Arbeitsgericht Hildesheim
Urt. v. 11.03.2009, Az.: 2 Ga 3/09
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Hildesheim
- Datum
- 11.03.2009
- Aktenzeichen
- 2 Ga 3/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 45128
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGHIL:2009:0311.2GA3.09.0A
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
...
hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Hildesheim auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2009 durch
die Richterin am Arbeitsgericht ... als Vorsitzende,
den ehrenamtlichen Richter ...
den ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
- 3.
Der Streitgegenstandswert wird auf 3 030,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um Weiterbeschäftigung während der Kündigungsfrist.
Die am 12.07.1970 geborene Verfügungsklägerin wurde von der Rechtsvorgängerin der Verfügungsbeklagten am 01.05.1992 als Bürokauffrau eingestellt. Das Arbeitsverhältnis ging zum 30.05.2005 auf die jetzige Verfügungsbeklagte im Wege eines Betriebsübergangs über. Die Verfügungsklägerin erzielte zuletzt eine Vergütung in Höhe von 3 028,- Euro brutto. Die Verfügungsbeklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.02.2009, der Verfügungsklägerin am selben Tage zugegangen, zum 31.08.2009 und stellte die Verfügungsklägerin zugleich unwiderruflich unter Anrechnung ihres Resturlaubsanspruchs frei. Mit Schreiben vom 03.03.2009 wies der Verfügungsklägervertreter die Kündigung mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde gegenüber dem Verfügungsbeklagten zurück, diesem Schreiben war eine Vollmachtsurkunde der Verfügungsklägerin nicht beigefügt.
Die Verfügungsklägerin behauptet,
die ausgesprochene Suspendierung sei unwirksam, da ein Freistellungsanspruch auf Grund des Arbeitsvertrages nicht vereinbart worden sei. Es lägen keine Freistellungsgründe vor. Darüber hinaus sei der Sozialversicherungsschutz auf Grund der unwiderruflichen Freistellung gefährdet. Der Verfügungsgrund ergebe sich daraus, dass der Anspruch der Verfügungsklägerin wegen Zeitablaufs unwiederbringlich verloren ginge.
Die Verfügungsklägerin beantragt:
Der Antragsgegnerin aufzugeben, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes gegen die Antragsgegnerin bzw. Zwangshaft gegen den Geschäftsführer ... die Antragstellerin als Auftragssachbearbeiterin (customer support) für die Auftragsannahme und Auftragsabwicklung aufgrund und des seit dem 04.05.1992 bestehenden Anstellungsvertrages in der Zweigniederlassung ... bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, dem 31.08.2009 tatsächlich weiterzubeschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Klage zurückzuweisen.
Die Kündigung sei betriebsbedingt. Der Wegfall des Arbeitsverhältnisses sei bereits zum 24.02.2009 vollzogen worden. Die Tätigkeit der Verfügungsklägerin sei von Hildesheim nach Fürth verlagert worden. Der Verfügungsklägerin hätten zum Zeitpunkt der Kündigung noch 30 Urlaubstage zugestanden. Die Verfügungsklägerin erleide keine wirtschaftlichen Nachteile durch die Nichtbeschäftigung. Bis zum Ablauf des Arbeitsverhältnisses erhalte sie ihre vertragliche Vergütung. Auch verliere sie nicht ihren sozialversicherungsrechtlichen Schutz.
Hinsichtlich des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten und erörterten Schriftsätze der Parteien verwiesen. Sie waren Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Entgegen der Rechtsansicht der Verfügungsklägerin ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, die Verfügungsklägerin derzeit tatsächlich zu beschäftigen. Jedenfalls bis zum Zeitpunkt einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache überwiegt im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das Nichtbeschäftigungsinteresse der Verfügungsbeklagten.
1.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO ist das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs. Ob ein solcher tatsächlich vorliegt, erscheint mehr als fraglich, kann aber letztlich dahingestellt bleiben.
