Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.07.2024, Az.: 3 U 14/24

Umfassende Abwägung der Bindung des Erblassers an den Erbvertrag einerseits und der Gründe für die Benachteiligung des Vertragserben andererseits zur Feststellung des Missbrauchs; Zahlung rückständiger Raten aus einem Grundstückskaufvertrag

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
10.07.2024
Aktenzeichen
3 U 14/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 19433
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 26.01.2024 - AZ: 9 O 651/22

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Nach § 2286 BGB kann und darf ein Erblasser, der sich durch Erbvertrag auf eine bestimmte Verfügung von Todes wegen festgelegt hat, über sein Vermögen zu Lebzeiten trotz der eingegangenen Bindung frei verfügen. Missbraucht der Erblasser dieses ihm verbleibende Verfügungsrecht, genießt der Vertragserbe lediglich den Schutz des § 2287 BGB.

  2. 2.

    Die eigentliche Schranke des § 2287 BGB ist nicht das lebzeitige Eigeninteresse, sondern die zu treffende Feststellung, dass der Erblasser seine lebzeitige Verfügungsfreiheit nicht missbraucht hat.

  3. 3.

    Zur Feststellung des Missbrauchs bedarf es einer umfassenden Abwägung der Bindung des Erblassers an den Erbvertrag einerseits und der Gründe für die Benachteiligung des Vertragserben andererseits.

  4. 4.

    Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nach § 2287 BGB erachtet der Senat die Umstände, dass einerseits die Erblasserin lediglich laufende Vermögenserträge der Erbmasse durch den Erlass entzogen hat und nicht einen feststehenden Vermögensbetrag sowie andererseits, dass die Erblasserin nach ihren eigenen Bekundungen nicht mehr auf die monatlichen Raten für ihren Lebensunterhalt angewiesen war, sie mit dem Erlass nicht nur ihrem Sohn, sondern auch ihren Enkeln in einer finanziellen Notlage helfen wollte und, dass der Beklagte die Erblasserin vermögensrechtlich und bürokratisch maßgeblich unterstützt hat, auch vor dem Hintergrund der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Klägerin als Vertragserbin, als insgesamt billigenswert.

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 26.01.2024 verkündete Urteil des Landgerichts Oldenburg durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Klägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.

Gründe

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung rückständiger Raten aus einem Grundstückskaufvertrag.

Die Parteien sind Geschwister. Die Mutter der Parteien, Frau CC, veräußerte mit Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014 ihren Grundbesitz in der Straße1 in Ort2 an den Beklagten zu einem Kaufpreis von 300.000 €. Der Grundstückskaufvertrag sah in § 5 Abs.2 eine zinslose Stundung des Kaufpreises vor. Danach waren auf den Kaufpreis monatliche Tilgungsbeiträge in Höhe von jeweils 2.000,00 € an die Verkäuferin zu zahlen beginnend mit dem 15.04.2014.

Mit Erb- und Verzichtsvertrag vom 14.01.2015 setzten die Eltern der Parteien sich gegenseitig, der Erstversterbende den Längerlebenden, zum alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Für die Erbfolge nach dem Längstlebenden setzen die Eltern ihre Tochter, die Klägerin, ein. Weiterhin wurde ein Vermächtnis des Längstlebenden angeordnet, nach welchem im Zeitpunkt des Todes des Längstlebenden die von dem Beklagten zu zahlenden künftigen Tilgungsbeträge auf den im Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014 vereinbarten Kaufpreis erlassen werden. Klarstellend wurde zudem festgelegt, dass sich das Vermächtnis nicht auf etwaige im Zeitpunkt des Todes des Längstlebenden rückständige Tilgungsbeiträge erstreckt.

Der Beklagte zahlte die im Grundstückskaufvertrag vereinbarten monatlichen Raten bis einschließlich Dezember 2016. Weitere Zahlungen leistete der Beklagte auf den Kaufpreis nicht.

