Amtsgericht Nordhorn
Urt. v. 27.10.1982, Az.: 6 Ls 13 Js 818/81 (278)
Unerlaubte gemeinschaftliche Einfuhr von Betäubungsmitteln ; Anforderungen an das Vorliegen einer Schutzbehauptung; Strafrechtliche Bewertung der Einfuhr von Methadon-Tabletten
Bibliographie
- Gericht
- AG Nordhorn
- Datum
- 27.10.1982
- Aktenzeichen
- 6 Ls 13 Js 818/81 (278)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1982, 14664
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGNOHOR:1982:1027.6LS13JS818.81.278.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bremen - 08.09.1981 - AZ: 13 KLs 21 Js 276/79
Rechtsgrundlagen
- § 1 BTMG
- § 3 BTMG
- § 11 Abs. 1 Nr. 1 BTMG
- § 25 Abs. 2 StGB
Verfahrensgegenstand
Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz
Prozessgegner
R. W. geboren am ... wohnhaft in ... zur Zeit in anderer Sache in der Justizvollzugsanstalt Bremen-Oslebshausen, Deutscher, ledig
Das Schöffengericht Nordhorn
hat in der Sitzung vom 21. Oktober 1982,
an der teilgenommen haben:
Richter am Amtsgericht Tewes als Vorsitzender,
Pensionär Jan Arnold Stemberg, Nordhorn und Buchhalterin Gertrud Westerhoff, Bad Bentheim, als Schöffen,
Staatsanwalt Heider als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Dr. Schlothauer, Bremen, als Verteidiger,
Justizangestellter Siefener als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Angeklagte wird wegen unerlaubter gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts Bremen vom 8.9.1981 - 13 KLs 21 Js 276/79 -
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten kostenpflichtig verurteilt.
Gründe
Abgekürzt gemäss § 267 Abs. 4 StPO -
Der zur Tatzeit 25 Jahre alte Angeklagte hat den Beruf des Kfz.-Mechanikers erlernt. Er ist ledig und hat keine Kinder. In dieser Sache befand er sich in Untersuchungshaft vom 9.7. bis zum 12.10.1981.
Am 24.10.1980 wurde er vom Landgericht Bremen, Große Strafkammer I, - 11 Kls 21 Js 276/79 - wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz im besonders schweren Fall in Tateinheit mit Steuerhehlerei und eines gemeinschaftlichen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz im besonders schweren Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Auf die hiergegen von dem Angeklagten eingelegte Revision wurde das Urteil durch den Bundesgerichtshof im Schuldspruch dahin geändert, dass er wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln und mit Steuerhinterziehung verurteilt wird. In allen Strafaussprüchen wurde das Urteil des Landgerichts Bremen mit den Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung wurde die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Aufgrund dieses Beschlusses vom 29.4.1981 wurde der Angeklagte von der III. Großen Strafkammer des Landgerichts Bremen am 8.9.1981 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. In diesem Urteil wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, in den ersten Tagen des September 1979 zum Eigenverbrauch 200 Gramm Cannabisharz zum Preis von 1.000,00 DM erworben zu haben. Des weiteren wurde ihm zur Last gelegt, im September 1979 mit anderen Tatbeteiligten knapp 5.000,00 DM zum Erwerb von 1.650 Gramm Cannabisharz in den Niederlanden aufgewendet zu haben.
Das Urteil des Landgerichts Bremen vom 8.9.1981 ist seit dem 22.1.1982 rechtskräftig. Am 8.7.1981 reiste der Angeklagte gemeinsam mit dem zwischenzeitlich verstorbenen H. R. am Grenzübergang Wielen-Vennebrügge aus den Niederlanden kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Entgegen seiner Verpflichtung unterliess er die Angabe, dass er Stoffe im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes mit sich führte. Bei der Durchsuchung des Pkw des Angeklagten wurde von den Zollbeamten im Gehäuse des Luftfilters am Motor des Pkw in einer verschweissten Plastiktüte 458 Methadon-Tabletten und ca. 2 Gramm Haschisch gefunden. Methadon unterliegt nach der achten Verordnung über die den Betäubungsmitteln gleichgestellten Stoffen vom 25.4.1978 unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 a und b und Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes dem Verbot nach dem Betäubungsmittelgesetz.
Der Angeklagte hatte gemeinsam mit dem Reisebegleiter R. die Mathadon-Tabletten und die 2 Gramm Haschisch in Amsterdam von einem ihm unbekannten Holländer auf der Strasse zum Preis von 120,00 DM erworben. Der durchschnittliche Wirkstoffgehalt (Methadon-Hydrochlorid) pro Tablette betrug 2,5 mg. Handelsüblich sind Methadontabletten mit Wirkstoffgehalten von 2,5 mg 5 mg und 10 mg.
Dem Angeklagten war bewusst, dass es sich bei den Tabletten um Methadaon-Tabletten handelte, die er nicht in die Bundesrepublik Deutschland einführen durfte.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit das Gericht ihr zu folgen vermochte, den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Pöhlmann sowie den in der Hauptverhandlung in dem aus dem Protokoll ersichtlichen Umfang beigezogenen und verlesenen Urkunden und Schriftstücken.
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe die Methadon-Tabletten in Amsterdam als Aufputschtabletten angeboten bekommen. Da er anstrengende Fahrten vor sich gehabt habe und ein Rockkonzert in Rotterdam habe besuchen wollen, habe er sich entschlossen, die Tabletten zu kaufen, um sich während der Fahrten und während des Konzerts wachzuhalten. Er habe die Vorstellung gehabt, dass zu diesem Zweck ein Konsum von fünf Tabletten pro Person und Tag erforderlich seien. Der Preis von 120,00 DM habe ihn ebenso wenig abgeschreckt wie der Umstand, dass die Tabletten in loser Form ihm von einem unbekannten Holländer auf der Straße angeboten worden seien. Auch der Umstand, dass die Tabletten gemeinsam mit Haschisch angeboten wurden, habe ihn nicht skeptisch gestimmt. Er habe die Tabletten nur deshalb im Gehäuse des Luftfilters an seinem Pkw-Motor versteckt, weil er ohnehin die 2 Gramm Haschisch habe verstecken müssen. Da das Haschisch gemeinsam mit den Tabletten in einer Plastiktüte eingeschweisst gewesen seien, habe er sich nicht die Mühe gemacht, die Tabletten vor dem Verstecken zu entfernen. Von den Tabletten habe er in den Niederlanden entgegen seiner ursprünglichen Absicht nichts konsumiert, weil der Plan, das Rock-Festival in Rotterdam zu besuchen, fallen gelassen worden sei.
Das Gericht erachtet diese Einlassung des Angeklagten als Schutzbehauptung. Der Angeklagte, der einschlägige Erfahrung mit Betäubungsmitteln hatte, hat zur Überzeugung des Gerichts beim Erwerb der Tabletten genau gewusst, worum es sich handelt. Die Überzeugung des Gerichts beruht auf den Umständen des Kaufs sowie auf der Art des vom Angeklagten gemeinsam mit seinem Begleiter R. gewählten Verstecks. Nach alledem hat sich der Angeklagte der unerlaubten gemeinschaftlichen Einfuhr von Betäubungsmitteln schuldig gemacht. Eine Bestrafung nach § 11 Abs. 4 Nr. 6 b des BTM-Gesetzes alter Fassung kam nicht mehr in Betracht, da das seit dem 1.1.1982 in Kraft befindliche Betäubungsmittelgesetz einen solchen Straftatbestand nicht mehr enthält. Im übrigen war das Betäubungsmittelgesetz von 1972 zur Anwendung zu bringen, da es für die dem Angeklagten anzulastende Tat den milderen Strafrahmen vorsieht.
Eine Bestrafung nach § 11 Abs. 4 Nr. 5 bzw. Nr. 6 a des BTM-Gesetzes alter Fassung schied ebenfalls aus. Die vom Angeklagten eingeführte Menge Methadon-Tabletten erfüllte nicht den Tatbestand der nicht geringen Menge. Zur Feststellung dieses Tatbestandsmerkmals war es erforderlich, den Wirkstoffgehalt (Methadon-Hydrochlorid) der einzelnen Tablette festzustellen, da Mathadon-Tabletten mit sehr unterschiedlichem Wirkstoffgehalt im Handel sind. Handelsüblich sind Tabletten mit Wirkstoffgehalten von 2,5 mg, 5 mg und 10 mg Methadon-Hydrochlorid. Eine Bestimmung der "nicht geringen Menge" allein nach der Zahl der Methadon-Tabletten ist also nicht möglich, da der handelsübliche Wirkstoffgehalt einer Tabletten um bis zu 400% differieren kann.
Im vorliegenden Fall fand sich bei den von dem Angeklagten eingeführten Methadon-Tabletten ein durchschnittlicher Wirkstoffgehalt von 2,5 mg pro Tablette. Insgesamt enthielten die 458 vom Angeklagten eingeführten Methadon-Tabletten somit 1.145 mg Methadon-Hydrochlorid. Nach den überzeugenden Ausführungen des A Sachverständigen, die das Gericht sich uneingeschränkt zu eigen macht, war davon auszugehen, dass Methadon als verschreibungspflichtiges Arzneimittel bei medizinischer Indikation Anwendung findet und zwar in täglichen Methadon-Dosen von durchschnittlich 60 mg (30 bis 90 mg). Um eine rauschähnliche Wirkung zu erzielen, sind je nach Gewöhnung des Konsumenten tägliche Dosen zwischen 60 und 300 mg Mathadon-Hydrochlorid erforderlich. Je nach Gewöhnungsgrad reichen die beim Angeklagten sichergestellten 1.145 mg Mathadon-Hydrochlorid für einen Konsum zwischen 3,8 und 19 Tagen. Für einen durchschnittlichen Konsumenten reicht die Menge von 1.145 mg Methadon-Hydrochlorid somit aus, ihn etwa 11 Tage in einem Rauschzustand zu halten.
Nach alledem steht fest, dass damit das Tatbestandsmerkmal der "nicht geringen Menge" nicht erfüllt ist. Sowohl der Preis von 120,00 DM, den der Angeklagte bezahlt hat, sowie die Grösse des Vorrats lassen es als unwahrscheinlich erscheinen, dass die Betäubungsmittel zum Zwecke der Weitergabe an Dritte erworben worden sind. Mit grösserer Wahrscheinlichkeit waren die Tabletten zum Eigenkonsum des Angeklagten und seines Begleiters bestimmt. Normzweck des Tatbestandsmerkmals "nicht geringe Menge" ist aber insbesondere, der Gefahr der Abgabe von Betäubungsmitteln an andere durch eine besondere Strafdrohung entgegenzutreten. Da diese Gefahr im vorliegenden Fall aus obigen Erwägungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnten, war der Strafrahmen § 11 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz a.F. zu entnehmen.
Bei der Strafzumessung war zu Gunsten des Angeklagten dessen Geständnis - wenn auch beschönigend - zu werten. Nicht zu seinen Gunsten konnte der Umstand berücksichtigt werden, dass die eingeführten Betäubungsmittel nicht nur für den Konsum des Angeklagten, sondern auch für den des Mittäters bestimmt waren. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei einer derartigen Gemeinschaftstat die eingeführte Menge uneingeschränkt jedem einzelnen der Mittäter anzurechnen. Diese Zurechnung würde unterhöht, wenn dieser Umstand bei der Frage der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt werden würde.
Zu Lasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er die Straftat während des Laufes des Strafverfahrens vor dem Landgericht Bremen begangen hat. Das Gericht muss aus diesem Umstand den Schluss ziehen, dass der Angeklagte trotz der sicheren Erkenntnis, dass ihm vor dem Landgericht Bremen eine empfindliche Freiheitsstrafe auferlegt werden wird, er von diesem Umstand unbeeindruckt war. Auch war bei der Ermittlung des Strafmaßes zu berücksichtigen, dass die sichergestellte Menge Betäubungsmittel nicht ausgesprochen gering war. Unter Abwägung aller schuld- und tatbezogenen Umstände erschien die Verhängung einer Einsatzfreiheitsstrafe von neun Monaten angemessen.
Das Urteil des Landgerichts Bremen - 13 Kls 21 Js 276/79 - vom 8.9.1981 war gemäss § 55 StGB einzubeziehen. Unter Abwägung aller Umstände war aus den Einsatzstrafen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zu erkennen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.