Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 27.08.2009, Az.: 14 UF 49/09
Abweisung der Klage auf Zahlung von Kindesunterhalt wegen fehlender Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 27.08.2009
- Aktenzeichen
- 14 UF 49/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 36800
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:0827.14UF49.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Wilhelmshaven - 04.02.2009 - AZ: 16 F 422/08 UK
Rechtsgrundlage
- § 1603 Abs. 2 BGB
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Wilhelmshaven vom 04. Februar 2009 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Kindesunterhalt.
Der am 17. Juli 1995 geborene Kläger ist der Sohn des Beklagten. Der Beklagte ist Kfz-Meister und war bis Ende 2007 als Inhaber eines Autohauses selbständig tätig. Nach Schließung des Betriebes aus wirtschaftlichen Gründen und einem erfolglosen Versuch, eine Autovermietung zu betreiben, bezieht er seit März 2008 Arbeitslosengeld II in Höhe von etwa 675 EUR. Ab April 2008 hat er die bis dahin freiwillig geleisteten Unterhaltszahlungen für den Kläger eingestellt.
Der Kläger hat den Mindestunterhalt ab dem 01. April 2008 geltend gemacht. Der Beklagte hat vorgetragen, dass er wegen eines Bandscheibenvorfalls gehindert sei, ein zur Zahlung von Unterhalt ausreichendes Einkommen zu erzielen. Das Amtsgericht hat den Beklagten nach Beweisaufnahme zur Zahlung von Unterhalt verurteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Feststellung des Amtsgerichts, er könne aus zumutbarer Tätigkeit ein Einkommen erzielen, welches zur Zahlung von Unterhalt ausreicht. Das Amtsgericht habe seine Entscheidung rechtsfehlerhaft allein auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen gestützt, ohne auf den Widerspruch zu dem vom Beklagten in Bezug genommenen, für die Bundesagentur für Arbeit erstellten medizinischen Gutachten des Dr. G... vom 17. Juni 2008 einzugehen. Nach diesem Gutachten sei er langfristig arbeitsunfähig. Zudem habe sich die Erkrankung verschlechtert. Er habe sich im März 2009 einer weiteren Operation unterziehen müssen, die jedoch nicht erfolgreich gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Wilhelmshaven vom 04. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II. Die fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig und in der Sache erfolgreich. Die Feststellung des Amtsgerichts, der Beklagte hätte ein zur Zahlung von Unterhalt ausreichendes Einkommen erzielen können, hält einer rechtlichen Prüfung nur eingeschränkt stand.
Im Ansatz richtig legt das Amtsgericht die gesteigerte Unterhaltsverpflichtung des Beklagten gegenüber dem minderjährigen Kind zugrunde (§ 1603 Abs. 2 BGB) und leitet daraus in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats eine Erwerbsobliegenheit des Beklagten ab. Seiner nach Beweisaufnahme getroffenen Feststellung, der -wenn auch eingeschränkt- arbeitsfähige Beklagte hätte bei zumutbaren Erwerbsbemühungen ein ausreichendes Einkommen erzielen können, kann jedoch nicht gefolgt werden. Als objektive Voraussetzung muss hinzutreten, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte überhaupt erzielbar sind, was von den persönlichen Verhältnissen des Unterhaltsschuldners (Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand) und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängig ist (vgl. BVerfG, FamRZ 2008, 1403).
