Landgericht Verden
Urt. v. 25.11.1987, Az.: 8 O 179/87
Auslegung einer Risikobeschreibung in der Privathaftpflichtversicherung bei Besitz eines Gasrevolvers durch ein mitversichertes volljähriges Kind; Unerlaubter Waffenbesitz bei Ingebrauchnahme eines Gasrevolvers durch ein mitversichertes volljähriges Kind; Übergabe der tatsächlichen Sachherrschaft als Gebrauch einer Schusswaffe; Vorliegen eines Versicherungsfalles bei haftungsrechtlichem Zusammenhang zwischen unerlaubtem Waffenbesitz und Rechtsgutverletzung; Unterbrechung der Ursachenkette zwischen Waffenbesitz und Rechtsgutverletzung durch Dazwischentreten des "Gebrauchs" der Waffe; Besitz von Schusswaffen als Gefahr des täglichen Lebens im Rahmen einer Privathaftpflichtversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 25.11.1987
- Aktenzeichen
- 8 O 179/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 14435
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:1987:1125.8O179.87.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 2 BGB
- § 34 WaffG
- § 28 WaffG
- § 35 WaffG
- § 53 WaffG
Fundstelle
- VersR 1989, 282-283 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden
auf die mündliche Verhandlung vom ...
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... und
der Richter am Landgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 2.800,00 DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Auslegung der Risikobeschreibung in der Privathaftpflichtversicherung.
Die Klägerin schloß mit der Beklagten einen Haftpflichtversicherungsvertrag, bei dem ihr volljähriger Sohn ... mitversichert ist. In den Bedingungen heißt es unter anderem:
"I.
Versichert ist ... die gesetzliche Haftpflicht ... als Privatperson aus Gefahren des täglichen Lebens - ... -, insbesondere ...6.
Aus dem erlaubten privaten Besitz und aus dem Gebrauch von Hieb-, Stoß- und Schußwaffen sowie Munition und Geschossen, nicht jedoch zu Jagdzwecken oder zu strafbaren Handlungen; ..."
Am ... fand der Sohn der Klägerin im Elternhaus einen Gasrevolver "Röhm/RG 8", der seinem vor ca. 13 Jahren verstorbenem Vater gehört hatte. In der Waffe befanden sich - nicht handelsübliche - Patronen, dies erkannte der Sohn. Die Sperren, die das Verfeuern von Kugelpatronen verhindert hatten, Waren durchbohrt, was erkennbar war, aber vom Sohn zunächst nicht bemerkt wurde.
Der Sohn der Klägerin nahm den Revolver an sich, begab sich in einen Laden des Dorfes, wo er mit der Waffe "im Spaß" einen Überfall vortäuschte. Nach geraumer Zeit übergab er den Revolver dem im Laden anlesenden ... wobei der Sohn darauf hinwies, daß die Waffe geladen sei. ... drehte sie in Wild-West-Manier um den Zeigefinger, wollte dann die Waffe fest in die Hand nehmen und griff zu. Dadurch löste sich ein Schuß, der ... in den Kopf traf. Wegen der Einzelheiten wird auf das Strafurteil des Amtsgerichts ... vom ... verwiesen.
...
erlitt eine Steckschußverletzung mit offenem Schädelhirntrauma. Nach stationärer und ambulanter Behandlung ist eine leichte linksseitige Lähmung verblieben. Das Projektil befindet sich noch im Gehirn, die Spätfolgen sind noch nicht endgültig absehbar.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom ... eingegangen bei der Klägerin am ... unter Hinweis auf die 6-Monatfrist des § 12 Abs. 3 VVG den Versicherungsschutz ab. Die am ... eingereichte Klage ist nach Streitwertfestsetzung am ... und Zahlung des Gerichtskostenvorschueses am ... am ... der Beklagten zugestellt worden.
Die Klägerin meint; Die Klausel I. 6) der "Besonderen Bedingungen" seien nicht abschließend, wie sich aus der Formulierung "insbesondere" ergebe, deshalb sei auch das Geschehen am ... mitversichert. Ihr Sohn habe keinen Besitz am Revolver gehabt, da er die Waffe nur vorübergehend an sich genommen habe. Es sei in der Klausel nicht zwischen erlaubtem und nicht erlaubtem Gebrauch unterschieden. Deshalb sei auch der verbotene Gebrauch - ohne Besitz - versichert. Sollte man dagegen verbotenen Besitz des Sohnes an der Waffe annehmen, schließe dies den Versicherungsschutz nur aus, wenn die Rechtsgutverletzung in direktem Zusammenhang mit dem Besitz stehe, nicht aber wenn der Besitz nur die Vorstufe eines erlaubten oder nicht erlaubten Gebrauchs sei.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte den Mitversicherten ... geboren am ... Versicherungsschutz aus der Haftpflichtversicherung, Versicherungsschein Nr. ... für das Schadensereignis vom Dienstag, ... gegen 15.15 Uhr zu gewähren hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint; Der Sohn der Klägerin haue waffenrechtlich verbotenen Besitz am Revolver gehabt. Dadurch sei auch die Verletzung des ... schuldhaft verursacht. Deshalb bestehe kein Versicherungsschutz.
