Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 11.03.2013, Az.: 1 Ss 222/12

Bedeutung des Geständnis des Angeklagten hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis für die Beurteilung der Gültigkeit einer in einem EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
11.03.2013
Aktenzeichen
1 Ss 222/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 38545
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2013:0311.1SS222.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 25.10.2012 - AZ: 12a Ns 366/12

Fundstellen

  • Blutalkohol 2013, 191-193
  • NStZ-RR 2013, 5
  • NStZ-RR 2013, 212-213
  • NZV 2013, 6
  • StraFo 2013, 263-264

In der Strafsache
gegen Herrn M... I .... aus R .... ,
geboren am ............................. in H .... i. H .... , wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg in der Sitzung vom 11. März 2013, an der teilgenommen haben:
als
als
als
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der kleinen Hilfsstrafkammer 12a des Landgerichts Oldenburg vom 25. Oktober 2012 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte hinsichtlich beider Tatvorwürfe freigesprochen wird.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wildeshausen vom 23. Mai 2012 wird dem Angeklagten vorgeworfen, am 27. Dezember 2008 und 1. September 2011 in H... bzw. E .... jeweils vorsätzlich ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt zu haben, ohne im Besitz der dafür erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen zu sein. Zwar habe der Angeklagte eine ihm am 23. Juli 2007 ausgestellte polnische Fahrerlaubnis besessen, habe aber bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und billigend in Kauf genommen, dass diese Fahrerlaubnis in Deutschland keine Gültigkeit besäße, weil er vor deren Erteilung nicht die erforderlichen 185 Tage seinen Aufenthalt in Polen genommen habe.

Das Amtsgericht Wildeshausen hat den Angeklagten auf dessen form- und fristgerechten Einspruch gegen den Strafbefehl mit Urteil vom 16. Juli 2012 freigesprochen. Er habe zwar in beiden Fällen objektiv den Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfüllt, jedoch nicht schuldhaft gehandelt. Mit Rücksicht darauf, dass das wegen des ersten Fahrens ohne Fahrerlaubnis eingeleitete Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft Stade eingestellt worden sei, habe er davon ausgehen können, dass ihn die in Polen erteilte Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtige.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit Urteil vom 25. Oktober 2012 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass das Verfahren hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat vom 27. Dezember 2008 eingestellt wird.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen zum Sachverhalt getroffen:

Das Amtsgericht Syke verhängte gegen den Angeklagten mit Urteil vom 29. Dezember 2003, rechtskräftig seit dem 5. Februar 2004, wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs sowie unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe und entzog ihm die Fahrerlaubnis, für deren Wiedererteilung es eine Sperrfrist von sieben Monaten festsetzte. Der Angeklagte hat seither in Deutschland keine neue Fahrerlaubnis erworben. Einen am 30. Juli 2004 gestellten schriftlichen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nahm er mit Schreiben vom 16. Juli 2005 zurück.

Am 24. Juli 2007 wurde dem Angeklagten nach Besuch einer Fahrschule in Polen und Ablegung der dortigen Fahrprüfung von der Behörde des polnischen Landkreises G .... eine Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Der polnische Führerschein weist einen Wohnsitz des Angeklagten in Polen, .................G .... , K ...... .... .... .... . aus. Nach den Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung war er von Oktober 2006 bis August 2007 offiziell unter dieser Anschrift gemeldet, ohne jedoch jemals dort gewohnt oder sich dort aufgehalten zu haben. Tatsächlich habe er sich in jener Zeit jeweils nur vorübergehend in einem Hotel eingemietet, um an den von der Fahrschule in Polen erteilten theoretischen und praktischen Unterrichtsstunden teilzunehmen. Zuvor habe er sich im Internet über die Möglichkeit des Erwerbs einer polnischen Fahrerlaubnis informiert, die ihn nach den dortigen Recherchen auch zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigen sollte.

Am 27. Dezember 2008 befuhr der Angeklagte mit einem Pkw D.... B.... die Bundesstraße in der Gemarkung E.... in Richtung B ...., woraufhin die Staatsanwaltschaft Stade gegen ihn wegen Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ein Ermittlungsverfahren einleitete und mit Verfügung vom 9. März 2009 gegenüber der Polizei anordnete, ihn als Beschuldigten zu vernehmen. Nachdem seine Verteidigerin mit Schriftsatz vom 5. Mai 2009 erklärt hatte, dass der Angeklagte unter seinem damaligen Wohnsitz in Polen einen polnischen Führerschein erworben habe, von dem sie eine Kopie beifügte, stellte die Staatsanwaltschaft Stade mit Verfügung vom 11. Mai 2009 das Strafverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein.

