Amtsgericht Göttingen
Urt. v. 19.07.1991, Az.: 25 C 13/91

Kündigung eines Wohnraummietvertrages wegen Benötigung des Wohnraumes für die Unterbringung von Asylbewerbern; Pflicht zur Angabe des Personenekreises im Kündigungsschreiben; Öffentlich-rechtliche Verpflichtung als berechtigtes Interesse zur Kündigung bei einer Zuweisung von 10 neuen Asylbewerbern; Möglichkeit der Verweisung auf Notunterkünfte wie Jugendräume, Gemeinderäume oder Hotelzimmer; Ausschluss des berechtigten Interesses an der Rückgabe des Wohnraumes aufgrund der Ablehnung der Asylanträge der unterzubringenden Asylbewerber

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
19.07.1991
Aktenzeichen
25 C 13/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 15883
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:1991:0719.25C13.91.0A

Fundstelle

  • NJW 1992, 3044 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Räumung

In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 1991
durch
die Richterin am Amtsgericht Turk
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, die im Hause Am Plan 1 in 3405 Rosdorf im 1. Obergeschoß gelegene Wohnung, bestehend aus vier Zimmern, einer Kammer, einer Küche, einer Diele und einer Toilette sowie einem Kellerraum und einem Bodenraum zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3000, - DM vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.10.1991 gewährt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Kündigung von gemeindeeigenem Wohnraum wegen Eigenbedarfs.

2

Der Beklagte ist seit dem 01.09.1980 Mieter einer Wohnung im Hause der Klägerin in Rosdorf, Am Plan 1.

3

Der monatliche Mietzins für die 105 qm große Vierzimmerwohnung beträgt 470,- DM zuzüglich Nebenkostenvorauszahlung. Der Beklagte teilt sich die Wohnung mit einem Untermieter. Mit Schreiben vom 15.08.1990, das dem Beklagten am 17.08.1990 zugestellt worden ist, kündigte die Klägerin das Mietverhältnis. In dem Kündigungsschreiben berief sie sich darauf, daß sie die Wohnung für die Unterbringung von Obdachlosen und Asylbewerbern benötige. Die Kündigung erfolgte zum 28.02.1991. Der Beklagte widersprach der Kündigung.

4

Die Klägerin behauptet, sie benötige die Wohnung des Beklagten für Asylsuchende und Obdachlose, die sie aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung unterbringen müsse. Sie habe bereits alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft. So seien bereits Privatzimmer angemietet worden. Außerdem sei ein Wohncontainer für die Unterbringung von 20 Personen aufgestellt worden. Dennoch sei die Klägerin gezwungen, kurzfristig Asylbewerber und Obdachlose in gemeindeeigenen Jugendräumen, in Vereinsräumen und auch in Pensionen unterzubringen, in denen Zimmer zu erheblichen Kosten angemietet werden müßten. In der Wohnung des Beklagten könnten 10 bis 12 Obdachlose oder Asylbewerber untergebracht werden.

5

Der Widerspruch des Beklagten sei unsubstantiiert, da er keinerlei eigenes Bemühen um die Beschaffung von Ersatzwohnraum dargetan habe.

6

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

8

hilfsweise

ihm eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren.

9

Der Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung sei unwirksam, da in dem Kündigungsschreiben ein Kündigungsgrund nicht substantiiert dargetan worden sei. Außerdem laufe die Kündigungsfrist erst am 31.08.1991 ab, da sie erst im September 1990 durch das Kündigungsschreiben vom August 1990 in Lauf gesetzt worden sei, und daher 12 Monate betrage.

10

Der Beklagte behauptet außerdem, daß die Klägerin nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt habe, um Asylbewerber und Obdachlose unterzubringen. So habe sie die Ersatzwohnungen, die sie dem Beklagten zur Verfügung gestellt habe, selbst für die Unterbringung von Obdachlosen oder Asylbewerbern nutzen können.

11

Außerdem ist der Beklagte der Ansicht, daß die Kündigung offensichtlich ihren Zweck verfehle, da sie, um Obdachlose unterzubringen, den Beklagten selbst obdachlos machen würde. Unterbringungsbedarf dürfe nicht zu Lasten von Wohnbedarf gelöst werden.

