Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.03.1985, Az.: 6 OVG A 187/83
Gemeindlicher Nachbarschutz bei Fragen der Bauleitplanung; Zulässigkeit vorbeugender Unerlassungsklagen und Feststellungsklagen von Gemeinden; Klagebefugnis einer Samtgemeinde im Bauplanungsrecht; Erforderlichkeit der Abstimmungen von Gemeinden im Bauplanungsrecht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.03.1985
- Aktenzeichen
- 6 OVG A 187/83
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 14186
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1985:0329.6OVG.A187.83.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - AZ: 3 VG A 255/80
Rechtsgrundlagen
- § 43 VwGO
- § 33 BBauG
- § 72 NGO
- § 1 BBauG
- § 2 Abs. 4 BBauG
Verfahrensgegenstand
Anfechtung eines Flächennutzungsplanes.
Prozessführer
1. der Samtgemeinde ...
2. der Stadt ...
Prozessgegner
die Stadt Cuxhaven,
Sonstige Beteiligte
Bezirksregierung ...
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die vorbeugende Unterlassungs- oder Feststellungsklage einer Gemeinde gegen die Verwirklichung eines Flächennutzungsplanes ihrer Nachbargemeide ist grundsätzlich zulässig. Zur Wahrung ihrer Rechte braucht sich eine Gemeinde nicht auf das Normenkontrollverfahren verweisen lassen, das als einzig effektiver nachträglicher Rechtsschutz in Betracht käme. Der Rechtsschutz durch eine Normenkontrolle bleibt in seiner verfahrensmäßigen Ausgestaltung aber hinter den sonstigen Rechtsschutzformen zurück, was besonders in der fehlenden Eröffnung des Revisionsrechtszuges zum Ausdruck kommt.
- 2.
Eine Samtgemeinde, die überwiegend im übertragenen Wirkungskreis tätig wird und insoweit in Selbstverwaltungsrechten durch Maßnahmen der Bauplanung nicht verletzt sein kann, ist immer dann klagebefugt, wenn auch sie Planungsaufgaben aus dem eigenen Wirkungskreis zu erfüllen hat und Ihr die Aufstellung des Flächennutzungsplanes und damit die Ausübung gemeindlicher Planungshoheit übertragen wurde.
- 3.
Planungen einer Gemeinde haben, auch wenn die Ausweisungen an ihren Grenzen enden, in vielen Fällen darüber hinaus auch hemmende oder fördernde Auswirkungen auf das Umland. Durch das Koordinierungsgebot soll unter Wahrung der jeweiligen Planungshoheit ein gedeihliches Miteinander der Nachbargemeinden gewährleistet werden. Die Gemeinde ist mit der Wahrnehmung der ihr vom Staat zugestandenen Verwaltungsbefugnisse nicht nur dem Wohl der eigenen örtlichen, sondern auch zugleich der vom ganzen Staatsverband umschlossenen Gemeinschaft verpflichtet.
- 4.
Das Maß der erforderlichen Abstimmung, deren Einhaltung die Nachbargemeinde fordern kann, ist von der Konkretisierung der Planung in der Nachbargemeinde abhängig. Gesteigert schutzwürdig ist die Planung, die durch Erlaß von Bauleitplänen bereits verwirklicht wurde. Die Abstimmung ist jedoch auch unabhängig von der Existenz von Bauleitplänen immer dann erforderlich, wenn unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art für die Nachbargemeinde in Betracht kommen.
Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Taegen,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jenke und
den Richter am Verwaltungsgericht Janssen sowie
die ehrenamtlichen Richter Santer und
Ronshausen
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 10. August 1983 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 2.500,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerinnen, eine Samtgemeinde und eine ihrer Mitgliedsgemeinden, wenden sich gegen den Flächennutzungsplan der Beklagten, der bis an die Gemeindegrenze der Klägerinnen gewerbliche Bauflächen darstellt. Die Klägerinnen befürchten dadurch Beeinträchtigungen von Erholungseinrichtungen auf ihrem Gemeindegebiet sowie Behinderungen bei der weiteren Gemeindeplanung.
Die Beteiligten sind Nachbargemeinden an der .... Nach dem Landesraumordnungsprogrammen von 1973 und 1978 gehörten sie zu einem gemeinsamen Schwerpunktraum mit dem Schwerpunkt in ... Das regionale Raumordnungsprogramm für den Regierungsbezirk ... von 1976 wies ihnen die besonderen Entwicklungsaufgaben "Wohnen, Erholung und gewerbliche Wirtschaft" zu. Die Klägerin zu 2) ist seit Beginn des Jahres 1985 staatlich anerkannter Erholungsort. Nach dem regionalen Raumordnungsprogramm des Landkreises ... ist sie Grundzentrum mit der Entwicklungsaufgabe "Erholung".
Ungefähr 300 m östlich der Stadtgrenze der Beklagten beginnt auf dem Gemeindegebiet der Klägerin zu 2) das Gelände des Jugendzeltlagers ..., das von der Landeshauptstadt ... betrieben wird. Weiter östlich folgen andere Erholungs- und Ferieneinrichtungen. Nach dem Flächennutzungsplan der Klägerin zu 1) vom 22. Februar 1979 haben Flächen entlang der Elbe auf eine Tiefe von ungefähr einem Kilometer "Erholungsfunktion" oder sollen dem "Ausgleich zwischen Erholungsnutzung, Landwirtschaft, Landschaftsschutz ..." dienen. Das Jugendzeltlager ist als "Campingplatz"übernommen. Die übrigen Flächen an der gemeinsamen Grenze sind Außenbereich und als Flächen für die Landwirtschaft dargestellt.
Am 4. Dezember 1973 beschloß der Gemeinderat der Beklagten die Aufstellung eines neuen Flächennutzungsplanes. Während des Aufstellungsverfahrens stand die Ausweisung gewerblicher Flächen östlich des Stadtkernes im Mittelpunkt der Diskussion. Im Frühjahr 1978 wurde ein Entwurf erstellt, der ungefähr 350 ha Gewerbeflächen im Bereich ... auswies (sog. "kleine Lösung"). Nach Gesprächen mit der niedersächsischen Landesregierung wurden dann jedoch erheblich größere Flächen für Hafennutzung und Gewerbeansiedlung bis an die östliche Gemeindegrenze geplant (sog. "große Lösung"). Es sollten zwischen dem Ortsteil ... über den Ortsteil ... hinaus bis zur Gemeindegrenze ca. 880 ha als gewerbliche Fläche dargestellt werden. Dazu kamen noch ca. 250 ha als Sondergebiet "Hafen".
