Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 20.05.1966, Az.: 3 U 13/66

Entfallen der Haftung des Haftpflichtversicherers , wenn der Geschädigte von einem anderen Versicherer, auch Sozialversicherer, schadlos gestellt wird; Haftung des Haftpflichtversicherer gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn des geschädigten Beamten, auf den dessen Schadensersatzansprüche übergegangen sind; Obliegenheit eines geschädigten Dritten, seinerseits dem Versicherer die gerichtliche Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs unverzüglich schriftlich anzuzeigen ; Unterrichtungspflichten des Dritten gegenüber dem Versicherer, der sich trotz Kenntnis nicht in den Hfatpflichtprozess eingeschaltet hat; Bindung einer rechtskräftige Entscheidung im Haftpflichtprozeß für eine Deckungsklage

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
20.05.1966
Aktenzeichen
3 U 13/66
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1966, 10951
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1966:0520.3U13.66.0A

Verfahrensgang

vorgehend
Landgericht ... - 25.11.1965 - AZ: 4 O 134/65

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz nach Verkehrsunfall in Verbindung mit § 158 c VVG

Redaktioneller Leitsatz

Die Haftung des Haftpflichtversicherers entfällt nur insoweit, als der Geschädigte von einem anderen Versicherer, auch Sozialversicherer, schadlos gestellt wird. Dagegen haftet der Haftpflichtversicherer auch dem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn des geschädigten Beamten, auf den dessen Schadensersatzansprüche übergegangen sind.

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 5. April 1966
durch
die Oberlandesgerichtsräte ... und
... und
Landgerichtsrat ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts ... vom 25. November 1965 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsrechtszuges zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin hat ... dem bei einem Verkehrsunfall am 6. Mai 1962 verletzten ... aus Braunschweig nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfe-Gesetzes vom 30.6.1961 (BGBl. I/815) Sozialhilfe gewährt.

2

Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des ... aus, der Halter und Fahrer des - am Unfall beteiligten Kraftfahrzeuges war.

3

Zur Zeit des Unfalls ruhte der Versicherungsvertrag ... hatte der Beklagten am 8.12.1961 einen Abmeldeschein des Landkreises ... vorgelegt, aber erst nach dem Unfall am 19.7.1962 angezeigt, der Wagen sei wieder in Betrieb genommen worden. Die Beklagte hat daraufhin ihrem Versicherungsnehmer ... mit Schreiben vom 23.10.1963 mitgeteilt, daß sie für den fraglichen Verkehrsunfall von der Verpflichtung zur Leistung frei sei. Von der Möglichkeit, innerhalb einer Ausschlußfrist von 6 Monaten gegen den Haftpflichtversicherer Klage auf Deckung zu erheben, hat ... keinen Gebrauch gemacht.

4

Mit Überleitungsanzeige vom 21.8.1963 hat, die Klägerin zunächst ... und mit einer weiteren Anzeige vom 12.12.1963 ihm und auch der Beklagten die nach § 90 des Bundessozialhilfe-Gesetzes zum Forderungsübergang auf sie erforderlichen Mitteilungen gemacht (Fotokopien Bl. 32-36 d.A.).

5

Da die Beklagte nicht bereit war, die der Klägerin aus der Gewährung von Sozialhilfe an ... entstandenen Aufwendungen zu ersetzen, hat die Klägerin mit einem am 3.5.1964 beim Landgericht ... eingegangenen Schriftsatz gegen ... Klage eingereicht und unter dem 6.5.1964 an die Beklagte folgendes Schreiben gerichtet (Fotokopie Bl. 24 i.A.):

"Betreff: Schadensersatzanspruch im Falle des geboren 25.5.1901, wohnhaft ... ihr Zeichen: KHS 5 O 429/62

Sehr geehrte Herren!

Gemäß § 158 d VVG teilen wir Ihnen mit, daß wir gegen ... Klage eingereicht haben."

