Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 29.09.2017, Az.: 3 A 19/16

Ausschlussfrist; Beihilfe: Antragsfrist; Jahresfrist; Ausschlussfrist Beihilfe

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
29.09.2017
Aktenzeichen
3 A 19/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54364
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2017:0929.3A19.16.00

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Beihilfeleistungen für Rechnungsbelege aus der Zeit vom 07. März 2014 bis 15. September 2014.

Die im Jahr 1948 geborene Klägerin ist als Ruhestandsbeamtin des Landes Niedersachsen mit einem Bemessungssatz von 70 vom 100 beihilfeberechtigt. Sie leidet ausweislich des psychologischen Berichts der Diplom-Psychologin Frau F. vom 20. Februar 2016 sowie der nervenärztlichen Bescheinigung der G. Kliniken vom 02. Februar 2016 an einer schweren depressiven Störung, einer ausgeprägten Angstsymptomatik sowie einer Somatisierungsstörung. Wegen der Einzelheiten wird auf die fachärztlichen Bescheinigungen Blatt 32 und 33 der Gerichtsakte verwiesen.

Am 23. September 2015 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten unter anderem Beihilfe in Höhe von insgesamt 1.840,90 € für Rechnungen mit den Belegdaten aus der Zeit von März 2014 bis Mitte September 2014.

Mit Beihilfebescheid vom 28. September 2015 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beihilfe im Hinblick auf die oben dargestellten Rechnungen in Höhe von 1.840,90 € ab, da die Klägerin die in § 48 Abs. 1 der Niedersächsischen Beihilfeverordnung (NBhVO) normierte Ausschlussfrist für die Antragstellung von einem Jahr nach Entstehen der Aufwendungen bzw. dem Rechnungsdatum nicht eingehalten habe [Bl. 14 - 16 GA 3 A 19/16]. Bei dem maßgeblichen Bemessungssatz von 70 vom 100 betrug die Kürzung 1.288,63 €.

Gegen diesen ablehnenden Bescheid legte die Klägerin am 28. Oktober 2015 selbst [Bl. 7 f. BA 001 3 A 19/16] und unter dem 29. Oktober 2015 erneut, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten [Bl. 29 GA 3 A 19/16], Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 11. November 2015 beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der versäumten Antragsfrist unter Hinweis auf ihre Erkrankung, aufgrund derer sie nicht in der Lage gewesen sei, die Antragsfrist einzuhalten [Bl. 30 GA 3 A 19/16]. Am 18. Januar 2016 begründete die Klägerin den Widerspruch sowie den Wiedereinsetzungsantrag wiederum damit, dass sie aufgrund ihrer rezidivierenden Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, die Antragsfrist der entsprechenden Unterlagen einzuhalten [Bl. 31 GA 3 A 19/16].

Den Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid vom 28. September 2015 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2016 als unbegründet zurück [Bl.17 GA 3 A 19/16]. Die Jahresfrist für die Aufwendungen bis zum 15. September 2015 sei mit dem Antrag auf Beihilfe vom 23. September 2015 nicht eingehalten worden. Darüber hinaus sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Ausschlussfristen nicht möglich. Mit Bescheid vom 20. Januar 2016 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wiederum unter Hinweis auf die Nichtanwendbarkeit von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf eine gesetzliche Ausschlussfrist als unzulässig ab [Bl. 31 GA 3 A 62/16].

Am 24. Februar 2016 legte die Klägerin Widerspruch gegen den die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ablehnenden Bescheid vom 20. Januar 2016 ein [Bl. 32 GA 3 A 62/16]. Begründet wurde der Widerspruch unter anderem damit, dass allgemein anerkannt sei, dass ein Wiedereinsetzungsantrag bezüglich einer schuldlos versäumten Antragsfrist betreffend Beihilfeleistungen möglich sei und die Voraussetzungen für eine solche Wiedereinsetzung erfüllt seien. Darüber hinaus habe der Beklagte ihr in einem in der Vergangenheit liegenden vergleichbaren Fall Wiedereinsetzung bei schuldlos versäumter Antragsfrist gewährt [Bl. 12 f. BA 001 3 A 62/16].

