Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.04.2003, Az.: 12 WF 22/03
Beschwerde gegen die Zurückweisung von Prozesskostenhilfe ; Zulässigkeit einer Einsetzung von Ansprüchen auf Leistungen Dritter für die Prozessführung ; Abtretung von übergegangenen Unterhaltsansprüchen an den Kläger zur gerichtlichen Durchsetzung durch das Sozialamt; Folgen einer gleichzeitigen Abtretung der ausgeurteilten Ansprüche wieder an das Sozialamt durch den Kläger; Anspruch eines Leistungsempfängers auf Leistung eines notwendigen Vorschusses für die Prozessführung; Möglichkeit der Rückabtretung an den Leistungsempfänger zur Erleichterung der Durchsetzung der kraft Gesetzes übergegangenen Ansprüche ; Zulässigkeit der Einordnung von alsbald zu realisierbaren Vorschussansprüchen als einen Vermögenswert ; Vorschusspflicht des Sozialhilfeträgers
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 03.04.2003
- Aktenzeichen
- 12 WF 22/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 31714
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2003:0403.12WF22.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Oldenburg - 06.02.2003 - AZ: 12 WF 22/03
- AG Lingen - 06.02.2003 - AZ: 20 F 1007/03
Rechtsgrundlagen
- § 115 ZPO
- § 91 Abs. 4 BSHG
- § 7 Abs. 4 UVG
- § 32 SGB I
Fundstellen
- FamRZ 2003, 1761-1763 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 2003, 1227-1228 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2003, 321-322
In der Familiensache
hat der 12. Zivilsenat - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 03. April 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lingen vom 06. Februar 2003 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, soweit die Klägerin Prozesskostenhilfe für die vor Anhängigkeit des Verfahrens aufgelaufenen Rückstände begehrt.
Gründe
Die seit dem 05. Januar 2002 von ihrem Ehemann getrennt lebende Klägerin bezieht Sozialhilfe bzw. für die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Nach Rückabtretung der übergegangenen Ansprüche nimmt sie den Beklagten auf Zahlung eines in der Zeit bis Dezember aufgelaufenen rückständigen Unterhalts in Höhe von insgesamt rund 7.500,- EUR sowie ab Januar 2003 auf laufenden Unterhalt für sich und die Kinder in Anspruch.
Das Familiengericht hat der Klägerin in eingeschränktem Umfang Prozesskostenhilfe für die Zeit ab Rechtshängigkeit bewilligt und den Antrag hinsichtlich der geltend gemachten Rückstände zurückgewiesen, weil die Rechtsverfolgung insoweit allein im Interesse des Sozialamtes erfolge.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin, mit der sie ihr ursprüngliches Begehren weiter verfolgt.
Das nach §§ 127, 567 ZPO zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
Die Rüge, das erstinstanzliche Gericht habe zunächst darauf hinweisen müssen, dass es hinsichtlich des rückständigen Unterhalts einer Aufschlüsselung der auf das Sozialamt übergegangenen und eigener Ansprüche bedurft hätte, muss erfolglos bleiben, weil die Klägerin ihr Vorbringen zur Höhe etwaiger ihr verbliebener Ansprüche auch in der Beschwerdebegründung nicht ergänzt hat. Angesichts der Höhe der geleisteten Sozialhilfe ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Klägerin aus der Vergangenheit überhaupt noch eigene Ansprüche zustehen könnten. Soweit sie Prozesskostenhilfe für die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen aus der Zeit vor Eingang des Prozesskostenhilfegesuchs begehrt, könnte das auf nach dem ursprünglichen Antrag uneingeschränkte Bewilligung von Prozesskostenhilfe zielende Rechtsmittel daher nur dann Erfolg haben, wenn die Klägerin für die Durchsetzung dieser Ansprüche die Kosten der Rechtsverfolgung ebenfalls nicht aufbringen kann.