6

Klage und gleichzeitige Ladung zum Termin am 16.9.1964 sind am 13.5.1964 zugestellt worden (Bl. 7 der Beiakten 5 O 119/64 LG ...) hat in jenem Rechtsstreit nicht vertreten lassen. Auf Antrag der Klägerin ist daraufhin am 16. September 1964 folgendes Versäumnisurteil ergangen:

"1.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.127,30 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.4.1964 zuzahlen.

2.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den aus dem Unfall des Herrn ... vom 6.5.1962 entstandenen Schaden zu 50 % zu ersetzen, soweit die Klägerin Herrn ... in der Zeit vom 1.5.64 bis 31.5.1966 Sozialhilfe nach Maßgabe des Bundessozialhilfegesetzes gewährt und der Schadensersatzanspruch des Verletzten an die Klägerin übergeleitet ist.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt."

7

Die, der Klägerin in diesem Rechtsstreit zu erstattenden Kosten sind auf insgesamt 258,65 DM nebst 4 %. Zinsen seit dem 17.9.1964 festgesetzt worden. Mangels Einspruchs ist dieses Urteil seit dem 11. November 1964 rechtskräftig.

8

Im Wege der Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil hat die Klägerin sodann die Forderung des Versicherungsnehmers ... gegen die Beklagte, aus dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverhältnis - pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen (Beiakten 9 M 1842/65 AG ...). Der Pfändungs- und Überweisungsbeschuß vom 3.7.1965 ist der Beklagten am 16.7.1965 zugestellt worden. An Kosten für diesen Beschluß sind der Klägerin 12,80 DM und für die Zustellung weitere 10,40 DM entstanden.

9

Die Klägerin meint, daß die Leistungsverpflichtung der Beklagten aus dem Haftpflichtversicherungsvertrage im Verhältnis zu dem bei dem Unfall geschädigten ... als Dritten bzw. zu ihr als dessen Rechtsnachfolgerin nach § 158 c VVG fortbestehe und daß sie (die Klägerin) der Beklagten gem. § 158 d VVG rechtzeitig von der gerichtlichen Geltendmachung der auf sie als Rechtsnachfolgerin des Geschädigten übergegangenen Ersatzansprüche Mitteilung gemacht habe.

10

Die Klägerin hat im ersten. Rechtszuge beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.409,15 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.4.1964 auf 1.127,30 DM, seit dem 17.9.1964 auf 258,65 DM - und seit dem 16.7.1965 auf 12,80 DM und 10,40 DM zu zahlen,

  2. 2.

    Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach Maßgabe des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrages zwischen und der Beklagten den weiteren Schaden zu ersetzen, der zunächst ... aus dem Unfall vom 6.5.1962 entstanden war, und soweit Ansprüche auf Grund der Überleitungsanzeigen vom 21.8. und 12.12.1963, des Urteils des Landgerichts ... vom 16.9.1964 - 5 O 119/64- und des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts ... vom 3.7.1965 - 9 M 1842/65- auf die Klägerin übergegangen sind.

11

Demgegenüber hat die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Sie meint, die Klägerin könne aus § 158 c VVG keine Rechte herleiten. Einerseits gehöre die Klägerin nicht zu dem in dieser Vorschriftgeschützten Personenkreis, zum anderen habe sie mögliche Ansprüche auf Deckung dadurch verloren, daß sie der Beklagten keine den Erfordernissen des § 158 d Abs. II VVG entsprechende Mitteilung von der Klageerhebung gegen ... gemacht habe. So fehle in jenem Schreiben vom 6.5.1964 der Hinweis, bei welchem Gericht die Klage erhoben und welcher Betrag mit der Klage geltend gemacht werde. Nach § 158 e VVG könne sich die Beklagte daher darauf berufen, daß sich ihre Haftung nach § 158 c VVG auf denjenigen Betrag beschränke, den sie auch bei gehöriger Erfüllung der der Klägerin obliegenden Verpflichtung zur Mitteilung der Klageerhebung zu leisten gehabt haben würde. Da ihr Versicherungsnehmer ... den Unfall aber weder verschuldet noch nach § 7 StVG haftpflichtig gewesen sei, weil es sich bei dem Unfall für ihn um ein unabwendbares Ereignis gehandelt habe, entfalle für sie jegliche Haftung; das insbesondere aber auch deshalb, weil die Klägerin das gegen ... ergangene Versäumnisurteil und dessen Rechtskraft arglistig und unter Verstoß gegen Treu und Glauben erwirkt habe.

