Klägerin vom Beklagten vorgelegte Abrechnung einer anderen Mitarbeiterin für September 2001 führt zu keinem anderen Ergebnis. Dort ist ein Bruttobetrag von 2.217,47 DM ausgewiesen worden, jedoch für den gesamten Monat September 2001. Die Klägerin durfte nicht davon ausgehen, dass ihr ein solcher Betrag für 13 Tage zustehe. Denn das würde bedeuten, dass in diesem Fall der Monatslohn sogar 5.117,24 DM betrüge (2.217,47 DM: 13 × 30).
Die Klägerin war bzgl. des Septemberlohns in Höhe von 752,25 DM gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB ungerechtfertigt bereichert. Dieser Anspruch des Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung entfällt auch nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB. Denn die Arbeitnehmerin hat den Wegfall der Bereicherung darzulegen und ggf. zu beweisen, dass sie nicht mehr bereichert ist (vgl. Urteil des BAG v. 18.01.1995 - 5 AZR 817/93 -, u. a. abgedr. in NJW 1996, 411 ff.). Den Anforderungen des BAG in der zitierten Entscheidung genügt der Vortrag der Klägerin dazu nicht.
Demgemäß war der Beklagte berechtigt, gegen den Nettolohnanspruch der Klägerin für Oktober 2001 mit der Überzahlung aus September 2001 aufzurechnen. Zwar kann dies grundsätzlich nur im Rahmen der Pfändungsfreigrenzen geschehen (§ 394 BGB). Es ist aber nach der Rechtsprechung des BAG anerkannt (vgl. u. a. Urteil v. 18.03.1997 - 3 AZR 756/95 -, u. a. abgedr. in AP Nr. 30 zu § 394 BGB), das die Berufung auf das Aufrechnungsverbot des § 394 S. 1 BGB wegen Rechtsmißbrauchs nach § 242 BGB unzulässig sein kann (z. B. bei einer Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung).
Mit dem Beklagten ist die Kammer der Ansicht, dass auch vorliegend angesichts der geringen zeitlichen Differenz zwischen Überzahlung und Aufrechnung und der Tatsache, dass die Klägerin die Überzahlung für September 2001 hätte erkennen müssen, die Berufung der Klägerin auf das Aufrechnungsverbot des § 394 S. 1 BGB nach den Grundsätzen des Rechtsmißbrauchs nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unzulässig ist. Angesichts der vollständigen Begleichung der Lohnansprüche der Klägerin in kurzem Abstand tritt der Sozialschutz der gesetzlichen Aufrechnungsgrenzen hinter dem Interesse des Beklagten zurück.
Die vom Beklagten erklärte Aufrechnung geht auch der Abtretung des pfändbaren Teils des Oktoberlohns ... an. Dabei sollen die merkwürdigen Umstände der Lohnabtretung einschließlich der Titulierung der behaupteten Schadensersatzforderung unberücksichtigt bleiben. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die Vermutung des Beklagten zutrifft, die Abtretungserklärung sei auf den 18. Sep. 2001 zurückdatiert worden.
Die Parteien haben in § 4 des Arbeits- und Qualifizierungsvertrages Lohnzahlungen nach BMT-G II vereinbart. Dieser Lohn ist gemäß § 26 a Abs. 1 S. 1 BMT-G II am 15. eines jeden Kalendermonats für den laufenden Kalendermonat fällig, d. h. der Oktoberlohn der Klägerin war am 15. Okt. 2001 fällig und stand der Gegenforderung des Beklagten aufgrund Überzahlung im September 2001 damit aufrechenbar gegenüber. Die Klägerin trägt selbst vor (Schriftsatz v. 09.12.2001), dass ihr von dem Beklagten am 23. Okt. 2001 gesagt worden sei, dass sie für Oktober 2001 weniger Geld bekäme. Die Kammer wertet dies als Aufrechnungserklärung des Beklagten, obwohl die Klägerin erklärt, es sei (von dem Beklagten) nichts Konkretes gesagt worden. Dass die Klägerin diese Aufrechnungserklärung des Beklagten sehr wohl als solche verstanden hat, ergibt sich nach Ansicht der Kammer daraus, dass sie dem Beklagten kurz danach (mit Schreiben vom 25. Okt. 2001) die Abtretungserklärung vom 18. Sep. 2001 vorgelegt hat. Dies macht nur dann Sinn, wenn sie die Aufrechnung des Beklagten verhindern wollte. Das gibt die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 21. Dez. 2001 auch ganz offen zu. Dort heißt es: "Die Klägerin wollte ab Ende Oktober 2001, also vom Oktoberlohn, freiwillig an den Gläubiger zahlen. Erst als bekannt wurde, dass der Klägerin vom Oktoberlohn etwas abgezogen werden sollte, wurde die zeitlich vorrangige Abtretung vorgelegt." Da die Aufrechnungserklärung (§ 388 S. 1 BGB) bereits am 23. Okt. 2001 erfolgt ist, bewirkt die Aufrechnung gemäß § 389 BGB, dass die Forderungen, soweit sie sich deckten, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber getreten sind. Damit ist die zuletzt noch im Streit befindliche Forderung der Klägerin in Höhe von 384,63 EUR (= 752,25 DM) am 15. Okt. 2001 erloschen und konnte nicht mehr abgetreten werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO und, soweit sie die Säumnis des Beklagten im Termin vom 20. Nov. 2001 betrifft, auf § 344 ZPO.
Der Streitwert ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 3 ZPO im Urteil festgesetzt und entspricht der bezifferten Klagforderung.
Gründe, die Berufung zuzulassen (§ 64 Abs. 2-3 a ArbGG), bestehen nicht.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 384,62 EUR festgesetzt.