Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 17.10.2022, Az.: 9 U 9/22

Elektronischer Rechtsverkehr; Anwaltssoftware; Kanzleisoftware; Software; beA; EGVP; besonderes elektronisches Anwaltspostfach; gerichtliche elektronische Eingangsbestätigung; Eingangsbestätigung; Berufungsbegründungsfrist; Versäumung; Wiedereinsetzung; fristwahrend; fristgebunden; anweisen; Empfänger; Empfangsgericht; Versendung; prüfen; überprüfen; Adresse; abgleichen; Fax

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
17.10.2022
Aktenzeichen
9 U 9/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 65101
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 30.12.2021 - AZ: 6 O 2527/21

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Verwendung einer Software für Rechtsanwaltskanzleien, bei der die Gerichtsadressen und Gerichtsdaten hinterlegt sind und die automatisch durch Anklicken der Auswahloption "erste Instanz" bzw. "zweite Instanz" den Empfänger im elektronischen Rechtsverkehr bestimmt, rechtfertigt ohne Weiteres keine Wiedereinsetzung in eine Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, die durch das versehentliche Anklicken der Auswahloption "erste Instanz" eingetreten ist.

  2. 2.

    Erstellt der Rechtsanwalt den fristwahrenden Schriftsatz unter eigener Einfügung der korrekten Adresse des Empfangsgerichts, schließt und authentifiziert er diesen Schriftsatz in elektronischer Form mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur, "gibt" er ihn sodann seiner Kanzleimitarbeiterin zum Versand per besonderem elektronischen Anwaltsfach (beA), so entspricht deren manuelle Auswahl "I. Instanz" oder "II. Instanz" im Menü der Anwaltssoftware der Auswahl der Faxnummer zur Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Fax; die Sorgfaltsanforderungen gelten entsprechend.

  3. 3.

    Soll ein von einem Rechtsanwalt qualifiziert elektronisch signierter fristgebundener Schriftsatz von seiner Kanzleimitarbeiterin an ein Gericht versendet werden, ist sie entsprechend der Übertragung per Fax konkret generell oder einzeln (mindestens) dazu anzuweisen, die nach der beA-Versendung erhaltene gerichtliche elektronische Eingangsbestätigung insbesondere auch darauf zu überprüfen, ob diese von demjenigen Gericht stammt, welches der Rechtsanwalt in seinem qualifiziert signierten Schriftsatz selbst ausgewählt hat, indem sie beides miteinander abgleicht.

In dem Rechtsstreit
des Herrn Rechtsanwalt J. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Y. Transporte und Logistik e. K., , ,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
J. Rechtsanwälte, , ,
Geschäftszeichen:
gegen
die C. GmbH, vertreten durch die Geschäftsführung, , ,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
W. Rechtsanwälte,
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brand, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer-Altmann und die Richterin am Landgericht Borggrefe am
17. Oktober 2022 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Der Antrag des Klägers vom 8.3.2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

  2. II.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 30.12.2021 - 6 O 2527/21 - wird als unzulässig verworfen.

    Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

  3. III.

    Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 90.700,16 € festgesetzt.

Gründe

Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht begründet (A.). Die Berufung ist unzulässig, weil der Kläger sie nicht innerhalb der dafür geltenden gesetzlichen Notfrist begründet hat (B.).

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist war zurückzuweisen, weil der Kläger die Berufungsbegründung aufgrund eines ihm zuzurechnenden Verschuldens seines Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) nicht binnen der zweimonatigen Frist nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils (§ 520 Abs. 2 Satz 1, 1. Hs. ZPO) bei Gericht eingereicht hat. Demzufolge war die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2, 3 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

A.

Im Einzelnen:

I.

Das von dem Kläger teilweise - und zwar soweit darin die Beklagte nicht zumindest zur Zahlung von 90.700,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.8.2020 verurteilt worden ist - angefochtene Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 30.12.2021 - 6 O 2527/21 - ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4.1.2022 zugestellt worden (Bl. 370 d.A.). Die Berufung hat der Kläger fristgerecht am 2.2.2022 eingelegt. Die Frist für die Einreichung der Berufungsbegründung von zwei Monaten, § 520 ZPO, lief am Freitag, 4.3.2022 ab. Beim Oberlandesgericht Braunschweig ist die Berufungsbegründung des Klägers vom 4.3.2022 erst am 7.3.2022 (Bl. 408ff. d.A.) eingegangen, zuvor - ebenfalls über das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) - am 4.3.2022 um 16:59 Uhr lediglich beim Landgericht Braunschweig (Bl. 447ff. d.A.).

Zur Begründung seines anwaltlich versicherten Wiedereinsetzungsgesuchs vom 8.3.2022 (Bl. 438 ff. d.A.) nebst eidesstattlicher Versicherung der Mitarbeiterin H. (Bl. 441 d.A.) hat der Kläger vorgetragen, die Kanzleimitarbeiterinnen seines Prozessbevollmächtigten seien durch generelle Instruktion in der Kanzlei gehalten, die Fristen der ihnen zugeteilten Akten und das zuständige Gericht zu kontrollieren. Es habe die allgemeine Kanzleianweisung bestanden, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig sowie an den richtigen Empfänger erfolgt sei, und die Fristen im Fristenkalender erst anschließend zu streichen. Außerdem habe Frau Rechtsanwältin G. am Freitag, den 4.3.2022 um kurz nach 16:00 Uhr nochmals in Textform über das Anwalts Textverarbeitungsprogramm A. die Mitarbeiterin H. angewiesen, den Schriftsatz an das Oberlandesgericht zu senden, nachdem beide wegen der ablaufenden Frist kurz zuvor telefoniert hätten. Bei der Versendung habe die Mitarbeiterin H. am 4.3.2022 gegen 17:00Uhr, wie dies die bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eingesetzte Anwaltssoftware vorsehe, vor der Versendung als Empfänger die II. Instanz ausgewählt. In dem Programm seien die betreffenden Gerichte mit Adressen hinterlegt und würden durch die manuelle Auswahl der Instanz automatisch durch das Programm ausgewählt. Aus ungeklärten Gründen habe die Anwaltssoftware A. aber die Adresse des erstinstanzlichen Landgerichts "gezogen". Die Mitarbeiterin H. habe nach dem elektronischen Versand am 4.3.2022 lediglich kontrolliert, ob der Versand per beA gelungen sei, jedoch übersehen, dass der Schriftsatz an das Landgericht gegangen sei. Dieser oder ein ähnlicher Fehler sei der Mitarbeiterin H. in über 8-jähriger Tätigkeit noch nie zuvor unterlaufen, obwohl die Kanzlei das beA schon seit Jahren nutze. Technische Fehler mit der Anwaltssoftware seien trotz jahrelanger Verwendung bislang nicht vorgekommen. Diese habe bisher immer das richtige Gericht für den beA-Versand ausgewählt. Selbstverständlich sei nach dem misslichen Vorkommnis sofort die generelle Weisung an alle Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter erteilt worden, vor jedem Versand sorgfältig zu kontrollieren, ob das Softwareprogramm A. tatsächlich das zutreffende Gericht ausgewählt habe. Bei der Angestellten Frau Nadja Hoffmann handele es sich um eine geschulte und zuverlässige Büromitarbeiterin, die, wie regelmäßige Kontrollen des Prozessbevollmächtigten des Klägers ergeben hätten, den Kalender seit über 8 Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt habe.