13

Mit Urteil vom 25.11.1965 hat das Landgericht der Klage mit folgendem Urteilspruch stattgegeben:

"Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.409,15 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 1964 auf 1.127,30 DM, seit dem 17. September 1964 auf 258,65 DM und seit dem 16. Juli 1965 auf 12,80 DM und 10,40 DM zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach Maßgabe des zwischen der Beklagten und dem ... geschlossenen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrages den weiteren Schaden zu ersetzen, der dem Geschädigten ... aus dem Unfall vom 6. Mai 1962 entstanden ist, und zwar insoweit Ansprüche auf Grund der Überleitungsanzeigen vom 21.8. und 12.12.1963, des Urteils des Landgerichts ... vom 16.9.1964 - 5 O 119/64- und des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts ... vom 3.7.1965 - 9 M 1842/65- auf die Klägerin übergegangen sind."

14

Das Landgericht hat dazu ausgeführt, die Klägerin als die Rechtsnachfolgerin des beim. Unfall Geschädigten habe durch ihre Mitteilung vom 6.5.1964 der Beklagten in ausreichender Form die Möglichkeit gegeben, sich die Kenntnis über den Verlauf des Schadensersatzprozesses gegen ihren. Versicherungsnehmer ... selbst zu verschaffen, so daß die Beklagte nunmehr jenes rechtskräftige Versäumnisurteil gegen sich gelten lassen und die Klägerin nach § 158 c VVG entschädigen müsse.

15

Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des den Parteien bekannten Urteils vom 25.11.1965 Bezug genommen (Bl. 38 ff d.A.).

16

Gegen das am 6.1.1966. zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1.2.1966 Berufung eingelegt und diese am 7.2.1966 und damit rechtzeitig begründet. Unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechtszuge hat sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,

17

und hilfsweise,

ihr Vollstreckungsnachlaß gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.

18

Die Beklagte meint, das Landgericht habe die Bestimmung des § 158 d Abs. II VVG unrichtig interpretiert und bei seiner Würdigung zudem auch die Grundsätze von Treu und Glauben nicht beachtet.

19

Die Klägerin hat demgegenüber beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

20

Hinsichtlich, der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszuge wird auf den Inhalt der von ihnen in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, und zwar auf die Schriftsätze des Beklagten vom 29.1., 24.3. und vom 1.4.1966 (Bl. 53, 71, ,74 a.A.) und auf den Schriftsatz der Klägerin vom 15.3.1966 (Bl. 66 d.A.). Des weiteren haben die Parteien den Inhalt der Beiakten 5 O 119/64 LG ... und 9 M 1842/65 AG ... vorgetragen.

Entscheidungsgründe

21

Die Berufung der Beklagten ist, zulässig, jedoch nicht begründet.

22

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte gegenüber dem Versicherungsnehmer ... von ihrer Leistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag frei sei und daß demgemäß nur eine Haftung der Beklagten nach § 158 c VVG in Betracht komme. Insoweit wird die Entscheidung des Landgerichts von der Berufung der Beklagten auch nicht angegriffen.

