Landgericht Verden
Urt. v. 05.07.1979, Az.: 4 O 138/79
Anspruch auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung ; Pflicht zur unverzüglichen Einziehung des Fahrzeugscheins sowie zur Entstempelung eines Kennzeichens nach Ablauf des Versicherungsschutzes; Verzögerliche Behandlung der Außerbetriebsetzung des nicht versicherten Fahrzeuges des Halters
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 05.07.1979
- Aktenzeichen
- 4 O 138/79
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1979, 12686
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:1979:0705.4O138.79.0A
Rechtsgrundlagen
- § 839 BGB
- Art. 34 GG
- § 29c StVZO
- § 251 BGB
- § 249a BGB
Verfahrensgegenstand
Schadensersatz
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 1979
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
den Richter am Landgericht ... und
den Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) DM 5.699,67 zuzüglich 7,25 % Zinsen seit dem 2. April 1979 und an die Klägerin zu 2) DM 1.126,75 zuzüglich 7,25 % Zinsen seit dem 2. April 1979 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger zu 1) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 7.200,-, für die Klägerin zu 2) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 1.600,-.
Tatbestand
Die Kläger machen einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung geltend.
Zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom ... den die Pkw - Fahrerin ... mit einem Fahrzeug ihres Bruders, ... beide wohnhaft in ... verschuldet hat. Das von ihr gelenkte Fahrzeug, das nicht haftpflichtversichert war, fuhr auf den verkehrsbedingt haltenden Pkw des Klägers zu 1) auf und schob diesen auf den davor haltenden Pkw der Klägerin zu 2). Am Fahrzeug des Klägers zu 1) entstand Totalschaden, das Fahrzeug der Klägerin zu 2) wurde erheblich beschädigt.
Das Fahrzeug des Klägers zu 1) besaß nach den Festellungen des beauftragten Sachverständigen einschl. MWst, und unter Berücksichtigung des Restwertes des Fahrzeuges nach Schadenseintritt einen Wiederbeschaffungswert von DM 2.296,- (einschließlich 12 % MWSt.). Da es dem Kläger jedoch nicht möglich war, für diesen Betrag ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug zu beschaffen, ließ er das verunfallte Fahrzeug zum Preise von DM 2.865,96 reparieren. Für das Abschleppen des verunfallten Fahrzeuges entstanden dem Kläger zu 1) Kosten in Höhe von DM 60,48, für das einzuholende Sachverständigengutachten solche von DM 237,97. Für die Dauer der Reparatur mietete sich der Kläger zu 1) als Leihwagen einen Simca 1100. Er wählte sich bewußt dieses kleinere Fahrzeug aus, um den sonst üblichen Abzug für ersparte Eigenkosten zu vermeiden. An allgemeinen Unkosten macht der Kläger zu 1) einen Betrag von DM 30,- geltend. Er versuchte seine Ansprüche sowohl gegen die Fahrerin ... wie auch gegen den Halter, ihren Bruder, ... gerichtlich durchzusetzen. Insoweit hatten sie jedoch keinen Erfolg, da Vollstreckungsmöglichkeiten bei den Schuldnern nicht gegeben waren. Für Prozeß- und Vollstreckungskosten mußte der Kläger zu 1) DM 957,51 aufwenden.
Die Verkehrsopferhilfe e. V. in Hamburg hat unter Hinweis auf § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVersG ihre Eintrittspflicht abgelehnt.
Die Klägerin zu 2) mußte für die Wiederherstellung ihres Fahrzeuges Reparaturkosten von DM 831,33 aufwenden. Für 4 Tage Nutzungsausfall fordert sie eine Entschädigung von DM 120,-. Die Klägerin zu 2) macht ferner eine Unkostenpauschale von DM 20,- und Prozeßkosten von DM 154,92 geltend.
Beide Kläger nehmen mit 7,25 % verzinslichen Bankkredit wegen ihrer Forderungen in Anspruch.
Beide Kläger nehmen den Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch, weil ihrer Ansicht nach der Beklagte nicht rechtzeitig dafür gesorgt hat, daß der nicht versicherte Pkw des ... aus dem Verkehr gezogen wurde.