Am 1. September 2011 befuhr der Angeklagte mit demselben Fahrzeug die ............................. Landstraße in H .... und wurde im Rahmen einer Geschwindigkeitskontrolle von der Polizei angehalten. Im Zuge des wegen dieser Fahrt eingeleiteten Ermittlungsverfahrens nahm die Staatsanwaltschaft Oldenburg am 13. März 2012 auch die Ermittlungen in dem 2009 eingestellten Verfahren wieder auf.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 23. März 2012 wurde dem Angeklagten gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Sein daraufhin beschlagnahmter Führerschein wurde ihm unmittelbar nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils wieder ausgehändigt.

Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft mit der Maßgabe verworfen, dass das Verfahren hinsichtlich der Fahrt vom 27. Dezember 2008 eingestellt wird, und hierzu ausgeführt, die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung beruhe auf fehlerhafter Anwendung des § 260 Abs. 3 StPO bei der Abfassung des Urteilstenors; dieser habe nicht berichtigt werden können. Mit Rücksicht darauf, dass sich der Tatvorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in beiden Fällen in der Sache nicht bestätigt habe (s. u.), hätte der Angeklagte auch hinsichtlich der Tat vom 27. Dezember 2008 freigesprochen werden müssen.

Die dem Angeklagten am 24. Juli 2007 durch die polnische Behörde erteilte Fahrerlaubnis berechtige ihn nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV grundsätzlich, Fahrzeuge der Klasse B auch in Deutschland zu fahren. Diese Berechtigung sei nicht wegen eines Verstoßes gegen das sog. Wohnsitzerfordernis gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV ausgeschlossen. Zwar habe der Angeklagte, dessen polnische Fahrerlaubnis einen polnischen Wohnsitz aufweist, unumwunden eingeräumt, sich dort nicht aufgehalten zu haben. Sein Geständnis vermöge jedoch nicht das Erfordernis unbestreitbarer Informationen des Ausstellerstaates hinsichtlich seines damaligen Wohnortes zu ersetzen.

Den Ausführungen in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 1. März 2012, C-467/10, zitiert nach [...], zufolge könnten Erklärungen des Fahrerlaubnisinhabers selbst, die er in dem im Aufnahmemitgliedstaat durchgeführten Verwaltungsverfahren oder gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer Mitwirkungspflicht gemacht habe, nicht als vom Ausstellerstaat herrührende Informationen qualifiziert werden, EuGH a. a. O., Rdn. 70. Dies, so die Strafkammer, müsse - entgegen der Auffassung des OLG München in dessen Beschluss vom 5. April 2012 (DAR 2012, 342) - auch für ein im Strafverfahren abgelegtes Geständnis des Angeklagten gelten.

Anhaltspunkte dafür, dass sich aus Polen über fünf Jahre nach Erteilung der Fahrerlaubnis noch Erkenntnisse gewinnen ließen, die unbestreitbar belegten, dass der Angeklagte nicht in Polen gewohnt habe, bestünden nicht, zumal Informationen privater Personen diesen Nachweis nicht erbringen könnten, weil als unbestreitbar i. S. d. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. FeV einzustufende Informationen des Ausstellerstaates von einer Behörde dieses Staates herrühren müssten, vgl. EuGH Urteil vom 1. März 2012, a. a. O., Rdn. 67.

Der Angeklagte sei deshalb freizusprechen.

Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verurteilung des Angeklagten wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe erstrebt, bleibt ohne Erfolg.

Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die am 24. Juli 2007 durch die polnische Behörde erteilte Fahrerlaubnis den Angeklagten gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV berechtigt, Fahrzeuge der Klasse B auch im Inland zu führen.

Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des EuGH, die bei der Neufassung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV berücksichtigt und in nationales Recht übernommen worden ist, nur dann, wenn sich aus den im Führerschein selbst enthaltenen oder vom Ausstellerstaat (Polen) herrührenden unbestreitbaren Informationen - etwa von einer Einwohnermeldebehörde des Ausstellungsstaates - feststellen lässt, dass das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde.

Unbestreitbare vom Ausstellerstaat herrührende Informationen oder ein sich aus dem Führerschein selbst ergebender Umstand, dass bei dessen Erteilung kein Wohnsitz im Ausstellermitgliedsstaat bestanden hat (so die Senatsentscheidung vom 16. März 2011 - 1 Ss 32/11 - zitiert nach [...]), liegen hier nicht vor.

Zwar hat der Angeklagte glaubhaft gestanden, den polnischen Führerschein unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erlangt zu haben. Indessen teilt der Senat - in Abweichung von der Entscheidung des OLG München (a. a. O.) die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung des Berufungsgerichts, dass die im Strafverfahren freiwillig gemachten Angaben des Angeklagten, er habe nicht in Polen gewohnt, sondern sich dort nur jeweils vorübergehend anlässlich des theoretischen und praktischen Fahrunterrichts aufgehalten, nicht einer vom Ausstellerstaat herrührenden unbestreitbaren Information gleichzustellen ist.

Richtig ist zwar, dass der Angeklagte diese Angaben weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer ihm nach innerstaatlichem Recht des Aufnahmemitgliedstaates obliegenden Mitwirkungspflicht getätigt hat. Er hätte sich in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren hierzu nicht äußern müssen. Auch ist dem OLG München zuzugeben, dass ein Angeklagter selbst mit Bestimmtheit weiß, ob er das bei Ausstellung des EU-Führerscheins notwendige Wohnsitzerfordernis erfüllt hat.

Darauf kommt es aber nicht an.

Denn der Europäische Gerichtshof hat in seinen Urteilen zum sog. Führerscheintourismus wiederholt bekräftigt, dass nur unter engen und abschließend bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von Mitgliedsstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse gemacht werden dürfen, und betont, die Prüfungshoheit insbesondere der Eignungsvoraussetzungen und des Wohnsitzerfordernisses liege allein beim Ausstellerstaat. Dies gelte selbst dann, wenn der die Fahrerlaubnis ausstellende Staat nicht dieselben Eignungsanforderungen stelle, wie sie der Aufnahmemitgliedstaat vorsehe (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008, C-329/06 u. a., 1. Leitsatz).

Die vom EuGH aufgestellten Ausnahmen vom Grundsatz der Anerkennungspflicht beziehen sich abschließend auf solche Fälle, in denen der Ausstellerstaat entweder selbst die Erfordernisse missachtet hat, weil er einen Führerschein ausgestellt hat, aus dem sich bereits der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ergibt, oder zumindest über Informationen verfügt, die unbestreitbar den Nachweis für eine Missachtung liefern. Wollte man einen weiteren Ausnahmetatbestand des Rechtsmissbrauchs schaffen, könnte der Nachweis hierfür ebenfalls nur mit Informationen geführt werden, die vom Ausstellerstaat herrühren, vgl. im Ansatz EUGH, Urteil vom 1. März 2010, a. a. O., Rdn. 75. Die Verwertung eines im Aufnahmemitgliedstaat abgelegten Geständnisses darüber, dass gegen das Wohnsitzerfordernis verstoßen worden sei, läuft darauf hinaus, die Kompetenz zur Überprüfung der Gültigkeit der Fahrerlaubnis des Ausstellerstaates auf den Aufnahmestaat zu verlagern, was letztlich zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Gültigkeit der Fahrerlaubnis in den Mitgliedstaaten führen würde.

Dem Geständnis des Angeklagten kann nach alledem keine Bedeutung für die Beurteilung der Gültigkeit der Fahrerlaubnis zukommen.

Zu beachten ist zudem, dass auch ein als glaubhaft angesehenes Geständnis eines Angeklagten nicht die Gewähr bietet, dass seine Angaben objektiv zutreffen. Es sind Fallkonstellationen denkbar, dass ein Angeklagter für den Fall, dass er einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis nicht eingesteht, in anderer Weise in Schwierigkeiten geraten und sich unter Umständen auch anderweitig strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sehen kann. So ist beispielsweise denkbar, dass ein Angeklagter, der in Deutschland Sozialleistungen bezogen hat, mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen muss, wenn in einem anderen Verfahren Hinweise darauf erlangt werden, dass in Deutschland während der Dauer des Leistungsbezuges kein Wohn- oder Aufenthaltsort des Angeklagten bestanden hat. Auch können Geständnisse widerrufen oder in späteren Wiederaufnahmeverfahren angezweifelt werden.

Dies stützt die vom EuGH getroffene Einschränkung, dass nur aus dem Führerschein selbst ersichtliche Umstände oder aber vom Ausstellerstaat erlangte unbestreitbare Informationen darüber, dass der Führerscheininhaber bei dessen Erwerb keinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellerstaat innehatte, den Aufnahmemitgliedsstaat zur Nichtanerkennung des EU-Führerscheins berechtigen.

Da sich der Senat mit dieser Entscheidung in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofs befindet, bedarf es - mit Rücksicht auf die Abweichung von der Entscheidung des OLG München (a.a.O.) - entgegen § 121 Abs. 2 GVG keiner Vorlage an den Bundesgerichtshof, vgl. BGH NJW 1985, 2904 [BGH 27.11.1984 - 1 StR 376/84]; OLG Köln DAR 2005,106 [OLG Köln 04.11.2004 - Ss 182/04 - 211 -].

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Angeklagte auch wegen der Tat, derentwegen das Landgericht das Verfahren in fehlerhafter Anwendung des § 260 Abs. 3 StPO eingestellt hat, freizusprechen.

Nach allem ist die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.