Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
v. 04.05.2022, Az.: AGH 6/21 (II 5/38)
Anfechtungklage gegen die Gebührenerhebung für die Erteilung einer Rüge im Zusammenhang mit der passiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA); Erhebung einer Gebühr für die Zurückweisung eines hiergegen gerichteten Einspruchs; Öffentlich-rechtliche Streitigkeit aus der Anwendung der BRAO
Bibliographie
- Gericht
- AGH Niedersachsen
- Datum
- 04.05.2022
- Aktenzeichen
- AGH 6/21 (II 5/38)
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2022, 62234
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 62 Abs. 1 BRAO
- § 112a Abs. 1 BRAO
- § 112c Abs. 1 BRAO
- § 42 VwGO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf bis zu 500,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
I.
Der Kläger ist als Rechtsanwalt Mitglied der Beklagten und wendet sich mit seiner am 24. Juni 2021 beim Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof eingegangenen Klage gegen einen dem Kläger am 26. Mai 2021 zugestellten Gebührenbescheid der Beklagten vom 19. Mai 2021.
Mit dieser hat die Beklagte die Gebühr für die Erteilung einer Rüge im Zusammenhang mit der passiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) und eine Gebühr für die Zurückweisung eines hiergegen gerichteten Einspruchs in Höhe von jeweils 125,00 € erhoben. Die jeweiligen Beitragshöhen entsprechen § 7 der allgemeinen Gebührenordnung der Beklagten auf der Grundlage des zuletzt am 7. Oktober 2020 geänderten Kammerbeschlusses.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Gebührenbescheid auf der verfassungswidrigen Regelung des § 31a Abs. 6 BRAO beruhe und von der Beklagte auch nicht verfassungskonform ausgelegt worden sei. Deshalb sei er – unter verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift – nicht zuletzt aufgrund des für ihn äußerst geringen Nutzungswerts von der Pflicht zur Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs befreit.
Zudem sei der Gebührenbescheid dem Grunde nach unzulässig und der Höhe nach unverhältnismäßig, weil für die Erteilung einer bloßen Rüge wenig Arbeitsaufwand und geringe tatsächliche Kosten angefallen seien.
Der Kläger beantragt,
den Gebührenbescheid der Beklagten vom 19. Mai 2021 über insgesamt 250,00 € aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit richterlichen Schreiben vom 17. September 2021, dem Kläger per Postzustellungsurkunde am 25. September 2021 und der Beklagten per Empfangsbekenntnis am 28. September 2021 zugestellt, wurden die Parteien darüber informiert, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 112 c Abs. 1 BRAO, 84 Abs. 1 VwGO in Betracht gezogen werde; den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme unter Einräumung einer Zweiwochenfrist gewährt. Die Beklagte hat einem entsprechenden Vorgehen zugestimmt, während der Kläger mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2021 – ohne auf die Anfrage näher einzugehen – lediglich die richterliche Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 31a Abs. 6 BRAO angeregt hat.
Gegen die dem verfahrensgegenständlichen Gebührenbescheid zugrundeliegenden Rüge der Beklagten vom 3. März 2020 wegen Verstoßes des Klägers gegen § 31a Abs. 6 BRAO hat Letzterer – nach Zurückweisung des hiergegen gerichteten Antrags auf gerichtliche Entscheidung durch das Anwaltsgericht mit Beschluss vom 29. März 2021 – Beschwerde zum 1. Senat des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs erhoben, welche inzwischen mit Beschluss vom 9. August 2021 (Az.: AGH 4/21 (I 4)) als unzulässig verworfen wurde. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 16. September 2021 (Az.: 1 BvR 2027/21) nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Gerichtsakte zum Parallelverfahren AGH 4/21 wurde beigezogen und zum Gegenstand des hiesigen Verfahrens gemacht. Insoweit wie auch im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt beider Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
1.
Über den Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Nach der Überzeugung des Gerichts liegen diese Voraussetzungen vor. Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört, ihre Zustimmung ist nicht erforderlich.
2.
a)
Die mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheides erhobene Klage ist als Anfechtungsklage nach §§ 112a Abs. 1, 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 42 VwGO zulässig.
Da die Beklagte nach § 62 Abs. 1 BRAO eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die hoheitliche Aufgaben zu erfüllen hat, und es ihr auch obliegt, die Erhebung von Gebühren zu beschließen und diese von ihren Mitgliedern einzufordern (§§ 192, 89 Abs. 2 Nr. 2, 84 BRAO), stellen ihre Zahlungsaufforderungen Verwaltungsakte dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1971 – I ZR 118/69; Senatsbeschluss vom 24. Juni 1997 – AGH 2/96, BeckRS 2009, 14661).
Es handelt sich ferner um eine verwaltungsrechtliche Anwaltssache nach § 112a Abs. 1 BRAO, da sich bei dem Streit über die Wirksamkeit der Zahlungsaufforderung um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit aus der Anwendung der BRAO bzw. von ihr abgeleiteter Normen geht.