23

Demgemäß geht der Streit der Parteien im Berufungsrechtszuge um die Frage,

24

ob sich auch die Klägerin als Träger der Sozialhilfe und insoweit als Rechtsnachfolgerin des Unfallgeschädigten darauf berufen kann, daß nach der Fiktion des § 158 c VVG die Haftung des im Verhältnis zum Versicherungsnehmer ... leistungsfreien Haftpflichtversicherers "in Ansehung des Dritten" bestehen bleibt,

25

ob die Klägerin mit ihrem Schreiben an die Beklagte vom 6.5.1964 ihrer Mitteilungspflicht nach § 158 d Abs. II VVG genügt hat und ob somit das im Schadensersatzprozeß gegen ... ergangene Versäumnisurteil ohne weitere Nachprüfung durch den Senat auch gegen die Beklagte wirkt, oder

26

ob sich die Beklagte mit Erfolg auf § 158 e VVG berufen und damit in ihrem Verhältnis zu der Klägerin eine entsprechende Nachprüfung des Schadensersatzprozesses verlangen kann.

27

I.

Nach Maßgabe der Überleitungsanzeigen vom 21.8. und 12.12.1963 sind Ersatzansprüche des Unfallgeschädigten ... gegen ... auf die Klägerin übergegangen (§ 90 Bundessozialhilfe-Gesetz). Damit ist die Klägerin insoweit auch "Dritter" im Sinne des § 158 o Abs. I VVG.

28

Es ist zwar richtig, daß die Haftung des Haftpflichtversicherers aus § 158 c insoweit entfällt, als der Geschädigte von einem anderen Versicherer -auch Sozialversicherer- schadlos gestellt wird. Insoweit ist für, die hier noch anzuwendende alte Fassung des § 158c VVG auf die ständige Rechtsprechung des BGH in BGHZ 7/244; 20/371; 25/322 und 25/330 zu verweisen.

29

Es bestehen jedoch grundlegende Unterschiede einerseits zwischen einem Versicherungsverhältnis, bei dem der Versicherer, und zwar auch der Sozialversicherungsträger, auf Grund des erhaltenen Entgelts dem Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalles für die damit verbundenen Nachteile einen von der Höhe des Entgelts mitbestimmten vermögensrechtlichen Ausgleich zu gewähren hat, und andererseits einem Verhältnis wie hier zwischen der ... als Träger der Sozialhilfe zu den von ihr Unterstützten.

30

Ein Träger der Sozialhilfe gewährt nicht, wie ein Sozialversicherungsträger, einen von der Höhe zuvor erhaltenen Entgeltes mitbestimmten Ausgleich. Er gewährt nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfe-Gesetzes vielmehr nur Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 1); nämlich nur dann, wenn der Unterstützungsbedürftige sich nicht selbst helfen lind die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen erhalten kann (§ 2). Bei den Leistungen eines Trägers der Sozialhilfe handelt es sich demnach stets nur um eine Fürsorge in Notfällen. Da diese Fürsorgeleistungen unter ganz anderen Gesichtspunkten gewährt werden als die Leistungen eines Sozialversichrungsträgers, können sie auch bei Anwendung des § 158 o VVG diesen nicht gleichgesetzt werden.

31

Der Bundesgerichtshof hat in einem in seinen Grundzügen ähnlichen Fall, in welchem die Bundespost und damit ein öffentlich-rechtlicher Dienstherr für eine bei einem Verkehrsunfall verletzte Beamtin Krankenhaus- und Arztkosten aufgewandt hatte, die Haftung des Haftpflichtversicherers aus § 158 c VVG ausdrücklich bejaht und in seinem Leitsatz in Ergänzung zu BGHZ. 25/322 ff hierzu gesagt (siehe BGHZ 25/330 ff): "Die Haftung des Haftpflichtversicherers aus § 158 c VVG entfällt nur insoweit, als der Geschädigte von einem anderen Versicherer -auch Sozialversicherer- schadlos gestellt wird. Dagegen haftet der Haftpflichtversicherer aus § 158 c VVG auch dem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn des geschädigten Beamten, auf den dessen Schadensersatzansprüche übergegangen sind."

32

Der Senat sieht auch in der Begründung dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. Seite 339 zu 3) keinen grundlegenden Unterschied zu dem vorliegenden Fall, in welchem ein Träger der Sozialhilfe ebenfalls in einem Notfall Fürsorgeleistungen erbracht hat.

