Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 07.11.1990, Az.: 8 A 8491/90

Anspruch auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises; Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ; Positive Einstellung gegenüber der deutschen Minderheit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
07.11.1990
Aktenzeichen
8 A 8491/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 20912
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1990:1107.8A8491.90.0A

Fundstellen

  • NVwZ 1993, 304
  • NVwZ 1995, 1248
  • NVwZ 1991, 399-401 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Ausstellung eines Vertriebenenausweises

Die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Büschen,
die Richter am Verwaltungsgericht Krause und Dr. Deppe sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Verfahrenskosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der am ... geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er reiste am 4. Juni 1988 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 6. Juni 1988 die Erteilung eines Vertriebenenausweises "A". Zur Begründung gab er an, seine Eltern seien deutsche Volkszugehörige. Sein am ... in Okonin Krs. Tuchel (Westpreußen) geborener Vater ... sei 1942 in die Deutsche Volksliste eingetragen worden. Seine Mutter, die am ... in Hütte Krs. Stargard (Westpreußen) geborene ... geb. ... sei ebenfalls 1942 in die Deutsche Volksliste eingetragen worden. Der Vater habe von 1940 bis 1945 die deutsche Grundschule in Tuchel besucht, die Mutter von 1932 bis 1939 die deutsche Volksschule in Ofen. Die von der Beklagten daraufhin durchgeführten Ermittlungen ergaben folgendes:

2

Die Brüder der Mutter des Klägers, ... und ... waren bei der Wehrmacht. ... wurde am 9. November 1944 gefangenengenommen und den polnischen Streitkräften übergeben. Auf seiner Personalkarte ist nach Angabe der Wehrmachtsauskunftsstelle "Pole" vermerkt worden. Er sei in die polnische Freiwilligenarmee eingetreten. ... wurde am 2. Dezember 1944 zur Wehrmacht einberufen, kämpfte an der Ostfront und geriet in russische Gefangenschaft, aus der er 1947 freigelassen wurde. Die Lehrerin ..., die an der Schule in Okonin unterrichtet hatte, konnte sich an den Vater des Klägers nicht erinnern. Sie äußerte die Vermutung, daß es sich um "eingedeutsche Polen" gehandelt habe und nahm ihrerseits Kontakt mit Frau ... auf, die während des Krieges die Bürgermeistergeschäfte für ihren Ehemann in Okonin geführt und auch die Lebensmittelkarten ausgegeben haben soll. Auch Frau ... konnte sich an den Namen ... nicht erinnern. Frau ... erklärte, sie habe die Mutter des Klägers 1978 kennengelernt. Diese habe deutsch gesprochen. In der Familie sei überwiegend polnisch gesprochen worden. ... gab am 29. Juni 1989 bei der Beklagten an, er habe den Kläger als Kind kennengelernt. Dessen Mutter und die Großeltern mütterlicherseits kenne er seit dem Zweiten Weltkrieg aus Dirschau. 1941 sei die Großmutter dort hingezogen und habe bis Kriegsende in der Fleischerei ihrer Eltern gearbeitet. Die Mutter des Klägers habe bei Praust (Danzig) gearbeitet. Er habe sie manchmal auf dem Bahnhof in Dirschau getroffen und bei Kontrollen im Zug einen grünen Volkslistenausweis gesehen. Alle Mitglieder der Familie ... seien Deutsche gewesen. Die Umgangssprache in der Familie sei deutsch gewesen, die Mutter habe auch polnisch sprechen können.

3

Mit Bescheid vom 31. Oktober 1989 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises ab, weil für eine deutsche Volkszugehörigkeit der Eltern des Klägers hinreichende Anhaltspunkte fehlten und die Aussage des ... widersprüchlich und unglaubhaft sei. Die übrigen Zeugen bestätigten lediglich die Sprachkenntnisse der Mutter des Klägers. Das Beherrschen der deutschen Sprache sei aber in der Zeit der deutschen Besetzung in Polen nichts außergewöhnliches gewesen. Die Wehrmachtszugehörigkeit der Brüder der Mutter reiche ebenfalls nicht aus, um ihre deutsche Volkszugehörigkeit anzunehmen. Den gegen den Ablehnungsbescheid gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 1990 als unbegründet zurück. Daraufhin hat der Kläger fristgemäß Klage erhoben, mit der er sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren vertieft. Insbesondere beruft er sich auf das Zeugnis des ....