Die Anfechtungsklage ist auch fristgerecht binnen Monatsfrist (§ 112c Abs. 1 BRAO, 74 Abs. 1 VwGO) erhoben wurden, da der Gebührenbescheid der Beklagten dem Kläger am 26. Mai 2021 zugestellt wurde und die hiergegen gerichtete Klage am 24. Juni 2021 bei dem – sachlich und örtlich zuständigen – Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof angebracht wurde.
b)
Die Anfechtungsklage ist jedoch unbegründet.
Der von der Beklagten erlassene Gebührenbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
aa)
Die Erhebung von Gebühren beruht auf gesetzlicher Grundlage.
Die Beklagte hat sich nach § 89 Abs. 2 Nr. 2 BRAO – zuletzt geändert mit Beschluss der Kammerversammlung vom 7. Oktober 2020 – eine Gebührenordnung gegeben, welche am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist und nach dessen § 7 sowohl für die Erteilung einer Rüge nach § 74 BRAO als auch für das Einspruchsverfahren im Falle der Zurückweisung des Einspruchs, mit Bestandskraft der jeweiligen Bescheiden jeweils eine Gebühr in Höhe von 125,00 € fällig wird.
Die beiden Gebührentatbestände sind gegeben. Mit Bescheid vom 3. März 2020 wurde dem Kläger wegen Verstoßes gegen § 31a Abs. 6 BRAO eine Rüge erteilt, weil der Kläger die ihm obliegende Pflicht zur passiven Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches (beA) nicht nachgekommen ist. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 25. März 2020 Einspruch erhoben, welcher mit Bescheid der Beklagten vom 1. September 2020 zurückgewiesen worden ist. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Entscheidung des Anwaltsgerichts hat Letzteres mit Beschluss vom 29. März 2021 als in der Sache unbegründet zurückgewiesen und die wiederum gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde hat der Niedersächsische Anwaltsgerichtshof mit Beschluss vom 9. August 2021 als unzulässig verworfen. Vor diesem Hintergrund ist das Rüge- und Einspruchsverfahren bestandskräftig abgeschlossen, sodass die satzungsmäßig bestimmten Gebühren in der festgesetzten Höhe fällig sind.
bb)
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die jeweilige Gebühr der Höhe nach auch nicht unverhältnismäßig.
Gebühren sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die dazu bestimmt sind, Einnahmen zu erzielen, um spezielle Kosten der individuell zurechenbaren Verwaltung ganz oder teilweise zu decken; insofern folgt die Rechtfertigung für die Gebührenhöhe jedenfalls aus dem Gebührenzweck (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 19. März 2003 – 2 BvL 9/98 u.a., NVwZ 2003, 715 <716>).
So verhält es sich hier. Beiden Gebührentatbeständen liegt ein dem Kläger unmittelbar zurechenbares, mit entsprechendem Aufwand verbundenes Verwaltungshandeln der Beklagten gegenüber. So hat die Abteilung für Berufsrecht und der Ausschuss Berufsrecht der Notare ausweislich des Protokolls der 193. Sitzung am 13. November 2019 in den Räumen der Beklagten zusammentreten und u.a. einen Beschluss über die Rüge wegen des Verstoßes seitens des Klägers gegen § 31a Abs. 6 BRAO treffen müssen. Aufgrund des Einspruch wiederum waren der Vorstand der Beklagten und weitere Berufsträger gehalten, in der Sitzung vom 4. Juli 2020 den Zurückweisungsbeschluss zu treffen. Angesichts dieser wiederholten Befassung einer Vielzahl von Berufsträgern mit dem standeswidrigen Verhaltens des Klägers vermag die Gebühr in Höhe von jeweils 125,00 € noch nicht einmal ansatzweise die hierdurch tatsächlich entstandenen Kosten zu decken, so dass für die Annahme eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schlechterdings kein Raum bleibt.
cc)
Soweit sich der Kläger mit seiner Klage schließlich gegen die Rechtmäßigkeit der passiven Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) nach § 31a Abs. 6 BRAO als solche richtet, kann er damit im hiesigen Verfahren nicht mehr gehört werden. Denn das dem angefochtenen Gebührenbescheid zugrundeliegende Rüge- und Einspruchsverfahren ist nicht zuletzt aufgrund des Beschlusses des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 9. August 2021 inzwischen bestandskräftig abgeschlossen worden, zumal die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wurde.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 112 c Abs. 1 BRAO, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 112 c Abs. 1 BRAO, 167 Abs. 1, 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 194 Abs. 1 BRAO, 52 Abs. 1 GKG.
Der Gerichtsbescheid hat die Wirkung eines Urteils, § 112c Abs. 1 BRAO, § 84 Abs. 3 VwGO.