33

Nun mag es die Beklagte unter Umständen zwar als unbillig ansehen, daß der unter den Voraussetzungen des Bundessozialhilfe-Gesetzes (vgl. §§ 4 u. 5) gesetzlich zur Gewährung von Sozialhilfe verpflichtete Träger sich im Gegensatz zum Sozialversicherer bei ihr als bei den an sich gar nicht leistungspflichtigen Haftpflichtversicherer nach § 158 c VVG "erholen kann". Dem könnte aber, wie der Bundesgerichtshof in jener Entscheidung ausgeführt hat, nur der Gesetzgeber durch eine über die Konkurrenz verschiedener Versicherungsansprüche hinausgehende, also die Vorschrift das § 158 c Abs. IV VVGüber die durch ihren Wortlaut und Zweck gesteckten Grenzen hinaus erheblich erweiternde Regelung abhelfen. Aber gerade das hat der Gesetzgeber, dem jene Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 17.10.1957 in BGHZ 25/322 ff und 330 ff (340) nicht unbekannt geblieben sein dürften, bisher nicht getan; er hat im Gegenteil bei der inzwischen in Kraft getretenen Änderung des § 158 o Abs. IV VVG durch das sog. Pflichtversicherungsgesetz vom 5.4.1965 (BGBBl. I/213) der hier entscheidenden Bestimmung lediglich die Worte: "... oder von einem Sozialversicherungsträger" hinzugefügt. Damit hat er also eine "erweiternde Regelung" in vorstehendem Sinne gerade nicht getroffen und sich damit jenen Erwägungen des Bundesgerichtshofs über den Zweck und den Sinn des § 158 c VVG angeschlossen.

34

Das Landgericht hat somit im Ergebnis zutreffend die ... als Trägerin gewährter Sozialhilfe als einen nach § 158 c VVG an Stelle des Verkehrsopfers berechtigten "Dritten" angesehen.

35

II.

Die Beklagte kann sich nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand mit Erfolg auch nicht auf § 158 e VVG und damit auf eine Beschränkung oder einen gänzlichen Fortfall ihrer Haftung berufen. Wie auch das Landgericht insoweit schon zutreffend ausgeführt hat, hat die Klägerin die ihr aus § 158 d Abs. II VVG obliegende Anzeigepflichten nicht verletzt.

36

Zu der Frage, wieweit derartige Anzeigepflichten gehen und welchen Sinn und Zweck sie haben, schließt sich der Senat den in der Rechtsprechung das Bundesgerichtshofs zu § 158 d Abs. II VVG herausgestellten Grundsätzen an (siehe hierzu insbesondere BGH in VersB 1956/707 u. 1959/256).

37

Der Sinn und Zweck der dem "Dritten" auferlegten Anzeigepflicht besteht allein darin, daß der Versicherer die Möglichkeit haben soll, sich rechtzeitig in den Haftpflichtprozeß einzuschalten, etwa noch notwendige Schadensfeststellungen zu treffen und unbegründete Ansprüche des Dritten abzuwehren.

38

Bei einem "kranken" Versicherungsverhältnis, bei dem der Versicherungsanspruch nach § 158 c Abs. I VVG nur noch in Ansehung des Dritten als bestehend gilt, hat der Versicherer nämlich sonst keine Gewähr, daß ihm die Erhebung der Schadensersatzklage gegen den Versicherungsnehmer sofort mitgeteilt wird. Vom Versicherungsnehmer selbst ist eine solche Anzeige nicht immer mit Sicherheit zu erwarten. Denn entweder beruht die Leistungsfreiheit des Versicherers im Verhältnis zum Versicherungsnehmer gerade darauf, daß dieser Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrage verletzt oder seinen Anspruch auf Versicherungsschutz bereits aus anderen Gründen eingebüßt hat. Dann besteht für ihn auch kein Anreiz mehr, seine Obliegenheiten im Hinblick auf diesen Schadensfall weiter zu erfüllen. Der Versicherer liefe also Gefahr, vom Haftpflichtprozeß erst dann zu erfahren, wenn eigene Feststellungen über den Schadensfall nicht mehr möglich oder in diesem späten Zeitpunkt nicht mehr verwertbar, rechts erhebliche Einwendungen abgeschnitten oder vermeidbare Kosten bereits entstanden sind.