Wegen der Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat zwar die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG gewahrt, weil die Klagezustellung am ... noch "demnächst" erfolgt ist und deshalb auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung am ... zurückwirkt (§ 270 Abs. 3 ZPO). Die Klägerin kann aber trotzdem aus dem Versicherungsvertrag mit der Beklagten keinen Haftpflichtversicherungsschutz für ihren Sohn ... für das Schadensereignis vom ... erhalten. Die Ansprüche gegen den mitversicherten ... fallen nämlich nach I Nr. 6 der Versicherungsbedingungen (Risikobeschreibung) nicht unter das versicherte Risiko. Für den Versicherungsschutz eines Mitversicherten finden die "bezüglich des Versicherungsnehmers getroffenen Bestimmungen auch auf diese Personen sinngemäße Anwendung", so daß es darauf ankommt, ob für ihn - nicht für die Klägerin als Versicherungsnehmerin - die Voraussetzungen der Waffenklausel vorliegen (BGH Versicherungsrecht 1966, 674 f). Die Kriterien dieser Klausel sind nicht erfüllt, weil der Mitversicherte ... eine Schußwaffe ohne Erlaubnis besaß (I) und nicht gebrauchte (II), ohne daß die Ursachenkette, die zur Verletzung des ... ... führte, unterbrachen wäre (III), und weil diese Klausel nicht erweitert ausgelegt werden darf (IV).
I.
Entgegen der Ansicht der Klägerin hatte ihr Sohn die Schußwaffe unerlaubt in Besitz. Der Gasrevolver war - das ist zwischen den Parteien auch nicht bestritten - nach Durchbohren des Laufes eine Schußwaffe im Sinne des Waffengesetzes, dies konnte der Mitversicherte auch erkennen (deshalb ist er auch wegen fahrlässigen Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt worden). Es kann unentschieden bleiben, ob Versicherungsschutz in dem Ausnahmefall zu gewähren wäre, wenn für den Versicherungsnehmer bzw. den Mitversicherten die Schußwaffeneigenschaft nicht erkennbar gewesen wäre.
Der Sohn der Klägerin besaß den Revolver, denn er übte spätestens seit er das Elternhaus mit der Waffe verließ - die tatsächliche Gewalt darüber aus. Er handelte auch mit eigenem Besitzwillen, denn er wollte sich nicht - ähnlich einem Besitzdiener, vgl. BGH St Band 28, 294 f. - dem Willen seiner Mütter unterordnen, sondern nach eigenem Belieben mit der Schußwaffe umgehen. Dieser Besitz war waffenrechtlich verbaten, denn der Sohn der Klägerin besaß keine Erlaubnis zum Besitzen oder Führen von Schußwaffen, also keine Waffenbesitzkarte, keinen Waffenschein oder Jagdschein oder einen anderen Erlaubnisgrund. Dieser rechtswidrige Besitz - bzw. seine Übertragung auf - ist auch Anknüpfungspunkt für die zivilrechtliche Haftung, für die Versicherungsschutz begehrt wird. Der Sohn der Klägerin haftet unter anderem nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 28, 34, 35 und 53 Waffengesetz für die fahrlässig verursachte Körperverletzung des ...
Es kann deshalb dahinstehen, ob auch der mittelbare Besitz, den der Sohn der Klägerin hatte, als ... den Revolver gebrauchte, unter den Begriff des "Besitzes" im Sinne der Versicherungsbedingungen fällt, ob also dieser Begriff rein zivilrechtlich oder öffentlich-(Waffen-)rechtlich auszulegen ist (vgl. dazu BGH Versicherungsrecht 1978, 409 ff., Steindorf in Strafrechtliche Nebengesetze, Anm. 2 zu § 4 Waffengesetz mit weiteren Nachweisen).
II.
...
wurde dadurch verletzt, daß ... den Revolver gebrauchte, indem er - wenn auch ungewollt - auf ... schoß. Zu diesem Zeitpunkt "gebrauchte" der Sohn der Klägerin den Revolver gerade nicht, weil er ihn vorher übergeben hätte. Allein die Übergabe der tatsächlichen Sachherrschaft (bzw. das Innehaben des mittelbaren Besitzes) kann nicht als "Gebrauch" der Waffe ausgelegt werden. Unter Gebrauch ist vielmehr die Benutzung der Waffe zum Schießen, oder jedenfalls zur Drohung damit, zu verstehen. Deshalb "gebrauchte" der Sohn der Klägerin den Revolver nicht mehr, als es zum Schuß kam.