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2016 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. Januar 2016 als unbegründet zurück [Bl. 37 GA 3 A 19/16]. Er verwies wiederum darauf, dass bei Versäumnis einer gesetzlichen Ausschlussfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht komme. Darüber hinaus sei das Fristversäumnis nicht durch höhere Gewalt verursacht. Die Erkrankung der Klägerin bestehe seit mehreren Jahren. Die Beeinträchtigung durch die Erkrankung sei daher nicht als unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis zu bewerten. Auch die Fürsorgepflicht könne nicht zu einer für die Klägerin positiven Entscheidung führen, da keine unvorhersehbaren Besonderheiten vorlägen, welche die Ablehnung der Beihilfe als unzumutbare Härte darstellen würden. Die in der Vergangenheit gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründe keinen Anspruch der Klägerin; diese sei zu Unrecht gewährt worden. Das öffentliche Interesse an einer korrekten Rechtsanwendung sei höher zu bewerten als die rechtswidrige Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Am 24. Februar 2016 hat die Klägerin Klage gegen den die Gewährung weiterer Beihilfe ablehnenden Bescheid vom 28. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2016 erhoben (3 A 19/16). Ihr sei Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist zu gewähren. Sie sei in dem Jahreszeitraum nach Entstehen der genannten Aufwendungen aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig einen Beihilfeantrag zu stellen. Sie habe den Überblick über ihre Angelegenheiten verloren. Man könne sich ihre Krankheit bildlich so vorstellen, dass sie sich aufgrund ihrer massiven Depression in einem absoluten Großteil ihrer Lebenszeit in einer dunklen Phase befinde und nur in den wenigen lichten Momenten in der Lage sei, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Erst seit September 2015 erhalte sie Unterstützung unter anderem bei Beihilfeanträgen und dergleichen durch Frau H. I., was diese mit Schreiben vom 17. Februar 2016 bestätige.

Am 23. Juni 2016 hat die Klägerin Klage gegen den den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ablehnenden Bescheid vom 20. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2016 erhoben (3 A 62/16). Zur Begründung verweist sie auf ihre Klagebegründung in dem Verfahren 3 A 19/16 [Bl. 27-29 GA 3 A 62/16].

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Gewährung von Widereinsetzung in den vorigen Stand zu verpflichten, ihr weitere Beihilfe für Aufwendungen in Höhe von 1.288,63 € bezüglich der Rechnungen vom 07. März 2014 bis 15. September 2014 zu gewähren und den Beihilfebescheid vom 28. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2016 aufzuheben, soweit dieser dem entgegensteht, sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt im Hinblick auf die Ablehnung der Beihilfe Bezug auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2016 [Bl. 41 GA 3 A 19/16] und bezüglich des abgelehnten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Bezug auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2016 [Bl. 36 GA 3 A 62/16]. Darüber hinaus macht er geltend, die Klägerin, welche von ihrer Krankheit gewusst habe, habe die Selbstverpflichtung gehabt, sich Hilfe in Behördenangelegenheiten zu suchen, und habe diese im Sinne eines Verschuldens gegen sich selbst nicht genutzt. Der Klägerin sei es möglich gewesen, Rechnungen fristgerecht einzureichen. Dies ergebe sich aus einem Beihilfeantrag aus Juli 2014, welcher auch Rechnungen aus dem hier streitigen Zeitraum umfasse.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Verpflichtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 2. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 28. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren subjektiven öffentlichen Rechten, soweit er die beantragte Beihilfe für die Rechnungen vom 07. März 2014 bis zum 15. September 2014 ablehnt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Gewährung der beantragten Beihilfe in Höhe von 1.288,63 € (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Anspruch ist insbesondere nicht gemäß § 48 Abs. 1 der Niedersächsischen Beihilfeverordnung (NBhVO) ausgeschlossen.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 NBhVO wird Beihilfe gewährt, wenn die Beihilfeberechtigung im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung besteht (I.) und die Aufwendungen beihilfefähig sind (II.). Darüber hinaus darf der Anspruch nicht ausgeschlossen sein (III.).

I.

Die Klägerin ist als Ruhestandsbeamtin des Landes Niedersachsen mit einem Bemessungssatz von 70 vom 100 beihilfeberechtigt, § 80 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, Satz 3 Nr. 2 Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG).

II.

Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen sind dem Grunde nach beihilfefähig.

Beihilfefähig sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NBhVO die nachgewiesenen und angemessenen Aufwendungen für medizinisch notwendige, nach wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden erbrachte ärztliche, zahnärztliche, psychotherapeutische und heilpraktische Leistungen.

Die Tatsache, dass die von der Klägerin eingereichten Rechnungen vom 07. März 2014 bis zum 15. September 2014 Aufwendungen betreffen, die dem Grunde nach beihilfefähig sind, wird von dem Beklagten nicht in Frage gestellt.

III.

Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht gemäß § 48 Abs. 1 NBhVO ausgeschlossen. Die Klägerin hat zwar die dort normierte Antragsfrist versäumt (1.). Ihr ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die versäumte Antragsfrist zu gewähren (2.). Der den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ablehnende Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist daher aufzuheben. Unabhängig von der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - und insoweit selbstständig tragend - liegt höhere Gewalt vor, welche das Berufen auf den Anspruchsausschluss ausschließt (3.).

1.

§ 48 Abs. 1 NBhVO bestimmt, dass der Antrag auf Beihilfe innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Jahr nach Entstehen der Aufwendungen zu stellen ist. Bei dem Vorliegen einer Rechnung beginnt die Frist mit dem Rechnungsdatum. Die von der Klägerin mit Beihilfeantrag vom 23. September 2015 eingereichten streitgegenständlichen Rechnungsbelege datieren auf den Zeitraum vom 07. März 2014 bis zum 15. September 2014. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 1 NBhVO hat die Klägerin damit unstreitig nicht eingehalten.

Im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit einer materiellen Ausschlussfrist bestehen keine Bedenken (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. Juni 1965 - VIII C 334.63 -, BVerwGE 21, 258 - 264). Hintergrund für die normierte Ausschlussfrist ist es, aus haushaltstechnischen Gründen die baldige Klärung eventuell noch bestehender Beihilfeansprüche zu erreichen. Sie ist jedenfalls dann mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar, wenn es möglich ist, bei dem Vorliegen unzumutbarer Umstände vom Anspruchsausschluss abzusehen (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 25. Juli 2012 - 1 A 2253/11 - juris Rn. 33 ff.).

2.

Obwohl es sich bei der in § 48 Abs. 1 NBhVO normierten Frist eine gesetzliche Ausschlussfrist handelt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den Voraussetzungen des § 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (Nds. VwVfG) in Verbindung mit § 32 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - entgegen der Ansicht der Beklagten - möglich (vgl. Beschluss vom 22. Januar 2015 - 5 LA 36/14 -; Beschluss vom 23. Februar 2012 - 5 LA 64/11 - sowie Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. September 2010 - 14 ZB 10.1096 -, juris Rn. 5 jeweils zur insoweit vergleichbaren Vorschrift § 17 Abs. 9 Satz 1 BhV; verneinend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 25. Juli 2013 - 1 A 2253/11 - juris Rn. 35 zur entsprechenden landesrechtlichen Vorschrift). Dem schließt sich die Kammer überzeugt an.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird und die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden. Darüber hinaus ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen.

a.

Die Klägerin hat die Antragsfrist des § 48 Abs. 1 NBhVO - eine gesetzliche Frist im Sinne des § 1 Nds. VwVfG in Verbindung mit § 32 VwVfG - versäumt.

b.

Einer Nachholung der versäumten Verfahrenshandlung bedurfte es nicht. Die Antragstellung bezüglich der Aufwendungen in den streitgegenständlichen Rechnungen ist bereits am 23. September 2015, welcher den Ausgangspunkt dieses Rechtsstreits bildet, erfolgt.

c.

Die Gründe für die Wiedereinsetzung nach § 1 Nds. VwVfG in Verbindung mit § 32 VwVfG hat die Klägerin auch glaubhaft gemacht [Bl. 24 - 28 GA 3 A 19/16].

d.

Darüber hinaus trifft die Klägerin kein Verschulden an der versäumten Frist.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage des Verschuldens im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist ein verfahrensrechtlicher Verschuldensbegriff, das heißt, die für einen gewissenhaften Verfahrensbeteiligten nach objektiven Maßstäben gebotene Sorgfalt muss eingehalten werden. Als Verschuldensmerkmale sind die zu § 60 VwGO herausgearbeiteten Voraussetzungen heranzuziehen. Verschulden liegt demnach dann vor, wenn der Betroffene hinsichtlich der gebotenen Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Verfahrensbeteiligten geboten und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten waren (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06. Juni 1995 - 6 C 13/93 -, juris Rn. 5; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Januar 2015 - 5 LA 36/14 -; Beschluss vom 23. Februar 2012 - 5 LA 64/11 -). Es ist demnach entscheidend, ob man dem Betroffenen vorwerfen kann, dass er die Frist versäumt bzw. nicht alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um das Hindernis baldmöglichst zu beseitigen (vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 23. Februar 2012 - 5 LA 64/11 - sowie Beschluss vom 22. Januar 2015 - 5 LA 36/14 -; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. September 2010 - 14 ZB 10.1096 -, juris Rn. 6).

