Staatsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 18.05.1998, Az.: StGH 27/94

Zuständigkeit des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs; Umdeutung des Rechtsschutzbegehrens; Eindeutiger Wortlaut der Antragsschrift ; Vorgesehene Kürzung der Grundentschädigung nur um Versorgungsbezüge aus öffentlichen Kassen

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
18.05.1998
Aktenzeichen
StGH 27/94
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 13675
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:STGHNI:1998:0518.STGH27.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
NULL

Fundstellen

  • NVwZ 1998, 1292 (red. Leitsatz)
  • NdsVBl 1998, 212-213

Verfahrensgegenstand

1.
über die Verfassungsbeschwerden des früheren Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages Dr. E

2.
über den Antrag festzustellen, dass die Gesetzesbeschlüsse des Niedersächsischen Landtages über das 12. und 16. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages (Niedersächsisches Abgeordnetengesetz) vom 30. November 1992 (Nds. GVBI. S. 311) und vom 6. Mai 1997 (Nds. GVBI. S. 126) mit der Niedersächsischen Verfassung unvereinbar sind

Prozessführer

XXX zu 1.)

Dr. E zu 2.)

Prozessgegner

Niedersächsischer Landtag

Präsident des Niedersächsischen Landtages, Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1, 30159 Hannover

Redaktioneller Leitsatz

Für eine Umdeutung des Rechtsschutzbegehrens in eine andere Verfahrensart als die Verfassungsbeschwerde ist bei ausdrücklicher Bezeichnung des Begehrens als "Verfassungsbeschwerde", ausführlicher Darlegung ihrer Statthaftigkeit und der Rüge des Verstoßes gegen Grundrechte kein Raum.

In den Verfahren

hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof

unter Mitwirkung

des Präsidenten als Vorsitzenden sowie

der Richterinnen und

Richter

am 18. Mai 1998 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Verfassungsbeschwerden werden als unstatthaft verworfen.

  2. 2.

    Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Gründe

1

A.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist die Regelung über die Entschädigung der Mitglieder des Niedersächsischen Landtages in § 14 Abs. 3 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages (NiedersächsischesAbgeordnetengesetz - NAbgG) vom 3. Februar 1978 (Nds. GVBI. S. 101) in der Fassung des 12. Änderungsgesetzes vom 30. November 1992 (Nds. GVBI. S, 311) und in der Fassung des 16. Änderungsgesetzes vom 6. Mai 1997 (Nds. GVBI. S. 126). Gerügt wird eine Verletzung des Gleichheitssatzes, der Eigentumsgarantie und des Art. 13 Abs. 3. NV.

2

Mit dem hilfsweise eingeleiteten Organstreitverfahren wird die Feststellung begehrt, dass diese Regelungen mit den Rechten der betroffenen Abgeordneten aus Artikel 13 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung und Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar sind.

3

Das 12. Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Abgeordnetengesetzes wurde am 30. November 1992 verkündet und trat am 1. Januar 1993 in Kraft. Mit diesem Gesetz ergänzte der Niedersächsische Landtag § 14 NAbgG um den Absatz 3. Danach wird die Grundentschädigung eines Abgeordneten, der Versorgungsbezüge oder Übergangsgeld aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis, das gemäß § 5 NAbgG mit der Abgeordnetentätigkeit unvereinbar ist, oder aus einem öffentlichrechtlichen Amtsverhältnis erhält, um diese Bezüge vermindert. Gemäß Art. III S. 4 des Änderungsgesetzes war die Vorschrift in der geänderten Fassung erstmals auf Abgeordnete der 13. Wahlperiode anzuwenden.

4

Das 16. Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Abgeordnetengesetzes wurde am 6. Mai 1997 verkündet und trat mit Wirkung vom 1. Januar 1997 in Kraft. Mit diesem Gesetz änderte der Niedersächsische Landtag § 14 Abs. 3 NAbgG erneut. Danach wird die Grundentschädigung nunmehr nur noch um 75 % der Versorgungsbezüge bzw. des Übergangsgeldes vermindert. Dem Abgeordneten sind dabei in jedem Fall 25 % der Grundentschädigung zu belassen. Gemäß Art. III S. 2 des Änderungsgesetzes ist § 14 Abs. 3 NAbgG in seiner geltenden Fassung erstmals auf Abgeordnete der 14. Wahlperiode anzuwenden.

5

1.