In ihrer Erwiderung vom 11.4.2022 (Bl. 481 ff. d.A.) führt die Beklagte aus, zur Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA habe ein Rechtsanwalt das zuständige Personal dahingehend anzuweisen, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren sei. Dabei habe der Rechtsanwalt zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen. Der Rechtsanwalt müsse durch eine Organisationsanweisung oder durch eine konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass jeder fristgebundene Schriftsatz an den richtigen Adressaten gesandt werde, was dann später anhand von Prüfprotokoll und Eingangsbestätigung noch einmal zu kontrollieren sei. Der Kläger habe selbst vortragen lassen, dass erst nach dem misslichen Vorkommnis die generelle Weisung an alle Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter ergangen sei, vor jedem Versand sorgfältig zu kontrollieren, ob das Softwareprogramm tatsächlich das zutreffende Gericht ausgewählt habe. Nach eigenem Vortrag des Klägers sei somit weder vor dem Versand noch danach hinreichend sichergestellt gewesen und kontrolliert worden, dass der Versand auch an das richtige Gericht erfolgt sei. Die mit dem Versand beauftragte Rechtsanwaltsfachangestellte habe nach dem Versand die richtige Adressierung zu überprüfen. Dies sei nicht geschehen. Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers entsprechende Anordnungen erteilt worden wären, welche die vorgenannten Überprüfungen sicherstellten, sei nicht ersichtlich. Solches lasse sich der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages und auch der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin H. vom 8.3.2022 nicht entnehmen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wiederholt hierzu im Schriftsatz vom 4.5.2022 (Bl. 568ff. d.A.) sein bisheriges Vorbringen und führt außerdem aus, es sei zu betonen, dass bei der Einlegung der Berufung die Software "sich ja automatisch das Oberlandesgericht nachweislich selbstständig ,gezogen' hatte, weshalb die Kanzleiangestellte, Frau H., kaum Grund hatte, misstrauisch zu sein".

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 8.3.2022 nebst Anlage (Bl. 438-441 d.A.), den Schriftsatz der Beklagten vom 11.4.2022 (Seite 1-6 = Bl. 481-486 d.A.) und den Schriftsatz des Klägers vom 4.5.2022 (Bl. 568-570 d.A.) Bezug genommen.

II.

Der gemäß § 234 Abs. 1, 2 ZPO rechtzeitig gestellte Antrag des Klägers, ihm wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, hat keinen Erfolg. Der Kläger hat weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihn an der Fristversäumnis kein Verschulden trifft, § 233 ZPO. Vielmehr muss sich der Kläger ein nicht ausgeräumtes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen:

1.

Die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Einlegung eines Rechtsmittels setzt voraus, dass die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig hergestellt und innerhalb der Frist bei Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Anwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen (vgl. BGH NJW 2002, 1577 [BGH 07.03.2002 - IX ZB 11/02]). Ferner obliegt dem Prozessbevollmächtigten eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Er hat sicherzustellen, dass eine Frist im Fristenkalender erst dann als erledigt gekennzeichnet wird, wenn der Schriftsatz abgesandt oder zumindest postfertig gemacht ist (vgl. BGH NJW 2000, 1957). Die Führung des Fristenkalenders kann dabei der Rechtsanwalt seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen (vgl. BGH NJW 2000, 3649 [BGH 21.09.2000 - IX ZB 67/00]).

2.

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA entsprechen denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (BGH, Beschluss vom 14.2.2022 - VIa ZB 6/21, Rn. 11, juris). Auch hier ist es unerlässlich den Versandvorgang zu überprüfen (BGH, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 11.5.2021 - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201, Rn. 21 mwNw).

a)

Ein Rechtsanwalt, der unter Einschaltung seines Büropersonals fristgebundene Schriftsätze per Telefax einreicht, ist verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (BGH, Beschl. v. 31.3.2010 - XII ZB 166/09 = FamRZ 2010, 879, hier zit. n. juris, Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413; vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - NJW 2008, 2508, 2509 und vom 11. November 2009 - XII ZB 117/09 - juris, Tz. 6; BGH, Beschlüsse vom 26. September 2006 - VIII ZB 101/05 - NJW 2007, 996, 997; vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - NJW 2007, 1690, 1691; vom 20. November 2007 - XI ZB 30/06 - juris, Tz. 5 und vom 11. März 2004 - IX ZR 20/03 - BGH-Report 2004, 978). Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle der Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird, um Fehler bei der Eingabe, der Ermittlung der Faxnummer oder deren Übertragung in den Schriftsatz feststellen zu können (BGH, Beschl. v. 31.3.2010 - XII ZB 166/09 = FamRZ 2010, 879, hier zit. n. juris, Rn. 9; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413; BGH Beschluss vom 4. April 2007 - III ZB 109/06 - NJW-RR 2007, 1429, Tz. 8). Erst nach der Überprüfung, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Adressaten erfolgt ist, darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschl. v. 31.3.2010 - XII ZB 166/09 = FamRZ 2010, 879, hier zit. n. juris, Rn. 9; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - NJW 2008, 2508, Tz. 11 m.w.N.). Hierzu sind die Kanzleimitarbeiter büroorganisatorisch durch den Rechtsanwalt im Wege einer allgemeinen Anweisung anzuhalten (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04, hier zit. n. juris, Rn. 6f., 12). Dabei bedarf es der Anweisung, einen Abgleich der auf dem Sendeprotokoll ausgedruckten Faxnummer noch einmal anhand einer zuverlässigen Quelle auf ihre Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen (BGH NJW 2020, 122, 123; 2016, 3667, 3668 [BGH 26.07.2016 - VI ZB 58/14]).