Die ... Versicherung teilte der Zulassungsstelle des Beklagten bereits am 27.12.1977 das Erlöschen des Versicherungsschutzes mit. Am 28.12.1977 erließ der Beklagte eine Stillegungsverfügung für das betroffene Fahrzeug des Halters ... und beauftragte die Polizei am 5.1.78 mit dem Zwangsvollzug. Mit Schreiben vom 26.1.1978, eingegangen beim Beklagten am 1.2.1978, teilte die Polizei ... dem Beklagten mit, daß der Fahrzeughalter ... nicht mehr in ... sondern in ... wohnhaft sei. Mit Schreiben vom 9.2. ersuchte der Beklagte alsdann die Stadt ... um die sofortige Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs des Halters .... Als Anschrift des Fahrzeughalters, gab die Beklagte der Stadt ... an, er wohne in .... Dieses Schreiben ging bei der Stadt ... am 13.2.1978 ein. Ehe die Stadt ... das Fahrzeug außer Betrieb setzen konnte, ereignete sich am 14.2.1978 der Unfall.
Die Kläger sind der Ansicht, der Beklagte habe deswegen pflichtwidrig gehandelt, weil er trotz Kenntnis des entfallenen Versicherungsschutzes seit dem 28.12.1977 vom 5.1. bis zum 1.2.1978 nicht in der Lage gewesen sei, die Halteranschrift zu ermitteln, obwohl die Ehefrau des Halters ... nach wie vor in ... gewohnt habe. Außerdem sei es als pflichtwidrig anzusehen, daß der Beklagte trotz der ihm bekannten Eilbedürftigkeit vom 1.2. bis zum 9.2.1978 gewartet habe, ehe er das Amtshilfeersuchen an die Stadtverwaltung ... gerichtet habe. Hinzu komme noch, daß der Beklagte der Stadt ... eine falsche Halteranschrift mitgeteilt habe. Wäre dies nicht geschehen, so wäre die Stilllegungsverfügung dem Halter ... am 14.2.1978 zugegangen, wodurch möglicherweise die Inbetriebnahme des unfallverursachenden Fahrzeuges unterblieben wäre.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 1) DM 5.699,67 sowie 7,25 % Zinsen seit dem 22.6.1978 zu zahlen,
weiter
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 2) DM 1.126,75 sowie 7,25 % Zinsen seit dem 7.3.1978 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bestreitet den geltend gemachten Schadenersatzanspruch der Kläger der Höhe nach nicht. Der Beklagte behauptet jedoch, ihn treffe der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit nicht, da die Verzögerung der Anschriftsermittlung des Halters darauf zurückzuführen gewesen sei, daß der Beklagte sich zur Halterermittlung der Landespolizei habe bedienen müssen, da eigene Kräfte nicht vorhanden gewesen seien. Auch eine frühere Absendung des Schreibens an die Stadtverwaltung ... hätte an dem späteren Unfallgeschehen nichts geändert, da vom Zeitpunkt des Einganges des Amtshilfeersuchens bei der Stadt ... immerhin 15 Tage vergangen seien, ehe die Stillegung des Kraftfahrzeuges erfolgt sei. Auch die Benutzung des Telex hätte zu keiner wesentlich schnelleren Zustellung geführt, da die Straßenverkehrsabteilung der Stadt ... nicht in unmittelbarer Nähe des Telex-Anschlusses der Stadt ... untergebracht gewesen sei. Die Mitteilung der falschen Halteranschrift schließlich habe keine Verzögerung der Zustellung der Stillegungsverfügung zur Folge gehabt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselter Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage der Kläger ist mit Ausnahme der geltend gemachten Verzugszinsen in vollem Umfang begründet.
Der Beklagte haftete den Klägern aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.
