Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.02.2001, Az.: 322 Ss 14/01 (Owiz)

Ordnungswidrigkeit ; Behindertentransport ; Kennzeichnungspflicht; Schüler; Erwachsene; Schutzbedürfnis; Bestimmtheitsgebot

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.02.2001
Aktenzeichen
322 Ss 14/01 (Owiz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 17169
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2001:0227.322SS14.01OWIZ.0A

Fundstelle

  • NZV 2001, 384-385

Amtlicher Leitsatz

Beim Transport erwachsener Behinderter gem. § 1 Nr. 4 g Freistellungs- Verordnung besteht keine Kennzeichnungspflicht mit dem Sinnbild 'Schüler' nach §§ 1 Abs. 2, 33 Abs. 4 BOKraft.

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht ....... hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Einsetzens eines Kraftfahrzeuges zum Behindertentransport ohne die erforderliche Beschilderung mit dem Sinnbild 'Schüler' (Ordnungswidrigkeit nach §§ 33 Abs. 4, 45 Abs. 1 Nr. 5 o BOKraft, § 61 Abs. 1 Nr. 4 PBefG) zu einer Geldbuße in Höhe von 200 DM verurteilt.

2

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils befuhr der Kleinbus VW mit dem amtlichen Kennzeichen ....... am 1. Februar 1999 gegen 16. 05 Uhr den ....... in ........ Mit dem Fahrzeug wurden drei erwachsene Behinderte von einer Behindertenwerkstatt zu den jeweiligen Wohnorten befördert. Das Fahrzeug wurde eingesetzt von der Firma ....... ....... für Behinderte gemeinnützige GmbH, deren Geschäftsführer der Betroffene ist. Diese GmbH führt regelmäßig Beförderungen von behinderten Menschen zwischen deren Wohnungen und deren Arbeitsplätzen, i. d. R. Behindertenwerkstätten, durch. An dem Fahrzeug waren weder an der Stirn- noch an der Heckseite die Sinnbilder 'Schüler' der Anlage 4 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft) angebracht.

3

Der Betroffene hat den Sachverhalt eingeräumt. Er ist der Auffassung, dass bei einem Transport erwachsener Behinderter keine Kennzeichnungspflicht nach § 1 Nr. 4 g der Verordnung über die Befreiung bestimmter Beförderungsfälle von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes vom 30. August 1962 in der geltenden Fassung (Freistellungs-Verordnung) i. V. m. §§ 1 Abs. 2, 33 Abs. 4 BOKraft besteht. Gegen die Verurteilung wendet sich der Betroffene mit seiner mit einem Zulassungsantrag verbundenen Rechtsbeschwerde.

4

Durch Beschluss vom 15. Februar 2001 hat der Senat gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des sachlichen Rechts zugelassen.

5

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

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Der Betroffene ist freizusprechen.

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1. Die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen unterliegt den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Der Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr ist aufgrund der Ermächtigung in § 57 PBefG durch Verordnung des Bundesministers für Verkehr vom 21. Juni 1975 geregelt worden (BOKraft). Die BOKraft enthält u. a. Vorschriften über die Anforderungen an den Bau und die Einrichtungen der verwendeten Fahrzeuge und die Sicherheit und Ordnung des Betriebs. Nach § 33 Abs. 4 BOKraft müssen Fahrzeuge, die für Schülerbeförderungen besonders eingesetzt sind, an Stirn- und Rückseite mit einem Schild nach Anlage 4 ('Schüler') kenntlich gemacht sein; an der Stirnseite genügt auch eine Kennzeichnung im Zielschilderkasten mit dem Sinnbild nach Anlage 4 und einem Zusatzschild in der Farbgebung des Bilduntergrundes mit der Aufschrift 'Schulbus'.

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Die Freistellungs-Verordnung gewährt für bestimmte Fälle der entgeltlichen oder geschäftsmäßigen Personenbeförderung allgemein Befreiung von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes, es entfallen insoweit alle Rechte und Pflichten aus diesem Gesetz.

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§ 1 Nr. 4 Buchst. g der Freistellungs-Verordnung stellt unentgeltliche Beförderungen von körperlich, geistig oder seelisch behinderten Personen mit Kraftfahrzeugen zu und von Einrichtungen, die der Betreuung dieser Personenkreise dienen, von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes frei. Nach § 1 Abs. 2 BOKraft gelten allerdings die §§ 2, 3, 6 bis 9, §§ 14 bis 19, 20 Abs. 1 Nr. 1, §§ 21, 22, 33 Abs. 4 und 5, 41, 42, § 45 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5 Buchstaben b bis f, o, r und s, Abs. 2 Nr. 1, 4, 5 Buchstaben a und c, § 47 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 entsprechend bei Beförderungen nach § 1 Nr. 4 Buchstaben d, g und i der Freistellungs-Verordnung, sofern dabei Kraftfahrzeuge verwendet werden, die nach Bauart und Ausstattung zur Beförderung von mehr als sechs Personen (einschließlich des Fahrzeugführers) geeignet und bestimmt sind.

