Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 05.11.2001, Az.: 3 B 45/01

Verbotswidriges Bekleben von Ampelmasten und Laternenmasten; Ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit über Ampelmasten und Laternenmasten; Rechtsfigur des Zweckveranlassers

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
05.11.2001
Aktenzeichen
3 B 45/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 26148
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2001:1105.3B45.01.0A

Fundstelle

  • NdsVBl 2002, 87-88

Verfahrensgegenstand

Beseitigung von Plakaten/Aufklebern

Prozessführer

Nationaldemokratische Partei DeutschlandsA.

Prozessgegner

Stadt C.

In der Verwaltungsrechtsache
hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - 3. Kammer -
am 05. November 2001
beschlossen:

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.09.2001 wird wieder hergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin finden sich in letzter Zeit gehäuft Aufkleber an Stromkästen, Ampel- und Laternenmasten, Bus-Wartehäuschen und ähnlichen im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Gegenständen. Die Aufkleber tragen politische Parolen der NPD und deren Jugendorganisation wie etwa: "Die Freiheit, die sie meinen: - Versammlungsverbote! - Meinungsverbote! - Parteiverbote! ... ."; "Organisiert die ANTI-Antifa!

2

...

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überall! Stoppt Rotfront Terror"; "Niedersachsens Jugend organisiert sich! Deutschland in Not - Widerstand jetzt!"; "Seht was mit Euren Vätern geschieht! Schluß mit der Verunglimpfung der Wehrmacht!". Nachdem die Antragsgegnerin einen Herrn D. als presserechtlich Verantwortlichen erfolglos aufgefordert hatte, die Aufkleber zu entfernen, forderte sie die Antragstellerin durch Verfügung vom 27.09.2001 bei gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 DM auf, die in ihrem Stadtgebiet in beispielhaft durch Straßennamen näher bezeichneten Bereichen an Ampeln, Verkehrszeichen und anderen im öffentlichen Eigentum stehenden Gegenständen angebrachten Aufkleber bis zum 15.10.2001 rückstandsfrei zu entfernen. Zur Begründung ist ausgeführt: Das Bekleben dieser Gegenstände widerspreche dem in§ 2 Abs. 1 der Verordnung über die Aufrechterhaltung deröffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Stadt E. vom 18.12.1986 - im Folgenden: VO - geregelten Verbot, Flächen (u.a. Gebäude, Einfriedungen, Masten und Bäume), die von öffentlichen Straßen oder Anlagen aus sichtbar sind, zu bemalen, zu besprühen, zu bekleben und zu beschreiben. Der Verstoß gegen diese Verbotsnorm stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne der §§ 11, 2 Ziff. 1a des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes - NGefAG - dar. Für diese Gefahr sei die Antragstellerin als sog. Zweckveranlasserin verantwortlich. Es sei davon auszugehen, dass diejenigen Personen das widerrechtliche Bekleben ausgeführt hätten, denen die Antragstellerin die Aufkleber zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt habe. Selbst wenn die Antragstellerin jene Personen dazu angehalten habe, die Aufkleber nicht verbotswidrig anzubringen, entfalle ihre gefahrenabwehrrechtliche Verantwortung nicht. Die Antragstellerin habe die Aufkleber in den Verkehr gebracht, damit die Erwerber der Aufkleber diese möglichst öffentlichkeitswirksam verwendeten. An der sofortigen Vollziehung bestehe ein besonderes öffentliches Interesse. Das verbotswidrige Plakatieren sei öffentlich sichtbar und verleite zur Nachahmung, es habe eine negative Vorbildfunktion auch für kommerzielle Werbung.

4

Die Antragstellerin hat gegen die Verfügung vom 27.09.2001 Widerspruch eingelegt und begehrt vorläufigen Rechtsschutz. Sie trägt vor: Die Verfügung sei nicht hinreichend bestimmt, weil nicht angegeben sei, welche konkreten Plakate von welchen Flächen zu entfernen seien. Sie - die Antragstellerin - habe kein Werbematerial innerhalb des Stadtgebiets der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellt, und niemanden beauftragt, das Werbematerial in der beanstandeten Weise anzubringen. Es sei im Übrigen zweifelhaft, dass die Aufkleber von ihr oder in ihrem Auftrag hergestellt und in Umlauf gebracht worden seien. Die Antragsgegnerin müsse sich an den- oder diejenigen halten, welche die Aufkleber angebracht hätten. Es fehle auch an einem besonderen Interesse an der sofortigen Vollziehung.

5

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.09.2001 wieder herzustellen.

6

Die Antragsgegnerin beantragt aus den Gründen des angegriffenen Bescheides,

den Antrag abzulehnen.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

8

Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Die auf das Gefahrenabwehrrecht gestützte Anordnung, die Aufkleber zu entfernen, ist ein belastender Verwaltungsakt. Für ihn gilt § 80 Abs. 1 VwGO, wonach Widerspruch und Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung haben. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde, wie hier, die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet hat. Die Antragsgegnerin hat ein über das die Verfügung selbst rechtfertigende öffentliche Interesse hinausgehendes besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügend mit der ständig aktuellen negativen Vorbildwirkung begründet, die das verbotswidrige Bekleben von Ampel- und Laternenmasten usw. erzeugt. Deshalb richtet die Antragstellerin ihr Rechtsschutzbegehren zutreffend nicht auf eine Aufhebung der Vollziehungsanordnung, sondern auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (siehe dazu: Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungstreitverfahren, 4. Aufl., RN 892 f.). Der Antrag ist auch imÜbrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin als politische Partei im Sinne des § 2 ParteiG gemäß § 61 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 3 ParteiG beteiligungsfähig.

