Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 26.01.2005, Az.: 1 Ws 45/05

Entschädigung eines Freigesprochenen für die erlittene Untersuchungshaft; Selbstveranlassung der Untersuchungshaft durch Verschweigen entlastender Umstände

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
26.01.2005
Aktenzeichen
1 Ws 45/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 34269
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2005:0126.1WS45.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 04.06.2004 - AZ: 6 Ks 20/03

Fundstelle

  • StraFo 2005, 384 (Volltext mit red. LS)

In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 26. Januar 2005
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Freigesprochenen wird die Entscheidung des Landgerichts Osnabrück vom 4. Juni 2004, durch die der Freigesprochenen eine Entschädigung für die von ihr erlittene Untersuchungshaft versagt worden ist, aufgehoben.

Die Freigesprochene ist für die von ihr in diesem Verfahren erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und darin der Freigesprochenen entstandene notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

1

Die rechtskräftig freigesprochene frühere Angeklagte befand sich vom 22. August 2002 bis zum 4. Juni 2004 auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bersenbrück vom 20. August 2002 in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl, wie auch später in der Anklageschrift vom 18. Oktober 2002, wurde ihr zur Last gelegt, am 29. Mai 2002 gemeinschaftlich mit dem - inzwischen als Alleintäter rechtskräftig verurteilten - A.G. in Bramsche dessen Bekannten D.K. ermordet zu haben.

2

Mit Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 4. Juni 2004 wurde die Angeklagte freigesprochen, weil die Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte dafür ergeben hatte, dass sie die Tat begangen hatte oder an ihr beteiligt war. In diesem Urteil hat das Landgericht zugleich angeordnet, dass eine Entschädigung der Freigesprochenen für die erlittene Untersuchungshaft gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 (ersichtlich gemeint: Nr. 1) StrEG nicht stattfinde, weil sie nachträglich über die von Grube begangene Tötung informiert gewesen sei, ihr Wissen aber nicht offenbart habe, sondern sich durch ihr eigenes Verhalten und ihre widersprüchlichen Aussagen so sehr verdächtig gemacht habe, dass die Untersuchungshaft angezeigt gewesen sei; die Verbüßung der Untersuchungshaft sei jedenfalls wesentlich darauf zurückzuführen, dass die Freigesprochene die Täterschaft des Angeklagten Grube verschwiegen habe.

3

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Freigesprochene mit der sofortigen Beschwerde.

4

Das Rechtsmittel ist nach § 8 Abs. 3 StrEG statthaft und auch in zulässiger Weise eingelegt worden. Es ist in der Sache begründet. Ein Grund zur Versagung der Entschädigung für die von der Freigesprochenen erlittene Untersuchungshaft besteht nicht.

5

Eine Entschädigung ist nicht nach dem - vom Landgericht nicht erwähnten - § 5 Abs. 2 StrEG ausgeschlossen, weil die Freigesprochene ihre Untersuchungshaft vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätte. Für die Entscheidung über den Erlass des Haftbefehls und die Fortdauer der Haft war das aktive Verhalten der Freigesprochenen ohne erhebliche Bedeutung. Tragender Grund für die Beantragung, den Erlass und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls waren vielmehr objektive Umstände (s.u.), die den dringenden Verdacht ergaben, die Freigesprochene sei an dem Tötungsdelikt beteiligt gewesen.

6

Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann von einer Entschädigung auch nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG abgesehen werden. Eine falsche Selbstbelastung im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht vor. Die Freigesprochene hat eine Tatbeteiligung stets verneint. Als Grund für eine Versagung der Haftentschädigung kommt deshalb nur die zweite Alternative der genannten Vorschrift, ein Verschweigen wesentlicher entlastender Umstände, in Betracht. Das Landgericht stützt die Versagung der Entschädigung insoweit auf seine Überzeugung, die Freigesprochene, die widersprüchliche Angaben gemacht habe, habe die ihr bekannte Täterschaft des Verurteilten Grube verschwiegen. Ein solches Verhalten stellte zwar ein Verschweigen entlastender Umstände im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG dar. Es kann nach den Umständen des Falles aber ausgeschlossen werden, dass die Freigesprochene hierdurch ihre Untersuchungshaft veranlasst hat, was weitere Voraussetzung für eine Versagung von Haftentschädigung wäre.

7

Der dringende Tatverdacht gegen die Freigesprochene ist im Haftbefehl, in der Anklageschrift und in den Haftfortdauerentscheidungen im wesentlichen mit von ihr stammenden Zellspuren an der Kleidung und am Körper des Getöteten begründet worden. Bei dieser Sachlage wäre die Untersuchungshaft aller Voraussicht nach auch dann fortgeführt worden, wenn die Freigesprochene angegeben hätte, sie habe nachträglich von der Tatbegehung durch A.G. Kenntnis erhalten. Der Wert des gegen sie sprechenden Sachbeweises der Zellspuren wäre hierdurch in keiner Weise gemindert worden. Gerade auch wegen der mehrfachen widersprüchlichen Angaben der Freigesprochenen wäre deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit ein dringender Tatverdacht weiterhin bejaht worden, auch wenn die Freigesprochene eine Täterschaft G. angegeben hätte. Dies gilt umso mehr, als die Richtigkeit einer solchen Angabe sich im wesentlichen nur durch eine bestätigende Aussage G. hätte erhärten lassen können, der seine Täterschaft aber stets abstritt und später sogar seinerseits die Freigesprochene der Alleintäterschaft bezichtigte. Es lässt sich mithin nicht die für eine Versagung der Haftentschädigung erforderliche positive Feststellung treffen, die Freigesprochene habe ihre Untersuchungshaft durch Verschweigen entlastender Umstände selbst veranlasst.

8

Sie ist deshalb nach den Vorschriften des StrEG für die von ihr erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen.

9

Die Kostenentscheidung entspricht § 467 StPO.