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2. Das Amtsgericht vertritt die Auffassung, dass über die Verweisung des § 1 Abs. 2 BOKraft für Fahrten nach § 1 Nr. 1 Buchstabe g auch beim Transport erwachsener Behinderter die Kennzeichnungspflicht nach § 33 Abs. 4 BOKraft besteht. Entsprechend haben sich auch Bidinger, Personenbeförderungsrecht 2. Aufl. , Teil D BOKraft § 33 Erläuterungen zu Abs. 4. Ziffer 5 und Hole, BOKraft 15. Aufl. § 33 Rdn. 5 a jeweils ohne nähere Begründung geäußert. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

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a) § 33 Abs. 4 BOKraft ordnet die Kennzeichnungspflicht nur für Schülerfahrten an. Soweit die Freistellungs-Verordnung nicht greift, also bei der entgeltlichen oder geschäftsmäßigen Beförderung hier allein interessierender erwachsener Behinderter, bei der die Beförderten ein Entgelt für den Transport zu entrichten haben, müssen die Fahrzeuge nicht mit dem Sinnbild 'Schüler' gekennzeichnet werden. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb beim Transport von Behinderten nach der Freistellungs-Verordnung insoweit strengere Anforderungen gelten sollten. Zwar erklärt § 1 Abs. 2 Satz 1 BOKraft u. a. § 33 Abs. 4 BOKraft bei Beförderungen nach § 1 Nr. 4 Buchstaben d (Schülerfahrten), g (Behindertenfahrten) und i (Kindergartenfahrten) Freistellungs-Verordnung für entsprechend anwendbar. Der Senat ist aber der Meinung, dass die Vorschrift des § 33 Abs. 4 BOKraft nur dann zur Anwendung kommt, wenn ihre Voraussetzungen auch im Übrigen vorliegen, es sich also um den Transport minderjähriger Behinderter handelt. § 1 Abs. 2 Satz 1 BOKraft verweist hinsichtlich der genannten Beförderungsfälle unterschiedslos auf eine ganze Reihe von Vorschriften, deren Voraussetzungen zum Teil bei den genannten Beförderungsfällen ersichtlich nicht vorliegen. Es können daher nicht alle der in § 1 Abs. 2 BOKraft genannten Vorschriften auf alle genannten Beförderungsfälle angewendet werden. Es ist vielmehr für jede einzelne Vorschrift zu prüfen, ob ihre Voraussetzungen vorliegen. Nach § 33 Abs. 4 BOKraft ist die Kennzeichnung mit dem Sinnbild 'Schüler' aber ausdrücklich nur für Fahrzeuge vorgesehen, die für Schülerbeförderungen besonders eingesetzt sind.

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b) Die Anwendbarkeit des § 33 Abs. 4 BOKraft auf den Transport erwachsener Behinderter ergibt sich auch nicht aus den Verordnungsmaterialien. Die BOKraft stellt eine nach Art. 80 Abs. 2 2. Alternative GG zustimmungsbedürftige Rechtsverordnung dar, die also der Zustimmung des Bundesrats bedurfte. In der Bundesratsdrucksache 153/75 heisst es in der amtlichen Begründung zu § 1 Abs. 2 BOKraft auf Seite 1 lediglich, dass es die öffentliche Sicherheit erfordere, zumindest die in § 1 Nr. 4 Buchstaben d und g der Freistellungs-Verordnung genannten Beförderungsarten den wichtigsten dem Schutz der Fahrgäste dienenden Bestimmungen der BOKraft zu unterwerfen. Dies gelte insbesondere für die Schülerbeförderungen nach § 1 Nr. 4 Buchstabe d der Freistellungs-Verordnung, deren Verkehrsvolumen den Umfang der genehmigungspflichtigen Schülerfahrten nach § 43 Nr. 2 PBefG um mehr als das Siebenfache und den Umfang aller von § 43 PBefG erfassten Sonderformen des Linienverkehrs um mehr als die Hälfte übersteige. Die aus diesen Zahlen abzulesende Bedeutung des freigestellten Schülerverkehrs gebiete unter dem Gesichtspunkt der Ordnung und Sicherheit dieser Beförderungen deren Gleichbehandlung mit den generell den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes unterliegenden Verkehrsarten. Der gleiche Schutzzweck treffe auch auf die von § 1 Nr. 4 Buchstabe g der Freistellungs-Verordnung erfassten Beförderungen zu (a. a. O. Seite 2). Mithin wollte der Verordnungsgeber die Gleichbehandlung der dem Personenbeförderungsgesetz unterliegenden Verkehrsarten mit den von der Freistellungs-Verordnung erfassten Beförderungen erreichen, nicht aber für die freigestellten Beförderungen zusätzliche Anforderungen aufstellen.

