Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.11.2000, Az.: SS 306/00 (I 164)
Behandlung einer durch das Ausscheiden des Vorsitzenden Richters einer Strafkammer entstandenen Vakanz; Rechtfertigung der Nichtbesetzung einer Vakanz mit einer sich aus der Sache ergebenden Unvermeidbarkeit; Ordnungsmäßigkeit der Besetzung einer Strafkammer
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 15.11.2000
- Aktenzeichen
- SS 306/00 (I 164)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 31876
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2000:1115.SS306.00I164.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- StA Oldenburg - AZ: 150 Js 45652/99
Rechtsgrundlagen
- § 21e Abs. 3 GVG
- § 21f GVG
Fundstelle
- StV 2003, 12
In dem Strafverfahren
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 15. November 2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgerichts ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 12. Strafkammer (kleine Strafkammer) des Landgerichts Oldenburg mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese hat auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und eine Sperrfrist von zwei Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gegen ihn festgesetzt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass es unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Leer vom 08. Dezember 1999 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten erkannt und die Sperrfrist beibehalten hat. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Das erkennende Gericht war bei der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten nicht vorschriftsmäßig besetzt.
Die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung ist in zulässiger Form mit der Revisionsbegründung erhoben worden. Die Rügepräklusion des § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 StPO gilt nicht bei der Entscheidung durch das Landgericht als Berufungsgericht, § 222 a StPO.
An der Berufungsentscheidung der 12. Strafkammer des Landgerichts vom 14. Juli 2000 hat Richter am Landgericht S. als Vorsitzender mitgewirkt. Der Richter ist durch den zweiten Beschluss des Präsidiums des Landgerichts Oldenburg vom 25. Januar 2000 zur Übernahme des Vorsitzes der Strafkammer ab 01. Februar 2000 anstelle des aus Altersgründen am 31. Januar 2000 ausscheidenden Vorsitzenden Richters am Landgericht Z. bestimmt worden. Durch den achten Beschluss des Präsidiums vom 24. März 2000 ist klargestellt worden, dass Richter am Landgericht S. vertretungsweise mit dem Vorsitz der Kammer beauftragt wurde.
Im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vom 14. Juli 2000 dauerte die durch das Ausscheiden des Vorsitzenden Z. entstandene Vakanz in der Besetzung der 12. Strafkammer mit einem planmäßigen Vorsitzenden Richter an. Unter den vorliegenden Voraussetzungen ist dies nicht mehr mit § 21 f GVG vereinbar. Danach führen den Kammervorsitz der Präsident oder ein Vorsitzender Richter. Lediglich im Verhinderungsfall kann der Vorsitz einer Kammer durch ein vom Präsidium bestimmtes Mitglied des Spruchkörpers oder eines anderen Spruchkörpers geführt werden, §§ 21 f Abs. 2; 21 e Abs. 3 GVG. Diese Regelungen sind auch bei Vakanz im Amt des Vorsitzenden anzuwenden, vgl. Kissel, GVG, 2. Aufl., RdN. 15 zu § 21 f. Immer aber ist die Vertretung nach Sinn und Zweck der Regelung des § 21 f GVG, vgl. dazu BGHSt 21, 131, 133 [BGH 09.09.1966 - 4 StR 226/66], nur bei einer vorübergehenden Verhinderung in der ordnungsgemäßen Besetzung eines Spruchkörpers möglich. Wann von einer vorübergehenden Verhinderung im Vorsitz ausgegangen werden kann, hängt von den dafür maßgeblichen Umständen ab.