Insoweit fehlt es jedoch an den wirtschaftlichen Voraussetzungen. Die Klägerin macht für diese Zeit ausschließlich auf sich durch das Sozialamt der Stadt L... rückabgetretene Ansprüche geltend, so dass ihr für die damit verbundenen Aufwendungen ein Anspruch auf Übernahme der Kosten zusteht. Derartige Ansprüche auf Leistungen Dritter haben grundsätzlich Vermögenswert und sind daher für die Prozessführung einzusetzen (Zöller/Philippi 23. Aufl. § 115 ZPO Rn. 66).
Nachdem die Rückübertragung von auf das Sozialamt bzw. das Land übergegangenen Unterhaltsansprüchen zunächst als nicht zulässig angesehen wurde (BGH Urteil vom 03. Juli 1996, FamRZ 1996, 1203[BGH 03.07.1996 - XII ZR 99/95]), gestatten die §§ 91 Abs. 4 und 7 Abs. 4 S. 2 UVG mit praktisch wortgleichen Formulierungen nunmehr ausdrücklich, dass die Ansprüche zur gerichtlichen Geltendmachung rückübertragen werden. Gleichzeitig schreibt das Gesetz ausdrücklich vor, dass Kosten, mit denen der Leistungsempfänger dadurch belastet wird, zu übernehmen sind.
Der in der Rechtsprechung verbreiteten Ansicht, es handele sich hierbei um keinen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss, sondern um einen erst nach Abschluss des Verfahrens zum Tragen kommenden Freistellungsanspruch (OLG Köln FamRZ 1997, 298[OLG Köln 31.10.1996 - 14 WF 190/96]; FuR 2002, 378; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1147[OLG Düsseldorf 15.10.1998 - 1 WF 162/98]; OLG Nürnberg FamRZ 1999, 1284, 1285[OLG Nürnberg 19.02.1999 - 10 WF 521/99]; OLG Celle Nds.Rpfl. 1999, 59; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 105[OLG Zweibrücken 23.07.2001 - 5 WF 54/01]; KG FamRZ 2000, 758; OLG Hamm OLGR 2003, 118; im Ergebnis ebenso OLG Koblenz FamRZ 1998, 246[OLG Koblenz 12.05.1997 - 11 WF 207/97]), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Er hält vielmehr an seiner Auffassung fest, dass die Verpflichtung des Sozialamtes zur Kostenübernahme bereits während des laufenden Verfahrens besteht und damit eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt (OLG Oldenburg 12. Zivilsenat FamRZ 1998, 435; ebenso OLG Koblenz FamRZ 1997, 1086[OLG Koblenz 03.04.1997 - 15 UF 1327/96]; OLG Düsseldorf FamRZ 1998, 1444; OLG Celle FamRZ 1999, 1284[OLG Celle 25.08.1998 - 12 WF 170/98]; OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 1508[OLG Karlsruhe 27.08.1998 - 2 WF 81/98]; FamRZ 2001, 926; OLG Schleswig OLGR 2000, 163; Zöller/Philippi § 114 ZPO Rn. 10; Oestreicher/Schelter/Kunz Bundessozialhilfegesetz § 91 BSHG Rn. 173 b).
Wenn das Sozialamt übergegangene Unterhaltsansprüche wieder an die Klägerin zur gerichtlichen Durchsetzung abtritt, wird die Klägerin zwar Inhaberin der Forderung. Sie übernimmt damit aber lediglich treuhänderisch Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, da sie gleichzeitig die ausgeurteilten Ansprüche wieder an das Sozialamt abgetreten hat. Nimmt aber jemand für einen Dritten Geschäfte wahr, deren Durchführung diesem selbst obliegen, besteht zwischen beiden ein Auftragsverhältnis iSv. § 662 BGB. Daran ändert nichts, dass die Beauftragung ihren Ausgangspunkt im öffentlichen Recht hat und es sich um eine Vereinbarung zwischen einem Träger öffentlicher Verwaltung und einer Privatperson handelt. Die Einordnung der Vereinbarung als privatrechtlicher Vertrag bleibt davon unberührt (vgl. Schellhorn/Schellhorn Kommentar zum BSHG 16. Aufl. § 91 BSHG Rn. 132).