39

Dieser Gefahr will § 158 d Abs. II VVG vorbeugen, indem er dem geschädigten Dritten die Verpflichtung auferlegt, seinerseits dem Versicherer die gerichtliche Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs unverzüglich schriftlich anzuzeigen und dadurch dessen rechtzeitige Unterrichtung, die für den Normalfall, d.h. bei einem voll wirksamen Deckungsverhältnis, regelmäßig schon durch die in § 153 Abs. IV VVG vorgeschriebene Anzeige des Versicherungsnehmers gewährleistet ist, auch für den Fall des § 158 c VVG sicherstellt. In diesem Schutz des Versicherers vor Überraschungen liegt der einzige Zweck der Vorschrift.

40

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesgerichtshof sogar dahin entschieden, daß der Haftpflichtversicherer, wenn er auf andere Weise rechtzeitig von der Erhebung der Haftpflichtklage erfährt, gegen den geschädigten Dritten keine Einwendungen daraus herleiten kann, daß dieser ihm die Erhebung der Klage nicht selbst angezeigt hat (BGH VersR 1956/707).

41

Es ist nun zwar richtig, daß das von der Geklagten in diesem Zusammenhang beanstandete Schreiben der Klägerin vom 6.5.1964 nicht auch die Angabe über den Tag der Klageerhebung, des Gerichts und der Höhe der gegen ... geltend gemachten Ansprüche enthielt. Der Senat verkennt auch keineswegs, daß ein derartiger Zusatz zur weiteren Klarstellung durchaus zweckmäßig gewesen wäre. Es mag auch sein, daß es in der eigenen Anwaltspraxis des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, wie dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, üblich ist, jener Mitteilung an den Haftpflichtversicherer zu gleich eine Abschrift der Klageschrift beizufügen. In einer derartigen Übung liegt zweifellos eine besonders klare und ausführliche Unterrichtung des Haftpflichtversicherers. Insgesamt erfüllte aber auch jene Mitteilung der Klägerin unter den Umständen des vorliegenden Falles noch die von der Rechtsprechung an eine derartige Mitteilung gestellten Anforderungen.

42

Zwischen der ... und der Beklagten hatten bereits Vorverhandlungen geschwebt, so daß die Beklagte aus jener Mitteilung eindeutig den Schadensfall erkennen konnte, zumal da jene Mitteilung auch das Bearbeitungszeichen der Beklagten enthielt.

43

Aus der auch der Beklagten zuvor zugegangenen Überleitungsanzeige vom 12.12.1963 war für die auch unschwer zu erkennen, in welchem Umfange die ... Ansprüche des Unfallgeschädigten auf sich übergeleitet und nunmehr aller Voraussicht nach eingeklagt hatte. Denn neben dem Rückstand von damals 626,70 DM waren bereits auch schon in jener Oberleitungsanzeige weitere laufende Ersatzansprüche für die Zeit nach dem 1.1.1964 angekündigt worden. Allein schon aus diesem Zusammenhang hätte die Beklagte erkennen können, welches Risiko zur Höhe für sie bestand, wenn sie sich nicht mit in den Haftpflichtprozeß einschalten würde.

