Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.01.2018, Az.: 2 Ws 47/18

Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer vor Verlängerung der Bewährungszeit erfolgt nach Verurteilung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.01.2018
Aktenzeichen
2 Ws 47/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 18279
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 15.12.2017 - AZ: 71 StVK 121/17

Amtlicher Leitsatz

Nach einer Verlängerung der Bewährungszeit kann der Widerruf einer Strafaussetzung auf eine vor dem Verlängerungsbeschluss erfolgte Nachverurteilung gestützt werden, wenn die neue Straftat dem Gericht bei der Entscheidung über die Bewährungszeitverlängerung nicht bekannt war.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Verden wird der Beschluss der 1. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 15.12.2017 aufgehoben.

Die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Rotenburg (Wümme) vom 06.01.2015 zur Bewährung wird widerrufen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Rotenburg (Wümme) verurteilte den bereits mehrfach - auch einschlägig -vorbestraften Verurteilten am 06.01.2015 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Dauer der Bewährung wurde auf 3 Jahre festgesetzt.

Der Verurteilte wurde in der Bewährungszeit vom Amtsgericht Walsrode am 06.07.2016 wegen Unterschlagung, Sachbeschädigung und Beleidigung zu einer Gesamtreitstrafe von 5 Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Verurteilten gegen dieses Urteil verurteilte das Landgericht Verden ihn schließlich am 04.05.2017 wegen Unterschlagung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtheitsstrafe von 3 Monaten und 2 Wochen. Dieses Urteil ist rechtskräftig seit dem 31.05.2017. Der Angeklagte hat die dem Urteil zugrundeliegenden Taten im Zeitraum von Juni bis August 2015 begangen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Verden verlängerte die 1. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover mit Beschluss vom 09.10.2017 wegen dieser Taten die Bewährungszeit um ein Jahr.

Erst nach dieser Bewährungszeitverlängerung erhielt die Staatsanwaltschaft Verden davon Kenntnis, dass der Verurteilte zwischenzeitlich vom Amtsgericht Soltau durch Urteil vom 08.05.2017 wegen Betruges in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt wurde. Der Verurteilte hat nach den seit dem 11.09.2017 rechtskräftigen Urteilsfeststellungen am 12.07. und 19.09.2016 jeweils im Online-Versandhandel Waren bestellt, obwohl er wusste, dass er nicht in der Lage war, den jeweiligen Kaufpreis zu zahlen. Wegen dieser weiteren einschlägigen Straftaten beantragte die Staatsanwaltschaft Verden mit Verfügung vom 06.11.2017, nunmehr die Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.12.2017 wies die 1. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover diesen Antrag zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Verlängerung der Bewährungszeit zeitlich nach der Verurteilung durch das Amtsgericht Soltau erfolgt sei. Auch wenn dem Gericht zum Zeitpunkt des Erlasses des Verlängerungsbeschlusses diese Nachverurteilung nicht bekannt gewesen sei, sei es unangemessen, aufgrund von mehr als einem Jahr zurückliegenden Taten die Bewährungsaussetzung zu widerrufen, obwohl das Verhalten des Verurteilten im Anschluss an den Verlängerungsbeschluss noch nicht erprobt habe werden können.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Verden mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 27.12.2017. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Beschwerde für begründet.

II.

Die gemäß §§ 453 Abs. 2 Satz 3, 311 Abs. 2 StPO zulässig erhobene sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Der Verurteilte hat innerhalb der Bewährungszeit mehrere rechtskräftig abgeurteilte Straftaten begangen und dadurch gezeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zu Grunde lag, sich nicht erfüllt hat. Damit liegt ein Widerrufsgrund nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB vor.

Von einem Widerruf war entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover nicht deshalb abzusehen, weil sowohl die Tatzeit der vom Amtsgericht Soltau abgeurteilten Taten als auch das Urteil des Amtsgerichts Soltau vom 08.05.2017 vor dem Verlängerungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer liegen. Insbesondere führen diesbezüglich nicht Vertrauensschutzgesichtspunkte zur Unzulässigkeit des Widerrufs (vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 1995, 740). Solange die Bewährungszeit läuft, muss der Verurteilte bei Vorliegen eines Widerrufsgrundes in der Regel jederzeit mit einem Widerruf rechnen. Der Widerruf der Strafaussetzung ist erst dann unzulässig, wenn der Verurteilte darauf vertrauen durfte, dass sein Verhalten während der Bewährungszeit keine Konsequenzen mehr nach sich zieht. Ein Verurteilter, dessen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt ist, kann sich aufgrund Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. dem Vertrauensschutz des Art 20 Abs. 3 GG darauf verlassen, dass die mit abgeschlossenen Tatbeständen verknüpfte Rechtsfolge anerkannt bleibt und eine durch Bewährung erlangte Rechtsposition nicht für ihn unvorhersehbar aufgehoben wird (vgl. BVerfG NJW 2013, 2414 [BVerfG 20.03.2013 - 2 BvR 2595/12]; StraFo 2009, 377 [BVerfG 08.06.2009 - 2 BvR 847/09]; NStZ 1995, 437). Vorliegend konnte der Verurteilte jedoch nicht darauf vertrauen, dass es mit der Verlängerungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 09.10.2017 sein Bewenden haben würde und er nicht noch zu einem späteren Zeitpunkt wegen der Verurteilung durch das Amtsgericht Soltau mit einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung rechnen musste. Sowohl in dem Verlängerungsbeschluss als auch in dem Anhörungsschreiben vom 13.08.2017 zur von der Staatsanwaltschaft beantragten Verlängerung der Bewährungszeit hat die Strafvollstreckungskammer nur auf die vom Landgericht Verden abgeurteilten Taten Bezug genommen. Daher war auch für den Verurteilten erkennbar, dass Grundlage der Verlängerungsentscheidung nur die Nachverurteilung durch das Landgericht Verden war und nicht auch diejenige durch das Amtsgericht Soltau. Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Anhörung des Verurteilten das Urteil des Amtsgerichts Soltau noch nicht rechtskräftig war.

