Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.11.1983, Az.: 2 Ss (OWi) 81/83
Vollmachterteilung an einen Verteidiger betreffend Zustellungen an den Betroffenen; Zustellungsvollmacht für den Verteidiger als Erfordernis einer wirksamen Zustellung; Verstoß gegen das Gebot der Preisauszeichnung am Eingang einer Gaststätte; Pflicht zur Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen für zwei Gesellschafter der eine Gaststätte betreibenden BGB-Gesellschaft (GbR)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.11.1983
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 81/83
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1983, 18754
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1983:1114.2SS.OWI81.83.0A
Rechtsgrundlagen
- § 145a Abs. 1 StPO
- § 121 Abs. 2 GVG
- § 4 PAngV
- § 16 Abs. 7 S. 2 DVNBauO
- § 37 DVNBauO
- § 23 NBauO
- § 34 NBauO
- § 91 Abs. 1 NBauO
- § 9 VO zur Änderung der GetränkeschankanlagenVO
Fundstellen
- MDR 1984, 336 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1984, 444 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidrigkeiten nach der Verordnung über Preisangaben und der Getränkeschankanlagenverordnung
Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle hat
auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegenüber
dem Beschluß des Amtsgerichts ... vom 28. Dezember 1982 und
auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts ... vom 30. September 1982
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht
am 14. November 1983
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
- 2.
Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der weitergehenden Rechtsbeschwerde teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Gegen den Betroffenen werden wegen fahrlässiger Verstöße gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WiStr 1954 i.V.m. § 4 Abs. 2, § 6 VO PR 3/73, § 14 Abs. 1 Satz 1 OWiG und §§ 9 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 7 der VO zur Änderung der Getränkeschankanlagenverordnung, § 143 Abs. 1 Nr. 2 GewO, Art. IV Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung der GewO und über die Einrichtung eines Gewerbezentralregisters Geldbußen von 100 und 200 DM festgesetzt.
Vom Vorwurf eines Verstoßes gegen § 16 Abs. 7 DVNBauO wird der Betroffene freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen hat der Betroffene zu tragen, soweit er verurteilt ist; im übrigen trägt sie die Landeskasse.
- 3.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen, jedoch wird die Rechtsbeschwerdegebühr um 1/4 ermäßigt. 1/4 der dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse; im übrigen trägt sie der Betroffene selbst.
Gründe
I.
Der Amtsrichter hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen tateinheitlichen Verstoßes gegen § 4 VO über Preisangaben, § 9 VO zur Änderung der GetränkeschankanlagenVO, § 16 der DVNBauO eine Geldbuße von 400 DM festgesetzt.
Die hiergegen gerichtete, am 7.10.1982 eingelegte Rechtsbeschwerde hat der Amtsrichter gemäß §§ 346 Abs. 1, 345 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3 OWiG mit der Begründung als unzulässig verworfen, nach der am 19.11.1982 wirksam erfolgten Zustellung des Urteils an den gewählten Verteidiger des Betroffenen (unter Übersendung einer Urteilsabschrift an den Betroffenen selbst) sei innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG bei Gericht keine Begründung der Rechtsbeschwerde eingegangen.
Hiergegen hat der Betroffene am 10.1.1983 auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts angetragen und gleichzeitig die mit der Rechtsbeschwerde erhobene Sachrüge begründet, worauf das angefochtene Urteil am 20.1.1983 an den Betroffenen selbst zugestellt worden und sein Verteidiger darauf hingewiesen worden ist, daß sich keine von dem Betroffenen erteilte Vollmacht bei den Akten befinde. Diese ist daraufhin am 30.9.1982 (1)zu den Akten gelangt.
II.
Die Rechtsbeschwerdebegründung ist rechtzeitig angebracht, der das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende amtsgerichtliche Beschluß folglich aufzuheben. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch nur zum Teil Erfolg.
1.
Die am 19.11.1982 vorgenommene Zustellung des angefochtenen Urteils an den Verteidiger des Betroffenen ist unwirksam, weil sich zu dieser Zeit keine dem Verteidiger erteilte Vollmacht bei den Akten befand und aus dem Protokoll der Hauptverhandlung auch nicht ersichtlich ist, daß der Betroffene seinem Verteidiger mündlich Vollmacht erteilt hat. Nach § 145 a Abs. 1 StPO gilt der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen. Einer besonderen Vollmachtsurkunde in den Akten bedarf es nur dann nicht, wenn der Betroffene seinen Verteidiger in der Hauptverhandlung mündlich bevollmächtigt hat und dies im Protokoll beurkundet wird (BayObLG VRS 50, 292; BayObLG St 1969, 110; BayObLG St 1971, 228; OLG Hamm OLGSt Beschluß vom 5.10.1981 - Ss OWi 1892/81; OLG Celle 2 Ss 390/74 vom 9.4.1975; OLG Celle 1 Ws (OWi) 52/82 vom 26.1.1982; Löwe-Rosenberg, 23. Aufl., Rdn 3 zu § 145 a StPO; KMR-Paulus, 7. Aufl., Anm. 1 a zu § 145 a StPO.).
