Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.04.2014, Az.: 32 Ss 36/14
Möglichkeit zur Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch im Hinblick auf die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.04.2014
- Aktenzeichen
- 32 Ss 36/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 16579
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2014:0414.32SS36.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 18.09.2013
- StA Lüneburg - 1303 Js 18553/12
Rechtsgrundlagen
- § 105 JGG
- § 318 StPO
Fundstellen
- NStZ-RR 2014, 229
- NZV 2014, 6
- StRR 2014, 242
- StV 2014, 750
Amtlicher Leitsatz
Die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht kann vom Rechtsmittelangriff nach Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch nicht ausgenommen werden, weil die Entscheidungen über die Höhe der Strafe und über eine Strafaussetzung zur Bewährung mit der Entscheidung über die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht in Beziehung stehen können.
Die Entscheidung über die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht stellt keinen abtrennbaren Teil der Rechtsfolgenentscheidung dar.
In der Strafsache
gegen B. S.,
geboren am xxxxxx 1991 in L.,
wohnhaft J.-K.-Straße, L.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt A., L. -
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg vom 18. September 2013 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxx und die Richterin am Landgericht xxxxxx am 14. April 2014 einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere große Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit dem angefochtenen Urteil hat die 1. große Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 8. April 2013 als unbegründet verworfen. Das Amtsgericht Lüneburg - Jugendschöffengericht - hatte den heranwachsenden Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Berufung hatte der Angeklagte auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Ziel der Berufung war die Verhängung einer geringeren Freiheitsstrafe.
Die Kammer führt aus, dass der Schuldspruch des angefochtenen Urteils, die ihn tragenden Feststellungen sowie die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung in Rechtskraft erwachsen seien.
Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer ausgeführt, dass sie unabhängig von der Berufungsbeschränkung nach ihrem Eindruck von dem Angeklagten und der Bewertung seiner Lebenssituation keinen Zweifel daran hat, dass Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist. Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer unter anderem sein umfassendes Geständnis in erster und zweiter Instanz berücksichtigt, allerdings nur in einem verminderten Umfang, weil der Angeklagte in allen abgeurteilten Fällen von Zeugen unmittelbar bei der Tatbegehung beobachtet worden war, in zwei Fällen sogar von Polizeibeamten, so dass ein Bestreiten oder Schweigen wenig erfolgversprechend gewesen wäre.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die allgemeine Sachrüge erhebt. Gleichzeitig rügt er einen Verstoß gegen § 338 Abs. 1 Nr. 4 StPO.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere große Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg zurückzuverweisen.
II.
Die Revision hat mit der Sachrüge - zumindest vorläufig - Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch war wirksam, weil die Feststellungen den Schuldspruch wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen tragen.
Der Angeklagte konnte jedoch die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausnehmen, weil die Entscheidungen über die Höhe der zu verhängenden Strafe und über eine Strafaussetzung zur Bewährung von der Entscheidung über die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht beeinflusst werden.
Eine Beschränkung innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs ist nur auf solche Beschwerdepunkte möglich, die losgelöst vom nicht angegriffenen Teil einer rechtlich und tatsächlich selbständigen Beurteilung fähig sind, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen (KK-Paul, StPO, 7. Auflage, § 318 Rdnr. 8 m. w. N.), weil das Erfordernis der Widerspruchsfreiheit der das Verfahren stufenweise abschließenden Urteile, die als ein einheitliches Ganzes anzusehen sind, gewahrt werden muss (BGH, Beschluss vom 21.10.1980 - 1 StR 262/80 -, BGHSt 29, 359, 364). Deshalb ist die Beschränkung der Berufung allein auf die Frage der Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht unzulässig (LG Göttingen, Beschluss vom 15.01.2007, 15 Ns 23/06 - zitiert nach [...]; Ostendorf-Ostendorf, JGG, 9. Aufl. § 105 Rdnr. 34; Brunner/Dölling, JGG, 12. Auflage, § 105 Rdnr. 29, Schäfer, NStZ 1998, 330, 331, BGH GA 64, 135, Eisenberg, JGG, 16. Auflage, § 105 Rdnr. 47), die - möglicherweise fehlerhafte - Anwendung der maßgeblichen sachlichen Strafprozessordnung betrifft stets einen der Rechtsfolge vorgeordneten Gesichtspunkt (LG Göttingen a. a. O.).
Bei den Entscheidungen über die Höhe der zu verhängenden Strafe und über eine Strafaussetzung zur Bewährung handelt es sich um nachgeordnete Entscheidungen, die erst nach der Entscheidung über die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu treffen sind. Die Entscheidung einer nachgeordneten Frage beeinflusst in der Regel die Entscheidung über die vorgeordnete Frage nicht (BayObLGSt 56, 7, 8). Anders ist es aber, wenn die vorgeordnete Entscheidung von der allgemeinen Straffrage nicht zu trennen ist, weil etwa damit die Weichen für das Sanktionssystem mit eventuell weitergehenden Milderungen und damit auch für das Rechtsmittelsystem gestellt werden (Ostendorf-Schady, a. a. O. § 55 Rdnr. 8, Brunner/Dölling, a. a. O., Eisenberg, a. a. O. Rdnr. 48, Schäfer a. a. O., Böhm, NStZ 1984, 447). So ist es hier. Das Sanktionssystem des Jugendgerichtsgesetzes enthält weitergehende Milderungsmöglichkeiten als das Sanktionssystem des Strafgesetzbuchs. Anders als bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe kann die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe für eine zu bestimmende Bewährungszeit ausgesetzt werden (§ 27 JGG), das Jugendgericht kann zudem die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung ausdrücklich einem nachträglichen Beschluss vorbehalten (§ 61 JGG), darüber hinaus lässt die nach § 16a JGG mögliche Verhängung von Jugendarrest neben der Aussetzung der Verhängung oder der Vollstreckung von Jugendstrafe zur Bewährung eventuell eine andere Beurteilung der für die Bewährungsentscheidung relevanten Tatsachen zu. Die Entscheidung über die vorgeordnete Frage der Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht kann mithin von den nachgeordneten Entscheidungen über die Höhe der zu verhängenden Strafe und über eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht gelöst werden und stellt deshalb keinen abtrennbaren Teil der Rechtsfolgenentscheidung dar. Der Angeklagte konnte deshalb die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts vom Rechtsmittelangriff nicht ausnehmen. Die Kammer hätte deshalb die notwendige Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Lebensumstände (§ 105 JGG) vornehmen müssen. Daran fehlt es. Die Erörterung der Kammer zur Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht beschränkt sich darauf, nach ihrem Eindruck von dem Angeklagten und der Bewertung seiner Lebenssituation bestünden keine Zweifel daran, dass Erwachsenenstrafrecht anzuwenden sei.
III.
Für die erneute Berufungshauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass für die Feststellung der für die Rechtsfolgen erheblichen Umstände dieselben Grundsätze gelten wie für die Feststellungen zu den Tatsachen, in denen der Strafrichter die Merkmale der Straftat findet. Sie müssen, soweit das Gericht daraus negative Schlüsse herleitet, erwiesen sein (LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 267 Rdnr. 86).