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Zu § 33 Abs. 4 und 5 BOKraft heisst es in der amtlichen Begründung BR. -Drs. 153/75 auf Seite 24: 'Da der Schülerverkehr besondere Bedeutung im Rahmen der Verkehrsform nach § 1 Nr. 4 Buchstabe d) der Freistellungs-Verordnung hat, sind nach § 1 Abs. 2 die Absätze 4 und 5 auch auf diese Verkehrsform anzuwenden. Das gleiche gilt für Beförderungen nach § 1 Nr. 4 Buchstabe g) der Freistellungs-Verordnung. ' Diese Begründung lässt sich dahin verstehen, dass nach Auffassung des Verordnungsgebers der Schülerverkehr eine besondere Bedeutung auch im Rahmen der Verkehrsform nach § 1 Abs. 4 Buchstabe g Freistellungs-Verordnung hat, sodass § 33 Abs. 4 und 5 für den Transport von behinderten Kindern und Jugendlichen gelten sollen. Ob die Vorschriften hingegen auch für die Beförderung erwachsener Behinderter gelten sollen, wird nicht ausdrücklich angesprochen und lässt sich auch aus dem Zusammenhang der Begründung nicht eindeutig erschließen.

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Das Bundesministerium für Verkehr hat einen von den zuständigen Ministern und Senatoren der Länder erarbeiteten Anforderungkatalog für Kraftomnibusse und Kleinbusse, die zur Beförderung von Schülern und Kindergartenkindern besonders eingesetzt werden, veröffentlicht (VkBl. 1996 S. 238 ff). Der Katalog soll die über die StVZO und BOKraft hinaus bereits bestehenden Anforderungen vereinheitlichen und ergänzen, damit die in aller Regel für Erwachsene gebauten Fahrzeuge stärker den Belangen der Kinder und, soweit möglich, ihren Verhaltensweisen Rechnung tragen. Der Katalog soll ausdrücklich mit bestimmten Einschränkungen auch bei Kraftfahrzeugen, die zur Beförderung von Kindern durch oder für Kindergartenträger (Freistellungs-Verordnung § 1 Nr. 4 Buchstabe i) zu Kindergärten und ähnlichen Einrichtungen eingesetzt werden, Anwendung finden. Zum Anwendungsbereich heisst es: 'Dieser Anforderungskatalog gilt für Kraftomnibusse . . . und sogenannte Kleinbusse . . . die zur Schüler- oder Kindergartenbeförderung - nach § 1 Nr. 4 Buchstabe d, g oder i der Verordnung über die Befreiung bestimmter Beförderungsfälle von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes - Freistellungs-Verordnung - oder - nach § 43 Ziffer 2 des Personenbeförderungsgesetzes (Sonderform des Linienverkehrs) besonders eingesetzt werden. ' Fahrzeuge zum Transport erwachsener Behinderter werden danach ausdrücklich nicht erfasst.

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c) Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der §§ 1 Abs. 2, 33 Abs. 4 BOKraft nicht zwingend dafür, dass die Kennzeichnung des Fahrzeugs mit dem Sinnbild 'Schüler' bei Fahrten erwachsener Behinderter vorzunehmen ist. Durch die Regelung des § 1 Abs. 2 BOKraft sollen die an sich von den personenbeförderungsrechtlichen Normen befreiten Beförderungsarten nach § 1 Nr. 4 Buchstabe d, g und i der Freistellungs-Verordnung wichtigen Schutzregelungen der BOKraft zugunsten der Fahrgäste unterworfen werden. Es liegt aber nicht ohne weiteres auf der Hand, dass ein körperlich, geistig oder seelisch behinderter Erwachsener in der Art seines Schutzbedürfnisses einem Schüler gleichzustellen ist.

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d) Das Gebot der tatbestandlichen Bestimmtheit im Straf- und im Ordnungswidrigkeitenrecht erfordert es, den Bürger belastende Gesetze im Zweifel eng auszulegen. Der Bürger wird straf- bzw. bußgeldbewehrten Vorschriften ausgesetzt, die ihn im Fall ihres Eingreifens nicht unerheblich belasten. Es muss daher eindeutig erkennbar sein, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsfolgen der Norm eintreten. Dass die Kennzeichnungspflicht des § 33 Abs. 4 BOKraft auch für die Beförderung erwachsener Behinderter gilt, ist dem Wortlaut der einschlägigen Normen weder allein noch in Verbindung mit den Verordnungsmaterialien mit der notwendigen Sicherheit zu entnehmen.

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Der Betroffene hat damit keinen Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllt.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO.

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