Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.08.2019, Az.: 2 Ss (OWi) 200/19

Pflicht zur Lagerung von Medikamenten in der Tierarztpraxis an einem Ort nach § 9 Abs. 1 S. 3 TÄHV verfassungskonform

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
07.08.2019
Aktenzeichen
2 Ss (OWi) 200/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 67212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2019:0807.2SS.OWI200.19.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Oldenburg (Oldb.) - 08.05.2019

Amtlicher Leitsatz

§ 9 Abs. 1 S. 3 TÄHV ist nicht verfassungswidrig.

Tenor:

Die Sache wird vom rechtsunterzeichnenden Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, da es geboten ist das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 08.05.2019 zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das vorbezeichnete Urteil wird auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht die Betroffene, die als freiberufliche Tierärztin tätig ist, wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 9 Absatz 1 TÄHAV zu einer Geldbuße von 600 € verurteilt.

§ 9 TÄHAV lautet:

Abs. 1 S 1: Der Tierarzt muss alle Arzneimittel in Betriebsräumen an einem einzigen Standort lagern.

S 2: Abweichend von Satz 1 dürfen Arzneimittel auch in anderen Betriebsräumen gelagert werden, ...

S 3: Die Praxis und die Untereinheit der Praxis müssen innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einem angrenzenden Kreis oder einer angrenzenden kreisfreien Stadt liegen.

Das Amtsgericht hat folgendes festgestellt:

Als freiberufliche Tierärztin führt die Betroffene eine tierärztliche Hauptpraxis in der Gemeinde XX im Landkreis YY. Zugleich hat sie in der kreisfreien Stadt ZZ, die keine gemeinsame Grenze zum Landkreis YY hat, sondern drei Gebietskörperschaftsgrenzen weiter liegt, eine weitere Praxis eingerichtet, wobei die Betroffene dort ebenfalls wissentlich und willentlich Arzneimittel lagert, die jedoch ausschließlich der tierärztlichen Versorgung der dort in ZZ behandelten Tiere dienen. Die Betriebsräume in ZZ stehen ausschließlich unter der Verfügungsgewalt der Betroffenen. Sie ist in der Praxis in ZZ die einzige und allein dort arbeitende Tierärztin. Somit hat keine andere Person Zugriff auf die in der Praxis in ZZ gelagerten Arzneimittel. Die Betroffene befindet sich jeweils von sonntags bis freitags sowohl in der Hauptpraxis in XX, wie auch in der Nebenstelle in ZZ. Außerhalb der Sprechzeiten in ZZ, also außerhalb der Anwesenheitszeiten der Betroffenen, ist die Praxis in ZZ geschlossen. Die Betroffene bringt die in ZZ benötigten bzw. verbrauchten Arzneimittel täglich aus der Hauptpraxis aus XX mit. Der Medikamentenbestand in der Praxis in ZZ ist daher gering. Eine bei der Betroffenen angestellte Tierärztin ist ausschließlich in der Hauptpraxis in XX, nicht aber in der Nebenpraxis in ZZ tätig.

Gegen das Urteil des Amtsgerichtes wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

Sie ist der Ansicht, dass nicht auf den reinen Wortlaut der Norm, insbesondere nicht ausschließlich auf den Begriff "angrenzend" abzustellen sei. Der im Rahmen einer teleologischen Auslegung zu ergründende Sinn und Zweck der Vorschrift bestehe darin, dass zum einen eine ordnungsgemäße Lagerung von Arzneimitteln erfolge und zum anderen eine Kontrolle des verantwortlichen Tierarztes gewährleistet sei. Der von dem Willen des Verordnungsgebers verfolgte Sinn und Zweck der Vorschrift werde in diesem Fall vollständig verwirklicht.

Sei die Vorschrift einer Auslegung nicht zugänglich, bleibe festzuhalten, dass die Anwendung der Vorschrift zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen könne. Eine wortgetreue Anwendung führe zu einer Ungleichbehandlung von Sachverhalten. So sei es je nach Fallgestaltung praktisch denkbar, dass in dem einen Fall bei einer Entfernung zwischen zwei Standorten von 120 km der Betrieb einer Untereinheit rechtlich möglich sei, während in einem anderen Fall bei einer Entfernung zwischen den beiden Standorten von 20 km der Betrieb einer Untereinheit rechtswidrig sei. Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 TÄHAV verstoße damit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Grundgesetz.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts zulässig begründet worden.

Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Zu klären ist lediglich die Frage, ob § 9 Abs. 1 TÄHAV einer Auslegung in dem von der Betroffenen genannten Sinne zugänglich ist oder falls dieses nicht der Fall ist, ob die Norm gegen das Grundgesetz verstößt.

Beide Fragen sind zu verneinen.