b)

Bei der Versendung per beA ist die entsprechende Überprüfung durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung (§ 130a Abs. 5 ZPO) vorzunehmen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 4. Oktober 2019 - 2 U 117/19, Rn. 11, juris; vgl. Kulow BRAK-Mitteilungen 2019, 2, 5). Seit dem 1. Januar 2018 ist der Versand einer automatisierten Eingangsbestätigung durch das Gericht aufgrund des Verweises auf § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO gesetzliche Pflicht. Diese muss den Zeitpunkt des Eingangs mitteilen. Sobald eine an das Gericht versendete Nachricht auf dem in dessen Auftrag geführten Server eingegangen ist, schickt dieser automatisch dem Absender eine Bestätigung über den Eingang der Nachricht, woran sich mit der Einführung des beA nichts geändert hat; die Eingangsbestätigung wird vom EGVP an das beA versandt. Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (OLG Saarbrücken, Urteil vom 4. Oktober 2019 - 2 U 117/19, Rn. 11, juris; BT-Drucksache 17/12634, S. 26; vgl. von Selle in: BeckOK ZPO, Stand: 1.7.2019, § 130a, Rn. 22 ff; Pabst in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl., § 14, Rn. 26).

c)

Übertragen auf die vorliegende Fallkonstellation bedeuten folglich diese Grundsätze: Erstellt der Rechtsanwalt den fristwahrenden Schriftsatz unter eigener Einfügung der korrekten Adresse des Empfangsgerichts, schließt und authentifiziert er diesen Schriftsatz in elektronischer Form mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur, "gibt" er ihn sodann seiner Kanzleimitarbeiterin zum Versand per beA, so entspricht deren manuelle Auswahl "I. Instanz" oder "II. Instanz" im Menü der Anwaltssoftware A. der Auswahl der Faxnummer zur Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Fax. Denn bei beiden Übermittlungswegen trifft die Mitarbeiterin eine Auswahl, die sie sodann manuell umsetzt, wodurch anschließend der technische Übermittlungsvorgang ausgelöst wird. Per Fax wie hier per beA kann es sowohl in der Auswahlentscheidung, als auch in der manuellen Eingabe sowie noch bei der technischen Übertragung zu Fehlern kommen. Mithin ist evident die versendende Kanzleimitarbeiterin entsprechend der Übertragung per Fax konkret generell oder einzeln (mindestens) dazu anzuweisen, die nach der beA-Versendung erhaltene gerichtliche elektronische Eingangsbestätigung insbesondere auch darauf zu überprüfen, ob diese von demjenigen Gericht stammt, welches der Rechtsanwalt in seinem qualifiziert signierten Schriftsatz selbst ausgewählt hat, indem sie beides miteinander abgleicht.

Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine solche generelle oder einzelne Anweisung der Mitarbeiterin H. erteilt hat, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es ist bereits weder ansatzweise vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass es eine Anweisung gibt, wie die Überprüfung, ob der Schriftsatz per beA an den richtigen Empfänger übersandt worden ist, anhand der Eingangsbestätigung vorgenommen werden soll. Unabhängig davon ist auch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass eine Durchführung der Überprüfung von Eingangsbestätigungen durch Stichproben überprüft worden ist. Darauf hat auch die Beklagte in ihrer Erwiderung vom 11.4.2022 hingewiesen (vgl. Seite 3 = Bl. 483 d.A.). Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers stattdessen vorgetragenen regelmäßigen anwaltlichen Kontrollen, wonach die Mitarbeiterin H. "den Kalender" seit über 8 Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt habe (Schriftsatz vom 8.3.2022, Seite 3 = Bl. 440 d.A.), lässt keine stichprobenartige Kontrolle erkennen, wie und ob überhaupt die Eingangsbestätigungen von der Mitarbeiterin überprüft wurden.

3.

Die Nachholung der fehlenden Angaben nach Ablauf der Frist des § 234 ZPO ist nicht möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 5.10.1999 - VI ZB 22/99, NJW 2000, 365, 366).

Es fehlt in dem vorgenannten Umfang an einer geschlossenen Sachverhaltsdarstellung der Büroorganisation und/oder einer entsprechenden Einzelanweisung. Die Schilderung des Klägers vermeidet es, die entscheidenden Punkte anzusprechen. Daran ist er festzuhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 21.2.2002 - IX ZA 10/01, Rn. 14, juris). Da die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundene Schriftsätzen per beA den bekannten Sorgfaltspflichten bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen, was auch obergerichtlich bereits seit langem geklärt ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 31. März 2022 - 11 ZB 22.39 -, Rn. 4, juris OVG RP, B.v. 14.10.2021 - 8 B 11187/21 - juris Rn. 11; BGH, B.v. 11.5.2021 - VIII ZB 9/20 - NJW 2021, 2201 = juris Rn. 21; OVG Bln-Bbg., B.v. 11.11.2020 - 6 S 49/20 - juris Rn. 8; OVG SH, B.v. 4.8.2020 - 5 MB 20/20 - juris Rn. 5; VerfGH RP, B.v. 24.9.2019 - VGH B 23/19 - NJW 2020, 604 [VerfGH Rheinland-Pfalz 24.09.2019 - VGH B 23/19] = juris Rn. 8; BAG, B.v. 7.8.2019 - BAGE 167, 221 [BAG 07.08.2019 - 5 AZB 16/19] = juris Rn. 20; BayLSG, B.v. 3.1.2018 - L 17 U 298/17 - NJW-RR 2018, 1453 [LSG Bayern 03.01.2018 - L 17 U 298/17] = juris Rn. 16; OVG RP, U.v. 27.8.2007 - 2 A 10492/07 - NJW 2007, 3224 [OVG Rheinland-Pfalz 27.08.2007 - 2 A 10492/07.OVG] = juris Rn. 24; Weth in Ory/Weth, jurisPK-ERV Bd. 2, Stand 28.3.2022, Rn. 312.1), bedurfte es auch keiner weiteren Hinweise (vgl. BGH, Beschluss vom 14.2.2022 - VIa ZB 6/21, Rn. 10, juris). Unabhängig davon gilt das vorliegend auch deshalb, weil bereits die Beklagte zutreffend und ohne erkennbare Missverständnisse des Klägers auf die oben genannten Defizite in der klägerischen Sachverhaltsdarstellung zu hinreichenden Wiedereinsetzungsgründen hingewiesen hat (vgl. BGH NJW 2007, 759 [BGH 22.11.2006 - VIII ZR 72/06]; BGH NJW-RR 2008, 581, 582 [BGH 20.12.2007 - IX ZR 207/05]).

B.

Da demnach mangels zu gewährender Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Frist zur Vorlage der Berufung versäumt worden ist, war die Berufung gem. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

C.

Die Kostenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Einer eigenen Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Berufungsentscheidung bedarf es nicht. Die Vollstreckbarkeit folgt unmittelbar aus dem Gesetz, § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Die Regelung des § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO, wonach in Zurückweisungsbeschlüssen nach § 522 Abs. 2 ZPO die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils ohne Sicherheitsleistung auszusprechen ist, gilt nicht für Verwerfungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 1 ZPO (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Februar 2020 - 10 U 19/19, Rn. 32, juris; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.8.1993 - IV ZB 14/93, juris).

Der Streitwert war gem. §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3, 511 Abs. 2 ZPO auf den Betrag der im Berufungsrechtszug streitigen Forderung festzusetzen.

Brand
Dr. Schäfer-Altmann
Borggrefe