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Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 31.10.1989 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 29.3.1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger einen Vertriebenenausweis auszustellen.

5

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers aus den Gründen der angefochtenen Bescheide entgegen.

7

Während des gerichtlichen Verfahrens ist (am 6. August 1990) die Erklärung von Frau ... die mit ihrem Ehemann bis zum 18. April 1945 in Grebinerfeld (Danzig) eine Landwirtschaft bewirtschaftet hatte, eingegangen. Frau ... erklärt, die Mutter des Klägers sei ab 1940 als Dienstmädchen bei ihnen tätig gewesen. Als sie am 18. April 1945 Grebinerfeld verlassen müßten, sei ... noch bei ihnen gewesen. Beim Abtransport mit dem Schiff von Hela nach Dänemark sei sie aber verschwunden gewesen und sei auch nicht mehr auf dem Schiff gesehen worden. ... habe die polnische Staatsangehörigkeit gehabt, es sei daher anzunehmen, daß demzufolge auch ihre Volkszugehörigkeit polnisch gewesen sei. Sie habe die polnische Volksschule besucht.

8

Durch Beschluß vom 18. Juli 1990 hat die Kammer Beweis erhoben darüber, ob der am 20.5.1955 geborene Kläger durch seine am 4.6.1988 erfolgte Ausreise aus Dirschau/Westpreußen einem gegen die dortige deutsche Bevölkerung gerichteten Vertreibungsdruck gewichen ist, oder ob sich mit dem Beginn des Liberalisierungs- und Demokratisierungsprozesses in Polen die Verhältnisse in den Vertreibungsgebieten dergestalt geändert haben, daß (seitdem) nicht mehr von dem Bestehen eines solchen Vertreibungsdrucks ausgegangen werden kann, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Kammer hat weiterhin Beweis erhoben darüber, ob sich die Mutter des Klägers, ... geb. ..., zu Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen zum deutschen Volkstum bekannt hat, durch Vernehmung des ... als Zeugen.

9

Wegen des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wird auf das den Beteiligten bekannte Gutachten von Dr. ..., Hochschulassistent am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin vom 6.8.1990 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7.11.1990 verwiesen. Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises.

11

Nach §15 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes i.d.F. vom 3. September 1971 (BGBl. I S. 1566), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 22. Juni 1990 (BGBl. I S. 1247) - BVFG - erhalten Vertriebene zum Nachweis ihrer Vertriebeneneigenschaft den Vertriebenenausweis. Gem. §1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG - diese Vorschrift kommt allein in Frage - ist Vertriebener, wer vor dem 1. Juli 1990 das Vertreibungsgebiet (z.B. Polen) als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen verlassen hat (sog. Aussiedler). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 20.10.1987 - 9 C 266.86 -, BVerwGE 78, S. 147 ff.) sind die Aussiedlerfälle im Sinne des §1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG durch die Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen gekennzeichnet. Der Aussiedler muß daher das Vertreibungsgebiet wegen dieser Spätfolgen verlassen haben, also einem fortdauernden, gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Vertreibungsdruck gewichen sein. Das setzt, wie das Bundesverwaltungsgericht weiter ausführt, nicht voraus, daß konkrete Maßnahmen gegen den Aussiedler gerichtet waren, die ihn zum Verlassen des Vertreibungsgebiets veranlaßt haben. Vielmehr sollen die allgemeinen Spätfolgen der Vertreibung ausreichen, die sich als Vertreibungsdruck in der Vereinsamung der in dem von der deutschen Bevölkerung weitgehend entvölkerten Vertreibungsgebiet Zurückgebliebenen sowie in allen sonstigen Umständen niederschlagen, die - wie z.B. staatliche Assimilierungsbestrebungen - ein Leben als Volksdeutscher in den Vertreibungsgebieten erschweren. Das BVFG unterstellt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) in §1 Abs. 2 Nr. 3 materiellrechtlich dem Grundsatz nach, daß die in dem Vertreibungsgebiet zurückgebliebene deutsche Bevölkerungsgruppe in ihrer Gesamtheit den Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen unterliegt, so daß kraft Gesetzes widerlegbar zu vermuten ist, daß der Aussiedler wegen der Nachwirkungen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen das Vertreibungsgebiet verlassen hat.

