Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.07.2022, Az.: 4 WF 81/22

Freibetrag für Alleinerziehende; Alleinerziehendenfreibetrag; Prozesskostenhilfe; Verfahrenskostenhilfe; Bedürftigkeit; Hinweispflicht; Fürsorgepflicht; Besondere Belastungen; Alleinerziehend; Amtsermittlung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.07.2022
Aktenzeichen
4 WF 81/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 31526
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Oldenburg - 06.04.2022 - AZ: 104 F 42/22 VKH1

Fundstellen

  • FuR 2023, 153
  • MDR 2022, 1438-1439
  • NZFam 2022, 1002
  • Rpfleger 2023, 50

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das Gericht ist im Verfahren über die Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe nach den §§ 117 ZPO bei der Prüfung der Bedürftigkeit analog § 16 Abs. 3 SGB - I verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden.

  2. 2.

    Der Freibetrag für Alleinerziehende gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO i.V.m. §§ 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB-XII ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Weil er leicht übersehen werden kann, trifft das Gericht auch gegenüber anwaltlich vertretenen Beteiligten eine besondere Aufklärungs - und Hinweispflicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Freibetrages gegeben sind, auch wenn er in Abschnitt "J" der amtlichen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausdrücklich geltend gemacht wird.

  3. 3.

    Solche Anhaltspunkte liegen regelmäßig dann vor, wenn ein Elternteil - namentlich eine Mutter - allein zusammen mit einem oder mehreren Kindern in einem Haushalt lebt. Dies gilt erst recht, wenn Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezogen werden.

In der Familiensache
AA,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
(...)
gegen
BB,
Antragsgegner,
hat der 4. Zivilsenat - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter
am 18. Juli 2022
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Oldenburg vom 6. April 2022 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses des Amtsgerichts vom 24. Mai 2022 unter Aufrechthaltung im Übrigen dahingehend abgeändert, dass keine Raten festgesetzt werden.

Gründe

I.

Die gegen die Anordnung von Raten gerichtete zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg. Denn die Antragstellerin verfügt über kein einzusetzendes Einkommen im Sinne der §§ 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO, 113 Abs. 1 FamFG, 112, 111 Nr. 1, 121 Nr. 1 FamFG, weil von dem durch das Amtsgericht - Familiengericht - errechneten Einkommen noch der Alleinerziehendenzuschlag gemäß §§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3Nr. 2 SGB-XII in Abzug zu bringen ist.

1. Wie das Amtsgericht - Familiengericht - im Ausgangspunkt zu Recht festgestellt hat, setzt sich das Einkommen der Antragstellerin aus einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen in Gestalt von Krankengeld in Höhe von 826,20 Euro zuzüglich Wohngeld und Kindergeld zusammen. Zu Recht hat das Amtsgericht - Familiengericht - auch die Kosten der Unterkunft und Heizung, den Freibetrag für die Beteiligte selbst sowie die bei ihr lebende 15 Jahre alte Tochter unter Anrechnung von Unterhaltsvorschussleistungen in Abzug gebracht. Es ist auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Amtsgericht - Familiengericht - im Verfahren über die Abhilfe der gegen die Festsetzung einer Rate von 50 Euro gerichteten sofortigen Beschwerde der Antragstellerin den Abzug einer weiteren Belastung akzeptiert hat. Das einzusetzende Einkommen hat das Amtsgericht - Familiengericht - auf der Grundlage dieses Ansatzes rechnerisch zutreffend mit 56,93 Euro errechnet und in Anwendung des § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO folgerichtig eine monatliche Rate von 28 Euro festgesetzt.

