Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.06.2005, Az.: 1 Ws 304/05

Zulässigkeit einer Disziplinarstrafe gegen einen Untersuchungsgefangenen; Diziplinarstrafe wegen Weigerung zur Abgabe einer Urinprobe zur Untersuchung auf Drogenkonsum; Mittel zur Sicherung der Anstaltsordnung; Verfassungsrechtliches Verbot des Erzwingens einer Selbstbelastung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.06.2005
Aktenzeichen
1 Ws 304/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 17327
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2005:0614.1WS304.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 09.06.2005 - AZ: 4 KLs 139/04

Fundstellen

  • NStZ 2007, 86 (Volltext)
  • NStZ 2006, 142-143
  • NStZ-RR 2006, 28-29 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 2007, 88 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)

Verfahrensgegenstand

Schwerer Raub

Amtlicher Leitsatz

Zur Zulässigkeit einer Disziplinarstrafe gegen einen Untersuchungsgefangenen wegen dessen Weigerung, zur Überprüfung auf einen Drogenkonsum eine Urinprobe abzugeben.

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg hat
am 14. Juni 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Untersuchungsgefangenen gegen die vom Vorsitzenden der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg am 9. Juni 2005 erteilte Genehmigung der gegen den Untersuchungsgefangenen beantragten Disziplinarmaßnahmen, Entzug des Einkaufs und der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen für die Dauer von zwei Wochen, wird auf Kosten des Untersuchungsgefangenen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist gemäß §§ 304, 119 Abs. 3 StPO zulässig, in der Sache indessen unbegründet.

2

Der Untersuchungsgefangene hat am 31. Mai 2005 die Abgabe einer vollzuglich angeordneten Urinprobe verweigert. Die Anordnung erfolgte, weil konkrete Hinweise auf einen Drogenmissbrauch durch den Untersuchungsgefangenen vorlagen. Nach Mitteilung der Vollzugsabteilungsleiterin erweckte dessen äußeres Erscheinungsbild den Eindruck, er sei "zugedröhnt". Zudem wurden bei einem anderen Gefangenen, mit dem er seine Freizeit verbracht hatte, Rauchutensilien und Cannabis gefunden; die von jenem Gefangenen abgegebene Urinprobe war positiv.

3

Rechtsgrundlage für die angeordnete Abgabe einer Urinprobe (vgl. dazu Bühring in ZfStrVO 1994, 271 ff.) ist § 119 Abs. 3 StPO. Danach dürfen dem Verhafteten Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert. Bei der Auslegung des Begriffs der "Ordnung in der Vollzugsanstalt" hat der Gedanke der Gewährleistung der Sicherheit der Gefangenen und des Vollzugspersonals zentrale Bedeutung. Durch die Existenz und den Konsum von Drogen wird die Anstaltsordnung massiv gestört. Drogenabhängige sind in berauschtem Zustand in ihrem Verhalten und in ihren Reaktionen unberechenbar und nur schwer zu kontrollieren, was zu einem beachtlichen Sicherheitsrisiko für das Vollzugspersonal führt. Durch die Existenz von Drogen wird zudem die Bildung subkultureller Abhängigkeiten in der Vollzugsanstalt gefördert. Auch ist zu beachten, dass unter Drogenkonsumenten eine gewisse Solidarität besteht. Hierdurch wird der Drogenaustausch innerhalb einer Anstalt schwer kontrollierbar. Letzteres birgt gerade auch für noch nicht rauschmittelabhängige Untersuchungsgefangene die Gefahr, zum Drogenkonsum verführt zu werden. Diese Gefahr wird durch die typische Haftsituation des Untersuchungsgefangenen, insbesondere die Ungewissheit des Verfahrensausgangs, verstärkt. Den Staat trifft die Verpflichtung, die Untersuchungsgefangenen vor negativen Folgen der Haft - auch vor gesundheitlichen Risisken der Untersuchungshaft - so weit wie möglich zu schützen, zumal gerade Suchtgefahren und die Abhängigkeit von Drogen ein Leben zerstören können.

4

Zwar wird teilweise die Ansicht vertreten, ein Untersuchungsgefangener könne nicht zur Abgabe einer Urinprobe verpflichtet werden, weil niemand gezwungen werden dürfe, sich selbst durch eine eigene aktive Tätigkeit in strafrechtlich relevanter Weise zu belasten, vgl. OLG Saarbrücken NStZ 1992, 350 [OLG Saarbrücken 05.02.1992 - 1 Ws 10/92] unter Hinweis auf BGHSt 34, 39(45). Dieser Ansicht kann aber nicht gefolgt werden. Das - aus der Verfassung abzuleitende (vgl. BVerfGE 56, 37 [BVerfG 13.01.1981 - 1 BvR 116/77] (49)) - Verbot des Erzwingens einer Selbstbelastung gilt zwar generell, steht der hier zu beurteilenden Anordnung an den Untersuchungsgefangenen, eine Urinprobe abzugeben, aber nicht entgegen. Denn diese Anordnung erfolgte nur als Mittel zur Sicherung der Anstaltsordnung, nicht hingegen, um den Untersuchungsgefangenen einer Straftat zu überführen. Hierzu wäre sie auch ungeeignet, weil sie - im Interesse der Anstaltsordnung - erzwungen wurde und ihr zudem auch kein richterlicher Beschluss zu Grunde liegt. Die von einem Untersuchungsgefangenen abverlangte Urinprobe ist deshalb in einem Strafverfahren nicht zu seinen Lasten verwertbar.

5

Da das Abgeben einer Urinprobe einerseits ein geeignetes Mittel der Drogenkontrolle in der Anstalt darstellt, andererseits aber nur eine minimale Belastung des Untersuchungsgefangenen - insbesondere keinerlei körperlichen Eingriff - beinhaltet, ist ihre Anordnung auch verhältnismäßig. Die Entscheidung des Landgerichts Traunstein, StV 2004, 144, auf die sich der Beschwerdeführer beruft, steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil hier ein konkreter Hinweis auf einen möglichen Drogenmissbrauch vorgelegen hat. Der Beschwerdeführer hätte deshalb der Anordnung, eine Urinprobe abzugeben, nachkommen müssen.

6

Seine Weigerung stellt mithin einen Verstoß gegen die Anstaltsordnung dar, der nach § 67 Abs. 1 UVollzO mit einer vom Richter angeordneten Disziplinarmaßnahme geahndet werden kann. Diese Norm stellt zwar nur eine Verwaltungsanordnung dar, die als solche keine Pflichten der Untersuchungsgefangenen begründen kann. Sie ist aber, soweit und solange der zuständige Richter - wie hier - im Einzelfall keine abweichende Anordnung erlassen hat, anzuwenden, weil davon auszugehen ist, dass die allgemein getroffenen Regelungen der UVollzO nach dem Willen des Richters die Untersuchungshaft nach § 119 Abs. 3 StPO gestalten sollen. Hier hat der zuständige Richter die von der Justizvollzugsanstalt beantragte Disziplinarmaßnahme ausdrücklich genehmigt.

7

Nach Art und Ausmaß ist diese Maßnahme in Hinblick auf die Bedeutung der geschehenen Störung der Anstaltsordnung nicht zu beanstanden. Auch das vorgeschriebene Verfahren ist eingehalten worden, insbesondere ist dem Untersuchungsgefangenen durch die Anhörung durch den Vollzugsleiter vor Anordnung der Maßnahme rechtliches Gehör gewährt worden.