Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 03.02.2012, Az.: 1 W 53/10
Gründe zur Ablehnung einer Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit aufgrund der Unterstellung persönlichen Eigennutzes und Vergütungserzielungsabsicht i.R.d. Maßnahmen eines Insolvenzverwalters
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 03.02.2012
- Aktenzeichen
- 1 W 53/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 16799
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2012:0203.1W53.10.0A
Rechtsgrundlage
- § 42 Abs. 1 ZPO
Fundstelle
- ZInsO 2012, 899-900
Redaktioneller Leitsatz
1.
Ein Richter ist nicht deshalb als voreingenommen anzusehen, weil er in einem Hinweis- und Auflagenbeschluss einen aufseiten einer Partei gesehenen Interessenkonflikt erörtert, die Lösung dieses Konflikts durch die Partei problematisiert und seine vorläufige Einschätzung dazu mitgeteilt hat.
2.
Kann bei einem Insolvenzverwalter, der Partei im anhängigen Insolvenzverfahren ist, der Eindruck entstehen, dass der Richter meint, er habe bei der Betriebsfortführung in erster Linie seine Vergütungsinteressen berücksichtigt, erweckt der Richter den Anschein der Parteilichkeit.
Gründe
I. Der Klägerin gehören etliche Appartements des L Hotels in Göttingen, die sie von der Firma G, Grundstücks- und Wohnungsbaugesellschaft mbH Darmstadt, im Jahr 2008 erworben hat.
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter der L Hotel und B Betriebs- und Immobiliengesellschaft. Diese betreibt seit dem Jahr 1995 das L Hotel in Göttingen, und zwar aufgrund eines übernommenen Generalanmietungs- und Garantiemietzahlungsvertrags.
Über das Vermögen der Anmietungsgesellschaft ist im Oktober 1999 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Beklagte konnte nach Insolvenzeröffnung bei den damaligen Wohnungseigentümern Kürzungen der Garantiemiete erreichen.
Die Klägerin verlangt mit der Klage rückwirkend den ursprünglich vereinbarten Mietzins für ihre Appartements.
Sie zweifelt zum einen die Wirksamkeit der mit den Voreigentümern vereinbarten Mietzinskürzungen an und meint, dass der Beklagte wegen der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Hotels den ursprünglichen Mietzins zu entrichten habe. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Hotels begründet die Klägerin im Wesentlichen damit, dass der Beklagte im Rahmen der Fortführung des Hotelbetriebs als Insolvenzverwalter zahlreiche Appartements und auch Tiefgaragenstellplätze, die an die Schuldnerin vermietet waren, angekauft bzw. ersteigert hat.
Die Klägerin hat im Laufe des Rechtsstreits den Beklagten weiter auf Auskunftserteilung über die seit dem 26.10.1999 bis zur Klageerhebung vereinnahmten Mieten und Nebenkostenvorauszahlungen aus der Vermietung der Appartements und Tiefgaragenstellplätze verklagt.
Der Beklagte ist antragsgemäß durch Teilurt. v. 30.6.2010 u.a. zur Auskunftserteilung verurteilt worden. Die dagegen eingelegte Berufung ist mit Urteil des OLG v. 10.8.2011 als unzulässig verworfen worden.
Mit Schriftsatz v. 5.8.2010 hat der Beklagte die RiLG Ahrens als Einzelrichterin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Anlass für das Ablehnungsgesuch ist der Hinweis- und Auflagenbeschluss des LG Göttingen v. 23.6.2010, und zwar die Ausführungen auf S. 3 des Beschlusses, 2. Abs.
Der Beklagte sieht in diesen Ausführungen eine "grundlose Verdächtigung, Voreingenommenheit und Beleidigung". Die Richterin habe ihm damit grundlos unterstellt, dass er aus persönlichem Eigennutz und Vergütungserzielungsabsicht überschüssige Geldmittel aus der Fortführung des Hotelbetriebs für den Zwangsversteigerungserwerb von angemieteten Appartements des L Hotels verwandt habe, anstatt diese Geldmittel durch Mietzinserhöhungen an die Wohnungseigentümer auszubezahlen, und er dadurch weitere Miteigentümer in die Zwangsversteigerung gedrängt habe. Der hergestellte Zusammenhang der Zwangsversteigerungserwerbe mit Geldmitteln aus der Insolvenzmasse und einer Aufbesserung seines Vergütungsanspruchs als Insolvenzverwalter beruhe auf einer Voreingenommenheit der Richterin.
Die abgelehnte Richterin hat sich zu dem Ablehnungsantrag unter dem 18.8.2010 dienstlich geäußert.
