Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.05.2015, Az.: 1 Ws 94/15

Gesonderte Kostenentscheidung bei mehreren verbundenen Rechtsmitteln des Angeklagten

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
20.05.2015
Aktenzeichen
1 Ws 94/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 20950
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2015:0520.1WS94.15.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 09.05.2014

Amtlicher Leitsatz

Über mehrere Rechtsmittel eines Angeklagten ist auch dann eine gesonderte Kostenentscheidung zu treffen, wenn die Rechtsmittelverfahren in entsprechender Anwendung von § 4 StPO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden sind.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird die im Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 9. Mai 2014 getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Angeklagte trägt die Kosten seiner beiden gegen die Urteile des Amtsgerichts Helmstedt vom 9. Oktober 2012 und vom 8. April 2013 gerichteten Rechtsmittel.

Jedoch wird die Gebühr für die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 8. April 2013 auf die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt zudem die Hälfte der gerichtlichen Auslagen, die auf die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 8. April 2013 entfallen, sowie die Hälfte der dem Angeklagten im Rahmen dieses Rechtsmittels entstandenen notwendigen Auslagen.

Die vorgenannte Regelung gilt indes nicht für diejenigen Kosten und Auslagen, die bei einer innerhalb der Frist des § 317 StPO erklärten Rechtsmittelbeschränkung vermeidbar gewesen wären; diese trägt der Angeklagte in vollem Umfang.

Die Kosten der beiden Berufungen der Staatsanwaltschaft und die insoweit dem Angeklagten ausscheidbar durch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Dem Angeklagten werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Helmstedt am 9. Oktober 2012 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Das Gericht hat Einzelstrafen von 2 Monaten und 3 Monaten festgesetzt. Außerdem hat das Amtsgericht die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch 6 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen das genannte Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 16. Oktober 2012 Berufung eingelegt; der Angeklagte hat seinerseits mit Schriftsatz vom selben Tag ein "Rechtsmittel" eingelegt, das als Berufung behandelt worden ist.

Der Angeklagte ist zudem vom Amtsgericht Helmstedt am 8. April 2013 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung einer vorangegangenen Strafe (AG Helmstedt vom 19. Februar 2013: 3 Monate Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden. Das Amtsgericht hat Einzelstrafen von 5 Monaten und von 90 Tagessätzen festgesetzt. Außerdem hat das Gericht angeordnet, dass der Angeklagte dem Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,- € zu zahlen habe. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 10. April 2013 ebenfalls Berufung eingelegt. Der Angeklagte hat mit Schriftsatz vom 15. April 2013 wiederum "Rechtsmittel" eingelegt, das als Berufung behandelt worden ist.

Das Landgericht Braunschweig hat die genannten Berufungsverfahren mit Beschluss vom 2. September 2013 in entsprechender Anwendung von § 4 StPO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (Bd. II a Bl. 139). Im Verhandlungstermin vom 23. April 2014 hat der Angeklagte seine Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (Bd. III Bl. 80). Die Staatsanwaltschaft hat im Fortsetzungstermin vom 9. Mai 2014 ihre Berufungen zurückgenommen (Bd. III Bl. 87).

Durch Urteil vom 9. Mai 2014 hat das Landgericht Braunschweig sodann die Urteile des Amtsgerichts Helmstedt vom 9. Oktober 2012 und vom 8. April 2013 abgeändert. Die Kammer hat den Angeklagten nunmehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Im Übrigen hat das Landgericht die Berufung zurückgewiesen und bestimmt, dass sowohl der Angeklagte als auch die Staatskasse die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen haben. Außerdem hat die Kammer der Staatskasse auferlegt, die Hälfte der dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2014 - eingegangen am selben Tag - hat der Angeklagte gegen die Kostenentscheidung sofortige Beschwerde eingelegt. Die Kostenquote, die das Landgericht gebildet habe, berücksichtige nicht, dass die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe dem Antrag des Angeklagten entsprochen habe. Es habe lediglich eine Divergenz beim Adhäsionsverfahren bestanden. Die Kammer habe des Weiteren übersehen, dass die Staatsanwaltschaft ihre Rechtsmittel zurückgenommen habe.

II.

Das Rechtsmittel des Angeklagten ist gemäß § 464 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 StPO als sofortige Beschwerde statthaft. Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) angebracht worden; sie ist auch sonst zulässig. In der Sache führt das Rechtsmittel zu der tenorierten Abänderung der Kostenentscheidung.

1.

Die angefochtene Kostenentscheidung ist zunächst abzuändern, weil es das Landgericht unterlassen hat, gesondert über die Kosten der Berufungen der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Eine gesonderte Entscheidung war zu treffen, weil die beiderseitigen Rechtsmittel kostenrechtlich getrennt zu betrachten sind (OLG Braunschweig, Beschluss vom 23.05.2013, 1 Ws 59/13, juris, Rn. 20; Hilger in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 473, Rn. 59; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 473, Rn. 18). Die Kosten der von der Staatsanwaltschaft zurückgenommenen Rechtsmittel (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) und die notwendigen Auslagen des Angeklagten (§ 473 Abs. 2 S. 1 StPO) sind der Staatskasse aufzuerlegen, soweit sie ausscheidbar den Berufungen der Staatsanwaltschaft zuzurechnen sind (zu diesem Erfordernis: OLG Celle, Beschluss vom 06.08.2013, 1 Ws 192/13, juris, Rn. 14; OLG Bamberg, Beschluss vom 20.07.1987, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 473 Rn. 18). Ob durch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft überhaupt ausscheidbare Mehrkosten entstanden sind, obliegt dem Kostenfestsetzungsverfahren.

