Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 07.03.2011, Az.: 6 B 19/11

Fahrerlaubnis; Gutachtenanordnung; Einsichtsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
07.03.2011
Aktenzeichen
6 B 19/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 45215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8 FeV kommt nicht in Betracht, wenn in der zugrunde liegenden behördlichen Gutachtenanordnung der Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in die der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV) fehlt.

Gründe

I.

Am 16.11.2010 um 23:15 Uhr wurde der Antragsteller als Fahrer eines Pkw im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle in D. kontrolliert. Wegen des Verdachts des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Drogeneinfluss wurde dem Antragsteller eine Blutprobe entnommen, deren Untersuchung den Nachweis von 5,7 ng/ml THC und 53,5 ng/ml THC-Carbonsäure erbrachte.

Im Hinblick darauf forderte der Antragsgegner den Antragsteller am 09.12.2010 unter Bezugnahme auf § 11 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV und unter Fristsetzung auf, ein fachärztliches Gutachten beizubringen, durch das mittels einer Blut- und Urinuntersuchung geklärt werden solle, ob und ggf. in welchem Umfang der Antragsteller Cannabis oder andere Drogen konsumiere. Diese Aufforderung war mit dem Hinweis verbunden, dass die fachärztliche Untersuchung beim (insoweit textlich durch Fettdruck und Unterstreichung hervorgehoben) TÜV Nord Mobilität GmbH & Co. KG, Medizinisch-Psychologisches Institut, Geschäftstelle E. oder aber auch bei jedem anderen Facharzt für Rechtsmedizin oder einem Arzt einer anderen amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung durchgeführt werden könne. - Ebenfalls mit Schreiben vom 09.12.2010 bat der Antragsgegner den TÜV Nord - Medizinisch-Psychologisches Institut E. - unter Hinweis auf die o.g. Fragestellung und Übersendung des Verwaltungsvorgangs um entsprechende Begutachtung des Antragstellers.

Nachdem der Antragsteller das geforderte Gutachten innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht vorgelegt hatte, entzog ihm der Antragsgegner mit Bescheid vom 14.01.2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis (Klassen B, M, S und L). Zur Begründung führte er aus, dass der Antragsteller am 16.11.2010 unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt habe, wodurch erhebliche Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen entstanden seien. Zur Klärung dieser Eignungszweifel sei der Antragsteller unter Fristsetzung zur Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens, das Auskunft über sein Konsumverhalten geben solle, aufgefordert worden. Da sich der Antragsteller einer solchen Untersuchung nicht unterzogen habe, sei davon auszugehen, dass er durch dieses Verhalten vorhandene und ihm bekannte Eignungsmängel verbergen wolle.

Der Antragsteller hat hiergegen am 15.02.2011 Klage erhoben (6 A 42/11) und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er macht geltend, dass ihm die Fahrerlaubnis nicht mit der vom Antragsgegner gegebenen Begründung, er habe ein gefordertes ärztliches Gutachten nicht vorgelegt, hätte entzogen werden dürfen, weil die zugrunde liegende Gutachtenanordnung vom 09.12.2010 rechtswidrig gewesen sei. Zum einen habe der Antragsgegner durch die textliche Gestaltung des darin enthaltenen Hinweises, bei wem die geforderte Untersuchung stattfinden könne, und durch die am gleichen Tag erfolgte Beauftragung des TÜV Nord - Medizinisch-Psychologisches Institut E. - zu erkennen gegeben, dass die Untersuchung nur bei dieser Begutachtungsstelle durchgeführt werden könne. Dies sei unzulässig und verletze ihn in seinem Recht auf freie Auswahl einer geeigneten Begutachtungsstelle. Zum anderen sei er in der Gutachtenanordnung nicht darauf hingewiesen worden, dass er die der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen einsehen könne. Schließlich sei der angefochtene Entziehungsbescheid auch deshalb rechtswidrig, weil er vor dessen Erlass nicht angehört worden sei.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.01.2011 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt aus den Gründen des angefochtenen Bescheides,

den Antrag abzulehnen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung die Behörde - wie hier - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung bedarf es einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers andererseits, bei der insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Diese Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus, weil sich der angefochtene Bescheid aller Voraussicht nach als rechtswidrig erweisen wird.

Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, wobei ungeeignet in diesem Sinne gem. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere derjenige ist, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 und 6 vorliegen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen. Den Akten lassen sich keine tragfähigen Umstände entnehmen, die dem Antragsgegner - ohne vorherige Anforderung eines Eignungsgutachtens - die Gewissheit der mangelnden Fahreignung des Antragstellers i.S.d. § 11 Abs. 7 FeV hätten vermitteln können. Der Antragsgegner geht offensichtlich auch selbst nicht davon aus, dass beim Antragsteller ein die Fahreignung gemäß Nrn. 9.1 ff. der Anlage 4 zur FeV ausschließender Mangel nachweislich vorliegt. Vielmehr ist er nach der den angefochtenen Bescheid tragenden Begründung der Auffassung, er habe von der fehlenden Eignung des Antragstellers ausgehen dürfen, weil sich dieser der zur Abklärung bestehender Eignungszweifel angeordneten ärztlichen Untersuchung nicht unterzogen habe. Diese Auffassung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Zwar darf gemäß § 11 Abs. 8 FeV grundsätzlich auf die Nichteignung des Betroffenen geschlossen werden, wenn dieser sich weigert, sich einer nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Eignungsuntersuchung zu unterziehen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Anordnung einer solchen Untersuchung bzw. der Vorlage des entsprechenden Gutachtens ihrerseits rechtmäßig war (BVerwG, U. v. 5.07.2001 - 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78 m.w.N.). Letzteres ist bezüglich der an den Antragsteller ergangenen Gutachtenanordnung des Antragsgegners vom 09.12.2010 aller Voraussicht nach zu verneinen.

Die an einen Fahrerlaubnisinhaber gerichtete Aufforderung, ein fachärztliches Eignungsgutachten i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV beizubringen, setzt u.a. voraus, dass die Fahrerlaubnisbehörde dem Betroffenen (in verständlicher und nachvollziehbarer Weise) die Gründe für die Zweifel an seiner Eignung darlegt und die für die Untersuchung in Betracht kommende(n) Stelle(n) angibt (§ 11 Abs. 6 Satz 2 - 1.HS - FeV); darüber hinaus hat sie ihm gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 - 2.HS - FeV mitzuteilen, dass er die der Untersuchungsstelle zu übersendenden Unterlagen einsehen kann. Den letztgenannten Hinweis enthält die streitige Gutachtenanordnung vom 09.12.2010 nicht, so dass sie sich - aus formalen Gründen - als rechtswidrig erweisen und deshalb nicht als tauglicher Anknüpfungspunkt für die Anwendung des § 11 Abs. 8 FeV in Betracht kommen wird. Mit den in § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV geregelten Unterrichtungs- und Informationspflichten (in Verbindung mit der der Behörde in Satz 1 der Vorschrift auferlegten Verpflichtung, die Fragestellung für die Begutachtung konkret festzulegen) soll der betroffene Fahrerlaubnisinhaber in die Lage versetzt werden, sich frühzeitig Klarheit darüber zu verschaffen, ob die an ihn gerichtete Gutachtenanordnung rechtmäßig oder - mit der Folge, dass er sich ihr verweigern kann, ohne die negativen Folgen des § 11 Abs. 8 FeV befürchten zu müssen - rechtswidrig ist. Zugleich soll er sich für den Fall der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung auch darüber schlüssig werden können, ob er die mit einer Begutachtung regelmäßig verbundenen Eingriffe in sein Persönlichkeitsrecht und/oder sein Recht auf körperliche Unversehrtheit hinnehmen oder sich - mit der Gefahr, seine Fahrerlaubnis entzogen zu bekommen - einer entsprechenden Begutachtung verweigern will. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass eine Gutachtenanordnung nicht isoliert mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann (vgl. BVerwG, B. v. 17.05.1994 - 11 B 157/93 -, DAR 1994, 372 m.w.N.), kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (vgl. VGH München, B. v. 15.05.2008 - 11 CS 08.616 -, Rn. 48, 50; B. v. 28.09.2006 - 11 CS 06.732 -, Rn. 20, 22, jew. juris).

Angesichts der vorstehenden Erwägungen kommt es auf die Berechtigung der vom Antragsteller im Übrigen erhobenen Einwände nicht mehr entscheidend an.