Der Beschwerdeführer und Antragsteller war Mitglied des Niedersächsischen Landtages in der 12. und 13. Wahlperiode. Vor seiner Wahl in den Niedersächsischen Landtag war er Beamter in der niedersächsischen Landesverwaltung sowie im Landkreis C und Wahlbeamter in der Stadt C, Von seiner erstmaligen Wahl in den Landtag 1990 an ruhten seine Rechte und Pflichten aus dem Beamtenverhältnis; mit Ablauf der Amtsperiode am 31. Mai 1992 trat er in den Ruhestand. Mit Bescheid der Landtagsverwaltung vom 12. Juli 1994 wurde dem Beschwerdeführer und Antragsteller mitgeteilt, dass seine Grundentschädigung als Abgeordneter der 13. Wahlperiode gemäß § 14 Abs. 3 NAbgG um die Höhe seiner Versorgungsbezüge zu kürzen sei. In der Folge ist ihm nur noch eine entsprechend gekürzte Grundentschädigung ausgezahlt worden.

6

2.

seiner am 30. November 1994 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG in der Fassung des 12. Änderungsgesetzes vom 30. November 1992. Mit einem am 30. Juni 1997 eingegangenen Schreiben "erweiterte" er seine Verfassungsbeschwerde und richtete sie auch gegen § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG in der Fassung des 16. Änderungsgesetzes vom 6. Mai 1997. Zugleich teilte der Beschwerdeführer in diesem Schreiben mit: "Hilfsweise und rein vorsorglich werden die beiden mit Schriftsatz vom 28.11.1994 und vom heutigen Datum erhobenen Verfassungsbeschwerden des Beschwerdeführers weitergeführt als Organstreitverfahren des Beschwerdeführers mit dem Antrag:

Festzustellen, dass der Niedersächsische Landtag durch Beschluss des § 14 Abs. 3 Satz 1 des Nds. Abgeordnetengesetzes in der Fassung des 12. Gesetzes zur Änderung des Nds. Abgeordnetengesetzes vom 30.11.1992, geändert durch das 14. Gesetz zur Änderung des Nds. Abgeordnetengesetzes vom 20.06.1994 und durch den Erlass des 16. Gesetzes zur Änderung des Nds. Abgeordnetengesetzes vom 06.05.1997 den Antragsteller in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt hat".

7

3.

Zur Begründung seiner Verfassungsbeschwerden und seines Hilfsantrags auf Einleitung eines Organstreitverfahrens führt er aus:

8

a)

Die Regelung des § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG verstoße gegen den formalen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie stelle eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Abgeordneten, die Versorgungsbezüge aus öffentlichen Kassen erhalten, gegenüber Abgeordneten, die Einkünfte aus sonstiger selbständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit beziehen, dar. Während bei ersteren die Grundentschädigung um die volle Höhe der Versorgungsbezüge gekürzt werde, finde eine entsprechende Kürzung bei Abgeordneten, die Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit oder aus einer in der Privatwirtschaft erworbenen Betriebsrente bezögen, nicht statt. Für diese Ungleichbehandlung fehle es an einem sachlichen Grund.

9

Die in § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG vorgesehene Kürzung der Grundentschädigung nur um Versorgungsbezüge aus öffentlichen Kassen sei daher mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Der Gleichheitssatz fordere vielmehr, dass jedem Abgeordneten unabhängig von seinem sonstigen Einkommen eine gleich hoch bemessene Entschädigung zustehe. Bei Festsetzung der Entschädigung sei deshalb jede Abhängigkeit von sonstigen Bezügen und jede Verrechnung der Entschädigung mit anderen Bezügen, die nicht als Teil der Abgeordnetenentschädigung zu klassifizieren seien, auszuschließen. Dabei dürfe auch kein Unterschied zwischen Bezügen aus öffentlichen Kassen und anderen Bezügen gemacht werden. Mit dem 16. Änderungsgesetz vom 6. Mai 1997 sei zwar nunmehr nur noch eine Anrechnung in Höhe von 75 % der Versorgungsbezüge vorgesehen, wobei dem Abgeordneten in jedem Fall 25 % der Grundentschädigung zu belassen seien. Diese Regelung solle jedoch erst für Abgeordnete der 14. Wahlperiode gelten. Für die Verletzung des Gleichheitssatzes spreche auch ein "rechtsvergleichender Ansatz": Die für Abgeordnete der 13. Wahlperiode geltende volle Anrechnung stehe im Gegensatz zu den Regelungen der anderer Bundesländer und des Bundes, die im Regelfall eine Anrechnung in Höhe von 50 % der Versorgungsbezüge vorsähen.