Mit Schreiben vom 7. Februar und 20. März 1979 wandten sich die Klägerinnen mit der Begründung gegen diese Planungsabsicht, daß das Jugendzeltlager und die Entwicklung der Klägerin zu 2) als Erholungsort beeinträchtigt würden.
Am 22. März 1979 billigte der Rat der Beklagten den Entwurf des Flächennutzungsplanes mit der sog. großen Lösung und beschloß seine Auslegung. Die Ausweitung der Gewerbeflächen entspreche der Landesplanung und Raumordnung, die Industrie- und Gewerbeflächen am seeschifftiefen Fahrwasser der Elbe bis an die Gemeindegrenze vorsähen. Zum Schutz des Jugendzeltlagers vor schädlichen Immissionen wurde im östlichen Planbereich nördlich der Bahnlinie nach ... eine zwischen 400 und 900 m breite Grünfläche als Schutzgrün dargestellt. Zugleich mit der Auslegung des Planentwurfes beschloß der Rat eine Negativliste der von einer Ansiedlung auszuschließenden Industrieanlagen. Diese umfaßte Kernkraftwerke, elektrometallurgische Anlagen, Anlagen zur Herstellung von Kupfer mit Röstung, Blei-, Zink- und Aluminiumhütten, Großchemie mit absolutem Gefährdungspotential für das Nordseeheilbad, Erdölraffinerien mit chemischer Weiterverarbeitung, Anlagen zur Herstellung von Viskosekunstfasern, Kokereien, Hochofenwerke und Stahlwerke mit konventioneller Produktionstechnik.
Während der Auslegung des Planentwurfes wandten sich die Klägerinnen erneut gegen die Darstellung der gewerblichen Baufläche bis an ihre Gemeindegrenzen. Sie machten geltend, die Beklagte achte zwar einerseits darauf, daß die zukünftigen Gewerbeflächen ausreichend Abstand zu den eigenen Kur- und Erholungseinrichtungen einhielten, sie jedoch andererseits keinerlei Rücksicht auf ihre Erholungsanlagen nehmen würde. Wenn deren Gemeindegebiet im Westen vollständig von Industrie und Gewerbe eingekreist werde, wirke sich dies negativ auf den Erholungswert des westlichen Gemeindegebietes und auf den Fremdenverkehr aus. Die Beigeladene wandte mit Schreiben vom 5. Juli 1979 ein, daß die Ausweisung der großen Gewerbefläche sinnlos sei, wenn an der Negativliste festgehalten werde.
Am 12. Juli 1979 wurde der Flächennutzungsplan nach langer Debatte mit der sog. großen Lösung vom Gemeinderat der Beklagten beschlossen. Die "Negativliste" wurde in den Erläuterungsbericht aufgenommen. Weiter wurde im Erläuterungsbericht darauf hingewiesen, daß eine Aufgliederung der gewerblichen Bauflächen in Gewerbe- und Industriegebiete der verbindlichen Bauleitplanung vorbehalten bleibe, der ein Hafen- und Industrieentwicklungsplan mit einem konkreten Nutzungskonzept und einem Immissionsschutzplan vorgeschaltet sein solle. Da bei der Festlegung von Abständen zwischen den Immissionsquellen zu den schutzbedürftigen Gebieten der Abstandserlaß des Landes Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt werden müßte, könnten allenfalls 450 ha uneingeschränkt für Industrieansiedlungen genutzt werden.
Mit Schreiben vom 12. September 1979 wurde den Klägerinnen mitgeteilt, daß ihre Bedenken gegen den Flächennutzungsplan zurückgewiesen worden seien. Zu Nutzungskonflikten an der gemeinsamen Grenze werde es nach dem derzeitigen Stand der Planung, nicht kommen. Der Flächennutzungsplan der Klägerin zu 1) enthalte bis auf das Jugendzeltlager keine Darstellungen, die mit den Planungen der Beklagten kollidieren könnten. Der Betrieb des Jugendzeltlagers werde nicht beeinträchtigt, da zu seinem Schutz eine ca. 90 ha große Schutzgrünfläche vorgesehen sei. Weiter schließe die beschlossene Negativliste unzumutbare Immissionen aus.
Nach Genehmigung durch die Beigeladene wurde der Flächennutzungsplan am 10. Mai 1980 bekanntgemacht. Am 26. Juni 1980 beschloß der Gemeinderat der Beklagten, die Negativliste im Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan aufzuheben, da diese sich hinderlich auf die dringend erforderliche Ansiedlung von arbeitsplatzschaffenden Industrien auswirke.
Am 5. Mai 1980 haben die Kläger gegen die Verwirklichung der Planungen der Beklagten Klage erhoben. Die Beklagte hat im November 1982 in Zusammenarbeit mit anderen Behörden ein "Industrieentwicklungs- und Hafenkonzept" aufgestellt, nach dem sich der östliche Bereich uneingeschränkt zur Industrieansiedlung eignet. Die Klägerin zu 2) hat am 23. Juni 1981 den Bebauungsplan Nr. 24 "Jugendzeltlager der Landeshauptstadt ..." als Satzung beschlossen. Die Beklagte hatte sich unter Berufung auf ihre Planungen gegen diesen Bebauungsplan gewandt.
Zur Begründung ihrer Klage haben die Klägerinnen im wesentlichen ausgeführt: Ihre Klage sei als Feststellungsklage zulässig, weit ihnen anderer effektiver Rechtsschutz nicht zur Verfügung stehe. Die Klage sei begründet, da die Planungen der Beklagten sie in ihren Rechten verletze. Schon das Beteiligungsverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Insbesondere hätte die Negativliste nach dem Wirksamwerden des Flächennutzungsplanes nicht durch einfachen Ratsbeschluß ohne Beteiligung der Träger öffentlicher Belange aufgehoben werden dürfen, da die Liste bei der Zurückweisung der Einwendungen erhebliche Bedeutung gehabt habe. Dem materiellen Abstimmungsgebot sei nicht nachgekommen. Der Flächennutzungsplan beschränke die Planungsmöglichkeiten der Klägerinnen in nicht hinnehmbarer Weise und greife nachhaltig in ihre gemeindliche Entwicklung ein. Die Beklagte habe sich zu Unrecht an die Raumordnungsprogramme gebunden gefühlt. Außerdem bestehe kein Bedürfnis für die Ausweisung gewerblicher Bauflächen in dem tatsächlich erfolgten Umfang. Die Aufhebung der Negativliste verschärfe die möglichen Konflikte an der Gemeindegrenze erheblich. Da die Negativliste bei der Abwägung eine entscheidende Rolle gespielt habe, müsse jetzt in eine erneute Abwägung eingetreten werden. Die Ausweisung der Grünfläche zum Schutz insbesondere des Jugendzeltlagers sei bei weitem nicht ausreichend. Die weitere Konkretisierung der Planung im Industrieentwicklungs- und Hafenkonzept zeige, daß die Beklagte nicht bereit sei, Belange der Klägerinnen zu respektieren.