Die Frage, ob ein Verschulden aufgrund einer Erkrankung verneint werden kann, ist bereits dahingehend entschieden worden, dass dafür Voraussetzung ist, dass der Betroffene ernsthaft erkrankt war und infolge der Erkrankung nicht in der Lage war, die Frist zu wahren oder einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. September 1993 - 4 NB 35.93 -, juris Rn. 3 m.w.N.). Dem schließt sich das Gericht an.

Davon ausgehend trifft die Klägerin kein Verschulden an dem Fristversäumnis (zur Frage, ob eine schwere psychische Erkrankung das Verschulden entfallen lassen kann: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof - Beschluss vom 26. Februar 2007 - 14 C 06.3407 -, juris Rn. 9). Wegen ihrer Erkrankung war es der Klägerin nicht möglich, unter anderem ihre Beihilfeangelegenheiten fristgerecht zu regeln. Dies ergibt sich nachvollziehbar und von dem Beklagten unwiderlegt aus dem psychologischen Bericht der Psychotherapeutin der Klägerin [Bl. 32 GA 3 A 19/16] sowie aus der nervenärztlichen Bescheinigung der G. Kliniken [Bl. 33 GA 3 A 19/16]. Nach den Berichten beeinträchtigt die Erkrankung der Klägerin, eine hochgradig chronifizierte depressive Störung, eine ausgeprägte Angstsymptomatik sowie eine Somatisierungsstörung, deutlich ihre Konzentration und ihr Gedächtnis. Damit einhergehend ist ihre Organisationsfähigkeit auch im Hinblick auf die fristgerechte Erledigung ihrer Angelegenheiten stark eingeschränkt. Der Klägerin ist es demnach nicht möglich, ihre eigene Korrespondenz zu verwalten. Infolge der beschriebenen massiven Ängste, das Haus zu verlassen, und dem damit verbundenen Verlust des Kontakts zur Außenwelt konnte sich die Klägerin auch nicht um eine diesbezügliche Unterstützung bemühen. Dies wird auch durch die schriftliche Äußerung der die Klägerin seit September 2015 unterstützenden Frau H. I. bestätigt [Bl. 34 GA 3 A 19/16]. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang keine Einwände erhoben, die die ernsthafte Erkrankung und ihre Auswirkungen auf die Organisationsfähigkeit der Klägerin in Frage stellen. Vor diesem Hintergrund war es entschuldbar, dass die Klägerin die streitgegenständlichen Rechnungen nicht innerhalb der von § 48 Abs. 1 NBhVO gesetzten Frist eingereicht hat.

Ein vom Beklagten angesprochenes Verschulden der Klägerin gegen sich selbst, da sie aufgrund des Wissens um ihre Krankheit die Selbstverpflichtung gehabt habe, sich Hilfe in Behördenangelegenheiten zu suchen, ist nach der Auffassung des erkennenden Gerichts nicht gegeben. Die Klägerin war, wie oben dargestellt, aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung nicht in der Lage, sich eine entsprechende Hilfe zu suchen, sodass sie diesbezüglich kein Vorwurf trifft. Auch die Tatsache, dass die Klägerin im Juli 2014 einen Beihilfeantrag gestellt hat, welcher unter anderem Rechnungen aus dem hier streitigen Zeitraum umfasst, führt nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Dieser Antrag zeigt die lediglich punktuell vorliegende Verfassung der Klägerin auf, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern. Die Klägerin stellt selbst nicht in Abrede, dass es wenige lichte Momente in ihrem Leben gibt. In dem absoluten Großteil ihres Lebens ist dies der Klägerin jedoch, wie in den Gutachten auch nachvollziehbar dargelegt, nicht möglich, sodass das Verschulden ebenfalls nicht aus diesem Grund entfällt.

e.

Sie hat den Antrag auf Wiedereinsetzung auch innerhalb der von § 1 Nds. VwVfG in Verbindung mit § 32 VwVfG vorgesehenen zweiwöchigen Frist nach Wegfall des Hindernisses gestellt.

Als Hindernis ist die aus der Erkrankung resultierende Unfähigkeit der Klägerin, ihre eigenen Angelegenheiten fristgerecht zu regeln, anzusehen. Aus diesem Grund war es ihr auch nicht möglich, bereits dem ablehnenden Bescheid vom 23. September 2015 zu entnehmen, dass es aufgrund des Fristversäumnisses eines rechtzeitigen Wiedereinsetzungsantrages bedarf. Erst zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung ihres Prozessbevollmächtigten am 29. Oktober 2015 ist dieses Hindernis entfallen. Der dann am 11. November 2015 von den Prozessbevollmächtigten gestellte, bei der Beklagten am gleichen Tag eingegangene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hielt die von § 32 VwVfG vorgesehene zweiwöchige Frist ein.