Der Beklagte hatte gemäß § 29 c StVZO bereits am 27.12.1977 davon Kenntnis erlangt, daß für das unfallverursachende Fahrzeug seit dem 15.12.1977 kein Versicherungsschutz mehr gegeben war. Gemäß § 29 d StVZO war der Beklagte nunmehr verpflichtet, unverzüglich den Fahrzeugschein einzuziehen und das Kennzeichen zu entstempeln. Der Beklagte, der in Kenntnis der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit bereits am 28.12.1977 eine Stillegungsverfügung an den Fahrzeughalter ... unter seiner ... Anschrift richtete, erlangte spätestens am 4. Januar 1978 nach fruchtlosem Ablauf der von ihm dem Fahrzeughalter gesetzten Frist davon Kenntnis, daß dieser unter seiner Adresse nicht mehr zu erreichen war. Unverständlich ist, daß der Beklagte nunmehr bis zum 1.2.1978 untätig blieb und sich wegen der Anschriftenermittlung des Fahrzeughalters gänzlich auf die Landespolizei in ... verließ, obwohl eine Nachfrage im eigenen Hause beim Einwohnermeldeamt unschwer den Wohnortwechsel, zumindest aber die Tatsache ergeben hätte, daß die Ehefrau des Fahrzeughalters nach wie vor in ... wohnte. Eine Nachfrage des Beklagten bei der Ehefrau des Halters hätte das gleiche Ergebnis gezeitigt, das schließlich die Polizei erreichte, nur mit dem Unterschied, daß die Halteranschrift dem Beklagten wesentlich früher bekannt geworden wäre. Eine beschleunigte Eigentätigkeit war dem Beklagten insbesondere deswegen zuzumuten, da ihm bekannt war, daß die Nachhaftungsfrist vor der Allianz am 27.1.1978 ablief.
Der Beklagte muß sich jedoch darüberhinaus vorwerfen lassen, daß er eine weitere verzögerliche Behandlung der Angelegenheit dadurch verschuldete, daß er nach Kenntniserlangung des Wohnortwechsels des Fahrzeughalters am 1.2.1979, d.h. nach Ablauf der Nachhaftungsfrist wiederum mehr als eine Woche verstreichen ließ, ehe er am 9. Febr. 1978 die Stadtverwaltung ... um Amtshilfe ersuchte. Dieses Amtshilfeersuchen hätte bei Ausnutzung sämtlicher postalischer Möglichkeiten (Telegramm oder Telex), wenn nicht schon im 1.2.1978, dann jedoch am 2.2.1978 bei der Stadtverwaltung ... eingehen können. Diese hätte die Stillegungsverfügung wenn nicht am 3.2.1978, so doch spätestens am 6.2.1978, dh. mehr als eine Woche vor dem Unfallgeschehen, an den Kraftfahrzeughalter ... zustellen können. Die zwangsweise Außerbetriebsetzung des Unfallfahrzeuges hätte, nach Ablauf der Dreitagefrist spätestens am 9. oder 10.2.1978 vorgenommen werden können, mithin vor dem Unfall am 14.2.1978.
Die verzögerliche Behandlung der Außerbetriebsetzung des nicht versicherten Fahrzeuges des Halters ... durch den Beklagten stellt nach alledem eine fahrlässige Verletzung der dem Beklagten der Öffentlichkeit gegenüber obliegenden Amtspflicht nach § 29, d StVZO dar. Da anderweitige Ersatzmöglichkeiten nicht gegeben sind, ist der Beklagte den Klägern zum Ersatz des ihnen entstandenen und zur Höhe nicht bestrittenen Schadens aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG verpflichtet.
Da die Reparaturkosten weniger als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges des Klägers zu 1) liegen, durfte der Kläger zu 1) den Ersatz der Reparaturkosten verlangen (vgl. Palandt, Anm. 4 b bb zu § 251 BGB). Der Beklagte ist den Klägern auch zum Ersatz der übrigen Schäden verpflichtet, da er sie adäquat verursacht hat. Einen Abzug für Eigenersparnis braucht sich der Kläger zu 1) nicht gefallen zu lassen, da er ein wesentlich kleineres Fahrzeug gemietet hat als sein beschädigtes (vgl. Palandt, Anm. 1 a zu § 249 a BGB).
Der zuerkannte Zinsanspruch rechtfertigt sich aus den §§ 284, 288, 291 BGB, vom 2.4.1979, dem Zeitpunkt der Zustellung der Klage an den Beklagten, da einen früheren Verzug des Beklagten begründende Tatsachen nicht vorgetragen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.