Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.09.2017, Az.: 2 Ss 105/17
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 21.09.2017
- Aktenzeichen
- 2 Ss 105/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 48184
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - AZ: 60 Ns 22/17
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist auch neben der Verhängung einer Geldstrafe zulässig.
- 2.
Der Verhängung einer Maßregel steht auch nicht entgegen, dass die Dauer der Therapie nicht auf die verhängte Geldstrafe angerechnet werden kann, denn eine Unterbringung kann sogar neben einem Freispruch angeordnet werden.
- 3.
Bei weniger gewichtigen Anlassdelikten steht die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht von vorherein außer Verhältnis; bei der Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit bedarf es jedoch einer besonders eingehenden Prüfung der Gefährlichkeitsprognose.
In der Strafsache
gegen A.,
geboren 1958,
wohnhaft ...,
- Verteidigerin: Rechtsanwältin ... -
wegen Körperverletzung u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 15. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 15. Juni 2017 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Richterin am Amtsgericht XXX am 21. September 2017 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der dem Angeklagten im Revisionsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hannover hat den Angeklagten am 09.01.2017 wegen Körperverletzung und vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Hannover mit dem angefochtenen Urteil verworfen.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils näherte sich der erheblich alkoholisierte Angeklagte, bei dem später ein Atemalkoholwert von 2,29 g o/oo festgestellt wurde, am 14.05.2016 gegen 12:15 Uhr der späteren Geschädigten M., die zu ihrer Arbeitsstelle in einer Parfümerie in H. in der B...straße zu Fuß unterwegs war. Der Angeklagte, der die Zeugin nicht kannte, schlug dieser unvermittelt mit seiner rechten Faust gegen den linken Oberarm, wodurch diese Schmerzen und ein Hämatom am Oberarm mit deutlicher Abzeichnung von drei Handknöcheln des Angeklagten erlitt.
Am 01.07.2016 befuhr der Angeklagte, bei dem ein Blutalkoholgehalt von 3,74 g o/oo festgestellt wurde, gegen 22:20 Uhr mit einem Fahrrad u. a. die P...straße in H., obwohl er aufgrund seiner Alkoholisierung nicht mehr fahrtauglich war.
Das Landgericht hat die beiden festgestellten Taten als (vorsätzliche) Körperverletzung und vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gewertet. Für die vorsätzliche Körperverletzung hat das Landgericht eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen erachtet, diese jedoch im Wege eines Härteausgleichs wegen einer ursprünglich einbeziehungsfähigen, infolge zwischenzeitlicher Vollstreckung nicht mehr einzubeziehenden Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung um 20 Tagessätze auf 40 Tagessätze gemindert. Für die vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr hat die Strafkammer eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen erachtet und aus beiden Geldstrafen eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen gebildet. Eine ausdrückliche Bestimmung der Tagessatzhöhe hat das Landgericht nicht vorgenommen; aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsbegründung zur Strafzumessung ergibt sich jedoch, dass das Landgericht von derselben Tagessatzhöhe ausgehen wollte, wie es bereits das Amtsgericht getan hat.
Neben der Verhängung der Geldstrafe hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Hierzu hat das Landgericht nach sachverständiger Beratung festgestellt, dass bei dem Angeklagten eine schwere chronische psychische und körperliche Alkoholabhängigkeit mit einer bereits fortgeschrittenen körperlichen Schädigung besteht. Neben der Alkoholproblematik bestehe zudem eine chronisch-depressive Symptomatik, welche als schwere rezidivierende Depression einzustufen sei. Die abzuurteilenden Taten seien jedoch eindeutig Symptomtaten der Alkoholabhängigkeit. Die Delinquenzentwicklung des Angeklagten zeige, dass der Alkoholrausch den Angeklagten disforisch mache und zu aggressiven Übersprungshandlungen führe. Vor diesem Hintergrund sei zu erwarten, dass der Angeklagte weitere gleichartige Körperverletzungshandlungen im Alkoholrausch begehen werde. Aufgrund des bei dem Angeklagten zu erkennenden Leidensdrucks unter der Alkoholerkrankung bestehe auch die hinreichende Aussicht, dass der Angeklagte die Therapie erfolgreich durchstehen könne. Die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Maßregel stehe außer Frage, weil es dafür nicht auf die verhängte "Begleitstrafe" ankomme, sondern auf das Verhältnis zwischen dem Eingriff durch die Maßregel einerseits und der Schwere der Anlasstat und der bei Nichtanordnung der Maßregel zu erwartenden weiteren Straftaten andererseits, wobei es bei letzteren bei unglücklichem Verlauf auch zu gefährlichen Kopfverletzungen kommen könne.
Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte allein gegen die Anordnung der Maßregel und macht geltend, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) verstoße.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Von dem Angeklagten seien künftig vorsätzliche Körperverletzungstaten zu erwarten, mithin nicht lediglich Bagatelldelikte. Einer näheren Prüfung der Verhältnismäßigkeit zwischen der Anlasstat und -strafe sowie der Maßregel bedürfe es nicht.
II.
Die zulässig allein auf die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) beschränkte Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erweist sich als nicht verhältnismäßig (§ 62 StGB).