12

Nach Auffassung der Kammer ist an der Fortgeltung des BVFG in der Auslegung, die es in der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefunden hat, bei aus Polen kommenden Antragstellern jetzt nicht mehr uneingeschränkt festzuhalten, weil sich die Verhältnisse in diesem Teil des Vertreibungsgebietes deutlich verändert haben. Seit dem Abschluß der Danziger Vereinbarung vom 31.8.1980 befindet sich, wie Dr. ... in seinem Gutachten vom 6.8.1990 überzeugend dargelegt hat, die Republik Polen in einem kontinuierlichen Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozeß, der durch den Ausnahmezustand zwischen Dezember 1981 und Juli 1983 nur vorübergehend gebremst, aber nicht grundlegend unterbrochen wurde und sich politisch in einem allmählichen, heute vollständig abgeschlossenen Rückzug der Partei zunächst aus wichtigen Teilbereichen der Gesellschaft, dann auch aus dem Staatsapparat manifestierte. Der Gutachter verweist darauf, daß Georg Brunner in einem Bericht für die Bundesregierung die politisch-rechtliche Situation im Polen der 80iger Jahre als "relativ liberale und rechtsstaatliche, weit über dem Warschauer Pakt-Standard, liegende Gesamtatmosphäre" beschrieben habe (Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Paktes - Bericht der Unabhängigen Wissenschaftlerkommission, Deutscher Bundestag, 11. Wahlperiode, Drucksache 11/1344, S. 233). Die in Polen vollzogene politisch-rechtliche Entwicklung, ist am 5.4.1989 in dem Round-table-Abkommen, welches Bronislaw Geremek für die von der Gewerkschaft "Solidarität" geleitete Opposition und Januz Reykowski für die damalige Regierungskoalition in Warschau unterzeichnet haben und das zwei Tage später durch die Verfassungsnovelle vom 7.4.1989 und weitere Reformgesetze rechtlich sanktioniert worden ist, festgeschrieben worden.

13

Die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Polen haben auch Einfluß auf die Situation der dort ansässigen deutschen Bevölkerung gehabt. Der Gutachter legt nachvollziehbar dar, daß die in der polnischen Bevölkerung auf breiter Basis verankerte Solidaritätsbewegung von Beginn an eine positive Einstellung gegenüber der deutschen Minderheit eingenommen und ihre Forderungen weitgehend unterstützt hat. Dr. ... verweist ergänzend auf einen Beitrag von Kazimirz Wojcicki im Rahmen einer Studie mit dem Thema "Polen - Deutschland - Europa". Diese ist von der Forschungsstelle für Internationale Studien, eingerichtet bei der 2. Kammer des Polnischen Parlaments, veröffentlicht worden. Mit den von der "Solidarität" ausgelösten und getragenen Reformen ist folglich sowohl bei den Behörden als auch bei der Bevölkerungsmehrheit (die die "Solidarität" repräsentiert) ein Umdenkungsprozeß in Bezug auf die in Polen lebenden deutschen Volkszugehörigen einhergegangen.