Die Kläger haben beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, hinsichtlich gewerblicher Bauflächen und Sonderbauflächen die Ortsplanung auf der Grundlage des am 12. Juli 1979 beschlossenen Flächennutzungsplanes - Teilpläne 2 und 4 - weiter zu betreiben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die Klagen seien als vorbeugende Feststellungsklagen unzulässig und im übrigen auch unbegründet. Auf die Interessen der Klägerinnen sei, soweit es die Ziele der Raumordnung und Landesplanung zuließen, Rücksicht genomen worden. Der Abstand möglicher Gewerbe- und Industrieanlagen zu dem Jugendzeltlager reiche aus, um dessen ungestörten Betrieb weiterhin zu gewährleisten. Im übrigen befinde nicht der Flächennutzungsplan, sondern der spätere Bebauungsplan darüber, welche Betriebe angesiedelt würden. Erst im Ansiedlungsverfahren sei jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob weitere Schutzmaßnahmen notwendig seien.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, jedoch den Antrag der Beklagten unterstützt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klagen mit Urteil vom 10. August 1983 abgewiesen. Die Klagen seien zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der Abstimmungspflicht sei genügt, da Nutzungskonflikte, die insbesondere im Hinblick auf das Jugendzeltlager entstehen könnten, durch die Ausweisung der Schutzzone ausgeräumt worden seien.
Gegen das am 2. November 1983 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerinnen. Während des Berufungsverfahrens wurde der Entwurf einer Ergänzung des Landesraumordnungsprogrammes Teil II gemäß § 5 Abs. 3 NROG den Betroffenen bekanntgemacht. Die Ergänzung dient der Festlegung von Vorrangstandorten für großindustrielle Anlagen am seeschifftiefen Fahrwasser und den damit im Zusammenhang stehenden Großkraftwerken und bezieht sich auch auf die von der Beklagten dargestellten Gewerbeflächen.
Zur Begründung ihrer Berufung machen die Klägerinnen geltend: An der alsbaldigen Feststellung bestehe ein großes Interesse, weil die Klägerinnen sich bei ihrer eigenen Planung auf den Flächennutzungsplan der Beklagten einzustellen hätten. Außerdem entwickele eine derartig großflächige und bedeutsame Planung eine Eigendynamik, der es zeitig entgegenzusteuern gelte. Die Klage sei begründet, da das Abstimmungsgebot des BBauG verletzt worden sei. Die Beklagte habe die Ziele der Raumordnung und Landesplanung überbewertet, die auch eine kleinere Gewerbefläche zugelassen hätten und dadurch ihren Interessen gegenüber den Belangen der Klägerinnen unangemessen den Vorrang eingeräumt. Gewerbeflächen in der dargestellten Größe seien nicht erforderlich, da auch fünf Jahre nach Planaufstellung noch kein Betrieb habe angesiedelt werden können. Die Abstände zwischen der gewerblichen Nutzung und der Gemeindegrenze im nördlichen Planbereich reichten zum Schutz vor Immissionen nicht aus.
Der Abstandserlaß des Landes Nordrhein-Westfalen könne in Niedersachsen wegen der anderen geographischen und klimatischen Verhältnisse nicht angewandt werden. Im übrigen könne die Beklagte nicht darauf verweisen, daß im jeweiligen Ansiedlungsverfahren über Immissionsabwehr entschieden werden könne. Der Flächennutzungsplan müsse Konflikte, die er schaffe, auch selbst bewältigen. Dafür reichten die Darstellungen jedoch nicht aus. Die Beklagte habe lediglich darauf geachtet, ihre eigenen Ruhe- und Erholungsgebiete zu schonen, habe jedoch keinerlei Rücksicht auf die Interessen der Kläger genommen. Die nachträgliche Aufhebung der sog. Negativ liste lasse die seinerzeit bei der Planaufstellung getroffene Abwägung in sich zusammenfallen und mache eine erneute Entscheidung notwendig.
Die Klägerinnen beantragen,
unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor; Die Klagen seien unzulässig, weil es an dem besonderen qualifizierten Feststellungsinteresse fehle. Den Klägerinnen könne ausreichender Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren gewährt werden, das in seiner Wirkung nicht hinter dem anhängig gemachten Verfahren zurückstehe. Im übrigen seien die Klagen auch unbegründet. Es komme nicht darauf an, ob und aus welchen Gründen der Flächennutzungsplan rechtswidrig sein könnte. Die Klägerinnen könnten mit ihrer Klage nur dann Erfolg haben, wenn ihre Selbstverwaltungsrechte beeinträchtigt würden. Deshalb sei unerheblich, ob die Ausweisung der Gewerbeflächen in der vorhandenen Größe erforderlich gewesen sei. Auch die Verletzung des Abwägungsgebotes sei nur relevant, soweit dadurch Rechte der Klägerinnen beeinträchtigt werden könnten. Die Beklagte habe die Raumordnungsprogramme lediglich als Rahmen angesehen, den sie aus eigener
Entscheidung ausgefüllt habe. Die Ausweisung der Gewerbeflächen berücksichtige auch die Belange der Klägerinnen. Sofern ein besonderer Abstand erforderlich sei, sei dieser durch die Ausweisung der Schutzzone gewährleistet. Der Abstandserlaß des Landes Nordrhein - Westfalen könne auch in Niedersachsen Hinweise für den erforderlichen Abstand zwischen Industrieansiedlung und Wohnnutzung geben. Die Beklagte sei sich dessen bewußt, daß bei Beachtung der erforderlichen Schutzzonen nur ein Teil des Plangebietes für uneingeschränkte industrielle Nutzung verfügbar sei. Der Flächennutzungsplan habe Konflikte, soweit sie absehbar seien, gelöst. Alles weitere müsse in nachfolgenden Verfahren geklärt werden. Dort könnten die Kläger auch ausreichend Rechtsschutz erlangen. Die Aufhebung der Negativliste habe keine rechtliche Auswirkung, da sie lediglich im Erläuterungsbericht erwähnt, nicht jedoch Bestandteil des Planes geworden sei.