44

Damit war für die Beklagte weiterhin auch unschwer zu erkennen, daß die Haftpflichtklage gegen ... mit Rücksicht auf einen aller Voraussicht nach den Betrag von 1.000,- DM übersteigenden Streitwert vor dem Landgericht ... erhoben worden war. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Beklagte, wie sie zu Bl. 18 d.A. behauptet hat, nach Eingang jener Anzeige vom 6.5.1964 zunächst bei dem Amtsgericht ... (Unfallort) und dem Amtsgericht ... (Wohnsitz des Beklagten ...) nach dem Eingang einer Klage erkundigt und "immer wieder die Auskunft erhalten hat, daß eine solche Klage nicht bekannt wäre". Denn ganz abgesehen davon, daß sich die Beklagte für diese von der Klägerin bestrittene Behauptung einen Beweis zwar "vorbehalten" (Bl. 18 d.A.), dann aber nicht mehr angetreten hat, hätte nach den gesamten Umständen für die Beklagte doch nichts näher gelegen, als durch eine kurze Rückfrage oder durch einen Anruf bei dem Sachbearbeiter der Klägerin innerhalb kürzester Frist weitere Aufklärung zu erlangen oder um die Übersendung einer Abschrift der Klage zu bitten, nachdem ihr Versicherungsnehmer ... auf das an ihn gerichtete Schreiben der Beklagten vom 11.5.1964 nicht in angemessener Frist geantwortet hatte (Fotokopie Bl. 77 d.A.).

45

Alle diese Umstände zeigen, daß die Beklagte auch auf Grund der Anzeige der Klägerin vom 6.5.1964 durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, sich noch rechtzeitig in den Haftpflichtprozeß einzuschalten. Mit jener Anzeige der Klägerin war sie vor der Überraschung geschützt worden, daß ohne ihre Kenntnis und damit hinter ihrem Rücken zwischen der Klägerin und dem Versicherungsnehmer ... ein Haftpflichtprozeß geführt wurde. Damit war der Zweck der nach § 158 d Abs. II VVG zu erstattenden Anzeige ausreichend erfüllt.

46

Wenn die Beklagte auf ihr Schreiben an ... vom 11.5.1964, mit dem sie diesen um die unverzügliche Übersendung einer Durchschrift der Klage gebeten hatte, keinerlei Antwort erhielt und wenn die Beklagte daraufhin von sich aus nichts mehr weiter veranlaßte und es insbesondere auch in den kommenden Monaten nicht für nötig hielt, sich wenigstens bei der Klägerin nach dem Stande des Rechtsstreits und damit auch nach dem Zeitpunkt des Verhandlungstermins zu erkundigen, dann geht es zu ihren eigenen und nicht zu Lasten der Klägerin, daß nachfolgend dann am 16.9.1964, also nach mehr als 4 Monaten nach Erhalt der Anzeige vom 6.5.1964, gegen ... ein Versäumnisurteil ergangen ist, ohne daß sich die Beklagte ihrerseits zuvor in den Rechtsstreit eingeschaltet hatte.

47

Schaltet sich der Haftpflichtversicherer trotz rechtzeitiger Kenntnis von der Erhebung der Haftpflichtklage nicht in den Haftpflichtprozeß ein, so nimmt er damit auch die Gefahr eines gegen den Haftpflichtigen ergehenden Versäumnisurteils in Kauf (BGH in VersR 1956/710). Der geschädigte Dritte ist nach § 158 VVG insbesondere auch nicht verpflichtet, den Haftpflichtversicherer, der sich trotz rechtzeitig erhaltener Kenntnis von der Erhebung der Klage nicht in den Haftpflichtprozeß eingeschaltet hat, über die in diesem Prozeß anberaumten Termine oder über den sonstigen Verlauf des Prozesses und insbesondere auch nicht über ein etwa erlassenes Versäumnisurteil zu unterrichten (BGH in VersR 1959/256). Hat der Dritte, wie hier die Klägerin, eine den Anforderungen des § 158 d Abs. II VVG entsprechende Mitteilung gemacht oder hat der Haftpflichtversicherer auf sonstige Weise von der Klageerhebung erfahren, so ist -genauso wie im gewöhnlichen Deckungsprozeß- auch im Falle des § 158 c VVG die im Haftpflichtprozeß ergangene rechtskräftige Entscheidung auch für die Entscheidung des Deckungsprozesses bindend (BGH wie vorstehend).

48

III.