Auch bei Fehlen einer arbeitsvertraglich vereinbarten Freistellungsregelung, darf der Arbeitgeber gem. §§ 106 Gewerbeordnung (GewO), 315 BGB sein Weisungsrecht bei Beachtung der einzelvertraglichen Grenzen nach billigem Ermessen ausüben. Die Wahrung billigen Ermessens setzt voraus, dass die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Ob dies geschehen ist, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (vgl.u.a. BAG, Urt.v. 24.04.1996 - 5 AZR 1031/94 - DB 1996, 1931 [BAG 24.04.1996 - 5 AZR 1031/94]). Insoweit besteht für den Arbeitgeber wie im ungekündigten oder gekündigten Arbeitsverhältnis die rechtliche Möglichkeit, den Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen ( LAG Nürnberg v. 18.09.2007 - 4 Sa 586/07 ZTR 2008, 108-110) oder wie hier Urlaub zu erteilen.
2.
Für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung fehlt es jedenfalls an dem für die Bejahung der Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit der Entscheidung erforderlichen Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO.
a)
Bei einer Sicherungsverfügung gemäß § 935 ZPO muss die objektive Gefahr bestehen, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Verfügungsklägerin vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Bei einer Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO ist ein Verfügungsgrund gegeben, sofern die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. In beiden Fällen sind an den Verfügungsgrund dann besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn durch die einstweilige Verfügung die Hauptsache ganz oder zumindest teilweise vorweggenommen wird und insoweit endgültige Verhältnisse geschaffen werden (sogen. Leistungs(Befriedigungs-)Verfügung).
b)
Voraussetzung für einen Verfügungsgrund bei einer Leistungsverfügung ist, dass der Gläubiger auf die sofortige Anspruchserfüllung angewiesen und die Leistung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titels im normalen Klageverfahren nicht möglich erscheint. Anders als eine nur sichernde Maßnahme belastet eine Leistungsverfügung den Verfügungsbeklagten im besonderen Maße, da die Leistungsverfügung meist nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und trotz der Schadensersatzregelung in § 945 ZPO ein Ausgleich in Geld häufig nicht möglich oder realisierbar ist. Die Leistungsverfügung ist in vielen Fällen gerade darauf angelegt, beim Verfügungsbeklagten genau zu solchen irreparablen Folgen zu führen, wie sie beim Verfügungskläger verhindert werden sollen. Insoweit stehen sich die Interessen der Parteien bei der Leistungsverfügung grundsätzlich gleichwertig gegenüber und ist erst unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles und der darauf aufbauenden konkreten Interessenabwägung zu entscheiden, welches Interesse im Einzelfall überwiegt (vgl. hierzu LAG Nürnberg vom 17.08.2004 - 6 Sa 439/04 - LAGE Nr. 2 zu § 102 BetrVG 2001 Beschäftigungspflicht; LAG München vom 14.09.2005 - 9 Sa 891/05 -; LAG Nürnberg vom 24.06.2003 - 6 Sa 181/03 - beide n.v.).
c)
Da im ungekündigten Arbeitsverhältnis unwiederbringlich der Verlust der Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers eintritt, wenn die begehrte Leistungsverfügung zur Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs nicht erlassen wird, auf der anderen Seite aber die erzwungene tatsächliche Weiterbeschäftigung zu einer betrieblichen Situation führt, die ebenfalls nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, darf der Anspruch auf ein tatsächlich ungekündigtes Arbeitsverhältnis nur bei dem Vorhandensein besonderer Umstände, eben eines Verfügungsgrundes, im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Nur dann, wenn im Einzelfall besondere Interessen des Arbeitnehmers die tatsächliche Beschäftigung bedingen, etwa bei drohendem Verlust von Kenntnissen oder Geschäftsbeziehungen, bei einer dauerhaften Entfremdung von der übrigen Belegschaft oder bei ähnlich gewichtigen Gründen, überwiegt das besondere Interesse des Arbeitnehmers an der Geltendmachung seines Anspruchs im Wege einer einstweiligen Verfügung.
An einem ausreichenden Verfügungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung fehlt es im konkreten Fall.
