Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.06.2015, Az.: 1 Ws 290/15 (StrVollz)

Zuständigkeitskonzentration bei strafvollzuglichen Nebenentscheidungen; sofortige Beschwerde gegen Versagung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
24.06.2015
Aktenzeichen
1 Ws 290/15 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 24458
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0624.1WS290.15STRVOLLZ.0A

Amtlicher Leitsatz

1. Bei Gebrauchmachen von der Zuständigkeitskonzentration des § 121 Abs. 3 GVG ist das für Rechtsbeschwerden nach §§ 116 ff. StVollzG zuständige Oberlandesgericht auch für Beschwerden über prozessuale Nebenentscheidungen in Straf- und Maßregelvollzugssachen zuständig.

2. Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist des § 112 Abs. 1 StVollzG ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

3. Das Verschulden seines Verteidigers an der Nichteinhaltung einer gesetzlichen Frist muss der Antragsteller in Straf- und Maßregelvollzugssachen gegen sich gelten lassen. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf daher bei Vorliegen eines Kanzleiversehens eines Vortrages, der auch ein Organisationsverschulden des Verteidigers ausschließt. Dies gilt jedenfalls dann auch bei einem Verschulden eines nach § 109 Abs. 3 StVollzG beigeordneten Verteidigers, wenn die das Verschulden begründende Handlung zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der Verteidiger noch Wahlverteidiger des Antragstellers gewesen ist.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Am 27. Januar 2015 erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin einen schriftlichen Bescheid, in dem diese die ihm bis dahin gewährten Begleitausgänge widerrief. Hiergegen hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, der am 11. Februar 2015 bei Gericht einging. Zugleich hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist gestellt und diesen damit begründet, dass sein Verteidiger von ihm fristgerecht beauftragt worden sei, im Wege des gerichtlichen Verfahrens gegen den Bescheid vorzugehen. Dieser habe am 9. Februar 2015 den Antrag in der Annahme diktiert, seine Sekretärin schreibe diesen am 10. Februar 2015, sodass der Antrag noch innerhalb der Frist unterzeichnet und per Fax an die Kammer übersandt hätte werden können. Am Abend des 10. Februar habe der Verteidiger in seinem Büro allerdings festgestellt, dass das Diktat unbearbeitet geblieben ist, weil seine Sekretärin einen Tag länger als bekannt krankgeschrieben war. Eine entsprechende Mitteilung sei seinem Verteidiger entgangen, da er ansonsten für Abhilfe gesorgt hätte. Dieser Vortrag ist vom Verteidiger anwaltlich versichert worden.

Die Kammer hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag verworfen, weil nicht dargelegt sei, dass der Antragsteller ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten müsse er sich zurechnen lassen. Diesem obliege eine Organisation seines Rechtsanwaltsbüros, bei dem auch Vorkehrungen für den Fall einer unerwarteten Erkrankung getroffen werden müssten. Welche Maßnahmen der Verteidiger insoweit angestrengt hätte, werde jedoch nicht mitgeteilt.

Über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Kammer bislang nicht entschieden. Sie hat die Sache zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde dem Oberlandesgericht Braunschweig vorgelegt. Dieses hält sich für eine solche Entscheidung nicht für berufen und hat die Sache an das Oberlandesgericht Celle weitergeleitet.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Oberlandesgericht Celle war zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen. Gemäß § 19 Abs. 4 ZustVO-Justiz ist in Niedersachsen von der Möglichkeit der Zuständigkeitskonzentration nach § 121 Abs. 3 GVG Gebrauch gemacht worden. Diese erstreckt sich nach ihrem Wortlaut zwar nur auf Rechtsbeschwerden gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer, weshalb teilweise eine Zuständigkeitskonzentration auch hinsichtlich der Nebenentscheidungen verneint wird (vgl. etwa BGH, NStZ 1983, 44 [BGH 03.09.1982 - 2 ARs 159/82]; OLG Düsseldorf, FS 2013, 57). Diese Auffassung wird jedoch vom Senat nicht geteilt. Insbesondere wenn ein Rechtsmittelführer seine Rechtsmittel ausdrücklich sowohl gegen Hauptsache- als auch Nebenentscheidungen erhebt, würde ansonsten die Gefahr einer Rechtswegaufteilung bestehen, die nicht nur mit dem Gebot schnellen und effektiven Rechtsschutzes kaum vereinbar ist, sondern auch zu problematischen Ergebnissen führen kann. Vorliegend ist dies evident, da bei Berufensein unterschiedlicher Strafsenate in derselben Angelegenheit divergierende Ergebnisse zutage treten könnten. So könnte das Gericht, das lediglich über die sofortige Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung zu entscheiden hätte, zu dem Ergebnis kommen, dass keine Wiedereinsetzung zu gewähren ist, während der Senat, der sich mit einer möglichen Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung infolge eines Fristversäumnisses zu befassen hätte, gleichwohl zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass Wiedereinsetzung zu gewähren sei. Es ist daher über den Wortlaut des § 121 Abs. 3 GVG von einer Annexzuständigkeit des für Rechtsbeschwerden zuständigen Gerichtes auch für Nebenentscheidungen auszugehen (so auch BGH, NStZ 1984, 44 [BGH 07.09.1983 - 2 ARs 248/83] zu Beschwerden gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe; OLG Hamm, JMB NW 1986, 260; AK-StVollzG/Kamann/Spaniol, 6. Aufl., § 120, Rdnr. 7).

2. Die sofortige Beschwerde ist statthaft. Zwar ist das Verfahren auf Wiedereinsetzung in § 112 Abs. 2 bis 4 StVollzG abschließend geregelt, weshalb etwa die Regelung des § 44 Satz 2 StPO, wonach bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung die Versäumung der Antragsfrist als unverschuldet anzusehen sein könnte, keine Anwendung findet (vgl. KG, NStZ-RR 1996, 158 [KG Berlin 13.07.1995 - 5 Ws 221/95 Vollz]; OLG Frankfurt am Main, ZfStrVO SH 1978, 44; OLG Schleswig, NStZ 1989, 144; OLG Zweibrücken, ZfStrVO 1990, 307). Die Vorschrift lässt aber eine Bestimmung des Rechtsbehelfs vermissen, weshalb gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG die Vorschriften der StPO ergänzende Anwendung finden. Dabei ist zwar fraglich, ob über diesen Verweis auch auf § 304 StPO ein weiteres neben der Rechtsbeschwerde stehendes umfassendes strafprozessuales Beschwerderecht etabliert werden soll (vgl. OLG Jena, Beck RS 2015, 05452; OLG Koblenz, ZfStrVO 1986, 189).

Dies muss jedoch vorliegend nicht bewertet werden, da sich die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits aus § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 46 Abs. 3 StPO ergibt (vgl. OLG München, Beschluss vom 13. Januar 1978, 1 Ws 1350/77; Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel-Bachmann, StVollzG, 12. Aufl., Abschnitt P, Rdnr. 53; Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal-Laubenthal, 6. Aufl., § 112 StVollzG Rdnr. 15; Arloth, 3. Aufl., § 112 StVollzG Rdnr. 7).

III.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist von der Kammer jedoch zu Recht zurückgewiesen worden. Die Ausführungen der Kammer hierzu treffen zu. Ein erforderliches fehlendes Verschulden liegt bei Verschulden des Verteidigers nämlich nach überwiegender Auffassung nicht vor, weil das Verfahren dem eines Verwaltungsprozesses mehr ähnelt als einem Strafverfahren (OLG Frankfurt am Main, NStZ 1982, 351; OLG Hamm, NStZ 2008, 684 [OLG Frankfurt am Main 01.03.2007 - 3 Ws 1051/06 (StVollz)]). Insoweit hätte es Ausführungen auch dazu bedurft, warum dem Verteidiger bei der Organisation seines Rechtsanwaltsbüros kein Vorwurf gemacht werden kann. Ob die Rechtsprechung auch auf den Fall eines dem Antragsteller gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG beigeordneten Rechtsanwalts übertragen werden kann, kann vorliegend dahinstehen, weil vorliegend die Beiordnung erst am 13. Februar 2015 erfolgte und die Verfristung mithin auf einem Verschulden des bis dahin als Wahlverteidiger auftretenden Rechtsanwalts beruht.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO.