Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 16.04.2003, Az.: 13 W 30/03

Anforderung an eine Entscheidung mit dem Inhalt der Anordnung einer Freiheitsentziehung zur Sicherstellung der Ausreis eines Ausländers

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
16.04.2003
Aktenzeichen
13 W 30/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 34045
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2003:0416.13W30.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 10.03.2003 - AZ: 14 T 172/03

Fundstelle

  • InfAuslR 2003, 294-296 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Abschiebungshaft

In dem Freiheitsentziehungsverfahren
...
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 16. April 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... ,
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Dem Betroffenen wird für die sofortige weitere Beschwerde Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.

  2. 2.

    Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 19. März 2003 wird der Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 10. März 2003 aufgehoben.

    Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des dritten Rechtszuges an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Der Betroffene reiste am 24. Mai 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter, die mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. August 2002 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Zugleich wurde er aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Woche zu verlassen, und ihm für den Fall der Zuwiderhandlung die Abschiebung in die Türkei angedroht. Diese Entscheidung ist seit dem 24. August 2002 rechtskräftig.

2

Der Betroffene kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern beantragte am 14. Oktober 2002 den Zuzug aus dem Bezirk ... nach D... , weil dort seit Jahren seine Eltern lebten und aus Alters- und Gesundheitsgründen der Betreuung bedürften. Am 17. Oktober 2002 wurde er in D... wegen des Verdachts des illegalen Aufenthaltes von der Polizei festgenommen, jedoch alsbald entlassen und aufgefordert, beim dortigen Ausländeramt vorzusprechen. Nachdem er sich am 22. Oktober 2002 unter der Anschrift seiner Eltern, ... , ... , amtlich angemeldet hatte, sprach er am 04. November 2002 beim Ausländeramt vor. Dort wurde ihm erklärt, daß sein Antrag auf Zuzug nach D... abgelehnt sei und er sich wieder in den Kreis ... zu begeben habe. Auch einer am 03. Dezember 2002 wiederholten Aufforderung kam er nicht nach. Am 19. Dezember 2002 wurde er von der Polizei im Haus ... in D... festgenommen. Sein Name war dort zwar auf einem Klingelschild angegeben, unter dieser Anschrift war er jedoch nicht gemeldet. Am 20. Dezember 2002 ordnete das Amtsgericht D... die Inhaftierung des Betroffenen zur Sicherung seiner Abschiebung aus dem Bundesgebiet an und begründete dies im wesentlichen damit, daß er der Aufforderung, sich bei der Bezirksregierung ... zu melden, nicht nachgekommen sei, so daß daraus zu schließen sei, daß er erneut untertauchen werde, um sich seiner Abschiebung zu entziehen. Auf seine sofortige Beschwerde hob die 18. Zivilkammer des Landgerichts D... am 20. Januar 2003 den angefochtenen Beschluß auf, weil das Gesamtverhalten des Betroffenen gegen eine Absicht spreche, durch Verschleiern seines wahren Aufenthaltes behördliche Maßnahmen zu verhindern oder zu erschweren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe dieser Entscheidung Bezug genommen (Bl. 69 - 74 d.A. = Bl. 25 - 30 d.A.). Der Betroffene wurde aus der Haft entlassen.

3

Am 07. Februar 2003 stellte der Betroffene, der sich entgegen seiner ihm bekannten Verpflichtung nicht bei der Bezirksregierung ... gemeldet hatte, beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in O... einen Asylfolgeantrag. Nachdem das Amt erklärt hatte, kein weiteres Verfahren durchzuführen, wurde der Betroffene am 10. Februar 2003 auf Veranlassung der Bezirksregierung ... festgenommen und noch am selben Tag dem Amtsgericht Oldenburg vorgeführt, das nach dessen Anhörung mit Beschluß vom 10. Februar 2003 die Abschiebungshaft (Sicherungshaft) für die Dauer von drei Monaten und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung anordnete. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das Landgericht Oldenburg mit Beschluß vom 10. März 2003 zurück und begründete dies damit, daß der Betroffene seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, sondern stattdessen in die Illegalität untergetaucht sei, so daß er für die Ausländerbehörde nicht mehr erreichbar gewesen sei. Trotz seiner vorhergegangenen Inhaftierung und der wiederholten Aufforderung, in den Bereich der zuständigen Ausländerbehörde zurückzukehren, habe er dies nicht getan, so daß die Anordnung von Abschiebungshaft erforderlich und verhältnismäßig sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß verwiesen.

4

Mit der sofortigen weiteren Beschwerde vom 19. März 2003, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird und für deren Durchführung der Betroffene um Prozeßkostenhilfe nachgesucht hat, wendet er sich gegen die Entscheidung des Landgerichts und rügt unter anderem, daß im Hinblick auf die Entscheidung des Landgerichts D... vom 20. Januar 2003 bis zu diesem Zeitpunkt entstandene (möglicherweise vorhandene) Haftgründe verbraucht seien, danach entstandene neue Haftgründe nicht existierten und in der angefochtenen Entscheidung nicht benannt seien, so daß die Haftanordnung rechtswidrig und aufzuheben sei.

5

Die Beteiligte ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.

6

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

7

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde hat (vorerst) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des dritten Rechtszuges.

8

1.

Tatsächliche Grundlage für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sind die in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Tatsachen und der Sachverhalt zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Entscheidung, wobei auch nicht festgestellte, sich jedoch aus dem Akteninhalt unzweideutig ergebende Tatsachen herangezogen werden dürfen. Neue Tatsachen und Beweise in bezug auf die Sache selbst dürfen im Rechtsbeschwerdeverfahren weder durch das Gericht noch durch die Beteiligten eingeführt werden.

9

2.

Die Entscheidung, die eine Freiheitsentziehung anordnet, ist mit Gründen zu ver-sehen, wobei darunter eine einzelfallbezogene Begründung zu verstehen ist, aus der sich die tatsächlichen Feststellungen sowie rechtlichen Erwägungen des Gerichts vollständig ergeben, so daß nachprüfbar ist, ob der maßgebende Sachverhalt ausreichend erforscht ist (§ 12 FGG) und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind (§ 25 FGG).

10

3.

Die bis zum 20. Januar 2003, dem Tage der Entscheidung des Landgerichts D... , mit der die Haftanordnung des Amtsgerichts D... aufgehoben wurde, entstandenen und in dem Beschluß abgehandelten Haftgründe waren für sich allein nicht mehr geeignet, eine eigenständige, nur auf sie gestützte, neue Haftanordnung zu tragen. Dem stand die Rechtskraft des Beschlusses des Landgerichts D... vom 20. Januar 2003 entgegen. Dies schließt jedoch nicht aus, diese alten Haftgründe in Verbindung mit danach neu entstandenen Haftgründen im Rahmen einer Gesamtabwägung und -würdigung erneut heranzuziehen, um so zur Annahme eines nunmehr begründeten Verdachts, sich einer Abschiebung entziehen zu wollen, oder zu dessen Ablehnung zu gelangen.

11

4.

Soweit sich in diesem Zusammenhang der Betroffene nach seiner Haftentlassung am 20. Januar 2003 bis zum 07. Februar 2003 trotz wiederholter Aufforderung nicht bei der Bezirksregierung ... gemeldet hatte und für diese nicht erreichbar war, ist dieses Verhalten nach seiner Meldung bei der Bundesanstalt in O... am 07. Februar 2003 für sich grundsätzlich nicht mehr als Indiztatsache hinreichend geeignet, eine Entziehungsabsicht zu belegen. Der Haftgrund entfällt in der Regel, wenn sich der Betroffene zwischenzeitlich gemeldet hat und zusätzliche Tatsachen gegen die Absicht sprechen, sich der Abschiebung entziehen zu wollen.

12

5.

Wie sich der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingeholten Stellungnahme der Bezirksregierung ... vom 06. März 2003 entnehmen läßt und von der der Verfahrensbevollmächtigte im Rahmen der Akteneinsicht Kenntnis erhalten hat, hat der Betroffene bei seiner Festnahme erklärt, sich auch weiterhin nicht im Bereich der für ihn zuständigen Ausländerbehörde, der Bezirksregierung ... aufzuhalten, sondern sich sofort wieder in den Raum D... zu begeben, um sich dort der von ihm betriebenen Firma "Automobil An - Verkauf - Teile Export" zu widmen, und eine ihm angebotene freiwillige Ausreise kategorisch abgelehnt habe.

13

Diese von der Beteiligten vorgetragenen Umstände, die in Verbindung mit dem bisher gezeigten Verhalten des Betroffenen im Rahmen einer Gesamtwürdigung geeignet sein könnten, den konkreten Verdacht zu begründen, sich der Abschiebung entziehen zu wollen, bedürfen der ausreichenden Erforschung (§ 12 FGG) und der umfassenden Erörterung des Beweisstoffes (§ 25 FGG).

14

6.

Der Senat kann die im Hinblick hierauf erforderlich werdenden Feststellungen nicht selber treffen. Daher war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zum Nachholen der erforderlichen Ermittlungen an das Landgericht zurückzuverweisen. Dabei könnte es auch notwendig werden, den Betroffenen gegebenenfalls erneut anzuhören, um sich ein Bild von seiner Glaubwürdigkeit zu bilden.

15

7.

Für das weitere Verfahren sei - vorbehaltlich neuer Erkenntnisse- angemerkt:

16

a)

Soweit der Betroffene unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Celle darauf hinweist, daß er freiwillig bei der Ausländerbehörde erschienen sei, so daß von einer Fluchtgefahr nicht ausgegangen werden dürfe, ist zu bemerken, daß die Tatsache des "freiwilligen Erscheinens" für sich zwar eine (gewichtige) Indiztatsache für die innere Einstellung des Betroffene darstellen, jedoch eine anderslautende auf eine eingehende Wertung aller konkreten Tatsachen beruhende Wertung nicht ausschließen kann. Dem "freiwilligen Erscheinen" für sich kommt keine absolute Wirkung zu.

17

b)

Im Hinblick auf die Mitteilung des Standesamts D... vom 10. April 2003 an den Verfahrensbevollmächtigten, daß die Voraussetzungen für eine Eheschliessung des Betroffenen zur Zeit nicht absehbar sind, dürfte in der beabsichtigten Eheschließung zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein die Abschiebung hindernder Umstand gesehen werden.