Das LG hat das Ablehnungsgesuch mit Beschl. v. 23.8.2010 für unbegründet erklärt und dazu u.a. ausgeführt, dass die abgelehnte Richterin durch den Hinweis- und Auflagenbeschl. v. 30.6.2010 ihre vorläufige Rechtsmeinung zum Ausdruck gebracht habe, sich mit ihren Ausführungen nicht außerhalb dessen bewege, was als Bewertung der Rechtslage in Betracht komme, die Grenze zur Willkür sei nicht überschritten und die Hinweise würden keinen Rückschluss auf Voreingenommenheit zulassen.
Gegen den am 2.9.2010 zugestellten Beschluss wendet sich der Beklagte mit der sofortigen Beschwerde, eingegangen beim LG Göttingen am 17.9.2010, und führt zur Begründung u.a. ergänzend aus, dass sich die abgelehnte Richterin in ihrer dienstlichen Äußerung zum Gegenstand und zu der Art und Weise, wie sie sich im Hinweis- und Auflagenbeschluss mit dem Wirtschaftlichkeitsargument des Beklagten im Hinblick auf die Zwangsversteigerungserwerbe auseinandergesetzt habe, ausgeschwiegen habe und auch dadurch die Besorgnis ihrer Befangenheit begründet habe. Der Sache nach habe die Richterin im Hinweisbeschluss festgestellt, dass der Beklagte die Wohnungseigentümer unter Inkaufnahme weiterer Zwangsversteigerungen im Interesse seiner, des Beklagten, Vergütungserzielung "ausgetrickst" habe, indem er Massemittel für Zwangsversteigerungserwerbe einsetze, anstatt die Mieten anzuheben und dadurch weitere Zwangsversteigerungen zu vermeiden. Die Feststellungen im Hinweise- und Auflagenbeschluss würden nicht auf dem Vortrag der Klägerin beruhen, sondern seien Vermutungen.
Wegen des weiteren Vortrags des Beklagten wird auf die Ausführungen in der sofortigen Beschwerde v. 16.9.2010 Bezug genommen.
Die Kammer hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 46 Abs. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO) und begründet.
Bei nachfolgender Formulierung im Hinweis- und Auflagenbeschl. v. 30.6.2010 kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte auch bei objektiver, vernünftiger und sachlicher Betrachtung den Eindruck gewinnen kann, die Richterin stehe ihm nicht in jeder Hinsicht unvoreingenommen gegenüber. Auf S. 3, 2. Abs. am Ende des Hinweis- und Auflagenbeschlusses hat die Richterin ausgeführt:
"Hiervon (die Ersteigerung von Eigentumsanteilen durch den Beklagten) dürfte letztlich lediglich der Beklagte als Insolvenzverwalter profitieren, weil er mit der langfristigen Bewirtschaftung des Hotels als Insolvenzverwalter eine laufende Vergütung erzielt."
Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei Würdigung aller Umstände Anlass gibt, an der Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters zu zweifeln (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rn. 9 und die dortigen Rechtsprechungsnachweise).
1. Bei der Richterin kann allerdings insoweit keine Voreingenommenheit gesehen werden, als sie in dem Beschluss einen aufseiten des Beklagten gesehenen Interessenkonflikt erörtert, sie die Lösung dieses Konflikts durch den Beklagten problematisiert - und ihre - vorläufige - Einschätzung dazu mitgeteilt hat. Sie hat dem Beklagten ausdrücklich Gelegenheit gegeben, zu ihren Ausführungen Stellung zu nehmen.
Das LG hat in dem angegriffenen Beschluss, mit dem die Ablehnung für unbegründet erklärt worden ist, zutreffend darauf hingewiesen, dass die richterliche Aufklärungs- und Hinweispflicht dem Richter eine umfassende Erörterung des Rechtsstreits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht abverlangt, und vorläufige Meinungsäußerungen, durch die sich der Richter noch nicht abschließend festgelegt hat, kein Ablehnungsgrund sein können. Nichts anderes als eine offene und mit Gründen versehene vorläufige Meinungsäußerung ist dem Hinweis- und Auflagenbeschluss zu entnehmen, wobei die Richterin klar zum Ausdruck gebracht hat, dass sie ihre Meinung zur Erörterung stelle.
Bei alledem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich bei dem Beklagten nicht um eine nur anwaltlich vertretene Partei handelt, sondern um einen Rechtsanwalt mit langer Erfahrung als Insolvenzverwalter. Das Gericht darf bei einer solchen Partei erwarten, dass auch klare und zugespitzte Hinweise verbunden mit der Aufforderung zur Stellungnahme nicht als Parteilichkeit und Vorfestlegung missverstanden werden.
Die Richterin hat in dem Beschluss ihre Erwägungen im Einzelnen dargelegt und ihren Gedankengang begründet. Sie hat ausgeführt, dass der Beklagte von den Voreigentümern der Klägerin die Herabsetzung des Mietzinses ausdrücklich nur bis zur Verbesserung der geschäftlichen Situation der Schuldnerin verlangt habe. Weiter hat die Richterin darauf hingewiesen, dass die ursprünglich vereinbarte Miete für die Vermieter/Wohnungseigentümer gewährleisten sollte, die erworbene Immobilie finanzieren zu können, und die Vermieter deshalb die Anhebung auf den ursprünglich vereinbarten Mietzins vorausgesetzt hätten, sobald die Fortführung des Betriebs der Schuldnerin nicht mehr gefährdet wäre.