Die Beigeladene schließt sich ohne einen eigenen Antrag zu stellen, dem Vorbringen der Beklagten an und macht geltend, daß die Beklagte zur strikten Anpassung an die Raumordnungsprogramme verpflichtet sei. Da noch nicht feststehe, welche Industrie in dem Gebiet angesiedelt werden solle, könne über die erforderlichen Schutzabstände auch noch nicht entschieden werden. Diese Fragen müßten im Bebauungsplanverfahren oder auch im Verfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz geklärt werden.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die Berufung der Klägerinnen kann keinen Erfolg haben. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zu Recht als zwar zulässig, aber unbegründet abgewiesen.
Die Klagen sind als vorbeugende Feststellungsklagen nach § 43 VwGO zulässig. Das Verwaltungsgericht hat dies eingehend geprüft und unter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 08.09.1972 - IV C 17.71 -, BVerwGE 40 S. 323) bejaht. Der Senat schließt sich dem an und nimmt gemäß Art. 2 § 6 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seiten 17 bis 22 des angefochtenen Urteils Bezug.
Das Berufungsvorbringen der Beklagten stellt die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine vorbeugende Unterlassungs- oder Feststellungsklage einer Gemeinde gegen die Verwirklichung eines Flächennutzungsplanes ihrer Nachbargemeide zulässig. Zur Wahrung ihrer Rechte braucht sich diese Gemeinde nicht auf das Normenkontrollverfahren verweisen lassen, das als einzig effektiver nachträglicher Rechtsschutz in Betracht käme. Der Rechtsschutz durch eine Normenkontrolle bleibt in seiner verfahrensmäßigen Ausgestaltung hinter den sonstigen Rechtsschutzformen zurück, was besonders in der fehlenden Eröffnung des Revisionsrechtszuges zum Ausdruck kommt. Da die VwGO einen vorbeugenden Rechtsschutz unter Eröffnung auch des dritten Rechtszuges gewährt, brauchen sich die Klägerinnen nicht auf eine (nachträgliche) Rechtsschutzform verweisen zu lassen, die sich auf eine einzige gerichtliche Instanz beschränkt (BVerwG a.a.O., S. 327).
Die Klägerinnen haben ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Feststellung. Eine spätere Klageerhebung, die sie als vorbeugende Klage oder als nachträgliche Anfechtung von Rechtsakten erheben könnten, kann ihnen nicht zugemutet werden. Der Flächennutzungsplan der Beklagten hat schon jetzt konkrete Auswirkungen auf die Planungshoheit der Klägerinnen, da sie ihre Pläne dem Flächennutzungsplan anpassen müssen. Dies ist schon bei der Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 24 "Jugendzeltlager der Landeshauptstadt ..." deutlich geworden, den die Beklagte unter Hinweis auf ihren Flächennutzungsplan verhindern wollte. Außerdem müssen die Klägerinnen befürchten, daß sich ihre Position mit fortschreitender Zeit verschlechtert. Der Flächennutzungsplan ist zwar noch nicht durch die Aufstellung von Bebauungsplänen konkretisiert worden, jedoch ist er schon Grundlage für weitere Planungen geworden, die der Ansiedlung von Industrien dienen sollen. So baut das "Industrieentwicklungs- und Hafenkonzept ..." auf den Darstellungen des Flächennutzungsplanes auf und gliedert die gewerbliche Baufläche im einzelnen auf. Nach diesem Konzept bieten sich besonders die Teilfächen 1, 2 und 4 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gemeindegebiet der Klägerin zu 2) für die Aufnahme großtechnischer Anlagen an (Bl. 11 und Anlage 3 des Industrieentwicklungs- und Hafenkonzepts). Auch der Entwurf für eine Ergänzung des Landesraumordnungsprogramms Niedersachsen - Teil 2 -, der die nähere Festlegung von Vorrangstandorten für großindustrielle Anlagen am seeschiffahrtstiefen Fahrwasser und für die damit im Zusammenhang stehenden Vorrangstandorte für Großkraftwerke umfaßt, legt die Dartstellungen des Flächennutzungsplanes zugrunde (Bl. 27 und 34 unten des Entwurfs). Diese Schritte zur Verwirklichung des Flächennutzungsplanes vor der Aufstellung von Bebauungspläne lassen die Klageerhebung nicht als verfrüht erscheinen. Die Klägerinnen können nicht auf eine Klageerhebung in dem Zeitpunkt verwiesen werden, in dem die Ansiedlung eines Unternehmens konkret bevorsteht. Angesichts der großen Bedeutung, die die Industrieansiedlung für die Beklagte hat, ist nicht auszuschließen, daß effektiver Rechtsschutz dann nicht mehr gewährt werden kann, weit die Möglichkeit besteht, großtechnische Anlagen, sofern für ihre Ansiedlung überhaupt Bebauungspläne erforderlich sind, auch schon nach § 33 BBauG vorzeitig zuzulassen.
Die Klägerinnen sind zur Klage befugt. Für die Klägerin zu 2) ergibt sich dies schon daraus, daß sie die Verletzung ihrer eigenen Selbstverwaltungsrechte geltend machen kann. Die Planung der Beklagten hat konkrete Auswirkungen auf die Entwicklung der Klägerin zu 2) und schränkt sie insoweit in ihrer Planungshoheit, die sie durch Erlaß von Bebauungsplänen verwirklicht, ein. Auch die Klägerin zu 1), die als Samtgemeinde überwiegend im übertragenen Wirkungskreis tätig wird (§ 72 Abs. 2 NGO) und insoweit in Selbstverwaltungsrechten nicht verletzt sein kann, ist ebenfalls klagebefugt, weil auch sie Planungsaufgaben aus dem eigenen Wirkungskreis zu erfüllen hat. Ihr ist nämlich die Aufstellung des Flächennutzungsplanes und damit Ausübung gemeindlicher Planungshoheit übertragen (§ 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NGO). Insoweit wirkt sich die Planung der Beklagten auch auf sie aus, da zukünftige Änderungen des Flächennutzungsplanes auf die Planungen der Beklagten abzustimmen sind.