An dieser Voraussetzung fehlt es. Der Kläger leidet seit längerem an den Folgen von Bandscheibenvorfällen, die erstmals im Februar 2006 eine Operation notwendig machten. In der hier fraglichen Zeit war er, wie die von ihm vorgelegten Atteste zeigen, nahezu lückenlos wegen Lumboischalgie (ICD-GM 51.9; "Hexenschuss" mit Ausstrahlung der Schmerzen in das Bein) krankgeschrieben. Zudem hat der Sachverständige Dr. G... im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit am 17. Juni 2008 festgestellt, dass der Beklagte für voraussichtlich sechs Monate nicht in der Lage sei, mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten. Dieses Gutachten kann nicht, wie in erster Instanz geschehen, völlig außer Betracht bleiben. Denn es wurde von einem unabhängigen Sachverständigen erstattet, dem eine unkritische Einstellung gegenüber dem Beklagten nicht unterstellt werden kann. Zudem ist der Beklagte - das ergibt auch das gerichtliche Gutachten - in jedem Fall nur eingeschränkt einzusetzen; er darf nicht schwer heben oder tragen und muss Zwangshaltungen vermeiden. Unter diesen Voraussetzungen ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Arbeitgeber in Kenntnis der Umstände dem Beklagten den Vorzug vor derzeit zahlreich vorhandenen weiteren Bewerbern gegeben hätte. Jeder Arbeitgeber muss vielmehr vermuten, dass erhebliche Rückenprobleme bestehen, und von Anfang an mit erheblichen Fehlzeiten rechnen. Denn Rückenbeschwerden sind häufig chronisch. Daneben ist anzunehmen, dass dem Beklagten, wenn er denn jemals einen Arbeitsplatz hätte finden können, bei der ersten Krankmeldung aufgrund Rückenbeschwerden noch während der üblichen Probezeit wieder gekündigt worden wäre. Unter diesen Umständen hatte der Beklagte keine Möglichkeit, durch abhängige Beschäftigung ein nachhaltiges Einkommen zu erzielen.
Dem steht das gerichtliche Gutachten des Sachverständigen Dr. v... T... nicht entgegen. Es mag sein, dass der Beklagten am 25. November 2008, dem Tag der Untersuchung durch den Sachverständigen, für leichte und mittelschwere Tätigkeit arbeitsfähig war. Das schließt aber zumindest zeitweilige Arbeitsunfähigkeit vor oder nach diesem Zeitpunkt, für die die im vorigen Absatz erwähnten Anhaltspunkte sprechen, nicht aus. Auch die Frage, ob die Krankschreibungen im Einzelfall berechtigt waren oder nicht, kann im Ergebnis dahinstehen. Die Schlussfolgerung, dass der Beklagte keinen Arbeitsplatz hätte finden können, beruht nicht auf der Feststellung ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit, sondern auf der berechtigten Annahme fortbestehender gesundheitlicher Beschwerden, die seine Erwerbsmöglichkeiten erheblich einschränken.
Die vorstehenden, zunächst nur die Verhältnisse im Jahr 2008 berücksichtigenden Überlegungen gelten für das Jahr 2009 in gleicher Weise, zumal sich nach der Verkündung der angefochtenen Entscheidung der Gesundheitszustand des Beklagten verschlechtert hat. Er hat sich nach Verschlimmerung der Schmerzen am 25. März 2009 einer Operation mit anschließender Rehabilitationsbehandlung unterzogen. Bereits am 24. Juni 2009 hat er sich erneut in stationäre Behandlung begeben, deren Ergebnis lediglich die verstärkte Gabe von Schmerzmitteln war. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wurden ihm morphinhaltige Medikamente verschrieben, die bekanntlich der Bekämpfung starker Schmerzen dienen. Aufgrund dieser, vom Beklagten durch verschiedene ärztliche Stellungnahmen belegten Entwicklung besteht derzeit keine konkrete Aussicht auf den Erhalt eines Arbeitsplatzes. Aussichten, durch Wiederaufnahme einer selbständigen Tätigkeit in seinem erlernten Beruf in absehbarer Zeit ein nachhaltig ausreichendes Einkommen zu erzielen, hatte er bei seinem Gesundheitszustand auch nicht.
Der Beklagte ist damit seit dem 01. April 2008 nicht in der Lage, ohne Gefährdung seines eigenen notwendigen Unterhalts dem Kläger Unterhalt zu leisten, § 1603 Abs. 2 BGB, so dass sich die Klage aufgrund der derzeitigen Leistungsunfähigkeit als erfolglos erweist.
Der Schriftsatz des Klägers vom 24.08.2009 lag dem Senat vor.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1 und 2, 708 Nr.10, 713 ZPO. Ein Anlass, die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.