Das Bundesverfassungsgericht hat herausgestellt, dass die Nichtbesetzung einer Vakanz nur mit einer sich aus der Sache ergebenden Unvermeidbarkeit gerechtfertigt werden kann, BVerfGE 18, 423, 426 [BVerfG 30.03.1965 - 2 BvR 341/60]. Das Merkmal vorübergehende Verhinderung kann demgemäß nicht allein von einem zeitlichen Moment her bestimmt werden. Folgt man allerdings dem BGH in JR 1986, 66, in einem vergleichbaren Fall bei der Besetzung eines Zivilsenats bei einem Oberlandesgericht mit einem Vorsitzenden ist ein zeitlicher Spielraum nur in geringem Maße vorhanden. Der Bundesgerichtshof geht bei einem Abgang aus Altersgründen von einer unverzüglich möglichen Wiederbesetzung der Stelle aus. Dem folgt der Senat nicht uneingeschränkt. Auch bei der Besetzung von aus Altersgründen freiwerdenden Stellen von Vorsitzenden kann sich eine nicht vermeidbare Verzögerung im Besetzungsverfahren ergeben, die zu einer Verhinderung über mehrere Monate führen kann. Der Konkurrentenstreit sei hier beispielsweise erwähnt.
Von derartigen Verzögerungen kann unter den hier vorliegenden Voraussetzungen jedoch nicht ausgegangen werden. Nach Auskunft des Präsidenten des Landgerichts ist die infolge des Ausscheidens des Vorsitzenden Richters Z. freigewordene Stelle neben einer weiteren Stelle eines Vorsitzenden Richters im März 2000 wieder besetzt worden. Zu dieser Zeit waren allerdings durch das krankheitsbedingte vorzeitige Ausscheiden des Vorsitzenden Richters W. am 29. Februar 2000 drei Vakanzen im Vorsitz bei dem Landgericht vorhanden. Den beiden Ernennungen standen demgemäß drei Vakanzen gegenüber. Das Präsidium des Landgerichts hat es in dieser Situation aus sachlichen Gründen für erforderlich gehalten, den durch das Ausscheiden des Vorsitzenden W. freigewordenen Vorsitz in einer Zivilkammer einen der im März 2000 ernannten neuen Vorsitzenden zu übertragen. Die Gründe dafür lagen vor allem in dem aufgelaufenen Bestand der Zivilkammer sowie darin, eine sich abzeichnende Rotation bei der Besetzung später weiter freiwerdender Vorsitzendenstellen zu vermeiden.
Der Senat hält diese Handhabung grundsätzlich mit § 21 f GVG nicht für vereinbar. Die Voraussetzungen für die Annahme einer vorübergehenden Verhinderung im Vorsitz der Strafkammer lagen nach der Besetzung der durch das altersgemäße Ausscheiden des Vorsitzenden Z. freigewordenen Stelle an sich nicht mehr vor. Die Verhinderung bestand vielmehr im Vorsitz der durch das plötzliche Ausscheiden des Vorsitzenden W. unvollständig gewordenen Zivilkammer. Die von dem Präsidenten des Landgerichts angeführten Sachgründe konnten unter dieser Voraussetzung bei Wahrung der Grundsätze des § 21 f GVG nicht dazu führen, weiter von einer andauernden vorübergehenden Verhinderung im Vorsitz der 12. Strafkammer auszugehen, zumal mit einer kurzfristig anstehenden Neubesetzung der durch das Ausscheiden des Vorsitzenden W. freigewordenen Stelle nicht zu rechnen war. Bekanntlich nimmt das Verfahren bei der Besetzung plötzlich freiwerdender Stellen erhebliche Zeit in Anspruch. Auch ein Zuwarten auf die Besetzung weiterer Ende Mai und Ende Juni freiwerdender Vorsitzendenstellen konnte es angesichts der strengen Grundsätze des § 21 f GVG unter den vorliegenden Umständen nicht rechtfertigen, dass der Vorsitz der 12. Strafkammer nach dem Ausscheiden des Vorsitzenden Z. am 31. Januar 2000 noch am 14. Juli 2000 vertretungsweise besetzt war. Notfalls ist es erforderlich, dass ein Vorsitzender Richter mehrere Kammern führt, vgl. OLG Frankfurt MDR 1978, 162.