14

Nach Einschätzung des Gutachters leidet die deutsche Minderheit in Polen bereits seit der faktischen Anerkennung der Solidarität durch die Regierung (Jahreswende 1985/86) nicht mehr unter einem Vertreiburigsdruck. Diese Schlußfolgerung teilt die Kammer nicht. Wenn der Gutachter ausführt, nach der 1985/86 vollzogenen innenpolitischen Kräfteverschiebung habe allen Bürgern - und damit auch den Deutschen - die Übernahme der Gesetzgebungs- und Regierungsgewalt durch die Opposition nur noch als eine Frage der Zeit erscheinen müssen, so ist dies wenig überzeugend und im Sinne eines staatlichen Minderheitenschutzes auch nicht greifbar. Nach Auffassung der Kammer kann vielmehr erst mit der Verabschiedung der Verfassungsnovelle am 7. April 1989 davon ausgegangen werden, daß der polnische Staat an seinen "Assimilierungsbestrebungen" nicht mehr festhalten will. Die Verfassungsnovelle führte in Polen - unter endgültiger Abkehr vom marxistisch-leninistischen Prinzip der Gewalteneinheit - ein präsidiales Zweikammersystem sowie umfassende institutionelle Unabhängigkeitsgarantien für die Justiz ein. Alle Bürger erlangten nunmehr das justiziell abgesicherte Recht, sich in politischen-, gesellschaftlichen- und Berufsorganisationen zusammenzuschließen. In den Kontext gehören weiter formelle Garantien der Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Eine Bestätigung für den am 7. April 1989 festgeschriebenen Minderheitenschutz stellt die von Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki am 14. November 1989 unterzeichnete gemeinsame Erklärung der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen dar. Sie bringt die Anerkennung der deutschen Minderheit durch die polnische Regierung deutlich zum Ausdruck. Beide Vertragsparteien wollen nämlich Personen- und Bevölkerungsgruppen, die deutscher bzw. polnischer Abstammung sind oder die sich zur Sprache, Kultur oder Tradition der anderen Seite bekennen, ermöglichen, ihre kulturelle Identität zu wahren und zu entfalten. Dies soll in dem Grenzvertrag, dessen Abschluß unmittelbar bevorsteht, gleichfalls seinen Niederschlag finden.

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Es besteht hiernach seit dem 7. April 1989 auch keine Veranlassung mehr für die Vermutung, die deutschen Volkszugehörigen "vereinsamten" in Polen. Die Kammer ist darüber hinaus der Auffassung, daß insoweit zwischen "Frühgeborenen" und "Spätgeborenen" zu differenzieren ist, denn letztere sind ohnehin in einer vom fremden Volkstum geprägten Umwelt aufgewachsen und dadurch allein mit ihr vertraut. Sie haben die von einem für sie fremden Volkstum geprägten Lebensverhältnisse in ihrer Heimat nicht als neue, sondern als einzige ihnen vertraute Umwelt erlebt und dürften sich in großer Zahl den Lebensverhältnissen ihrer Heimat ohnehin völlig angepaßt haben.

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Da der Kläger bereits am 4. Juni 1988 ausgereist ist und vertreibungsfremde Gründe nicht ersichtlich sind, ist zu seinen Gunsten weiterhin an der gesetzlichen Vermutung eines Vertreibungsdrucks festzuhalten. Der Kläger, der unstreitig polnischer Staatsangehöriger ist, ist aber nicht als deutscher Volkszugehöriger in die Bundesrepublik eingereist. Gemäß §6 BVFG ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur bestätigt wird. Der Kläger konnte ein derartiges Bekenntnis bei Beginn der allgemeinen gegen Deutsche gerichteten Vertreibungsmaßnahmen in Polen 1944/45 noch nicht abgeben, weil er in dieser Zeit noch nicht lebte. Sein Vater war im maßgeblichen Zeitpunkt selbst noch nicht bekenntnisfähig; über die Großeltern väterlicherseits liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Die Mutter war zu Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen 20 Jahre alt und daher selbst bekenntnisfähig. Es kommt somit maßgebend darauf an, ob sie sich zum deutschen Volkstum bekannt hat; ob sie seinerzeit von ihrer Umgebung als deutsche Volkszugehörige angesehen worden ist. Davon kann nicht ausgegangen werden.