2. Jedoch reduziert sich das einzusetzende Einkommen um einen weiteren Betrag von 53,88 Euro, weil der Antragstellerin als alleinerziehendem Elternteil auch ein Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO in Verbindung mit §§ 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB-XII zusteht. Aus dem verbleibenden Einkommen von nur noch rund 3 Euro muss sie keine Raten zahlen.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

a) Nach Einführung der Vorschrift des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts v. 31.8.2013 (BGBl. I 3533) sind seit dem 1. Januar 2014 auch die Mehrbedarfe im Sinne der §§ 21 SGB-II, 30 SGB-XII vom Einkommen abzuziehen. Hinter diesen sozialrechtlichen Vorschriften verbergen sich nicht nur Freibeträge für Schwangere und Menschen mit Einschränkungen im Sinne einer Behinderung, sondern auch der sogenannte Alleinerziehendenfreibetrag gemäß § 21 Abs. 3 SGB-II. Die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die nach § 21 SGB-II gewährte Pauschale für die mit der alleinigen Erziehung und Betreuung eines im eigenen Haushalt lebenden Kindes verbundenen Mehrbelastungen zwar als Einkommen, nicht aber als Belastung anzuerkennen waren (vgl. noch BGH, Beschluss vom 5. 5. 2010 - XII ZB 65/1, NJW-RR 2011, 3-5 [BGH 05.05.2010 - XII ZB 65/10]), ist damit überholt.

Gleichwohl wird dieser Freibetrag in der gerichtlichen Praxis nach den Erfahrungen des Senats gelegentlich übersehen, obwohl er namentlich in familiengerichtlichen Kindschafts- und Unterhaltssachen nach Trennung der Eltern zugunsten des alleinerziehenden und finanziell meist schlechter gestellten Elternteils - in der Regel nach wie vor die Mutter -regelmäßig zur Anwendung kommen müsste.

Zum einen wird dieser Freibetrag in dem amtlichen Formular über die Erklärung der Partei und eines Beteiligten über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Feld "J" unter der Überschrift "besondere Belastungen" nur insoweit abgefragt, als dort lediglich die Vorschriften der §§ 21 SGB-II, 30 SGB-XII aufgeführt werden. Diese sind indes nicht nur den Naturalbeteiligten in der Regel unbekannt, sondern auch den Zivil- und Familiengerichten und anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten nicht stets geläufig. Der Alleinerziehendenfreibetrag wird zudem - anders als etwa der Freibetrag für Kinder oder Erwerbstätige - auch in den in der Praxis üblicherweise verwendeten elektronischen Prozesskostenhilfe- und Verfahrenskostenhilfeberechnungsprogrammen nicht gesondert abgefragt (so nicht nur die im Internet verfügbaren Rechner, sondern etwa auch der Prozesskostenhilferechner "www.pkh-berechnung.de", auf den das Justizportal Nordrhein-Westfalen verlinkt). Schließlich stößt die Berechnung des Freibetrages immer wieder auf Schwierigkeiten, weil er zum einen von der nicht stets präsenten Höhe des sozialrechtlichen Regelbedarfs für alleinstehende Erwachsene und zum anderen von der Zahl und dem Alter der betreuten Kinder abhängt (siehe dazu näher unten).

Vor diesem Hintergrund kann der Freibetrag selbst in solch einem Fall nicht nur von der alleinerziehenden Person, sondern auch von dem Gericht und selbst einem anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten übersehen werden, wenn wie vorliegend aus der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt ist, dass Unterhaltsvorschussleistungen bezogen werden, was stets ein gewichtiger Anhaltspunkt für die alleinige überwiegende Betreuung des betroffenen Kindes ist (zu § 1 UVG vgl. nur Conradis in Rancke/Pepping, Mutterschutz | Elterngeld | Elternzeit | Betreuungsgeld, 6. Auflage 2022 § 1 UVG Rn. 11 ff, zitiert nach BeckOnline).

b) In Anwendung der §§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO in Verbindung mit §§ 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB-XII steht der Antragstellerin dieser Freibetrag in Höhe von 12 % des Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von (449 Euro * 12 % =) 53,88 Euro zu. Denn die Voraussetzungen dieser Vorschriften für die Inanspruchnahme des Alleinerziehendenfreibetrags sind vorliegend gegeben.