2. Daher war nach Bekanntwerden der vom Amtsgericht Soltau abgeurteilten Straftaten eine (erneute) Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung aufgrund einer neuen Prognose zu treffen. Auf der Grundlage der aktuellen Lebenssituation des Verurteilten muss prognostisch bewertet werden, ob er seine kriminelle Lebensführung geändert hat oder mit einer solchen Änderung aufgrund nachvollziehbarer Tatsachen höchstwahrscheinlich zu rechnen ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12.01.2009, 2 Ws 620/08, juris). Vom Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ist zwingend abzusehen, wenn es - zum Beispiel angesichts einer inzwischen eingetretenen wesentlichen Änderung der Lebensführung des Verurteilten oder anderer Umstände - ausreicht, Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB anzuordnen, um die widerlegte Aussetzungsprognose wiederherzustellen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.05.2009, 1 Ws 75/09, juris).

Der Senat hält mildere Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB vor diesem Hintergrund nicht für ausreichend. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass das Landgericht Verden in dem Urteil vom 04.05.2017 eine gewisse positive Entwicklung und beginnende Reifeentwicklung des Verurteilten festgestellt hat. Danach bemühte er sich um eine Arbeitsaufnahme als Bauhelfer und strebte eine Ausbildung zum Maurer an. Zudem kümmerte er sich um eine Schuldenbefreiung im Rahmen einer Privatinsolvenz und trieb ausgiebig Sport, um mit seinem aggressiven Verhalten besser umzugehen. Allerdings hat die Strafkammer unter Berücksichtigung dieser Umstände wie auch das Amtsgericht Soltau im Urteil vom 08.05.2017 keine günstige Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB zu stellen vermocht. Der Verurteilte hat in der Bewährungszeit wiederholt innerhalb kürzester Zeit nach erfolgten Verurteilungen erneut Straftaten begangen. Bereits ca. 6 Monaten nach der Verurteilung durch das Amtsgericht Rotenburg (Wümme) beging der Verurteilte die durch das Amtsgericht Walsrode und das Landgericht Verden abgeurteilten Straftaten. Zwar handelte es sich hierbei nicht um einschlägige Straftaten, jedoch hat sich der Verurteilte auch nicht durch die Verhängung einer zu vollstrecken Freiheitsstrafe wegen dieser Straftaten durch das Amtsgerichts Walsrode am 06.07.2016 abhalten lassen, erneute Straftaten zu begehen. Nur sechs Tage nach Verkündung dieses - wenn auch noch nicht rechtskräftigen - Urteils sowie weitere zwei Monate später beging der Angeklagte erneut jeweils eine einschlägige Betrugsstraftat. Die von strafrechtlichen Verurteilungen, drohenden Bewährungswiderrufen und der Verbüßung von Jugend- und Freiheitsstrafen ausgehende Warnfunktion vermochte den Verurteilten bisher nicht zu beeindrucken und von Straftaten abhalten. Vielmehr beging er in schneller Folge neue, teilweise auch einschlägige Straftaten und hat nicht eine der ihm gewährten Bewährungszeiten durchstanden. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die derzeitige Verbüßung der Freiheitsstrafen aus den Nachverurteilungen zu einer prognostisch günstigen Verhaltensänderung des Verurteilten geführt hat. Aus der Stellungnahme der JVA H. zur Aussetzung des Strafrestes ergibt sich, dass Behandlungsmaßnahmen bisher nicht stattgefunden haben. Ohne selbstkritische Auseinandersetzung mit den straftatursächlichen Faktoren und eine Verhaltenskorrektur ist jedoch zu befürchten, dass der Verurteilte auch zukünftig aufgrund seiner verfestigten kriminellen Verhaltensmuster weitere Straftaten begehen wird.

Die Strafaussetzung zur Bewährung war daher zu widerrufen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 465 StPO.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).