Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.07.2000, Az.: 3 Ws 139/00
Molekulargenetische Untersuchung ; Anordnung; Sachliche Zuständigkeit; Vergewaltigung; Rechtshängigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 25.07.2000
- Aktenzeichen
- 3 Ws 139/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 16532
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2000:0725.3WS139.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 81g StPO
- § 1 DNA-Gesetz
Fundstellen
- NStZ-RR 2000, 374-375 (Volltext mit amtl. LS)
- StraFo 2000, 381-382
Amtlicher Leitsatz
StPO § 81 g, § 1 DNA-Gesetz
Für die Anordnung einer molekulargenetischen Untersuchung nach § 81 g StPO ist nach Erhebung der Anklage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens das mit der Sache befasste erkennende Gericht sachlich zuständig.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die 16. Strafkammer des Landgerichts Hildesheim ist für die Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 28. 03. 2000 zuständig.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Vor der 16. Strafkammer des Landgerichts Hildesheim ist gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen Vergewaltigung u. a. anhängig. Der Angeklagte ist von ihr deswegen am 15. 06. 2000 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Er hat das Urteil mit der Revision angefochten, über die noch nicht entschieden worden ist.
Die Staatsanwaltschaft hat nach Erhebung der Anklage bei der Strafkammer die Anordnung einer molekulargenetische Untersuchung des Angeklagten nach § 81 g StPO beantragt. Die Strafkammer hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, nicht sie als erkennendes Gericht, sondern der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts sei sachlich zuständig, weil die begehrte Anordnung keine Untersuchungshandlung zur Förderung des laufenden Strafverfahrens darstelle, sondern allein Zwecken hypothetischer künftiger Strafverfolgung diene. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft.
II.
Das Rechtsmittel ist begründet; die Strafkammer hat über den Antrag in sachlicher Zuständigkeit zu entscheiden.
1. Der Gesetzgeber hatte hinsichtlich der Zuständigkeiten für Anordnungen nach dem DNA-Gesetz Lücken gelassen, die es durch die Rechtsprechung zu schließen galt. Sie hat dazu u. a. die Systematik der Regelungen strafrichterlicher Zuständigkeiten im Ermittlungs-, Haupt- und Nachverfahren herangezogen. Nach nunmehr herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist für Anordnungen nach §§ 1 und 2 DNA-Gesetz, § 81 g StPO der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts sachlich zuständig, und zwar für die Anordnung nach § 1 DNA-Gesetz (§ 81 g StPO), wenn erst ein Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen läuft, und nach § 2 DNA-Gesetz, wenn ein Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist (vgl. BGH in BGHR StPO § 81 g Zuständigkeit 1 / Ermittlungsrichter; BGH NStZ 2000, 212; OLG Zweibrücken NJW 1999, 300 [OLG Zweibrücken 06.11.1998 - 1 Ws 556/98]; Senatsbeschluss NStZ 1999, 210; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. , § 81 g RN 12; KK-Senge, StPO, 4. Aufl. , § 81g RN 9 in Verb. mit § 81 a RN 8; Senge NJW 1999, 253, 255 [OLG Köln 03.12.1998 - 7 U 222/97]; SK/StPO-Rogall, § 81 g RN 19f. ).
2. Doch auch für Fälle der vorliegenden Art, in denen ein Antrag nach § 81 g StPO, § 1 DNA-Gesetz nach Anklageerhebung gestellt wird, liegen inzwischen höchstrichterliche Entscheidungen vor, die eine sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts bejahen (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. vom 22. 03. 1999 2 Ws 49/99; OLG Jena NJW 1999, 3571 [OLG Jena 09.08.1999 - 1 Ws 215/99] = NStZ 1999, 634 a. E. ; siehe auch BGHR a. a. O. zu b): "Die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts endet (Unterstreichung durch den Senat) . . . mit dem rechtskräftigen Abschluss einer Strafsache"). Dieser Meinung schließt sich der Senat an und hält das mit der neuen Sache befasste Gericht - hier die 16. Strafkammer des Landgerichts Hildesheim - für sachlich zuständig, solange die Sache noch nicht rechtskräftig entschieden ist.
