Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.11.2010, Az.: 1 Ws 533/10

Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen; Maßstab bei der Anrechnung von Auslieferungshaft

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.11.2010
Aktenzeichen
1 Ws 533/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 27312
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:1108.1WS533.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 25.08.2010 - AZ: 39 Ks 5/08

Amtlicher Leitsatz

1. Der Anspruch auf Feststellung der Entschädigungspflicht nach § 8 StrEG kann nicht infolge einer Abtretung von einem Dritten geltend gemacht werden.

2. Ob die in der strafgerichtlichen Verurteilung angeordneten Rechtsfolgen geringer sind als die darauf gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen, bemisst sich im Fall von erlittener Auslieferungshaft nur nach dem tatsächlichen Freiheitsentzug. Der nach§ 51 Abs. 4 StGB bestimmte Anrechnungsmaßstab bleibt dabei außer Betracht.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 13. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 25. August 2010 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

1

I. Der Verurteilte wurde am 9. August 1998 vorläufig festgenommen und befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hameln vom 9. Oktober 1998 (9 Gs 212/98) bis zu dessen Aufhebung am 27. November 1998 in Untersuchungshaft. Unter dem 4. März 2000 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen versuchter Anstiftung zum Mord. Zum Hauptverhandlungstermin vor der Kammer am 15. Oktober 2002 erschien der Angeklagte nicht. Daraufhin erließ die Kammer erneut Haftbefehl, der auf den Haftgrund der Flucht gestützt war. Auf der Grundlage eines von der Kammer am 16. September 2003 neugefassten Haftbefehls beantragten die deutschen Justizbehörden die Auslieferung des Verurteilten aus Australien. Am 7. Dezember 2006 wurde er in C. festgenommen. Dem Auslieferungsbegehren widersetzte sich der Verurteilte unter Hinweis auf die Gefahr drohender Folter, so dass die Auslieferung erst am 31. Juli 2008 vollzogen wurde. Seit diesem Tag befand sich der Verurteilte bis zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls am 15. Januar 2009 erneut in Untersuchungshaft. Wegen versuchter Anstiftung zum Mord wurde der Verurteilte am 2. Februar 2009 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, von denen aufgrund der überlangen Verfahrensdauer drei Monate als vollstreckt galten. Die Kammer setzte den Anrechnungsmaßstab für die erlittene Auslieferungshaft auf 1:1 fest. Die Revision des Verurteilten ist durch den BGH am 13. August 2009 als unbegründet verworfen, der Anrechnungsmaßstab indessen auf 2:1 festgesetzt worden.

2

Unter dem 23. März 2010 beantragte die Antragstellerin unter Hinweis auf eine an sie erfolgte Abtretung der vermeintlichen Ansprüche des Verurteilten die Feststellung, dass die Staatskasse für die über die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe übersteigende Dauer der Untersuchungshaft zur Entschädigung verpflichtet ist. Zur Begründung wird ausgeführt, dass aufgrund der Anrechnung der Auslieferungshaft im Verhältnis 2:1 die erlittene Haftzeit erheblich länger als die von der Kammer verhängte Freiheitsstrafe sei. Insoweit stehe dem Verurteilten ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach Billigkeit gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG zu.

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Die Kammer hat mit dem angefochtenen Beschluss die Entschädigungspflicht der Landeskasse verneint. Es liege ein Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 3 StrEG vor, da der Verurteilte die Auslieferungs- und Untersuchungshaft schuldhaft verursacht habe, indem er trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 15. Oktober 2002 nicht erschienen sei.

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Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die eine ordnungsgemäße Ladung des Verurteilten in Abrede nimmt. Wäre der zum Zeitpunkt der Zustellung bereits nach Australien ausgewanderte Verurteilte ordnungsgemäß geladen worden, hätte er den Gerichtstermin wahrgenommen.

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II. Die sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg.

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1. Die Antragstellerin war mangels Verfahrensbeteiligung bereits nicht rechtsmittelbefugt. Die sofortige Beschwerde nach § 8 Abs. 3 StrEG i.V.m. § 311 StPO steht nämlich nur Personen zu, die durch die Maßnahme in ihren Rechten beeinträchtigt sind (§§ 304 Abs. 1 und 2 StPO). Hierzu zählt die Antragstellerin nicht. Dass der Verurteilte die ihm vermeintlich zustehenden Ansprüche wegen Haftentschädigung am 15. Oktober 2009 an die Antragstellerin abtreten wollte, steht dem nicht entgegen. Denn aus § 13 Abs. 2 StrEG ergibt sich, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag im Sinne des § 10 StrEG eine Übertragbarkeit des Anspruchs ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluss gilt erst recht, solange noch nicht einmal die Entscheidung des Strafgerichts nach § 8 Abs. 1 StrEG rechtskräftig geworden ist. Dass die Kammer ihre Entscheidung schließlich erst auf Antrag der Antragstellerin getroffen hat, begründet ebenfalls keine Beschwerdeberechtigung. Denn die Entscheidung nach § 8 StrEG ergeht von Amts wegen (vgl. Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, § 8 StrEG, Rn. 3) und entfaltet daher auch ohne Antrag der Antragstellerin unmittelbare Wirkung gegen den Verurteilten.

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2. Im Übrigen ist ein Anspruch des Verurteilten auch der Sache nach nicht gegeben. Dabei konnte dahinstehen, ob die Entschädigung nach § 5 Abs. 3 StrEG ausgeschlossen war, weil der Verurteilte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur Hauptverhandlung vor der Kammer erschienen ist. Zwar sieht § 4 StrEG eine Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen abweichend von § 2 StrEG auch bei erfolgten Verurteilungen vor, soweit dies nach den Umständen des Falls der Billigkeit entspricht. Bereits der Tatbestand des § 4 StrEG ist indessen nicht eröffnet. Soweit die Antragstellerin nämlich geltend macht, dass die in der strafgerichtlichen Verurteilung angeordneten Rechtsfolgen geringer seien als die darauf gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG), trifft dies nicht zu. Stellt man nämlich die Dauer der insgesamt vollzogenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft der verhängten Freiheitsstrafe gegenüber, zeigt sich, dass die reine Dauer der vorläufigen freiheitsentziehenden Strafverfolgungsmaßnahmen hinter der rechtskräftig verhängten Strafsanktion zurückgeblieben ist. Ohne Bedeutung ist dabei der Anrechnungsmaßstab der im Ausland auf Ersuchen einer deutschen Strafverfolgungsbehörde vollzogenen Freiheitsentziehung, weil dieser allein für die Frage der Vollstreckung einer etwaigen Reststrafe Bedeutung hat und nicht zu einer entschädigungsfähigenüberschießenden Maßnahme führen kann (vgl. OLG Karlsruhe, MDR 1991, 978 [OLG Karlsruhe 17.06.1991 - 2 Ws 92/91]). Denn Entschädigung wird nur für tatsächlich erlittenen Freiheitsentzug geleistet (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 371).

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Im Übrigen wäre selbst bei Annahme des Tatbestandes des§ 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG unter dem Aspekt der Billigkeit zu berücksichtigen, dass der Verurteilte selbst seine Auslieferung aus Australien verzögert hat. Hierzu hat er bewusst wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt, nämlich dass er von den deutschen Behörden gefoltert worden sei und er im Fall einer Auslieferung an die deutschen Behörden befürchten müsse, erneut gefoltert zu werden. Mithin konnte auch ausgeschlossen werden, dass sich der Verurteilte - wie in der Beschwerde vorgetragen - bei ordnungsgemäß erfolgter Ladung dem Gerichtsverfahren gestellt hätte. All dies führt bei der gebotenen Abwägung dazu, dass dem Verurteilten eine Entschädigung aus Billigkeitserwägungen zu versagen war.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.