Aus diesem Grund ist nur nach dem Kriterium "Besitz" zu entscheiden, ob dem Mitversicherten Versicherungsschutz zu gewähren ist; auf den Gebrauch der Schußwaffe kommt es für ihn nicht an.
III.
Aus der Formulierung der Waffenklausel kann auch nicht entnommen werden, daß versicherungsrechtlich der Besitz nicht mehr "schadenskausal" sei, wenn erst der Gebrauch der Schußwaffe durch einen Dritten den Haftungsfall unmittelbar auslöse, wie die Klägerin im Schriftsatz vom ... (unter II 1 e, Bl. 56 d.A.) meint. Schon unter d), bb) und ee) dieses Schriftsaztes hat die Klägerin selbst verschiedene Möglichkeiten dargelegt, in denen der Gebrauch der Waffe den Versicherungsfall auslöst, trotzdem, aber die Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit des Besitzes durch den Versicherten über den Versicherungsschutz entscheidet.
Entscheidend ist vielmehr folgendes: Es ist wohl kaum ein Fall denkbar, in dem der schlichte Besitz einer Schußwaffe einen zu ersetzenden Schaden auslöst, ohne daß der Versicherte oder ein Dritter die Waffe benutzt hat, sei es zum Schutz, sei es zur Drohung damit. Insoweit kann der versicherungsrechtliche Begriff nicht anders ausgelegt werden als der haftungsrechtliche. Besteht haftungsrechtlich ein Zusammenhang (regelmäßig Kausalität und Verschulden) zwischen dem Besitz und der Rechtsgutverletzung, bestem auch ein versicherungsrechtlicher Zusammenhang. Fehlt ein derartiger haftungsrechtlicher Zusammenhang (z.B. mangels Vorhersehbarkeit im Rahmen der Fahrlässigkeit) liegt auch kein Versicherungsfall vor. Die Ursachenkette zwischen dem Besitz einer Schußwaffe und dem Haftungsfall wird deshalb nicht durch das Dazwischentreten des "Gebrauchs" der Waffe unterbrochen.
IV.
Die Waffenklausel des Versicherungsvertrages darf auch nicht erweiternd ausgelegt werden. Aus der Formulierung der Risikobeschreibung (I der Besonderen Bedienungen) ist zwar zu entnehmen, daß die unter 1-9 nur Beispielsfälle ("insbesondere") für die versicherten "Gefahren des täglichen Lebens" sind. Der unerlaubte Besitz von Schußwaffen gehört aber nicht zu den "Gefahren des täglichen Lebens". Das Verbat, Schußwaffen zu besitzen oder zu führen, ist sogar strafbewehrt (§ 53 Waffengesetz). Deshalb kann es nicht als typisches Verhalten "des täglichen Lebens" angesehen werden, ohne Erlaubnis Schußwaffen zu besitzen.
Gerade weil durch Schußwaffen große Verletzungen erzeugt und damit immense Schäden angerichtet werden können, ist die in der Risikobeschreibung getroffene Abgrenzung zwischen erlaubtem und verbotenem Besitz sachgerecht. Regelmäßig ist zum Besitz von Schußwaffen eine behördliche Erlaubnis erforderlich, wobei auch die Zuverlässigkeit des Antragstellers überprüft wird (z.B. §§ 30 Abs. 1 S. 1, 36 Abs. 1 S. 1 Waffengesetz, § 17 Abs. 1 Nr. 2 Bundesjagdgesetz). Die Versicherung kann sich deshalb darauf einrichten, daß unzuverlässigen. Personen, bei denen eher mit einem Mißbrauch der Waffe zu rechnen ist, eine derartige Erlaubnis nicht erhalten; dadurch werden schon "schlechte Risiken" vermieden. Bei den Erlaubnisinhabern, die neben der Zuverlässigkeit noch weitere Voraussetzungen (z.B. Kenntnisse in Waffenkunde) aufweisen müssen, ist nur mit einem geringeren, kalkulierbaren Risiko zu rechnen. Das gilt auch für die wenigen Gelegenheiten, bei denen eine versicherte Person eine Schußwaffe unter gewissen Bedingungen ohne formelle Erlaubnis besitzen darf (§ 28 Abs. 4 Waffengesetz).
Der Verbotswidrige Besitz von Schußwaffen gehört deshalb nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens, so daß daraus entstehende, gesetzliche Haftplichtansprüche nicht durch die abgeschlossene Privathaftpflicht-Versicherung gedeckt sind, so daß die Klage abzuweisen ist.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.