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b)

Die Regelung des § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG führe darüber hinaus zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Abgeordneten, die Versorgungsbezüge aus öffentlichen Kassen erhalten, gegenüber Beamten, die gleichzeitig entsprechende Versorgungsbezüge erhalten. Nach ihrem heutigen Verständnis als "Vollalimentation aus der Staatskasse" sei die Abgeordnetenentschädigung ihrem Charakter nach mit dem Einkommen des Beamten vergleichbar. Gemäß § 53 Abs. 1 BeamtVG würden Versorgungsbezüge der Beamten, die gleichzeitig aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst Einkommen erhalten, nur bis zu einer bestimmten in § 53 Abs. 2 BeamtVG bezeichneten Höchstgrenze gekürzt. Die Abgeordnetenentschädigung würde dagegen um die volle Höhe der Versorgungsbezüge gekürzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehle es an einem sachlich zureichenden Grund, das Zusammentreffen von zwei Bezügen aus öffentlichen Kassen mit Alimentationscharakter anders zu behandeln als entsprechend den im Beamtenrecht geregelten Grundsätzen. Demgemäß dürfe auch die Anrechnung der Versorgungsbezüge auf die Abgeordnetengrundentschädigung nur bis zu einer bestimmten Höhe erfolgen und nicht, wie in § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG in der Fassung des 12. Änderungsgesetzes vom 30. November 1992 vorgesehen, in voller Höhe.

11

c)

§ 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG verstoße auch gegen den verfassungsunmittelbaren Anspruch eines Abgeordneten auf angemessene Entschädigung aus Art. 13 Abs. 3 NV.

12

Dieser Anspruch sei auf eine Vollalimentation gerichtet, die unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu bemessen sei. Demnach stehe jedem Abgeordneten eine gleich hohe Entschädigung zu. Die unterschiedliche Anrechnung der Versorgungsbezüge von Abgeordneten aus öffentlichen Kassen und aus der Privatwirtschaft, wie sie § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG vorsehe, sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar. Diese Regelung verletzte daher auch Art. 13 Abs. 3 NV.

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Außerdem müsse die Abgeordnetenentschädigung gemäß Art. 13 Abs. 3 NV ihrer Höhe nach eine ausreichende Existenzgrundlage für den Abgeordneten und seine Familie schaffen und der Bedeutung der Abgeordnetentätigkeit gerecht werden. Die ihm nach Kürzung um die Versorgungsbezüge verbleibende Grundentschädigung sei so gering, dass sie in der Höhe keine der Belastung des Abgeordneten entsprechende Entschädigung darstelle.

14

d)

Die Regelung des § 14 Abs. 3 S. 1 NAbgG in der Fassung des 12. Änderungsgesetzes vom 30. November 1992 verstoße auch gegen Art. 14 GG. Er sei ohne sein Dazutun durch die Entschädigungsgesetzgebung in der 12. Und 13. Legislaturperiode des Landtages - soweit erkenntlich - als Einziger in dieser Härte betroffen. Er müsse damit ein Sonderopfer erbringen, das durch keinen sachlichen Grund getragen werde.

15

e)

Schließlich macht der Beschwerdeführer und Antragsteller geltend, die Einfügung des Absatzes 3 in die Regelung des § 14 NAbgG verletze auch den Vertrauensschutz, da er bei seiner erstmaligen Wahl in den Niedersächsischen Landtag im Jahre 1990 noch von ganz anderen Regelungen habe ausgehen können.

16

Der Niedersächsische Landtag hat von einer Stellungnahme zu den Verfahren gegenüber dem Staatsgerichtshof abgesehen.

17

B.

I.

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht statthaft. Der Niedersächsische Staatsgerichtshof ist zur Entscheidung über die am 28. November 1994 erhobene und die am 30. Juni 1997 "erweiterte" Verfassungsbeschwerde nicht berufen. Die Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes sind in Art. 54 Nr. 1 bis 6 NV in Verbindung mit § 8 StGHG abschließend geregelt. Verfassungsbeschwerden fallen unter keine der in Art. 54 Nr. 1 bis 5 NV aufgeführten Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes. Es gibt auch kein auf Art. 54 Nr. 6 NV gestütztes Landesgesetz, das dem Staatsgerichtshof die Entscheidung über Verfassungsbeschwerden zuweist.

18

Eine Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes lässt sich auch nicht durch Umdeutung des Rechtsschutzbegehrens begründen. Einer Umdeutung steht der eindeutige Wortlaut der Antragsschrift vom 28. November 1994 entgegen, in der der Beschwerdeführer sein Begehren ausdrücklich als "Verfassungsbeschwerde" bezeichnet und einen Verstoß gegen Grundrechte rügt. Aus den von ihm dafür angeführten Gründen ergibt sich zweifelsfrei, dass der Beschwerdeführer der Ansicht ist, die angegriffenen Regelungen verletzten ihn in seinen Grundrechten, namentlich in seinem Recht auf Gleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und in der Gewährleistung seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG). Außerdem legt er ausführlich dar, weshalb im vorliegenden Fall eine Verfassungsbeschwerde statthaft sei. Dieses eindeutige Begehren des Beschwerdeführers lässt für eine Umdeutung in eine andere Verfahrensart keinen Raum.

19

II.

Das mit Schreiben vom 30. Juni 1997 hilfsweise eingeleitete Organstreitverfahren gegen den Niedersächsischen Landtag ist unzulässig.