Das Landgericht geht allerdings im Ansatz zu Recht davon aus, dass § 64 Satz 1 StGB weder die Verhängung einer bestimmten Strafart noch einer bestimmten Mindeststrafhöhe voraussetzt (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 64 Rdnr. 24 a); mithin ist die Verhängung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch bei Verhängung einer Geldstrafe nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der Verhängung einer Maßregel steht auch nicht entgegen, dass die Dauer der Therapie nicht auf die verhängte Geldstrafe angerechnet werden kann, denn eine Unterbringung kann sogar neben einem Freispruch angeordnet werden. Die Verhängung einer Maßregel verfolgt nicht den Zweck, begangenes Unrecht angemessen zu sühnen, sondern sie dient dazu, die Allgemeinheit vor dem Angeklagten zu schützen und im Weiteren seine Gefährlichkeit durch therapeutische Einwirkung möglichst zu beseitigen (van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 61 Rdnr. 1).
Hierbei darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass nach dem klaren Wortlaut des § 62 StGB bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer zu verhängenden Maßregel nicht nur auf den Grad der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr und die Bedeutung der von ihm zu erwartenden Taten, sondern auch auf die Bedeutung der vom Täter begangenen Tat(en) abzustellen ist. Das Gewicht der Anlasstat kann hiernach bei der Prüfung der Frage der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung nicht außer Betracht bleiben (van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, § 62 Rdnr. 16).
Erforderlich ist eine Gesamtabwägung der in § 62 StGB genannten Kriterien, die zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs in Verhältnis zu setzen ist (vgl. BGH NStZ 2010, 692). Bei weniger gewichtigen Anlassdelikten steht die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht von vorherein außer Verhältnis, bei der Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit bedarf es jedoch einer besonders eingehenden Prüfung der Gefährlichkeitsprognose (BGH NStZ-RR 2011, 240 f. [BGH 02.03.2011 - 2 StR 550/10]; NStZ-RR 2014, 76 f. [BGH 18.11.2013 - 1 StR 594/13]; NStZ-RR 2007, 73 f.).
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht.
Als Anlasstat kommt hier nur die Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin M. in Betracht. Die hier in Rede stehende Anlasstat hatte das Gericht, wenngleich auch unter Berücksichtigung eines Härteausgleichs, lediglich mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen geahndet. Auch ohne die Notwendigkeit des Härteausgleichs hätte das Gericht ausweislich der Strafzumessungserwägungen auf nicht mehr als nur 60 Tagessätzen erkannt. Die in der Zumessung der (niedrigen) Geldstrafe - trotz bestehender Vorbelastungen des Angeklagten - zum Ausdruck kommende Wertung der Strafkammer, dass der hier begangenen vorsätzlichen Körperverletzung nur ein vergleichsweise geringer Schuldgehalt innewohnt, hätte die Strafkammer bei der von ihr vorzunehmenden Gesamtabwägung im Rahmen des § 62 StGB ebenso berücksichtigen müssen wie den Umstand, dass es sich auch bei den den früheren Verurteilungen des Angeklagten zugrundeliegenden Körperverletzungen, die ebenfalls nur mit vergleichbar geringen Geldstrafen sanktioniert wurden, nur um solche mit eher geringem Schuldgehalt (z.B. Wurf mit einer mit leeren Plastikflaschen gefüllten Plastiktüte, Schlag mit einer Plastikflasche) gehandelt hat und es in der Delinquenzentwicklung des Angeklagten zu keiner Intensivierung der Taten gekommen ist. Die Gesamtabwägung erweist sich daher als rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer den geringen Schuldgehalt der Anlasstat und der Taten aus den früheren Verurteilungen nicht hinreichend gewürdigt hat.
Da es sich hier angesichts des geringen Schuldgehalts der Anlasstat und der den früheren Verurteilungen zugrundeliegenden Taten im Falle der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten um einen Grenzfall handelt, wäre zudem eine besonders sorgfältige und eingehende Prüfung der Gefährlichkeitsprognose erforderlich gewesen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 73 f.; NStZ-RR 2011, 240 f. [BGH 02.03.2011 - 2 StR 550/10]; NStZ-RR 2014, 76 f. [BGH 18.11.2013 - 1 StR 594/13]; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., § 62 Rdnr. 3 m. w. N.). Hierzu hat die Strafkammer allerdings lediglich festgestellt, es kämen künftig "gleichartige" Körperverletzungstaten in Betracht. Soweit das Landgericht weiter bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten davon ausgegangen ist, es könne "ohne Weiteres bei einem unglücklichen Verlauf auch zu gefährlichen Körperverletzungen kommen", wird diese Behauptung nicht durch Feststellungen belegt. Mehr als die bloße abstrakte Möglichkeit, dass der Angeklagte künftig auch eine gefährliche Körperverletzung begehen könne, ist hiermit nicht dargetan.
Die Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen somit die Annahme, die Anordnung der Maßregel sei verhältnismäßig, nicht zu. Der Senat kann ausschließen, dass in einer neuen Verhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die bei der (neu) vorzunehmenden Gesamtabwägung im Rahmen des § 62 StGB zur Annahme der Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Maßregel führen können. Solange die vom Angeklagten begangenen oder zu erwartenden Taten im Hinblick auf ihren Schuldgehalt lediglich mit Geldstrafen im unteren Bereich geahndet werden oder entsprechende Strafen zu erwarten sind, erweist sich die Anordnung einer Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht als verhältnismäßig.
Die verhängte Maßregel konnte daher keinen Bestand haben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO.