Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.09.2022, Az.: 1 Ws 51/22
Zwei Aufträge bei Beauftragung eines Rechtsanwalts durch Nebenkläger für Ermittlungs- und gerichtliches Verfahren; Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der Anklageerhebung für Gebührentatbestand § 60 Abs. 1 S. 1 RVG
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.09.2022
- Aktenzeichen
- 1 Ws 51/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 34227
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2022:0922.1WS51.22.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 12.08.2022 - AZ: 300 Ks 3/21
Rechtsgrundlagen
- § 17 Nr. 10 Buchst. a) RVG
- § 56 Abs. 2 RVG
- § 60 Abs. 1 S. 1 RVG
- § 33 Abs. 3 RVG
- § 397a Abs. 1 StPO
Fundstellen
- JurBüro 2022, 518-520
- NJW-Spezial 2022, 699
- RENOpraxis 2022, 293-294
- RVG prof 2022, 203
- Rpfleger 2023, 57
- StRR 2022, 6
- StRR 2023, 10-12
- VRR 2022, 27-29
- VRR 2022, 4
Amtlicher Leitsatz
Wird der Rechtsanwalt durch den späteren Nebenkläger bereits im Ermittlungsverfahren sowohl für dieses als auch für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren beauftragt, handelt es sich gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit. Der Auftrag für das nachfolgende Gerichtsverfahren ist zudem bedingt durch die Anklageerhebung, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich ist.
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Stade vom 12. August 2022 wird aufgehoben.
Dem Beschwerdeführer sind über die mit Entscheidung der Kostenbeamtin vom 21. April 2022 festgesetzte Vergütung von insgesamt 5.883,36 EUR hinaus weitere 739,47 EUR aus der Landeskasse zu erstatten.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Höhe der Festsetzung seiner Vergütung als Nebenkläger durch das Landgericht Stade.
In Rahmen eines gegen den Angeklagten u.a. wegen des Verdachts der Begehung eines versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil des Geschädigten G. B. von der Staatsanwaltschaft Stade geführten Ermittlungsverfahrens legitimierte sich der Beschwerdeführer gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 14. Dezember 2020 für den Geschädigten und beantragte zunächst Akteneinsicht. Die vom Geschädigten unterzeichnete schriftliche Vollmacht datiert vom 16. Dezember 2020 und ermächtigte den Beschwerdeführer zur außergerichtlichen und gerichtlichen Erledigung für alle Instanzen, insbesondere die Verteidigung in einem Strafverfahren einschließlich der Vorverfahren.
Im weiteren Verfahrensgang wurde der Beschwerdeführer noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss 23. Februar 2021 als Beistand des Geschädigten nach §§ 397a Abs. 1, 406h Abs. 3 StPO bestellt.
Unter dem 29. März 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Stade sodann Anklage zum Landgericht Stade (Schwurgericht). Die Anklage wurde mit Beschluss vom 6. Mai 2021 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit selben Beschluss ließ das Landgericht den Geschädigten als Nebenkläger unter Beiordnung des Beschwerdeführers zu.
Mit Urteil vom 22. September 2021 wurde der Angeklagte vom Landgericht Stade zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; darüber hinaus wurden ihm u.a. die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen auferlegt. Der Beschwerdeführer nahm an mehreren Hauptverhandlungsterminen teil und legte nachfolgend Revision gegen das am 22. September 2021 verkündete Urteil des Schwurgerichts ein.
Nach Verfahrensbeendigung beantragte der Beschwerdeführer gegenüber der Staatskasse mit Schreiben vom 19. Januar 2022 die Festsetzung seiner im Ermittlungsverfahren, erstinstanzlichen Verfahren sowie Revisionsverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 6.657,34 EUR. Er legte dabei für sämtliche Verfahrensabschnitte die Gebührensätze in der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) zugrunde. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle brachte hingegen unter Verweis auf die Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebührensätze für sämtliche Verfahrensabschnitte in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung in Ansatz und setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen lediglich auf 5.883,36 EUR fest.
Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Beschwerdeführers wies das Landgericht mit Beschluss vom 12. August 2022 als unbegründet zurück. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass bereits im Jahr 2020 ein unbedingter Auftrag sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch das gerichtliche Verfahren vorgelegen hätte und daher für die gesamte Vergütung des Beschwerdeführers nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG das bisherige Recht anzuwenden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorbezeichneten Beschluss des Landgerichts verwiesen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 22. August 2022 nur noch insoweit, als auch für das gerichtliche Verfahren die Gebührensätze in der vor dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) zugrunde gelegt worden sind. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass zum Zeitpunkt der Auftragserteilung im Jahr 2020 noch kein unbedingter Auftrag für ein gerichtliches Verfahren erteilt werden konnte. Vielmehr sei zu diesem Zeitpunkt noch unklar gewesen, ob es überhaupt zu einem gerichtlichen Verfahren komme, sodass die Beauftragung unter der Bedingung einer späteren Anklageerhebung gestanden habe.
II.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG statthafte Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Der Senat ist als Kollegialgericht zur Entscheidung über die Beschwerde gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 2. HS RVG berufen, weil die Strafkammer die angefochtene Entscheidung in entsprechender Besetzung erlassen hat.
2. In der Sache kann der angefochtene Beschluss - soweit dieser noch mit der Beschwerde angefochten wird - keinen Bestand haben. Denn dem Beschwerdeführer steht über den zuerkannten Betrag von 5.883,36 EUR hinaus noch ein Vergütungsanspruch in Höhe von 739,47 EUR zu.
Im Einzelnen:
a) Gegenstand des Beschwerdeverfahren sind allein die für das gerichtliche sowie Revisionsverfahren festgesetzten Kosten, da der Beschwerdeführer die erfolgte Kostenfestsetzung für die im Ermittlungsverfahren angefallenen Gebühren mit seiner Beschwerde nicht weiter angegriffen hat und der Senat diesbezüglich mithin auch nicht zu einer Entscheidung berufen ist.
b) Für die Beurteilung der Frage, ob für das gerichtliche Strafverfahren altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden ist, sind zwar sowohl die Urkundsbeamtin als auch das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sich dies maßgeblich danach richtet, ob dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ein unbedingter Auftrag zur Durchführung vor oder nach dem 1. Januar 2021 (Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 - KostRÄG 2021) erteilt worden war. Bei der Beurteilung ist jedoch unberücksichtigt geblieben, dass es sich nach § 17 Nr. 10 a RVG bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren um verschiedene Angelegenheiten handelt (vgl. Volpert, StraFo 2021, 188, 189; Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Angelegenheiten §§ 15 ff. Rn. 105, 142).
So geht das Landgericht zwar zu Recht davon aus, dass bereits im Jahr 2020 eine umfassende Vertretung des Geschädigten im Ermittlungsverfahren sowie in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren durch den Geschädigten beauftragt worden war. Denn hierfür sprachen schon die Gesichtspunkte, dass gegen den Angeklagten ein Haftbefehl ergangen war und eine zeitnahe Anklageerhebung zu erwarten war. Auch hat der Beschwerdeführer bereits mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 die Bestellung als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO und die Zulassung als Nebenkläger im Namen des Geschädigten beantragt, was belegt, dass er mit einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren in absehbarer Zeit rechnete.
Trotz dieser umfassenden Beauftragung durch den Geschädigten sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren handelt es sich vorliegend ungeachtet der zeitgleichen Beauftragung nach § 17 Nr. 10 a RVG gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit (Gerold/Schmidt, RVG § 60 Rn. 6, beck-online).
c) Ein unbedingter Auftrag zur Erledigung der Vertretung des Geschädigten in einem gerichtlichen Verfahren vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2021 lag hingegen gerade nicht vor, sodass die Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG vorliegend nicht zum Tragen kam.
Zum Zeitpunkt der Auftragsannahme durch den Beschwerdeführer Ende des Jahres 2020 lagen vielmehr gleichzeitig ein unbedingter Auftrag für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein bedingter Auftrag für ein nachfolgendes Strafverfahren vor. Letzteres stand unter der Bedingung einer Anklageerhebung durch die Strafverfolgungsbehörde, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich war (vgl. Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, §§ 60 f. Übergangsvorschriften Rn. 13; Toussaint/Toussaint, 52. Aufl. 2022, RVG § 60 Rn. 9).
Die Anklageerhebung und damit die Überleitung in ein gerichtliches Strafverfahren erfolgte am 29. März 2021, sodass für die Kostenfestsetzung für das gerichtliche Verfahren das ab dem 1. Januar 2021 geltende Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zugrunde zu legen war.
d) Demgemäß steht dem Beschwerdeführer ein Vergütungsanspruch zu, der sich wie folgt berechnet:
Grundgebühr Nr. 4100 VV | 160,00 € |
---|---|
Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV | 132,00 € |
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV | 20,00 € |
Auslagen Aktenübersendung | 5,00 € |
Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV | 348,00 € |
Terminsgebühr Nr. 4120 VV (18.06.21) | 466,00 € |
Fahrtkosten Nr. 7003 VV | 88,20 € |
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 (Ziff. 2) | 50,00 € |
Terminsgebühr Nr. 4120 VV (22.06.21) | 466,00 € |
Fahrtkosten Nr. 7003 VV | 88,20 € |
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 (Ziff. 3) | 80,00 € |
Terminsgebühr Nr. 4120 VV (06.07.21) | 466,00 € |
Fahrtkosten Nr. 7003 VV | 88,20 € |
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 (Ziff. 3) | 80,00 € |
Terminsgebühr Nr. 4120 VV (13.07.21) | 466,00 € |
Fahrtkosten Nr. 7003 VV | 88,20 € |
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 (Ziff. 3) | 80,00 € |
Terminsgebühr Nr. 4120 VV (19.08.21) | 466,00 € |
Fahrtkosten Nr. 7003 VV | 88,20 € |
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 (Ziff. 2) | 50,00 € |
Terminsgebühr Nr. 4120 VV (03.09.21) | 466,00 € |
Fahrtkosten Nr. 7003 VV | 88,20 € |
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 (Ziff. 2) | 50,00 € |
Terminsgebühr Nr. 4120 VV (22.09.21) | 466,00 € |
Fahrtkosten Nr. 7003 VV | 88,20 € |
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 (Ziff. 2) | 50,00 € |
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV | 20,00 € |
Verfahrensgebühr Nr. 4130VV | 541,00 € |
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV | 20,00 € |
5.565,40 € | |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV | 1.057,43 € |
6.622,83 € |
Von den 6.622,83 EUR abzusetzen war der bereits zuerkannte Betrag von 5.883,36 EUR, sodass ein weiterer Vergütungsanspruch von 739,47 EUR zuzusprechen war.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG.
Gegen diese Entscheidung ist keine weitere Beschwerde gegeben (§ 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 4 S. 3, Abs. 6 RVG).