2. 1. Auch für die Zuständigkeitsbestimmung im Falle der Rechtshängigkeit einer Sache bedienen sich die vorgenannten Gerichte und der Senat der Systematik der Regelungen strafrichterlicher Zuständigkeiten im Ermittlungs-, Haupt- und Nachverfahren. Die Erhebung der Anklage einerseits und der Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung andererseits bilden Verfahrenseinschnitte, die jeweils einen Wechsel der richterlichen Zuständigkeiten zur Folge haben. Das gilt für die Abgrenzung vom Ermittlungsverfahren zum Hauptverfahren für haftrichterliche und weitere richterliche Maßnahmen ausdrücklich (§ 125, 126 StPO), ebenso für die Abgrenzung vom Hauptverfahren zum Vollstreckungsverfahren (§ 462 a StPO; vgl. BGH a. a. O. ), muss sinngemäß und konsequent aber auch für andere sachlich zusammenhängende Entscheidungen während eines laufenden Verfahrens gelten. Indem der Gesetzgeber durch die Verweisung in § 81 g Abs. 3 StPO auf §§ 81 a Abs. 2 und 81 f StPO "den Richter für zuständig erklärte, kann damit nur derjenige Richter angesprochen sein, der diese Funktion bei der Anwendung dieser Vorschriften und nach dem System der Verfahrensordnung auch sonst hat (vgl. die ausdrückliche Regelung in Haftsachen gemäß §§ 125, 126 StPO): Eine Abweichung davon hätte. in dem Gesetz zum Ausdruck kommen müssen (so auch Brandenburgisches Oberlandesgericht a. a. O. ).
2. 2. Der Einwand, die nach dem DNA-Gesetz beantragte Anordnung diene nicht dem laufenden, sondern einem künftigen Verfahren, ist zwar zutreffend, trägt aber nicht; denn gerade für Anordnungen nach § 1 DNA-Gesetz sind der Tatverdacht des anhängigen Verfahrens und eine sich daraus ergebende (vorläufige) Prognose zu prüfen, ist damit also ein sachlicher Zusammenhang gegeben. Dass hierzu das erkennende Gericht zu diesem Zeitpunkt am ehesten im Stande ist, bedarf wohl keiner weiteren Ausführung. Der Ermittlungsrichter hingegen, der die Prozessakten in der Regel nicht kennt und dem sie deshalb erst zugänglich gemacht werden müssen - das wird kaum vor der Hauptverhandlung geschehen -, hätte sich mit dem Verfahrensstoff erst einmal vertraut zu machen, bevor er den gegenwärtigen Tatverdacht und eine Wiederholungsgefahr zu beurteilen im Stande wäre. Auch diese prozessökonomische Erwägung spricht für eine Zuständigkeit des erkennenden Gerichts, solange es mit der Sache befasst ist.
2. 3. Schließlich würde aus dem Nebeneinander von Zuständigkeiten des mit dem neuen Verfahren befassten Gerichts und des Ermittlungsrichters die Gefahr divergierender Entscheidungen bei der Beurteilung des Tatverdachts und der Prognose erwachsen, die beiden Verfahren abträglich wäre.
2. 4. Belastungen etwa des Prozessklimas durch eine Anordnung während der laufenden Hauptverhandlung, die bei dem Betroffenen Zweifel an der Unvoreingenommenheit bezüglich der Entscheidung über die Anlasstat hervorrufen (so KG OLGSt DNA-IFG § 2 Nr. 2) und Befangenheitsanträge nach sich ziehen könnten (so LG Karlsruhe NJW 1999, 301 [LG Karlsruhe 20.10.1998 - 1 AK 20/98]), sind von keiner ausschlaggebenden Bedeutung. Denn die Situation stellt sich bei Haftentscheidungen ähnlich dar. Vorabentscheidungen - etwa der Eröffnungsbeschluss - sind dem Strafprozess nicht fremd; Befangenheiten lassen sich aus ihnen jedenfalls in der Regel nicht herleiten. (Im Übrigen bliebe es dem erkennenden Gericht unbenommen, seine Anordnung aus prozesstaktischen Gründen bis nach der Urteilsfällung zurückzustellen).
2. 5. Der Einwand, für Fälle der Anordnung von Ermittlungshandlungen sei anerkannt, dass zum einen dieser Zuständigkeitsübergang mit Anklageerhebung nicht zwingend ist, zum anderen die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters nach rechtskräftigem Abschluss des Erkenntnisverfahrens durchaus wieder aufleben kann (so OLG Saarbrücken OLGSt DNA-IFG § 2 Nr. 1, das allerdings die hier zu entscheidende Frage offen gelassen hat) überzeugt demgegenüber nicht.
3. Aus den dargelegten Gründen bietet sich die sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts systematisch und prozessökonomisch an, bedarf es einer (Auffang-)Zuständigkeit des Ermittlungsrichters nicht. Die sachliche Zuständigkeit der erkennenden Strafkammer ist darum - ungeachtet des (noch nicht rechtskräftigen) Urteilsspruchs - weiterhin gegeben.
III.
Eine eigene Sachentscheidung des Senats nach § 309 Abs. 2 StPO kommt wegen der umfassenderen Kenntnisse der Strafkammer nicht in Betracht.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.