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Die Erklärung von ... läßt vielmehr den Schluß zu, daß ... als Dienstmädchen polnischer Volkszugehörigkeit bei dem Ehepaar ... angestellt gewesen ist. Sie hat offensichtlich nicht die Möglichkeit der Flucht mit dem Schiff über die Ostsee nach Dänemark genutzt und ist im Vertreibungsgebiet geblieben. Die Vernehmung des Zeugen ... in der mündlichen Verhandlung hat keine Anhaltspunkte für ein deutsches Volkstum der ..., ergeben. Die Einlassung des Zeugen in der mündlichen Verhandlung stimmt bereits nicht mit seinen Erklärungen überein, die er bei der Beklagten abgegeben hat. Während er dort ausgeführt hatte, die Großeltern des Klägers mütterlicherseits hätten ab 1941 in Dirschau gewohnt, erklärte er später, die Familie habe lediglich Freunde in Dirschau gehabt. Die Kammer zweifelt auch an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Er sagte in der mündlichen Verhandlung aus, er habe als Hausdiener auf dem Bahnhof in Dirschau gearbeitet und deshalb viele Leute gekannt. Aus dem von ihm vorgelegten Arbeitsbuch ergab sich jedoch, daß er lediglich sieben Tage in der Bahnhofsgastwirtschaft tätig gewesen ist. Der Zeuge hat weiter erklärt, er sei "fest davon überzeugt", daß die Mutter des Klägers eine Deutsche gewesen sei. Konkrete Angaben vermochte er nicht zu machen. Er kannte weder den Vornamen der Mutter des Klägers, noch ihren Wohnort. Zwar will er mit dem Bruder der Mutter des Klägers, ..., zur Berufsschule gegangen sein; im Familienhaushalt der Familie ist er aber nicht gewesen. Aus dem Umstand, daß die Mutter des Klägers nach Angaben des Zeugen kein "P" auf ihrer Kleidung getragen hat, läßt sich - die Wahrhaftigkeit der Erklärung des Zeugen unterstellt - nicht zwangsläufig herleiten, daß sie eine deutsche Volkszugehörige (gewesen) ist (BVerwG, Urteil vom 17.10.1989 - 9 C 18.89 -). Sollte sie tatsächlich einen "grünen Ausweis" gehabt haben, so könnte ... in Abteilung 3 der Volksliste eingetragen gewesen sein. Diese Eintragung rechtfertigt aber für sich genommen noch nicht die Annahme eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum, weil das Eintragungsverfahren im Wege einer amtlichen Erfassung vor sich ging und von einer freiwilligen Entscheidung der zur Antragstellung aufgeforderten polnischen Staatsangehörigen in der Regel nicht ausgegangen werden kann. Daraus, daß die Brüder der Mutter des Klägers bei der Wehrmacht gewesen sind, ist nichts herzuleiten. Zum einen sind sie recht spät einberufen worden, zum anderen ist der Bruder ... in den Unterlagen als "Pole" bezeichnet worden und soll auch in die polnische Freiwilligenarmee eingetreten sei. Im übrigen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, daß die Mutter des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt selbst bekenntnisfähig gewesen ist und allein aus einem möglichen Bekenntnis ihrer Brüder zum deutschen Volkstum nicht auf ein eigenes Bekenntnis geschlossen werden kann.

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Nach den Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist ein etwa vorhandenes Bekenntnis der Mutter des Klägers zum deutschen Volkstum auch nicht prägend an ihn selbst weitergegeben worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck vermittelt, daß er in Polen in dem Bewußtsein aufgewachsen ist, dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Zwar glaubt die Kammer dem Kläger, daß in der Familie viel von der Vergangenheit gesprochen worden ist und daß er als Kind auch deutsche Märchen gelesen hat. Seitdem der Kläger aber die Schule besuchte, ist offenbar das deutsche Volkstum in der Familie nicht weiter gepflegt, zumindest nicht an ihn weitergegeben worden. Der Kläger war nach seinem Bekunden während seiner Schulzeit und der sich daran anschließenden Berufsausbildung stark mit "anderen Dingen" und mit dem Lernen anderer Sprachen beschäftigt. Der Kläger ist offenbar- und die Kammer sieht dies auch als einen durchaus normalen Vorgang an - mit Beginn seiner Schulzeit in seine polnische Umgebung hineingewachsen und mit ihr vertraut geworden. Er hat das polnische Volkstum nicht mehr als etwas fremdes empfunden, sondern als seine vertraute Umwelt erlebt und angesehen. Das deutsche Volkstum, soweit es denn vorhanden gewesen ist, hat mithin spätestens in der Person der Mutter des Klägers ihr Ende gefunden, daran vermag auch die Tatsache, daß einige deutsche Weihnachtsbräuche in der Familie weiter gepflegt worden sind, nichts zu ändern.

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Nach allem ist deshalb die Klage mit der Kostenfolge aus §154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus §167 VwGO i.V.m. §708 Nr. 11 ZPO.

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Rechtsmittelbelehrung

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Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht in 2120 Lüneburg, Uelzener Str. 40, statthaft.

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...

Büschen
Krause
Dr. Deppe