Die zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet. Die Klägerinnen können nicht beanspruchen, daß die Beklagte die Vewirklichung ihres Flächennutzungsplanes hinsichtlich der Gewerbeflächen einstellt. Das Abstimmungsgebot des § 1 Abs. 4 und Abs. 5 BBauG, auf das sich die Klägerinnen berufen, ist nicht verletzt. Allein darauf kommt es jedoch zur Entscheidung dieses Falles an. Ob der Flächennutzungsplan möglicherweise an anderen Fehlern leidet, ist unerheblich.
Der formellen Abstimmungspflicht, die sich aus § 2 Abs. 5 BBauG ergibt (BVerwG, Urt. v. 08.09.1972 - IV C 17.71 -, BVerwGE 40 S. 323, 328) [BVerwG 08.09.1972 - IV C 17/71], ist genügt. Mängel im förmlichen Abstimmungsverfahren bei der Aufstellung des Planes sind nicht gerügt. Sie sind jedoch auch hinsichtlich des Beschlusses über die Aufhebung der Negativliste nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat dies auf Seiten 23 und 24 des angefochtenen Urteils dargelegt. Der Senat schließt sich dem an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß Art. 2 § 6 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit darauf Bezug.
Neben der formellen Abstimmungspflicht besteht auch ein Anspruch auf materielle Abstimmung, der aus § 2 Abs. 4 BBauG herzuleiten ist. Auch wenn es sich dabei um eine Sollvorschrift handelt, ist sie doch keine sanktionslose Ordnungsvorschrift. Dem objektivrechtlichen Abstimmungsgebot entspricht vielmehr auch ein subjektives Recht der betroffenen Gemeinde auf deren Einhaltung (BVerwG, Urt. v. 08.09.1972 a.a.O. S. 330). Planungen einer Gemeinde haben, auch wenn die Ausweisungen an ihren Grenzen enden, in vielen Fällen darüber hinaus auch hemmende oder fördernde Auswirkungen auf das Umland. Durch das Koordinierungsgebot soll unter Wahrung der jeweiligen Planungshoheit ein gedeihliches Miteinander der Nachbargemeinden gewährleistet werden. Deshalb hat die planende Gemeinde auf die Nachbarn hinreichend Rücksicht zu nehmen. Die Gemeinde ist mit der Wahrnehmung der ihr vom Staat zugestandenen Verwaltungsbefugnisse nicht nur dem Wohl der eigenen örtlichen, sondern auch zugleich der vom ganzen Staatsverband umschlossenen Gemeinschaft verpflichtet (Brügelmann/Grauvogel, BBauG, Kommentar, § 2 Anm. 21; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, Kommentar, § 2 Anm. 79). Allerdings hat die betroffene Nachbargemeinde kein von ihrer Planungshoheit losgelöstes allgemeines Planabwägungsrecht auf Berücksichtigung jedweder gemeindlicher Interessen. Sie kann vielmehr nur ihr Recht auf Sicherung der ihr übertragenen Planungshoheit geltend machen (BayVGH, Urt. v. 04.09.1984 - Nr. 1 B 82 A 439 - BayVBl 1985 S. 83). Deshalb ist es unbeachtlich, ob, wie die Klägerinnen vortragen, auch die Ausweisung einer erheblich kleineren gewerblichen Baufläche den Anforderungen des § 1 Abs. 4 BBauG genügt hätte. Die Anpassungspflicht an die Grundsätze der Landesplanung und Raumordnung hat keine drittschützende Wirkung und kann Rechte der Nachbargemeinden nicht begründen. Erst wenn die planende Gemeinde bei der von ihr erstrebten Anpassung an die Ziele der Landesplanung und Raumordnung das Anpassungsgebot des § 2 Abs. 4 BBauG verletzt, kann sich die Nachbargemeinde dagegen wenden. Ebenfalls ist es unerheblich, ob eine Planung mit dem Erforderlichkeitsgebot des § 1 Abs. 3 BBauG vereinbar ist (vgl. zu den Voraussetzungen BVerwG, Urt. v. 14.02.1975 - IV C 105/66 -, BVerwGE 34 S. 301), da diese Vorschrift ebenfalls nicht dem Schutz der Nachbargemeinden dient.
Das Maß der erforderlichen Abstimmung, deren Einhaltung die Nachbargemeinde fordern kann, ist von der Konkretisierung der Planung in der Nachbargemeinde abhängig. Gesteigert schutzwürdig ist die Planung, die durch Erlaß von Bauleitplänen bereits verwirklicht wurde. Die Abstimmung ist jedoch auch unabhängig von der Existenz von Bauleitplänen immer dann erforderlich, wenn unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art für die Nachbargemeinde in Betracht kommen (BVerwG, Urt. v. 08.09.1972 a.a.O.). Unbeachtlich für die Abstimmung sind jedoch Erwartungen oder gar nur Hoffnungen, auch wenn diese von der Planung einschneidend betroffen werden (BVerwG, Urt. v. 08.09.1972 a.a.O. S. 330).
Divergierende Interessen der Beteiligten, die zu Konflikten führen könnten, sind gegeben. Besonders deutlich wird dies im Bereich des Jugendlagers der Stadt ... auf dem Gebiet der Klägerin zu 2). Dieses ist schon seit längerer Zeit vorhanden und auch im Flächennutzungsplan der Klägerin zu 1) vom 22. Februar 1979 dargestellt. Die Beklagte mußte diese Gegebenheiten beachten und durfte die zeitlich vorrangige Nutzung nicht stören. Im übrigen Grenzbereich finden sich zwar im Flächennutzungsplan der Klägerin zu 1) keine Darstellungen, da diese Flächen als Flächen für die Landwirtschaft dargestellt und Außenbereich im Sinne des § 35 BBauG sind. Dennoch ist die Darstellung von gewerblichen Flächen südlich der Bahnlinie ... auf eine Länge von ca. 3 km entlang der Grenze nicht unwesentlich. Die Klägerin zu 1) hat das Gebiet auf ihrer Seite der Grenze nicht abschließend beplant, sondern hat dort noch freie Flächen für Entwicklungsmöglichkeiten. Diese werden durch die gewerblichen Bauflächen bis unmittelbar an ihre Grenze erheblich beeinflußt. Sie kann dort nur planen, wenn sie Rücksicht auf die Gewerbeansiedlungen nimmt. Hätte die Beklagte diesen Bereich unberührt gelassen, hätte die Klägerin dort z.B. Erholungseinrichtungen oder Wohnbebauung vornehmen können.