Im Rahmen dieses Vertrages steht der Klägerin aus § 91 Abs. 4 BSHG bzw. § 7 Abs. 4 UVG ein Anspruch auf Ersatz der ihr entstehenden Aufwendungen zu. Mit der Ergänzung in § 91 Abs. 4 BSHG durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23.7.1996 (BGBl I Seite 1088) beendete der Gesetzgeber den Streit um die Zulässigkeit einer Rückabtretung. Im Interesse einer vereinfachten Verwaltungspraxis ermöglichte er die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in einem einheitlichen Verfahren, ohne dass der Hilfeempfänger durch die Rückübertragung mit zusätzlichen Kosten belastet werden sollte (BTDrs. 13/3904, 46). Die Verpflichtung, mit der Rückabtretung verbundene Kosten zu tragen, verwirklicht in dieser spezialgesetzlichen Regelung nur ein allgemeines Prinzip des Auftragsrechts. Dementsprechend lässt sich dem Wortlaut des Gesetzes keine dahingehende Einschränkung entnehmen, dass die Sozialbehörde lediglich nach Abschluss des Verfahrens verbliebene Kosten zu übernehmen habe. Vielmehr bezieht sich die Formulierung "belastet wird" auf die Gegenwart und damit auf die laufenden Kosten. So erstreckt sich die Verpflichtung zur Kostenübernahme auch auf Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung (Schellhorn aaO. Rn. 133) - also einen Zeitabschnitt, in welchem die Durchsetzung der Ansprüche erst an ihrem Anfang steht. Aufgrund des anwaltlichen Vorschussanspruchs aus § 17 BRAGO können bereits hier von der Sozialbehörde zu übernehmende Kosten anfallen.
Auch wenn der Gesetzgeber mit der Übernahme der Vorschrift des § 91 BSHG in § 7 Abs. 4 UVG die Vorstellung zum Ausdruck gebracht hat, andere Leistungsbereiche wie die Prozesskostenhilfe sollten sich nicht darauf berufen können, dass das Land "nachrangig" die Kosten zu übernehmen habe (BTDrs. 13/7338, S. 46), führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Frage nach einem Rangverhältnis verschiedener Leistungsträger stellt sich nicht. Voraussetzung dafür wäre, dass die Erfüllung eines Anspruchs mehreren Zahlungspflichtigen obläge. Dies ist bei der Kostenübernahme nach § 91 Abs. 4 BSHG jedoch nicht der Fall. Prozesskostenhilfe wird einer Partei gewährt, die nicht in der Lage ist, selbst die Kosten eines Rechtsstreits aufzubringen. Sie entspricht daher ihrem Wesen nach der Sozialhilfe. Demgegenüber handelt es sich bei den nach §§ 91 Abs. 4 BSHG und 7 Abs. 4 UVG zu tragenden Kosten gerade nicht um ergänzende Sozialhilfe oder sonstige sozialstaatliche Leistungen zur Deckung eines zusätzlichen Bedarfs, sondern schlicht um Kosten der laufenden Verwaltung (Schellhorn aaO. Rn. 133), welche diese zur Durchsetzung ihrer eigenen Rechte aufzubringen hat. Daher greift auch nicht das Nachrangprinzip des § 2 BSHG zu Gunsten eines Vorranges von Prozesskostenhilfe ein.
Handelt es sich demnach bei der Verpflichtung zur Kostenübernahme aus § 91 Abs. 4 BSHG bzw. § 7 Abs. 4 UVG um einen Anspruch auf Aufwendungsersatz, umfasst dieser Anspruch auch eine Vorschusspflicht des Sozialhilfeträgers. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Leistungsempfänger über eigene Mittel verfügt, um die rückübertragenen Ansprüche durchsetzen zu können. Bedient er sich anwaltlicher Hilfe, ist er noch vor Einleitung eines Klageverfahrens darauf angewiesen, die zur Durchführung des Auftrags notwendigen finanziellen Mittel zu erhalten. Da der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 91 Abs. 4 BSHG jede zusätzliche Belastung des Hilfeempfängers vermeiden wollte, kann die Vorschrift im Sinne des Verbots nachteiliger Vereinbarungen (§ 32 SGB I) nur so verstanden werden, dass sich die Verpflichtung zugleich auf die Leistung eines notwendigen Vorschusses erstreckt. Ein solches Verständnis steht in Einklang mit den sonstigen Grundsätzen der öffentlichen Leistungsverwaltung, wie sich beispielsweise in § 91 Abs. 3 SGB X zeigt. Will man hingegen der Vorschrift nur einen Anspruch auf Aufwendungsersatz entnehmen, ergibt sich ein entsprechender Vorschussanspruch unmittelbar aus § 669 BGB, der dann mangels spezialgesetzlicher Regelung als allgemeine auftragsrechtliche Vorschrift heranzuziehen ist.