aa) Der Alleinerziehendenfreibetrag steht jedem und jeder Beteiligten zu, der oder die mit einem Kind zusammen in einem Haushalt leben und allein für dessen Pflege und Erziehung sorgt, ohne dass es darauf ankommt, ob die Betreuungsperson erwerbstätig ist, in Bedarfsgemeinschaft mit dem Kinde lebt oder selbst staatliche Transferleistungen bezieht.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Denn die Antragstellerin hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, dass sie allein mit ihrer leiblichen 15 Jahre alten schulpflichtigen Tochter in einem Haushalt lebt. Zudem bezieht die Antragstellerin Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, was wie dargelegt ebenso wie die Zuerkennung des Mehrbedarfs in einem Bescheid des Jobcenters nach dem SGB-II stets ein gewichtiges Indiz für einen Alleinerziehendenstatus ist. Es tritt hinzu, dass sie ihre kleine gerade 60 Quardratmeter große Mietwohnung schon ihren Angaben in "H.3." ihrer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zufolge nur zusammen mit ihrem Kind bewohnt.

Dass die Antragstellerin ausweislich der von ihr für das Beschwerdeverfahren eingeholten Auskunft des Jugendamts die alleinige Sorge für das Kind innehat, ist für die Frage der Zubilligung des Freibetrags nach § 21 SGB-II indes ohne Bedeutung. Denn maßgeblich ist allein, dass die Verfahrenskostenhilfe begehrende Person in tatsächlicher Hinsicht allein für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgt, ohne dass sie von diesen Aufgaben während der persönlichen Betreuungszeit - also außerhalb von Kindergarten, Hort, Schule - durch einen anderen Elternteil, Partner oder einer anderen Person nachhaltig entlastet wird (BSG, Urteil vom 11. Juli 2019 - B 14 AS 23/18 R -, BSGE 128, 270-276, FamRZ 2020, 382-384 = NJW 2020, 1094-1096, zitiert nach Juris zum Wechselmodell; ausführlich zu den Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 SGB-II siehe Düring in Gagel, SGB-II/SGBIII, 84. EL Dezember 2021, SGB II § 21 Rn. 20, 21, zitiert nach BeckOnline). Der Freibetrag kann mithin auch von einem nichtsorgeberechtigten Elternteil und selbst von einer mit dem Kind verwandten Pflegeperson - etwa im Falle der Verwandtenpflege - in Anspruch genommen werden.

bb) Der Höhe nach beläuft sich der Freibetrag auf einen Betrag von 12 % von 449 Euro, also auf 53,88 Euro.

(1) Die Höhe des Freibetrags richtet sich nach den - wenig transparenten - Vorschriften der §§ 20 Abs. 1 a) Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3 SGB-XII zum einen nach der Höhe des jeweiligen Regelbedarfs für Alleinstehende oder Alleinerziehende. Dieser jährlich an die realen Lebensverhältnisse angepasste Bedarf entspricht dem Bedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 nach § 28 SGB - XII in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28 a und 40 SGB - XII in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung und kann auf einfache Weise den Veröffentlichungen im Internet entnommen werden. Möglich ist auch eine überschlägige Ermittlung dieses Regelbedarfs unter Ansatz des Freibetrages der Partei bzw. des Beteiligten nach § 115 Abs. 2 a) ZPO gemäß der jährlich aktualisierten Prozesskostenhilfebekanntmachungsverordnung. Denn dieser Freibetrag beläuft sich auf 110 % dieses Regelsatzes. Der Regelbedarf macht deshalb stets einen Betrag von 90,09 % dieses Freibetrages aus. Er beträgt derzeit 449 Euro.

(2) Von diesem Regelbedarf waren 12 % für die alleinige Betreuung der 15-jährigen Tochter durch die Antragstellerin anzusetzen.

Welcher Prozentsatz vom Regelbedarf bei der Bemessung des Freibetrags in Ansatz zu bringen ist, hängt von der Anzahl der im Haushalt lebenden und allein zu erziehenden Kinder und deren Alter an. Denn gemäß §§ 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB-XII ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

- in Höhe von 36 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 für ein Kind unter sieben Jahren oder für zwei oder drei Kinder unter sechzehn Jahren, oder

- in Höhe von 12 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 wenn die Voraussetzungen nach Nummer 1 nicht vorliegen, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1.