Einen Grundsatz, daß Bauleitplanung nicht bis an die Gemeindegrenzen herangetragen werden darf, gibt es nicht. Wird jedoch das Gemeindegebiet für Planungen bis zur Grenze der Nachbargemeinde in Anspruch genommen, ist offensichtlich, daß dadurch ihre Rechte betroffen werden können, insbesondere wenn aus den beplanten Gebieten Immissionen zu erwarten sind. Je näher immissionsträchtige Gebiete an die Grenze einer Gemeinde herangeführt werden, desto größer kann die Beeinträchtigung dieser Gemeinde sein, weil sie dadurch in ihren Planungsmöglichkeiten eingeschränkt wird. Deshalb hat die planende Gemeinde die Immissionen und deren Auswirkungen auf die Nachbargemeinde bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu beachten und in ihre Abwägung einzubeziehen, da sich Richtung und Gehalt des Abstimmungsvorganges aus den Maßstäben des § 1 Abs. 6 und 7 BBauG ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1972, a.a.O. S. 331). Das materielle Abstimmungsgebot soll sicherstellen, daß bei überörtlichen Auswirkungen der Planungen die Leitziele des § 1 BBauG auch übergemeindlich durchgesetzt werden. Bei Anwendung des § 2 Abs. 4 BBauG sind deshalb nur solche Auswirkungen abwägungsbeachtlich, die gemäß § 1 Abs. 6 und 7 BBauG zu beachtende Belange im Bereich der betroffenen Gemeinde beeinflussen können (BayVGH, Urt. v. 04.09.1984, a.a.O.). Die Ausweisung der gewerblichen Bauflächen entspricht jedoch dem Abwägungsgebot, soweit es gegenüber den Klägerinnen zu beachten ist.
Die Klägerinnen wenden im wesentlichen ein, daß die Darstellungen der Beklagten mit der festgesetzten Erholungsnutzung in ihrem Gemeindegebiet nicht zu vereinbaren sind. Sie berufen sich darauf, daß Industrie- und Erholungsgebiete nicht unmittelbar aneinander grenzen dürfen, da schon zwischen Wohn- und Industriegebieten ein Abstand zu halten ist (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 05.07.1974 - IV C 50.72 -, BVerwGE 45 S. 309, 327) [BVerwG 05.07.1974 - IV C 50/72]. Dieser allgemeine Grundsatz, der auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt wird, reicht jedoch zur Lösung des vorliegenden Falles nicht aus. Entscheidend ist, ob es zwischen den unterschiedlichen Nutzungen beiderseits der Gemeindegrenze zu Unverträglichkeiten kommen kann oder gar muß. Dazu ist zunächst der Inhalt des Flächennutzungsplanes zu bestimmen, um feststellen zu können, mit welchen Auswirkungen möglicherweise zu rechnen ist. Dabei ist lediglich auf die zeichnerischen oder textlichen Darstellungen des Flächennutzungsplanes selbst abzustellen, nicht jedoch auf Äußerungen der Beklagten oder Beschlüsse ihres Rates vor dem Beschluß über den Flächennutzungsplan. Ebenso sind Entwicklungskonzeptionen, sofern sie nicht das Stadium der verbindlichen Bauleitplanung erreicht haben, für die Inhaltsbestimmung des Flächennutzungsplanes unwesentlich.
Die Beklagte hat entsprechend § 5 Abs. 2 Nr. 1 1. Alternative BBauG die Gebiete, um deren Auswirkungen es geht, als Sonderbauflächen mit der besonderen Zweckbestimmung "Hafen" und als gewerbliche Bauflächen dargestellt. Eine weitere Differenzierung insbesondere der gewerblichen Flächen ist nicht vorgenommen worden. Insbesondere hat die Beklagte von der Möglichkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 1 2. Alternative BBauG i.V.m. § 1 Abs. 2 BauNVO keinen Gebrauch gemacht, die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der besonderen Art ihrer Nutzung als Baugebiete darzustellen. Die allgemein gehaltenen und weitere Differenzierung erfordernden Darstellungen des Flächennutzungsplanes müssen, damit sie verbindlich werden, in Bebauungspläne umgesetzt werden. In diesen Plänen wird dann die erforderliche Festsetzung im einzelnen z.B. nach der Art der Nutzung vorzunehmen sein. Aus dem vorliegenden Flächennutzungsplan können Bebauungspläne entwickelt werden, deren Festsetzungen vom Industriegebiet bis zum eingeschränkten Gewerbegebiet reichen. Vom ersteren werden die Kläger erheblich mehr belastet werden als vom letzteren.
Der Inhalt des Flächennutzungsplanes hängt nicht von der Existenz der sog. "Negativliste" ab. In ihr waren zwar Vorhaben, insbesondere solche der Großindustrie, aufgeführt, die nach dem Willen der Beklagten auf den gewerblichen Flächen nicht zulässig sein sollten. Sie ist auf Beschluß des Rates vom 22. März 1979, als die Auslegung des Flächennutzungsplanentwurfes beschlossen wurde, in den Erläuterungsbericht eingeführt worden. Sie sollte sichern, "daß sich in ... keine Industrie ansiedelte, die nicht mit den Interessen des Nordseeheilbades in Einklang zu bringen sei" (Beiakte L S. 29/30). Obwohl in diesem Beschluß ganz konkrete - negative - Planabsichten geäußert wurden, ist er für die Ermittlung des Inhaltes des Flächennutzungsplanes ohne Bedeutung. Deshalb ist auch unerheblich, daß er mit Ratsbeschluß vom 29. Juni 1980 aufgehoben wurde. Ob dem Flächennutzungsplan dadurch nachträglich eine wesentliche Abwägungsgrundlage entzogen wurde, mag offenbleiben, weil sich für Rechte der Klägerinnen daraus nichts herleiten läßt. Entscheidend für sie ist, ob dem Abstimmungsgebot im Ergebnis entsprochen wurde. Dies hängt nur vom Inhalt des Flächennutzungsplanes, nicht jedoch von bauplanerisch unverbindlichen Äußerungen des Gemeinderates ab.