2.

Umgekehrt hat der Angeklagte die Kosten seiner beiden Rechtsmittel gemäß § 473 Abs. 1 S. 1 StPO jedenfalls zu tragen, soweit sie bei einer alsbald nach Urteilszustellung erklärten Rechtsmittelbeschränkung vermeidbar gewesen wären. Wird - wie hier - ein zunächst unbeschränkt eingelegtes Rechtsmittel nachträglich beschränkt, so handelt es sich um eine Teilrücknahme desselben, was zur entsprechenden Anwendung von § 473 Abs. 1 S. 1 StPO führt. Dem Rechtsmittelführer sind deshalb die Mehrkosten, die durch die nicht rechtzeitige Rücknahme des Rechtsmittels entstanden sind, aufzuerlegen (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 01.03.2006, 2 Ws 48/06, juris, Rn. 3, OLG Koblenz, Beschluss vom 19.08.2010, 2 Ws 355/10, juris, Rn. 5; OLG München, 2 Ws 1197/96 K = NStZ-RR 1997, 192; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 473, Rn. 20). Der Angeklagte hat das Rechtsmittel hier verspätet beschränkt. Ob eine Berufung rechtzeitig beschränkt wird, richtet sich danach, ob die Beschränkung noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 317 StPO erfolgt (OLG Koblenz, Beschluss vom 19.08.2010, 2 Ws 355/10, juris, Rn. 7). Das war hier nicht der Fall. Der Angeklagte hat die Beschränkung erst im Hauptverhandlungstermin vorgenommen.

3.

Soweit es die - beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch - verbleibenden Berufungen des Angeklagten gegen die Urteile des Amtsgerichts Helmstedt vom 9. Oktober 2012 und vom 8. April 2013 betrifft, ist die angefochtene Kostenentscheidung ebenfalls abzuändern. Die Berufungsverfahren waren durch die Verfahrensverbindung zwar miteinander verschmolzen. Dennoch ist sowohl in der Hauptsache (vgl. hierzu: BayObLG, Beschluss vom 16.04.1999, 1 StRR 81/99, juris, Rn. 15) als auch im Kostenpunkt (vgl. SSW-StPO, Steinberger-Fraunhofer, § 473 Rn. 12) über jedes einzelne Rechtsmittel - also auch über jede der beiden Berufungen des Angeklagten - eine eigene Entscheidung zu treffen. Diese fällt unterschiedlich aus, weil nur die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 8. April 2013 erfolgreich war. Für die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe ein Rechtsmittel Erfolg hat, kommt es nach zutreffender Auffassung auf einen Vergleich zwischen dem Rechtsfolgenausspruch der Vorinstanz und der in der Rechtsmittelinstanz erreichten Milderung an; der Schlussantrag des Beschwerdeführers ist im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers nicht maßgeblich (OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.05.2014, 4 Ws 96/14, juris, Rn. 8; OLG München, 2 Ws 1197/96 = NStZ-RR 1997, 192; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 473, Rn. 21, 25).

Danach hatte die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 9. Oktober 2012 keinen Erfolg. Denn das Landgericht hat die Einzelstrafen, die dem Urteil zugrunde lagen, bestehen gelassen. Dass die Kammer im Urteil vom 9. Mai 2014 die Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten zur Bewährung ausgesetzt hat, begründet keinen Erfolg. Denn dieser Umstand war ersichtlich kein Grund für die gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 9. Oktober 2012 gerichtete Berufung, weil schon das Amtsgericht Helmstedt die Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten zur Bewährung ausgesetzt hatte und der Beschwerdeführer trotzdem ein Rechtsmittel eingelegt hatte.

Die tenorierte Billigkeitsentscheidung gemäß § 473 Abs. 4 StPO ist allerdings geboten, soweit es die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt am 8. April 2013 betrifft. Denn das Amtsgericht Helmstedt hat die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten nicht zur Bewährung ausgesetzt, so dass die nunmehr rechtskräftige Aussetzung der Gesamtstrafe von 10 Monaten im Kammerurteil vom 9. Mai 2014 einen bedeutenden Erfolg begründet. Dem steht allerdings gegenüber, dass die gegen das Urteil vom 8. April 2013 gerichtete Berufung des Angeklagten keinen Erfolg hatte, soweit es die verhängten Einzelstrafen und den Adhäsionsausspruch betrifft.

III.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der Senat sieht keinen Anlass zur Anwendung von § 473 Abs. 4 StPO, weil nicht anzunehmen ist, dass der Beschwerdeführer von der Einlegung der sofortigen Beschwerde abgesehen hätte, wenn schon die Kostenentscheidung des Landgerichts so gelautet hätte wie jene des Rechtsmittelgerichts. Die Beschwerdeentscheidung erweist sich für den Angeklagten lediglich in Bezug auf die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als vorteilhaft.