9

Der Antrag ist begründet.

10

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 27.09.2001 war wieder herzustellen, weil das Interesse der Antragstellerin, bis zur endgültigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verfügung in einem Hauptsacheverfahren die in der Verfügung näher bezeichneten Aufkleber nicht beseitigen zu müssen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Beseitigung der Aufkleber überwiegt. Denn die Verfügung vom 27.09.2001 wird sich im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich als rechtswidrig erweisen. Ihre Rechtmäßigkeit dürfte zwar nicht unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Bestimmtheit der getroffenen Regelung anzuzweifeln sein. Eher zweifelhaft erscheint schon, ob die Vorschrift des § 2 Abs. 1 VO, die nach ihrem Wortlaut ohne Weiteres auch privates Eigentum erfasst, einer rechtlichen Prüfung standhält. Jedenfalls aber lässt der gegenwärtig der rechtlichen Würdigung zu Grunde zu legende Sachverhalt, wie er sich aus dem jeweiligen Vortrag der Beteiligten, den beigezogenen Verwaltungsvorgängen und allgemeinem Erfahrungswissen ergibt, nicht den Schluss zu, die Antragstellerin habe die Gefahr, der mit der angegriffenen Verfügung begegnet werden soll, im Sinne des § 6 NGefAG verursacht. Es ist auch nicht zu erwarten, dass es der Antragsgegnerin gelingen wird, in einem Hauptsacheverfahren Tatsachen zu beweisen, welche die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit der Antragstellerin für die Anbringung der Aufkleber an den in der Verfügung näher bezeichneten Stellen begründete.

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Die Antragstellerin übt nicht die tatsächliche Gewaltüber die beklebten Gegenstände aus. Ihre ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit kann sich daher nur aus einem Verhalten ergeben, das im Sinne des § 6 Abs. 1 NGefAG als Ursache einer Gefahr - hier: Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot - anzusehen ist. Als politische Partei handelt die Antragstellerin durch ihre satzungsmäßigen Organe. Dass solche Organe selbst die Aufkleber angebracht haben, stellt die Antragstellerin in Abrede. Es sind keine Umstände vorgetragen oder sonst erkennbar, die dem Vortrag der Antragstellerin widersprächen und sich gegebenenfalls beweisen ließen. Haben andere, nicht mit organschaftlicher Handlungskompetenz der Antragstellerin ausgestattete Personen die Aufkleber angebracht, so kann eine ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit der Antragstellerin darin begründet liegen, dass sie entweder diese Personen zu ihren Verrichtungsgehilfen bestellt (vgl. § 6 Abs. 3 NGefAG) oder deren Handeln in einer Weise Vorschub geleistet hat, die sie als "Zweckveranlasserin" erscheinen lässt. Eine Bestellung zum Verrichtungsgehilfen setzt einen Auftrag, eine Handlungsanweisung oder die Übertragung einer Aufgabe voraus. Die Antragstellerin bestreitet, in diesem Sinne Dritte zum Anbringen von Aufklebern an irgendwelchen Gegenständen herangezogen zu haben. Das Anbringen von Aufklebern liegt zwar, davon ist ohne Weiteres auszugehen, im Publizitätsinteresse der Antragstellerin. Darauf lässt sich aber allenfalls eine Vermutung und nicht die erforderliche Feststellung stützen, die Aufkleber seien im Rahmen eines Auftragsverhältnisses zwischen der Antragstellerin und Dritten - etwa Mitgliedern der Partei oder Sympathisanten - angebracht worden. Insofern unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt von der "Plakataktion", die Gegenstand der von der Antragsgegnerin in den Gründen des angefochtenen Bescheides angeführten Entscheidung der Kammer vom 09.10.1986 (3 OS VG D 38/86) gewesen ist. Dort lag unstreitig ein Auftragsverhältnis vor. Allein der Umstand dass die Aufkleber hergestellt und in Verkehr gebracht worden sind, berechtigt nicht zu der Folgerung, die Antragstellerin habe sich Dritter bedient, die Aufkleber irgendwo anzubringen. Ihrer Art - nicht ihrem Inhalt (!) - nach handelt es sich bei den Aufklebern um eine Publikationsform, wie sie vielfältig von politischen und gesellschaftlichen Organisationen, aber auch gewerblichen oder privaten Einrichtungen zu Werbezwecken hergestellt oder erworben und vertrieben werden. Wer Aufkleber in Verkehr bringt, verbindet damit zwar die Erwartung, diese würden in der Öffentlichkeit ihren Werbezweck erfüllen, erteilt damit aber nicht zugleich dem Erwerber einen Auftrag, die Aufkleber diesem Zweck entsprechend zu verwenden. Wer einen Aufkleber erwirbt, um ihn wo auch immer anzubringen, wird dadurch nicht zum Verrichtungsgehilfen desjenigen, der den Aufkleber zu Werbezwecken in Verkehr bringt.