Gemäß dieser - nicht ohne Weiteres aus sich selbst heraus verständlichen - sozialrechtlichen Regelung wird im Ausgangspunkt für jedes Kind ein Freibetrag von jeweils 12 % des Regelbedarfs des alleinerziehenden Elternteils angesetzt, indes nur bis zur Höchstgrenze von 60 % dieses Regelbedarfs. Besonderheiten ergeben sich, wenn nicht alle Kinder über 16 Jahre alt sind: Solange ein Kind noch nicht das siebte Lebensjahr vollendet hat, beträgt der Freibetrag für dieses Kind grundsätzlich 36 %. Bei diesem Freibetrag bleibt es - trotz des erhöhten Betreuungsbedarfs - auch dann, wenn ein weiteres unter 16 Jahre altes Kind im Haushalt lebt. Selbst wenn dort insgesamt drei Kinder ihren regelmäßigen Aufenthalt haben, ist der Freibetrag auf 36 % begrenzt, gleich welchen Alters die Kinder sind. Andererseits gilt dieser Prozentsatz auch dann, wenn kein Kind jünger als sieben Jahre alt ist, solange zwei Kinder unter 16 Jahre im Haushalt allein betreut werden. Erst mit dem vierten und fünften Kind erhöht sich dieser Freibetrag altersunabhängig um jeweils weitere 12 %.

Daraus ergibt sich folgendes Schema (siehe die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 21 SGB II, Stand 16.12.2021, Seite 2):

olg_oldenburg_20220718_4wf8122_beschluss_as1

Da die Antragstellerin ein Kind allein erzieht, welches älter als sieben Jahre ist, beläuft sich der anzusetzende Prozentsatz auf 12 % des Regelbedarfs.

c) Dem Ansatz des Freibetrags steht nicht entgegen, dass es die anwaltlich vertretene Antragstellerin sowohl im Ausgangsverfahren als auch mit ihrer sofortigen Beschwerde versäumt hat, den Alleinerziehendenfreibetrag für sich geltend zu machen.

Zwar hat die Antragstellerin in das dafür vorgesehene Feld "J" in dem für ihre Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu verwendenden Formular keine Eintragungen vorgenommen und auch mit ihrem Rechtsmittel trotz anwaltlicher Vertretung lediglich weitere Belastungen durch Vorlage diverser Belege, jedoch nicht den Freibetrag nach § 21 SGB-II geltend gemacht.

Der Senat hatte die Antragstellerin indes in entsprechender Anwendung der Regelung des § 16 Abs. 3 SGB - I von Amts wegen in Nachholung dieser bereits erstinstanzlich gebotenen Verfahrenshandlung darauf hinzuweisen, dass ihre Angaben insoweit lückenhaft waren.

Diese ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die Vorschriften der §§ 117 ff FamFG betreffend das Verfahren über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe enthalten keine besondere Regelung zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Gericht antragstellende Beteiligte darauf hinweisen muss, dass ihnen bestimmte - nicht explizit geltend gemachte - Freibeträge zustehen können. Zwar muss das Gericht selbst in dem von dem Beibringungsgrundsatz und der Parteimaxime geprägten Zivilprozess gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO darauf hinwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen und die sachdienlichen Anträge stellen. Namentlich muss das Gericht auf erkennbar übersehene Gesichtspunkte hinweisen. All dies gilt erst recht in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Diese Vorschriften geltend jedoch im Hauptsacheverfahren, von dem die Bedürftigkeitsprüfung nach den §§ 117 ff ZPO abgekoppelt ist.