3.

Unabhängig davon - und insoweit selbstständig tragend - liegt auch ein Fall höherer Gewalt in Form der Erkrankung der Klägerin vor, welche das Berufen auf den Anspruchsausschluss ausschließt.

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in bestimmten Fallkonstellationen die beihilferechtliche Ausschlussfrist ausnahmsweise nicht anwendbar ist. Grund für diese Nichtanwendbarkeit ist die außergewöhnliche Bedeutung der Beihilfevorschriften für den Beamten (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50/02 -, juris Rn. 11 f.) sowie die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, welche auch den Schutz des Beamten vor unzumutbaren Belastungen, gegen die er sich nicht absichern kann, umfasst (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. November 1990 - 2 BvF 3/88 - BVerfGE 83, 89 - 111, juris Rn. 30 ff.; Beschluss vom 07. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE 106, 225 - 244, juris Rn. 30 ff.; Hessischer Verwaltungsgerichthof, Urteil vom 25. Juli 2012 - 1 A 2253/11 -, juris Rn. 36). Diese Ausnahme ergibt sich auch unmittelbar aus der Niedersächsischen Beihilfeverordnung. Nach § 4 Abs. 2 NBhVO ist in dem Fall, dass die Gewährung von Beihilfe für Aufwendungen nach dieser Verordnung ausgeschlossen ist, Beihilfe dennoch zu gewähren, wenn die Ablehnung der Beihilfegewährung im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 45 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) zu einer unzumutbaren Härte führt.

Eine solche Ausnahme von dem Ausschluss des Anspruchs aufgrund der Versäumung einer Ausschlussfrist wird angenommen, wenn die Versäumung der Frist durch höhere Gewalt verursacht wurde (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06. Juli 2007 - 8 B 51.07 -, juris Rn. 4 f. m.w.N.; Urteil vom 29. April 2004 - 3 C 27.03 -, juris Rn. 14 f.; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Januar 2015 - 5 LA 36/14 -; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 30. Mai 2012 - 6 A 523/11 -, juris Rn. 42 f.; Urteil vom 25. Juli 2012 - 1 A 2253/11 -, juris Rn. 38). Der Begriff der höheren Gewalt wird dabei zwar grundsätzlich enger verstanden als der Begriff "ohne Verschulden" in § 32 VwVfG bzw. § 60 Abs. 1 VwGO, erfasst jedoch nicht nur solche Ereignisse, die menschlicher Steuerung vollständig entzogen sind (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 25. Juli 2012 - 1 A 2253/11 -, juris Rn. 38). Die Auslegung erfolgt in Anlehnung an den Begriff "unabwendbare Zufälle" des § 233 Zivilprozessordnung alte Fassung. Als höhere Gewalt wird danach ein Ereignis angesehen, welches unter den gegebenen Umständen auch durch die größte nach den Umständen des Einzelfalls vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht hat abgewendet werden können (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 2 BvR 51/05 -, juris Rn. 11 m.w.N.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 25. Juli 2012 - 1 A 2253/11 -, juris Rn. 38). Auch eine schwere psychische Erkrankung kann ein Fall höherer Gewalt sein (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Februar 2007 - 14 C 06.3407 -, juris Rn. 12).

Ausgehend von diesen Grundsätzen lag bei der Klägerin aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung ein Fall der höheren Gewalt vor, weshalb der Anspruch nicht aufgrund der Versäumung der Frist des § 48 Abs. 1 NBhVO ausgeschlossen ist.

Wie bereits dargestellt, war es der Klägerin infolge ihrer schweren psychischen Erkrankung nicht möglich, ihre Angelegenheiten fristgerecht zu regeln. Die Dauer und Schwere einer psychischen Erkrankung ist bis auf die Möglichkeit der Behandlung der menschlichen Steuerung entzogen. In einer solchen psychotherapeutischen und psychiatrischen Behandlung befindet sich die Klägerin jedenfalls seit dem Jahr 2012. Nach dem psychologischen Bericht der behandelnden Psychologin Frau F. hat die durchgeführte Behandlung an den Schwierigkeiten der Klägerin bisher nichts ändern können. Auch dies wird von dem Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.