12

Schließlich behauptet der Beklagte, daß der Verlust der Wohnung für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Er sei auf die Anmietung einer preiswerten Wohnung angewiesen, da er in finanziell engen Verhältnissen lebe. Ein solcher Wohnraum sei in Rosdorf aber nicht zu finden.

13

Das Gericht hat Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26.06.1991 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist begründet.

15

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Räumungsanspruch zu, denn das Mietverhältnis wurde durch die Kündigung zum 3.1.05.1991 beendet. Die Kündigungsfrist betrug 9 Monate (§ 565 Abs. 2 BGB), da der Beklagte, als ihm das Kündigungsschreiben zugestellt wurde, noch nicht 10 Jahre Mieter der Wohnung war. Das Mietverhältnis mit dem Voreigentümer hatte am 01.09.1980 begonnen. Die Kündigung wurde noch im August 1990 zugestellt.

16

Daß die Klägerin in dem Kündigungsschreiben von einer unzutreffenden Kündigungsfrist von 6 Monaten ausgegangen ist, ist unschädlich. Die Kündigung wurde zum nächsten zulässigen Termin, dem 31.05.1991, wirksam (vgl. Sternel Rnr. IV 22).

17

Die Kündigung ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 564 b Abs. 3 BGB unwirksam. Die Klägerin hat ihr berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses in dem Kündigungsschreiben vom 15.08.1990 so konkret dargetan, daß der Beklagte sich ein ausreichendes Bild über den Hintergrund der Kündigung machen und seine Rechtsverteidigung darauf einstellen konnte. Zwar hat die Klägerin nicht angeführt, für welche Obdachlosen bzw. Asylbewerber sie den Wohnraum benötigen würde, bzw. welche Zahl von Asylbewerbern sie zu welchen Zeitpunkten unterbringen müsse. Diese Angaben muß die Klägerin aber auch im Kündigungsschreiben nicht machen. Anders als im Fall der Eigenbedarfskündigung durch eine Privatperson kann von der Klägerin nicht verlangt werden, daß sie die Person bzw. den Personenkreis, für den der Wohnraum benötigt wird, im Kündigungsschreiben angibt. Dies ist der Klägerin gar nicht möglich, sie kann Wohnraum nicht im Hinblick auf die Unterbringung bestimmter Personen kündigen, weil sie konkreten Unterbringungsbedarf sofort befriedigen muß. Um dies zu können, muß sie Wohnraum zur Verfügung haben. Es genügt daher, daß sie einen aktuellen Bedarf darlegt, ohne diesen auf bestimmte Personen konkretisieren zu müssen.

18

Der Kündigungsgrund ergibt sich aus § 564 b Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten. Zwar fällt dieses nicht unter die in § 564 b Abs. 2 BGB genannten Fallgruppen. Diese stellen aber keine abschließende Aufzählung dar. Auch andere gleichwertige Interessen können zur Kündigung berechtigen. Daß dazu öffentlich-rechtliche Verpflichtungen gehören, entspricht gefestigter Rechtsprechung (vgl. hierzu u.a. Bayrisches Oberstes Landesgericht WM 1981 S. 32). Ein solches Interesse ist hier gegeben.

19

Die Klägerin hat vernünftige und billigenswerte Gründe für die Rückgabe der vom Beklagten bewohnten Wohnung. Die Klägerin ist verpflichtet, Obdachlose und Asylbewerber, die ihr zugewiesen werden, unterzubringen. Die Vierzimmerwohnung des Beklagten ist hierfür gut geeignet. Größere Wohnungen werden insbesondere für größere Familien benötigt, die sonst getrennt untergebracht werden müssen, wie der Zeuge Strecker ausgeführt hat.

20

Dafür, daß die Klägerin gegebene Unterbringungsmöglichkeiten nicht voll ausnutzt, hat die Beweisaufnahme nichts ergeben. Daß unter Umständen nicht alle Plätze in dem Wohncontainer der Klägerin oder in einigen Wohnungen ausgenutzt werden, liegt daran, daß gemischte Gruppen, insbesondere solche verschiedener Nationalitäten aus Sicherheitsgründen nicht gemeinsam untergebracht werden können. Weiter haben die Aussagen der Zeugen Böhm und Strecker bestätigt, daß die Klägerin Privatwohnungen zur Unterbringung der genannten Personengruppen angemietet hat und auch in Kürze wieder Privatzimmer in Pensionen anmieten müsse, da für Juli 10 Asylbewerber bereits angekündigt worden seien. Das Begehren der Klägerin, zur Erfüllung der ihr auferlegten öffentlich-rechtlichen Pflichten auf ihr Eigentum zurückzugreifen, ist nicht mißbräuchlich. Die Klägerin hat vernünftige und nachvollziehbare Gründe für ihren Eigentumsnutzungswunsch.

21

Das berechtigte Interesse der Klägerin läuft auch nicht auf eine unzulässige Vorratshaltung von Wohnraum hinaus. Wie die Zuweisung von 10 neuen Asylbewerbern für den Monat Juli 1991 zeigt, muß die Klägerin in der Lage sein, kurzfristig Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wenn die Zuweisung erst einmal erfolgt ist, hat die Klägerin kaum noch Möglichkeiten und Zeit, um für Wohnraum zu sorgen. Hier bleibt dann keine andere Möglichkeit, als Notunterkünfte in Jugendräumen oder anderen Gemeinderäumen vorübergehend zur Verfügung zu stellen, bzw. Hotelzimmer anzumieten. Auf diese Notlösungen kann die Klägerin aber nicht verwiesen werden.

22

Das berechtigte Interesse der Klägerin an der Rückgabe des vom Beklagten innegehaltenen Wohnraums ist auch nicht dadurch weggefallen, daß aufgrund neuer gesetzlicher Vorschriften Asylbewerber vermehrt abgeschoben werden sollen und daß es sich bei 14 der von ihr untergebrachten Personen um abgelehnte Asylbewerber handelt. Dies folgt zum einen daraus, daß nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Böhm für den Monat Juli 1991 10 neue Asylbewerber angekündigt sind. Zum anderen muß auch ein abgelehnter Asylbewerber von der Gemeinde weiter untergebracht werden, wenn sich die Abschiebung verzögert oder die betreffende Person als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeschoben werden kann, sondern vielmehr geduldet werden muß. Hinzu kommt, daß mit einem großzügigen Bleiberecht für "Altfälle" gerechnet werden muß.

23

Der Beklagte kann auch nicht gemäß § 556 a BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Er hat nicht dargetan, daß die vertragsmäßige Beendigung des Mietverhältnisses für ihn eine Härte darstellen würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Klägerin nicht zu rechtfertigen wäre. Insbesondere hat der Beklagte nicht dargetan, daß angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen von ihm nicht beschafft werden könnte. Er hat nicht vorgetragen, daß er sich um Ersatzraum bemüht hat. Er behauptet Lediglich, daß dieser in Rosdorf nicht zu finden sei. Zwar ist allgemein bekannt, daß es schwierig ist, im Bereich Göttingen preisgünstigen Wohnraum zu finden. Dem Beklagten, der zur Zeit von Rosdorf nach Göttingen pendeln muß, kann aber auch zugemutet werden, in anderen umliegenden Orten sich um Wohnraum zu bemühen. Dabei ist ihm auch Komfortverschlechterung zuzumuten. Er kann nicht verlangen, daß der wieder eine 105 qm große Wohnung zu einem so niedrigen Mietzins, wie dem zur Zeit gezahlten finden wird.

24

Hingegen konnte dem Beklagten eine Räumungsfrist von 3 1/2 Monaten gewährt werden, weil damit gerechnet werden muß, daß er diese Frist benötigen wird, um eine Wohnung zu finden. Auch wenn die Klägerin ein Interesse an der sofortigen Räumung hat, um den Wohnraum möglichst schnell für Obdachlose und Asylbewerber zur Verfügung zu haben, so muß dieses Interesse angesichts der Schwierigkeiten des Beklagten, eine neue Wohnung zu finden, für diesen Zeitraum zurückstehen.

25

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Turk