Diese Verpflichtung gilt indes erst recht im Verfahren über die Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe, bei der es sich um eine besondere Form der staatlichen Sozialhilfe als Teil staatlicher Daseinsfürsorge handelt. Denn diese dient der sozialstaatlichen Befriedigung eines besonderen Bedarfs, nämlich der Deckung derjenigen Kosten, die in einem gerichtlichen Verfahren zur Verfolgung eigener Rechte entstehen. Ohne Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe wäre bedürftigen Beteiligten unter Verstoß gegen den Rechtsstaatsgrundsatz und den Gleichheitssatz der gleichwertige Zugang zum Rechtsschutz in verfassungswidriger Weise verwehrt (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347-362, zitiert nach Juris). Dieser sozialstaatliche Kern des Rechts der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe strahlt auch auf das in den §§ 117 ff ZPO geregelte Verfahren über die Bewilligung dieser besonderen Form der Sozialhilfe bei der Prüfung der Bedürftigkeit aus, welches unabhängig von der Ausgestaltung des Hauptsacheverfahrens durch Bezugnahme auch in allen anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen - wenngleich teilweise in modifizierter Form - zur Anwendung kommen. Die §§ 117 ff ZPO enthalten zwar im Wesentlichen solche Regelungen, welche sich auf die Mitwirkungspflichten des Antragstellers und die nachteiligen Folgen deren Verletzung beziehen, wie es auch das Sozialrecht in den §§ 60 ff SGB-I kennt. Diesen Obliegenheiten der Beteiligten steht indes entsprechend § 16 Abs. 3 SGB - I die Pflicht des Gerichts gegenüber, bei der Prüfung der Bedürftigkeit von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. Dies folgt aus der erhöhten sozialrechtlichen Fürsorgepflicht des Gerichts, welches den Parteien und Beteiligten im Prozess- und Verfahrenskostenhilferecht - anders als im Hauptsacheverfahren - wie ein Leistungsträger im Verfahren nach dem Sozialgesetzbuch gegenübersteht, gleich ob im Verfahren zur Hauptsache der Amtsermittlungs - oder der Beibringungsgrundsatz gilt.

bb) Ob für eine Nachfrage bei der anwaltlich vertretenen Antragstellerin allein schon deshalb Anlass bestand, weil sie in dem Feld "J" zu besonderen Belastungen überhaupt keine Angaben gemacht hatte, wäre allerdings fraglich. Dagegen spricht die Vermutung, dass ein um Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe ersuchender Beteiligter etwaige Belastungen in der Regel schon aus eigenem Interesse angibt, zumal wenn er - wie hier - anwaltlich vertreten ist. Denn das Gericht kann davon ausgehen, dass anwaltliche Verfahrensbevollmächtigte den Inhalt der von ihren Mandanten abgegebenen Erklärungen über deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse gemäß ihren anwaltlichen Pflichten sorgfältig auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen. Im Ausgangspunkt kann sich das Gericht auch darauf verlassen, dass sich ein Antragsteller vor der Bearbeitung des Formulars die verfügbaren amtlichen Ausfüllhilfen durchgelesen hat, in denen ausdrücklich auf den Alleinerziehendenfreibetrag hingewiesen wird.

Vorliegend war der gerichtliche Hinweis an die Antragstellerin aber jedenfalls deshalb geboten, weil die fehlende Geltendmachung des Freibetrags vor dem Hintergrund der Aufführung der minderjährigen Tochter in Feld "D" des amtlichen Formulars, des Bezugs von Unterhaltvorschuss und den Angaben der Antragstellerin zu ihren Wohnverhältnissen erkennbar auf einer Unkenntnis oder Nachlässigkeit der Antragstellerin und ihrer anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten beruhte.

3. Da sich das von dem Amtsgericht - Familiengericht - angesetzte einzusetzende Einkommen der Antragstellerin von 56,93 Euro um weitere 53,88 Euro vermindert, verbleibt ein Einkommen von nur noch 3,05 Euro. Weil die Höhe einer Monatsrate weniger als 10 Euro betrüge, war gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 ZPO von der Festsetzung von Monatsraten abzusehen. Ob der Antragstellerin während des Bezugs von Krankengelds darüber hinaus noch ein Erwerbstätigenfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 b) ZPO zusteht, war vor diesem Hintergrund nicht zu entscheiden.

III.

Für eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die Festsetzung eines Verfahrenswert bestand kein Anlass, weil Gerichtskosten nicht entstanden und außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.