Mit dem "drohenden endgültigen Verlust des Arbeitsplatzes" der Verfügungsklägerin, kann der Verfügungsgrund nicht begründet werden. Ob das Arbeitsverhältnis zum Entlassungszeitpunkt endet, ist in den beiden laufenden Hauptsacheverfahren zu prüfen und zu entscheiden. Ebenso wenig hat die Durchsetzung des tatsächlichen Beschäftigungsanspruches Auswirkung auf Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (so bereits das BAG im Urteil vom 12.09.1985 - 2 AZR 324/84 - AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung; LAG München vom 08.10.2003 - 5 Sa 946/03 - in Juris;).
Entscheidend kann vielmehr nur sein, ob dem Arbeitnehmer durch das Zuwarten bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem zu einer erstinstanzlichen Entscheidung über ihren Beschäftigungsanspruch in der Hauptsache ein Nachteil droht, der durch den Erlass der einstweiligen Verfügung abgewendet werden müsste. Das Gericht vermag auf der Grundlage des Sachvortrags der Parteien nicht zu erkennen, warum die tatsächliche Beschäftigung noch vor Entscheidung im Hauptsacheverfahren für die Verfügungsklägerin erforderlich sein soll, zumal die Kündigung der Verfügungsklägerin bereits zugestellt worden ist.
Diesbezüglich hat die Verfügungsklägerin weder konkret dargelegt noch glaubhaft gemacht, weshalb eine weitere Freistellung bis zu einer zu erwartenden Hauptsacheentscheidung innerhalb der nächsten drei bis fünf Monate zu einer nennenswerten Beeinträchtigung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten führen würde. In der Regel erscheint zunächst einmal das berechtigte und schutzwerte Interesse des Arbeitgebers wegen des für ihn damit verbundenen hohen Risikos, den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses nicht zu beschäftigen, stärker und dringender. Eine nur vorübergehende Unterbrechung seiner Tätigkeit bedeutet für den Arbeitnehmer aber regelmäßig noch keine gravierende Beeinträchtigung der Entfaltungsmöglichkeiten seiner Persönlichkeit und seines Ansehens in seiner sozialen Umwelt. Die Interessenlage ändert sich erst, wenn im Kündigungsschutzprozess ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht. Dies liegt vorliegend noch nicht vor.
Die Verfügungsklägerin hat, wie erforderlich, keine über das normale Maß für ihre Person besonders schutzwürdigen Belange vorgebracht. Ihre Tätigkeit ist gegenwärtig zunächst einmal nur vorübergehend unterbrochen. Sie ist nicht mehr und nicht weniger von den Auswirkungen der Kündigung betroffen, wie jeder andere Arbeitnehmer auch, der eine ordentliche Kündigung erhalten hat. Die Länge der Kündigungsfrist macht die Antragstellerin auch zu keinem besonderen Härtefall. Die Urlaubsansprüche der Verfügungsklägerin sind im Rahmen der Kündigungsfrist zu erfüllen. Die Verfügungsbeklagte hat sichergestellt, dass der Urlaubswunsch der Verfügungsklägerin im Sommer 2009 in jedem Fall erfüllt wird. Durch die unwiderrufliche einseitige Freistellung verliert die Verfügungsklägerin auch nicht ihr sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis, weil der Arbeitgeber hierzu arbeitsvertraglich nicht berechtigt ist. (vgl. ErfKo/Rolfs 8. Aufl. § 7 SGB IV RZ 31). Das Bundessozialgericht hat nunmehr in zwei Urteilen vom 24.09.2008 (Az. B 12 KR 22/07 R und B 12 KR 27/07 R ) entschieden, dass die jeweils unwiderruflich freigestellten Arbeitnehmer weiterhin grundsätzlich in sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnissen stünden, wenn die Arbeitsverhältnisse im Übrigen weiterhin ordnungsgemäß abgewickelt würden.
Die unterlegene Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Im Rahmen der Streitwertfestsetzung hat das Gericht ein Bruttomonatsgehalt gem. § 3 ZPO zugrunde gelegt.