Zwar hat der Wortlaut von § 2 Abs. 4 Nummer 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen, in dem von benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten die Rede ist, das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen (Urteil vom 3. April 2012, 5 K 1588/11) veranlasst, davon auszugehen, dass eine mit § 2 Abs. 4 Nummer 2 Apothekengesetz vereinbare räumliche Entfernung dann noch gegeben sei, wenn eine Erreichbarkeit der Apotheken innerhalb einer Fahrzeit von 1 Stunde bestehe. Der Wortlaut setze nicht voraus, dass die betreffenden Landkreise bzw. kreisfreien Städte aneinander angrenzen.

Demgegenüber ist der Wortlaut von § 9 Abs. 1 Satz 3 TÄHAV, der von angrenzenden Kreisen bzw. kreisfreien Städten spricht, aber eindeutig.

Da ein eindeutiger Wortlaut die Grenze einer möglichen Auslegung darstellt, kommt eine Auslegung in dem von der Betroffenen genannten Sinne nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht Bremen hat in der vorgenannten Entscheidung auch gerade darauf abgestellt, dass in der dort maßgeblichen Vorschrift nicht - wie hier - der Begriff "angrenzend" verwendet worden sei.

§ 9 Abs. 1 Satz 3 TÄHAV ist auch nicht verfassungswidrig.

Zutreffend ist -wie bereits das Amtsgericht ausgeführt hat- dass der Wortlaut der Vorschrift gerade auch unter Berücksichtigung des Ziels des Verordnungsgebers, eine Ortsnähe zu gewährleisten, unter diesem Gesichtspunkt in bestimmten Konstellationen in gleich gelagerten Fällen nicht zu gleichen Ergebnissen führt. Denn -so das Amtsgericht- es ließen sich durchaus Fälle denken, in denen -je nach Größe der angrenzenden Gebietskörperschaften- in dem einen Fall eine Lagerung von Arzneimitteln in der Untereinheit zulässig und in dem anderen Fall eine solche unzulässig sei, wobei die tatsächliche Entfernung zwischen Hauptpraxis und Untereinheit in beiden Fällen identisch oder sogar im zulässigen Fall größer, als bei der unzulässigen Lagerung sei.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber bereits festgestellt, dass jede gesetzliche Regelung verallgemeinern müsse. Der Gesetzgeber dürfe sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und sei nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber habe vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen und deren Abwicklung einen -freilich nicht unbegrenzten - Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen (BVerfGE 96, 1, 6 [BVerfG 10.04.1997 - 2 BvL 77/92]). Der Gesetzgeber sei berechtigt, von dem Gesamtbild auszugehen, dass sich aus den vorliegenden Erfahrungen ergebe (BVerfGE 78, 214 [BVerfG 31.05.1988 - 1 BvR 520/83], 226/227; 11, 245, 254).

Nichts Anderes kann für eine Verordnung gelten.

Dafür, dass in einer nennenswerten Zahl von Fällen Tierärzte Entfernungen zu einer Untereinheit ihrer Praxis in Kauf nehmen, die dem von der Betroffenen genannten Beispielsfall bzw. der Entfernung, die die Betroffene selbst zurücklegt, entsprechen, ist nichts ersichtlich.

Vielmehr hat das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in seiner Zuschrift an den Verteidiger vom 12.9.2018 ausgeführt, dass die von diesem in seinem Schreiben vom 3.9.2018 angeführten theoretisch möglichen Entfernungen und Anfahrtszeiten in der Praxis nicht gegeben, insoweit nicht wirklichkeitsnah seien. Seit Inkrafttreten der Rechtsänderung - zuvor kam eine Lagerung in einer Untereinheit nur am Ort der Niederlassung in Betracht - habe es in der Praxis keine nennenswerten Probleme mit der Anwendung der Regelung gegeben. Üblicherweise befände sich die Untereinheit in einer Entfernung von höchstens ca. 30 km zu den Praxisräumen.

Dass diese Feststellung des Landesamtes unzutreffend wäre, macht die Betroffene im Rahmen ihres Einwandes, die Regelung sei verfassungswidrig, nicht geltend.

Da die Regelung des § 9 TÄHAV auch nach Auffassung der Betroffenen vom Grundsatz her nicht zu beanstanden ist, könnte Art. 3 Grundgesetz nur dann verletzt sein, wenn nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker als andere belastet würden (BVerfGE 68, 155, 173 zu Berufsausübungsregelungen).

So ist es hier jedoch nicht, da es sich offensichtlich bei der Praxisgestaltung der Betroffenen um einen Ausnahmefall handelt.

Der Senat weist darauf hin, dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig wäre, da die hier zu überprüfende Norm kein Gesetz, sondern eine Verordnung ist (vgl. Senat, DAR 2010, 477, betreffend Vorschriften aus der StVO).

Ansonsten lässt das Urteil aus den zutreffenden Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Abs. 3 Satz 1OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.