Die Negativliste ist ein "normaler" Ratsbeschluß, in dem zwar bestimmte Planungsabsichten erklärt wurden und der als programmatische Äußerung auch gewisse Bindungen im politischen Raum haben kann, jedoch kein Instrument der Bauleitplanung ist. Ob ein Beschluß mit diesem Inhalt überhaupt in den Flächennutzungsplan hätte aufgenommen werden können, mag offenbleiben, da dieses nicht geschehen ist. Die Aufnahme in den Erläuterungsbericht soll nämlich nur die zeichnerischen und textlichen Darstellungen verständlich machen und nähere Ausführungen über das Ob, Wie und Warum der Darstellung enthalten (Ernst/Zinkahn/Bielenberg a.a.O., § 5 Anm. 79). Der Erläuterungsbericht wird aber nicht Bestandteil des Flächennutzungsplanes, auch wenn er an allen Verfahrensakten teilnimmt und vom Rat zu beschließen ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg a.a.O., Anm. 79 b; Schlichter/Stich/Tittel, BBauG, 3. Aufl., § 5 Anm. 22).
Die sich aus dem Nebeneinander von gewerblichen Flächen und Flächen für Erholung und Landwirtschaft ergebenden Konflikte sind so, wie sie sich nach dem Inhalt des Flächennutzungsplanes darstellen, lösbar und - soweit für den Flächennutzungsplan erforderlich - auch schon gelöst, ohne daß Interessen der Klägerinnen dabei unzumutbar beeinträchtigt werden. Da der Flächennutzungsplan nur sehr allgemeine Angaben über die Nutzung machen kann, weil er erheblich "grobmaschiger" als ein Bebauungsplan ist, kann er auch entsprechend wenig über die Bewältigung von Konflikten aussagen, da noch nicht gewiß ist, in welchem Maße sie entstehen. Endgültige Lösungen können dazu erst das Bebauungsplanverfahren und, sofern genehmigungsbedürftige Anlagen entstehen sollten, das immissionsschutzrechtliche Verfahren bringen. Der Flächennutzungsplan läßt z.B. sowohl Betriebe der Elektronikindustrie, die außerordentlich immissionsarm sind, als auch z.B. Hüttenwerke oder Anlagen der Großchemie zu, die erhebliche Immissionen verursachen. Zwar dürfen Interessenkonflikte nicht unbewältigt bleiben, jedoch ist es nicht Aufgabe der - hier noch dazu vorbereitenden - Bauleitplanung, Entscheidungen zu treffen, die nach den Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes den jeweiligen Genehmigungsvorbescheids- oder Anordnungsverfahren vorbehalten sind. Eine zu starke Verfeinerung der planerischen Aussagen im Planverfahren würde dieses übermäßig, ggfs. bis zur Grenze, an der die Aufstellung eines Bebauungsplanes scheitern muß, belasten und damit die Ratsmitglieder, die für die Abwägung des Planes verantwortlich sind, überfordern (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.02.1984 - 4 B 191.83 -, BVerwGE 69, 30, 35[BVerwG 17.02.1984 - 4 B 191/83]; OVG Lüneburg, Urt. v. 12.03.1980 - 6 C 12/78 -, BRS 36 Nr. 32 u. Urt. v. 28.10.1982 - 1 C 12/81 -, BRS 39 Nr. 20). In Anbetracht dessen ist die Konfliktlösung, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, nicht zu beanstanden. Sie hat entsprechend dem grobmaschigen Charakter des Flächennutzungsplanes versucht, Konflikte abzuwenden, wo sie am offensichtlichsten sind, nämlich im Bereich nördlich der Bahnlinie. Es besteht auch noch die Möglichkeit für weitere, auf die konkreten Ausweisungen im Bebauungsplan bezogene Schutzmaßnahmen. Da die Nutzung im Flächennutzungsplan nur pauschal festgelegt ist, können auch Immissionsschutzauflagen nur entsprechend allgemein gehalten sein. Der Flächennutzungsplan der Beklagten, der immissionsträchtige Bebauung zuläßt, läßt allerdings ebenso den Schutz vor diesen Immissionen zu. Nach der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise sind unzumutbare Auswirkungen im Bereich nördlich der Bahn auf Erholungseinrichtungen im Gebiet der Klägerin zu 2) - es handelt sich dabei im wesentlichen um das Jugendzeltlager - nicht zu befürchten. Der Flächennutzungsplan erfüllt dort die Forderung des § 50 BlmSchG, daß bei raumbedeutsamen Planungen die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen sind, daß schädliche Umwelteinwirkungen auf schutzbedürftige Gebiete soweit wie möglich vermieden werden.
Das Verwaltungsgericht und auch die Beklagte haben zur Festlegung des erforderlichen Abstandes entscheidend auf den Runderlaß des Nordrhein-Westfälischen Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 25. Juli 1974, geändert durch Runderlaß vom 2. November 1977 (abgedr. bei Ule, Bundesimmissionsschutzgesetz Teil 3 NW 11) abgestellt. Dieser Erlaß ist in Niedersachsen - ebenso wie in Nordrhein-Westfalen - keine verbindliche Rechtsnorm. Jedoch sind in ihm Erfahrungswerte enthalten, die die Belange des Immissionsschutzes konkretisieren. Sie haben zwar im Planungsverfahren keine absolute Geltung, sind aber abwägungserhebliche Belange (OVG Lüneburg, Urt. v. 28.01.1983 - 1 C 2/82 -; NSTV 7-8 1983 S. 14). Der Runderlaß fordert für besonders immissionsträchtige Anlagen einen Abstand von 1.500 m zum nächsten Wohngebiet. Für andere Anlagen gelten geringere Abstände (1.200 m und erheblich weniger). Ob der Abstand von 1.500 m zwischen der gewerblichen Baufläche und den äußersten Grenzen des Jugendzeltlagergeländes erheblich oder nur geringfügig unterschritten wird, mag offenbleiben. Auch wenn man die Angaben der Klägerinnen zugrundelegt, ist die westlichste Grenze des Jugendzeltlagers mehr als 900 m von der östlichen Grenze der gewerblichen Bauflächen entfernt. Dies reicht aus, um auf den Gewerbeflächen bis an die Grenze heran die überwiegende Zahl von Produktionsanlagen (ca. 195 von 211 im Erlaß aufgeführten) zu betreiben, ohne daß dadurch unzumutbare Immissionen für das Lager zu befürchten sind. Dieser Abstand ergibt sich durch die geplante Schutzzone im Bereich nördlich der Bahnlinie. Wenn die Beklagte im Flächennutzungsplan auf diese Weise Immissionsschutz sicherstellt, reicht dies zur Konfliktbewältigung im Rahmen des Flächennutzungsplanes aus. Damit ist sichergestellt, daß, selbst wenn Industrieansiedlungen bis an die Grenzen des Gebietes herangetragen werden sollten, eine Vielzahl von industriellen Anlagen dort betrieben werden kann, ohne daß die Klägerinnen davon schädliche Auswirkungen auf die auf ihrem Gemeindegebiet befindliche Erholungseinrichtung zu befürchten haben. Auch wenn dieser Abstand nicht ausreicht, alle industriellen Anlagen ohne Störung für Anlagen auf dem Gebiet der Klägerinnen zu betreiben, führt dies nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Flächennutzungsplanes. Es genügt für einen vorbereitenden Bauleitplan, wenn Konflikte gesehen und dem Grunde nach gelöst werden. Der Flächennutzungsplan entspricht dem Anpassungsgebot da er (auch) gewerbliche oder industrielle Anlagen zuläßt, von denen keine nennenswerten Immissionen auf das Gebiet der Klägerinnen gelangen.
Anders als nördlich der Bahn ist für den Bereich südlich davon keine Schutzzone zwischen der gewerblichen Baufläche und der Gemeindegrenze vorgesehen. Dort grenzt die gewerbliche Baufläche auf einer Länge von ungefähr zwei Kilometern unmittelbar an das Gemeindegebiet der Klägerinnen. In Anlage 5 des Industrieentwicklungs- und Hafenkonzepts ... sind diese Bereiche als Teilfächen Nr. 1 und 2 bezeichnet. Sie liegen mehr als 1.500 m vom Ortsausgang ... und auch mehr als 1.500 m von dem Jugendzeltlager und dem Erholungsgebiet "See achtern Diek" entfernt. Das Gemeindegebiet der Klägerin zu 2) ist in diesem Bereich kaum bebaut. Lediglich vereinzelt finden sich landwirtschaftliche Gehöfte und in Assel weniger als zehn Wohnhäuser. Nach Ansicht der Beklagten eignet sich dieser Teil besonders für die Aufnahme großtechnischer Anlagen (Bl. 11 des Industrieentwicklungs- und Hafenkonzeptes ...).
Die Heranführung gewerblicher Bauflächen in diesen Bereich bis unmittelbar an die Gemeindegrenze auf einer nicht unbeträchtlichen Länge ist (noch) mit dem Abstimmungsgebot vereinbar. Die Beklagte war hier bei der Planung anders als nördlich der Bahn freier, da sie hier keine Rücksichten auf planerische Ausweisungen der Klägerinnen oder auf vorhandene, besonders schutzwürdige Bebauung nehmen mußte. Die Klägerin zu 1) hat in ihrem Flächennutzungsplan diesen Bereich ausschließlich als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt, d.h. es sind keine Darstellungen für eine Bebauung getroffen worden. Auch als Erholungslandschaft hat die Klägerin zu 1) diesem Gebiet keine besondere Bedeutung bei gemessen. In ihrem Flächennutzungsplan hat lediglich der Bereich unmittelbar entlang der Küste eine Erholungsfunktion erhalten. Daran schließt sich auf einer Tiefe von allenfalls einem Kilometer eine Zone an, die sowohl der Erholung als auch der Landwirtschaft dienen soll.
Es mag sein, daß die Klägerinnen davon ausgegangen sind, daß in diesem Bereich auch außerhalb ihrer Gemeindegrenzen landwirtschaftliche Nutzflächen, wie sie für die nordeutsche Küste meist typisch sind, erhalten bleiben. Die Klägerinnen mögen daran ein Interesse gehabt haben, da diese Flächen, auch wenn sie außerhalb der eigentlichen Erholungseinrichtungen liegen, auch für den Fremdenverkehr von Bedeutung sein mögen. Feriengäste, werden sich nicht ausschließlich im Ort ... oder in den Erholungseinrichtungen längs der Elbe aufhalten, sondern auch die Ruhe und Weite der freien Landschaft erleben wollen, die für Bewohner von Großstädten und Industrieregionen einen besonderen Erholungswert hat.
Grenzüberschreitende Wirkungen einer gemeindlichen Planung verletzen das Gebot der sachlichen Abstimmung des § 2 Abs. 4 BBauG aber nicht, wenn der Planung auf seiten der Nachbargemeinde keine Rechte, sondern nur Erwartungen oder gar Hoffnungen gegenüber- oder entgegenstehen (BVerwG, Urt. v. 08.09.1972 - IV 17.71 - BVerwGE 323, 331).
An konkreten Rechten, die die Klägerinnen der Planung der Beklagten entgegenhalten können, fehlt es jedoch in diesem Bereich. Wie bereits oben ausgeführt, ist das Gebiet für die Erfüllung der der Klägerin zu 2) übertragenen Erholungsfunktion nicht unwesentlich, jedoch haben die Klägerinnen nichts unternommen, ihre Interessen rechtlich abzusichern. Das Gebiet war im Juli 1979, als der Flächennutzungsplan der Beklagten beschlossen wurde, unbeplant. Auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - mehr als fünf Jahre nach dem Planbeschluß - haben die Klägerinnen keine konkreten Absichten über die Verwendung dieses Gebietes äußern können. Allein die Hoffnung, daß sich dort nichts zu ihrem Nachteil verändern werde, vermag die Planung der Beklagten nicht aufzuhalten, auch wenn sich diese grenzüberschreitend auswirkt. Vielmehr war dieser Bereich für die Planung der Beklagten offen, die als erste von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat. Wenn dadurch Erwartungen und Hoffnungen der Klägerinnen durchkreuzt werden, verletzt dies ihre Rechte nicht.
Ob sich allerdings der Flächennutzungsplan so verwirklichen läßt, wie dies die Beklagte in ihrem Industrieentwicklungs- und Hafenkonzept zu erkennen gegeben hat, mag offenbleiben. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es nicht darauf an, welche - noch unverbindlichen - weiteren Planungsabsichten die Beklagte hat. Entscheidend war vielmehr, daß der Flächennutzungsplan mit den sehr allgemein gehaltenen Darstellungen in Bebauungspläne umgesetzt werden kann, die Rechte der Klägerinnen nicht beeinträchtigen.
Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 167 VwGO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 137, 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Streitwertbeschluss:
Beschluß
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 100.000,00 DM (i.w. einhunderttausend Deutsche Mark) festgesetzt.
Taegen Dr. Jenke Janssen