Richtig ist es nun weiterhin, daß dem "Dritten" im Sinne des § 158 c auch über den genau umrissenen Pflichtenkreis des § 158 d VVG hinaus nach Treu und Glauben Unterrichtungspflichten gegenüber dem Versicherer erwachsen können und daß der das ganze Rechtsleben beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben auch sonst für diese Rechtsbeziehungen gilt (BGH wie vorstehend). Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, daß die Klägerin insoweit gegen diese Grundsätze verstoßen hat.

49

Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat sich hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in dem Sinne geäußert, der Sachbearbeiter der Klägerin habe in jenem Schreiben vom 6.5.1964 das Prozeßgericht offenbar mit voller Absicht nicht genannt, um auf diese Weise schon von vornherein eine Teilnahme der Beklagten an jenem Rechtsstreit zu verhindern. Dabei hat er sich auf die Behauptungen der Beklagten im Schriftsatz vom 29.1.1966 berufen, der Klägerin sei schon damals bekannt gewesen, daß ... in Strafhaft und somit an der Wahrnehmung seiner Rechte behindert sei und daß ... deshalb der Beklagten keine Nachricht über die erhobene Klage gaben werde (Bl. 57 d.A.). Einen Beweis für diese von der Klägerin bestrittene Behauptung (Bl. 69 ff d.A.) hat die Beklagte jedoch nicht angeboten. Nach den von der Klägerin hierzu gegenbeweislich vorgelegten Schreiben des Obergerichtsvollziehers ... von 1.10.1964 und der Stadt ... von 28.10.1964 (Bl. 69/70 u. Hülle Bl. 76 d.A.) spricht vieles sogar dafür, daß die Klägerin von der Inhaftierung ... überhaupt erst nach der Rechtskraft des Versäumnisurteils Kenntnis erhalten hat.

50

Unter diesen Umständen ist es auch nicht ersichtlich, inwiefern die Klägerin dadurch gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen haben sollte, daß sie der Beklagten keine Nachricht von dem Erlaß des Versäumnisurteils gegeben hat. Nachdem sie der Beklagten die Mitteilung vom 6.5.1964 gemacht hatte, war sie darüber hinaus auch nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, die Beklagte nun auch noch über den weiteren Verlauf des Prozesses zu informieren. Die Beklagte wußte ja, daß ein Haftpflichtprozeß anhängig geworden war. Damit hatte sie die Möglichkeit, sich selbst über den Fortgang des Prozesses zu unterrichten. Wenn sie das versäumt hat, so ist nicht ersichtlich, weshalb das zu lasten der Klägerin gehen soll. Es wird insoweit auch auf die vorstehenden Erörterungen zu II und auf die darin genannte Rechtsprechung Bezug genommen.

51

Für einen Verstoß gegen Treu und Glauben oder gar für eine Arglist der Klägerin fehlt es außer an einem Beweisantritt der Beklagten- nach allem auch schon an hinreichenden Anhaltspunkten.

52

IV.

Hat die Klägerin die ihr obliegenden Pflichten nicht verletzt, so ist die rechtskräftige Entscheidung im Haftpflichtprozeß auch für die vorliegende Deckungsklage bindend, ohne daß es insoweit noch auf § 158 e VVG ankommt.

53

Die weitergehenden Erörterungen im angefochtenen Urteil hat die Beklagte mit ihrer Berufung nicht angegriffen, so daß auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann, so insbesondere auf Seite 9 unten/10 des Urteils.

54

Die Berufung der Beklagten war somit als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO. Das Urteil war nach § 708 Ziff. 7 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

55

Der Senat sah sich nicht veranlaßt, die Revision zuzulassen. Es ist nicht ersichtlich, daß er bei den vorstehend zu I bis III erörterten Rechtsfragen von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht oder daß der Rechtsstreit sonst grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 546 Abs. II ZPO hat.

56

Die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, dürften somit nicht vorliegen. Der Senat hat daher davon abgesehen, der Beklagten Vollstreckungsnachlaß nach § 713 Abs. II ZPO zu gewähren (vgl. § 713a ZPO).