Dem stellt die Richterin kritisch gegenüber, dass der Beklagte als Insolvenzverwalter der gewerblichen Zwischenmieterin etliche Appartements z.T. im Wege der Zwangsversteigerung erworben hat, was für einen erheblichen Überschuss bei der Schuldnerin spreche. Insoweit sieht der Beklagte offenbar und zu Recht keine Parteinahme der Richterin zu seinen Lasten.
Die Richterin führt im Hinweis- und Auflagenbeschluss ihre Überlegungen damit fort, dass sie dem Beklagten im Zusammenhang mit der Frage der Verpflichtung des Beklagten zur Anhebung des Mietzinses zu bedenken, dass Eigentümer von Appartements, die die Schuldnerin angemietet hat, in finanziell bedrängter Situation gewesen seien, sodass fortlaufend weitere Zwangsversteigerungsmaßnahmen hätten durchgeführt werden müssen und dies dem Beklagten Veranlassung geben sollte, die Miete anzuheben, um weitere zur Zwangsversteigerung führende Unterfinanzierungen zu verhindern. Auch diese Überlegungen der Richterin ergeben nicht, dass die Richterin dem Beklagten nicht neutral und objektiv gegenüberstünde, auch wenn mit dem Beklagten angenommen wird, dass die vom Beklagten verlangte Mietzinsabsenkung nicht erwiesenermaßen allein ursächlich für die bereits erfolgten zahlreichen Appartementzwangsversteigerungen waren. Die Richterin hat dazu ausgeführt, dass die ursprünglich - mit der Schuldnerin bzw. deren Rechtsvorgänger - vereinbarte Mietzinshöhe den Vermietern gewährleisten sollte, dass sie die Finanzierung der Immobilie sicherstellen können. Dies ist keine grundlose Vermutung, sondern eine nicht fernliegende Annahme. Unstrittig ist, dass es zeitlich nach der Absenkung des Mietzinses zu zahlreichen Zwangsversteigerungen gekommen ist, bei denen der Beklagte erfolgreich mitersteigert hat.
Vor diesem Hintergrund ist der von der Richterin im Beschluss gesehene Zusammenhang und die Befürchtung, dass ohne weitgehende Rückkehr zu ursprünglich vereinbarten Miete weitere Zwangsversteigerungen zu erwarten seien, nicht fernliegend, nicht unsachlich oder willkürlich. I.Ü. handelt es sich um eine vorläufige Meinungsäußerung der Richterin, der der Beklagte entgegentreten könnte.
2. Soweit die Richterin allerdings ihre oben unter 2. behandelten Erwägungen im Beschluss weiter dahin zuspitzt, dass der Beklagte der alleinige Profiteur aus der Ersteigerung der Appartements sei, weil "er mit der langfristigen Bewirtschaftung des Hotels als Insolvenzverwalter eine laufende Vergütung erziele", erweckt die Richterin den Anschein der Parteilichkeit. Dem Beklagten kann allerdings nicht darin gefolgt werden, dass die Verwendung der Überschüsse für die Ersteigerung von Appartements und nicht für die Anhebung der an die Appartementeigentümer zu zahlenden Mieten, keinen günstigen Einfluss auf seinen Vergütungsanspruch haben.
Die Erwägung der Richterin, dass der Erwerb von Appartements "letztlich lediglich" dem Vergütungsinteresse des Beklagten dient, stellt aber eine in der Sache nicht begründete Verkürzung und Vereinfachung der wirtschaftlichen Zusammenhänge dar, auch wenn die Überlegungen in der "Möglichkeitsform" formuliert sind.
Bei dem Beklagten kann der Eindruck entstehen, dass die Richterin meint, dass er bei der Betriebsfortführung in erster Linie seine Vergütungsinteressen berücksichtigt habe und berücksichtige.
3. Die dienstliche Äußerung der Richterin zum Ablehnungsgesuch des Beklagten gibt keinen Anlass für Zweifel an der Unparteilichkeit der Richterin.
Die dienstliche Äußerung nach § 44 Abs. 3 ZPO dient der Tatsachenfeststellung. Insoweit bestand kein Aufklärungsbedarf, wie das LG in seinem Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat. Der Beklagte hat die Ausführungen der Richterin im Hinweis- und Auflagenbeschluss zum Anlass für sein Ablehnungsgesuch genommen. Es ist nicht Aufgabe des abgelehnten Richters, das Vorbringen des Ablehnungsgesuchs zu würdigen.
Aus den oben unter 2. genannten Gründen hat die sofortige Beschwerde aber Erfolg.