12

Die umstrittene (Lisken/Dënninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. RN 60 ff.), aber in Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur (Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl., RN 193 ff.; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 315 f.) und von der Rechtsprechung (Pr. OVG 85, 270; VGH Kassel, NVwZ 1993, 1018 [VG Karlsruhe 14.09.1992 - 11 K 10487/92]; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1995, 663 [VGH Baden-Württemberg 29.05.1995 - 1 S 442/95]; offen: BVerwG, E 56, 24) anerkannte Rechtsfigur des "Zweckveranlassers" kennzeichnet nach einem wertenden Maßstab die Verantwortlichkeit dessen, der zwar nicht die letzte Ursache für eine Gefahr setzt, dessen Verhalten aber in einem engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang mit dem die Gefahr darstellenden Erfolg steht. Ein solcher Zusammenhang setzt hier zunächst voraus, dass die Antragstellerin die Aufkleber erworben oder hergestellt und in Verkehr gebracht hat. Zwar hat die Antragstellerin angezweifelt, dass die Aufkleber "von ihr" stammten. Gegen solche Zweifel spricht aber schon der erste Anschein. Es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, die Aufkleber, die nicht nur bekannte politische Parolen der Antragstellerin sondern auch Anschriften und Internet-Adresse ihrer Teil-Organisation "Junge Nationaldemokraten" wiedergeben, könnten aus einer anderen Quelle herrühren. Selbst wenn Letzteres der Fall wäre, könnte der Antragstellerin kaum verborgen geblieben sein, wer die Aufkleber vertreibt. Deshalb wertet die Kammer den Umstand, dass die Antragstellerin die von ihr geäußerten Zweifel nicht um Angaben zu möglichen Herkunftsquellen ergänzt hat, als beredtes Schweigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Antragstellerin die Aufkleber in Verkehr gebracht hat, ist so hoch, dass bei lebensnaher Betrachtung eine andere Möglichkeit ausscheidet.

13

Die verbotswidrige Verwendung von Aufklebern, deren Existenz nicht schon für sich genommen verbotswidrig ist, steht im Allgemeinen nicht in einem so engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb, dass dem Hersteller oder Vertreiber die ordnungsrechtliche Verantwortung für einen verbotswidrigen Umgang mit den Aufklebern zuzuweisen wäre. Als Werbeartikel in den Verkehr gebrachte Aufkleber dienen typischer Weise dazu, an Gegenständen aus der privaten Sphäre des Empfängers (etwa Kraftfahrzeug) für andere sichtbar und damit ihre werbende Wirkung entfaltend angebracht zu werden. Dies gilt für politische, gewerbliche oder andere Werbung gleichermaßen. Wenn gleichwohl zu beobachten ist, dass Aufkleber jedweder Herkunft verbotswidrig an im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Gegenständen angebracht werden, wie den Mitgliedern der Kammer aus eigener Anschauung der Verhältnisse am Ort des Gerichtssitzes bekannt ist, so folgt daraus nicht, dass der jeweilige Vertreiber ohne Rücksicht auf seine eigenen Intentionen dafür ordnungsrechtlich einzustehen hätte. Nur wenn das Verhalten, das die Störung durch Dritte auslöst, in einem untrennbaren Zusammenhang mit ihr steht und sie somit zwangsläufig auslöst (vgl. etwa VGH Mannheim. NVwZ-RR 1995, 663 [VGH Baden-Württemberg 29.05.1995 - 1 S 442/95]), kann von einer Zweckveranlassung gesprochen werden. Das In-Verkehrbringen von Aufklebern führt in der Regel nicht notwendig zu verbotswidrigem Bekleben, auch wenn erfahrungsgemäß immer einige dieser Aufkleber zu der angesprochenen Störung führen. Für Aufkleber, die von der Antragstellerin in Verkehr gebracht werden, könnte allenfalls dann etwas anderes gelten, wenn sich feststellen ließe, dass sie ständig ganz überwiegend unter Verletzung von gesetzlichen Verboten Verwendung finden, so dass davon gesprochen werden könnte, bereits das Vertreiben der Aufkleber führe zwangsläufig zu einer Verletzung ordnungsrechtlicher Bestimmungen. Für eine solche Feststellung bietet weder der Vortrag der Beteiligten eine tragfähige Grundlage noch verfügt die Kammer über einschlägiges Erfahrungswissen.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG. Mit Rücksicht auf das begrenzte Rechtschutzziel des Eilverfahrens, reduziert die Kammer in ständiger Rechtsprechung den für das Hauptsacheverfahren nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG anzunehmenden Wert von 8.000,00 DM auf die Hälfte, wie es imÜbrigen der Empfehlung zu Nr. 1.7. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605) entspricht.

Essig,
Specht,
Fister