Mit dieser Auffassung weicht der Senat von den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt (3 Ws (B) 1/80 OWiG vom 18.1.1980) und Karlsruhe (NJW 1983, 895) ab, die eine Zustellungsvollmacht schon dann für gegeben erachten, wenn der Verteidiger in Anwesenheit des Betrofffenen in der Hauptverhandlung für diesen aufgetreten ist (so auch Kleinknecht/Meyer, 36. Aufl., Rdn. 2 zu § 145 a StPO). Dennoch bedarf es nicht der Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG; denn der BGH hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, daß er bei einem Fall wie dem hier zu entscheidenden in ständiger Praxis von einer unwirksamen Zustellung ausgehe ( BGH - Beschlüsse vom 4.2.1976 - 2 StR 776/75 und 30.5.1978 - 4 StR 50/78).
Danach hat erst die an den Betroffenen persönlich am 20.1.1983 vorgenommene Zustellung des Urteils die Frist für die Begründung der Rechtsbeschwerde in Lauf gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits die am 10.1.1983 bei Gericht eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung vor. Der angefochtene Beschluß war deshalb aufzuheben.
2.
Die Rechtsbeschwerde hat nur zum Teil Erfolg.
a)
Der Amtsrichter hat rechtsbedenkenfrei festgestellt, daß der Betroffene als Mitinhaber der Gaststätte ... in ... dadurch ordnungswidrig gehandelt hat, daß er die vorgeschriebene Preisauszeichnung am Eingang der Gaststätte (eine Preisauszeichnung in der Gaststätte ist nicht geboten) unterlassen und den Bierlagerraum in der im Urteil näher festgestellten Weise nicht hygienisch einwandfrei gehalten hat. Soweit der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde an die Stelle der zum Zustand des Bierlagerraumes getroffenen tatrichterlichen Feststellungen eigene neue Feststellungen setzen will, indem er das Vorhandensein von Mängeln bestreitet, ist dies im Rechtsbeschwerdeverfahren unzulässig. Nicht zu beanstanden ist auch die Auffassung des Amtsrichters, daß der Betroffene selbst dann für den pflichtwidrigen Zustand der Gaststätte verantwortlich ist, wenn er mit deren Mitinhaber im Innenverhältnis vereinbart haben sollte, daß dieser sich um die Gaststätte und die Einhaltung der behördlichen Vorschriften zu kümmern habe. Abgesehen davon, daß grundsätzlich beide Gesellschafter der eine Gaststätte betreibenden BGB-Gesellschaft für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen Sorge tragen müssen, mußte sich der Betroffene jedenfalls dann um die Beseitigung der bei der Betriebsbegehung am 2.1.1981 festgestellten Mängel kümmern, als auch er - neben seinem mit der Leitung der Gaststätte möglicherweise beauftragten Partner - hierzu behördlich aufgefordert worden war und dadurch Kenntnis davon erhalten hatte, daß sein Mitinhaber den von ihm übernommenen Pflichten nicht hinreichend nachgekommen war (Göhler, OWiG, 5. Aufl., Anm. 6 E zu § 9). Spätestens in diesem Zeitpunkt konnte und durfte der Betroffene auch subjektiv über seine Pflichten nicht mehr im unklaren sein. Der Amtsrichter hat deshalb rechtsbedenkenfrei jedenfalls fahrlässiges Handeln des Betroffenen festgestellt, so daß der Senat zum Schuldspruch lediglich die Anführung der gesetzlichen Bestimmungen, gegen die der Betroffene verstoßen hat, vervollständigen mußte.
c)
Da der Amtsrichter sämtliche für die Bemessung der Geldbuße erforderlichen Feststellungen getroffen hat, kann der Senat hierüber selbst abschließend entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Hinsichtlich des Verstoßes gegen die PreisauszeichnungsVO ist zu berücksichtigen, daß die Bedeutung dieser Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Betroffenen in diesem Zusammenhang trifft, angesichts der durch die Vorschrift geschützten Interessen nicht zu hoch zu bewerten sind und es sich um einen ersten derartigen Verstoß des Betroffenen handelt. Der Senat hält deshalb hierfür ein Bußgeld von 100 DM für angemessen.
Die in Tatmehrheit hierzu stehende Verletzung der Vorschriften über den hygienisch einwandfreien Zustand der Schankeinrichtungen und Getränkeaufbewahrungsräume wiegt schwerer, weil gesundheitliche Belange der Allgemeinheit berührt sind. Hierfür erscheint deshalb unter Berücksichtigung aller Umstände ein Bußgeld von 200 DM als angemessen.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO.
(1) Red. Anm.: