Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.02.2024, Az.: 2 Ws 36/24
Anordnung der mündlichen Anhörung eines Verurteilten im Wege der Bildübertragung und Tonübertragung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 23.02.2024
- Aktenzeichen
- 2 Ws 36/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 11809
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 16.05.2014 - AZ: 39 KLs 2333 Js 87814/13 (4/14)
- LG Lüneburg - 31.01.2024 - AZ: 165 StVK 140/23
Rechtsgrundlage
- § 463e Abs. 1 S. 1 StPO
Amtlicher Leitsatz
Die Anordnung der mündlichen Anhörung des Verurteilten im Wege der Bild- und Tonübertragung gemäß § 463e Abs. 1 S. 1 StPO ist als eine die Entscheidung nach § 57 StGB vorbereitende Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 305 S. 1 StGB und aufgrund des im Bereich des Strafvollstreckungsrechts geltenden sogenannten Enumeriationsprinzips nicht selbständig mit der Beschwerde anfechtbar.
In der Strafvollstreckungssache
gegen V. S.,
geboren am ...,
zurzeit JVA U., ...,
wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht
XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Richterin am Landgericht
XXX am 23. Februar 2024 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 31. Januar 2024 (Az. 164 StVK 140/23) wird als unzulässig verworfen.
Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 16.05.2014 (Az. 39 KLs 2333 Js 87814/13 (4/14)), rechtskräftig seit dem 12.11.2014, wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe waren am 29.10.2021 vollstreckt, das Strafende ist auf den 29.10.2025 notiert.
Nachdem der Verurteilte in der Vergangenheit bereits mehrfach seine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft beantragt hatte, was von der zuständigen Strafvollstreckungskammer jeweils abgelehnt worden war, beantragte er am 06.12.2023 erneut, die Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen. Hierzu teilte er unter dem 29.12.2023 ergänzend mit, dass er mit einer mündlichen Anhörung im Wege der Bild- und Tonübertragung "per Skype" nicht einverstanden sei.
Mit Beschluss vom 31.01.2024 entschied die Strafvollstreckungskammer, dass die mündliche Anhörung des Verurteilten gemäß § 463e Abs. 1 S. 1 StPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden solle.
Hiergegen wandte sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde vom 07.02.2024, mit der er die Aufhebung des Beschlusses vom 31.01.2024 und die Anberaumung eines mündlichen Anhörungstermins bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit beantragte.
Die Strafvollstreckungskammer half der Beschwerde nicht ab.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig. Denn die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nach § 463e Abs. 1 S. 1 StPO, die mündliche Anhörung des Verurteilten nach § 454 Abs. 1 S. 1 StPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchzuführen, ist unanfechtbar.
Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen die von der Strafvollstreckungskammer gemäß § 463e Abs. 1 S. 1 StPO getroffene Entscheidung folgt nicht aus § 304 StPO. Denn es handelt sich hierbei weder um eine Entscheidung im ersten Rechtszug noch im Berufungsverfahren, gegen die die Beschwerde grundsätzlich statthaft ist, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich der Anfechtung entzieht. Vielmehr handelt es um eine Entscheidung im Bereich der Strafvollstreckung, für den hinsichtlich der Anfechtbarkeit gerichtlicher Entscheidungen das sogenannte Enumerationsprinzip gilt. Hiernach sind Vollstreckungsentscheidungen nur in den Fällen einer Anfechtung zugänglich, in denen der Gesetzgeber ein Rechtsmittel ausdrücklich zur Verfügung stellt (OLG Hamm, Beschluss vom 25.04.1989, Az. 1 Ws 123/89; OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.12.2001, 1 Ws 1418/01). Da ein Rechtsmittel gegen die Anordnung nach § 463e StPO vom Gesetz nicht vorgesehen ist, ist diese bereits aufgrund des Enumerationsprinzips einer isolierten Anfechtung entzogen (BeckOK StPO/Coen, 50. Ed., 01.01.2024, StPO, § 463e, Rn. 21; Gercke/Temming/Zöller/Pollähne, StPO, 7. Auflage, 2023, § 463e StPO, Rn. 9; Frommeyer in StraFo 2022, 96ff. (98)). Aufgrund dessen bedurfte es zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung nach § 463e StPO auch keiner ausdrücklichen Regelung, wie sie etwa in § 247a StPO für die Anordnung der audiovisuellen Vernehmung von Zeugen in der Hauptverhandlung vorgesehen ist.
Im Übrigen handelt es sich bei der Anordnung gemäß § 463e Abs. 1 S. 1 StPO um keine endgültige Entscheidung des Gerichts, sondern lediglich um eine den Beschluss der Strafvollstreckungskammer nach § 57 StGB vorbereitende Entscheidung. Auch unter diesem Gesichtspunkt unterliegt die Entscheidung nach § 463e StPO nicht der Anfechtung, denn die Entscheidung nach § 57 StGB vorbereitende Entscheidungen sind in entsprechender Anwendung des § 305 S. 1 StPO unanfechtbar (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, 2023, § 454, Rn. 43; KG, Beschluss vom 29.03.2001, Az. 5 Ws 145/01 Vollz; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.06.1999, Az. 1 Ws 499/99; OLG Hamm, Beschluss vom 16.10.1986, Az. 3 Ws 425/86). Zwar gilt § 305 S. 1 StPO seinem Wortlaut nach nur für Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen. Der gesetzgeberische Grundgedanke dieser Bestimmung, dass Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil stehen, bei dessen Erlass nochmal überprüft werden und deshalb mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil selbst und nicht selbständig angefochten werden sollen, um dadurch eintretende Verfahrensverzögerungen zu verhindern (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, 2023, § 305, Rn. 1; Löwe-Rosenberg/Matt, StPO, 26. Auflage, 2014, § 305, Rn. 1), gilt jedoch auch für das Verfahren nach § 57 StGB vor der erkennenden Strafvollstreckungskammer. Denn durch eine zulässige Anfechtung der vorbereitenden Entscheidungen würde die Schlussentscheidung nach § 57 StGB, mit der auch die Vorentscheidungen und ihre Auswirkungen überprüfbar sind, unnötig hinausgezögert. Zudem soll es der Strafvollstreckungskammer im Rahmen ihrer Verpflichtung, die für ihre Entscheidung bedeutenden Umstände zu ermitteln, unbenommen bleiben, dies vor ihrer Entscheidung ohne Eingriff der Rechtsmittelinstanz zu tun (vgl. OLG Hamm, a. a. O.). Im Falle einer den Verurteilten benachteiligenden ermessenfehlerhaften Anordnung der mündlichen Anhörung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 463e StPO bleibt diese schließlich dadurch gerichtlich nachprüfbar, dass der Verurteilte etwaige Anhörungsmängel im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach § 454 Abs. 3 S. 1 StPO gegen die gemäß § 57 StGB ergehende Entscheidung gelten machen kann. Auch ein den in § 305 S. 2 StPO genannten Fällen entsprechender Ausnahmefall, in dem die Beschwerde gegen eine vorbereitende Entscheidung ausnahmsweise zulässig wäre, liegt im Falle der Anordnung nach § 463e Abs. 1 S. 1 StPO nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).