Die Möglichkeit der Rückabtretung wurde in § 91 Abs. 4 BSHG geschaffen, um die Durchsetzung der kraft Gesetzes übergegangenen Ansprüche verwaltungstechnisch zu erleichtern. Wie die ausdrückliche Verpflichtung, die dem Hilfeempfänger entstehenden Kosten zu übernehmen, zeigt, ist demnach keine weiter gehende kostenmäßige Entlastung der allgemeinen öffentlichen Haushalte zu Lasten einzelner Sozialkassen - zu denen auch die Prozesskostenhilfe zu zählen ist - beabsichtigt gewesen. Ob bei dieser Sachlage Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, beurteilt sich folglich allein nach §§ 114, 115 ZPO, wobei die sich aus §§ 91 Abs. 4 BSHG, 7 Abs. 4 UVG ergebenden Ansprüche genauso wie andere Vermögensrechte zu bewerten sind.
Das gesetzgeberische Ziel, die Durchsetzung der Ansprüche in einem einheitlichen Verfahren zu gewährleisten, wird dadurch nicht beeinträchtigt. Wenn die Sozialbehörde von der Möglichkeit einer Rückabtretung Gebrauch macht, hat sie es in der Hand, dem Unterhaltsberechtigten die zur Begleichung der Mehrkosten notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen bzw. sich gegenüber dem beauftragten Rechtsanwalt zu deren Erfüllung bereit zu erklären.
Es entspricht den allgemeinen Grundsätzen des Prozesskostenhilferechts, dass alsbald realisierbare Vorschussansprüche einen Vermögenswert darstellen, der einer Bedürftigkeit der Partei entgegensteht. Soweit mit der Durchsetzung rückständigen Unterhalts aus der Zeit vor Eingang Klageschrift Mehrkosten verbunden sind, kann die Klägerin einen solchen Vorschussanspruch gegenüber der Stadt L... geltend machen, so dass es insoweit an den wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe fehlt.
Soweit die Klägerin mit ihrer Beschwerde Prozesskostenhilfe für die Durchsetzung eines höheren Unterhaltsanspruchs erstrebt, ist das Rechtsmittel nicht begründet, weil mit Beginn des auf die Trennung folgenden Jahres die Besteuerung nach der Grundtabelle (Steuerklasse 1) erfolgt, so dass für das laufende Jahr kein höheres Nettoeinkommen zugrundgelegt werden kann, als im Schriftsatz vom 11. März 2003 dargelegt. Schon aus diesen Gründen ist nichts für eine über die der PKH-Bewilligung zugrunde liegenden Ansprüche hinausgehende Leistungsfähigkeit ersichtlich, ohne dass es noch auf die weiteren in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen ankäme. Dies gilt gleichermaßen für den Zeitraum zwischen Eingang des Antrags und Zustellung der Klage. Für diesen entstehen auf Grund des maßgeblichen Jahreswertes (§ 17 Abs. 4 GKG) im Übrigen keine zusätzlichen Kosten, so dass die bewilligte Prozesskostenhilfe der Klägerin auch die Durchsetzung dieser Ansprüche ermöglicht.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, 3 zu), weil die Sache auf Grund der divergierenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Gewährung von Prozesskostenhilfe für rückübertragene Ansprüche grundsätzliche Bedeutung hat.