Die Mutter der Parteien unterzeichnete am 08.09.2021 ein Schriftstück, welches auf den vorbezeichneten Grundstückskaufvertrag aus 2014 Bezug nimmt und die Erklärung enthält, dass sie und ihr Mann gegenüber ihrem Sohn, dem Beklagten, auf die Zahlung der Kaufpreisraten verzichtet hätten und dass sie auch weiterhin in Zukunft auf die Zahlungen verzichte und ihrem Sohn die restliche Kaufpreissumme erlasse.

Die Parteien teilten sich die Betreuung und Pflege ihrer Eltern. Die häusliche Betreuung und pflegerischen Maßnahmen übernahm die Klägerin, der Beklagte kümmerte sich um die finanziellen Belange und bürokratischen Angelegenheiten und organisierte und begleitete die Krankenhaus- und Arztbesuche. Die Mutter verstarb nach dem Vater am TT.MM.2022.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die monatlichen Raten für die Monate Januar bis März 2019.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat mit angefochtenem Urteil vom 26.01.2024 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Klägerin als Alleinerbin nach ihrer Mutter (im Folgenden Erblasserin) keinen Anspruch auf Zahlung nicht gezahlter Kaufpreisraten aus dem Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014, mithin auch keinen Anspruch auf Zahlung von jeweils 2.000,00 € für die Monate Januar bis März 2019, habe.

Die Erblasserin habe dem Beklagten die Kaufpreisschuld durch Vertrag vom 08.09.2021 wirksam erlassen. Das Schuldverhältnis sei erloschen (§ 397 Abs.1 BGB). In der unstreitig von der Erblasserin unterzeichneten Erklärung habe diese ausdrücklich und unmissverständlich auf ihren Anspruch auf Zahlung des restlichen Kaufpreises verzichtet. Dass Erlassangebot habe der Beklagte jedenfalls stillschweigend durch Entgegennahme des Schriftstücks angenommen. Der Erlassvertrag sei auch wirksam. Eine besondere Form sei für den Erlassvertrag nicht vorgesehen. Es handele sich beim Verzicht um die Vollziehung der Schenkung und nicht das Schenkungsversprechen, für welches es einer notariellen Beurkundung bedürfe. Auch handele es sich ersichtlich nicht um ein Testament, welches eigenhändig hätte geschrieben werden müssen.

Die Willenserklärung der Erblasserin sei auch nicht gemäß § 105 Abs.1 BGB nichtig. Die Klägerin habe nicht beweisen können, dass die Erblasserin bei der Unterzeichnung der Erklärung geschäftsunfähig gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Vernehmung der Zeugen und den Ausführungen des Sachverständigen. Danach könne eine Geschäftsunfähigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden.

Die Erblasserin sei auch befugt gewesen, dem Beklagten die restliche Kaufpreisschuld zu erlassen. § 2290 BGB stünde dem Erlass nicht entgegen, da danach nur Verfügungen von Todes wegen nach Abschluss des Erbvertrages nicht mehr erfolgen dürften. Zu Verfügungen unter Lebenden sei der Erblasser ausdrücklich gemäß § 2268 BGB berechtigt. Der Vertragserbe sei grundsätzlich auf den Schutz der §§ 2287, 2288 BGB zu verweisen. Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus § 2287 Abs. 1 BGB bestehe jedoch nicht. Der Beklagte habe schlüssig dargetan, dass ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin an der Schenkung bestehe und damit gegen die Annahme, dass die Erblasserin ihr verbliebendes Recht zu lebzeitigen Verfügungen zu Lasten der Klägerin als Vertragserbin missbrauchen wollte. Die Erblasserin habe in Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung gehandelt. Die Klägerin habe trotzt gerichtlichen Hinweises für ihre dem Beklagtenvortrag widersprechenden Behauptungen keinen Beweis angeboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

Mit ihrer form- und fristgerecht erhobenen Berufung wendet sich die Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlichen Anträge.

Zur Begründung trägt sie vor, dass die Erblasser mit verbindlicher Wirkung ein Vermächtnis festgelegt hätten, dass sich das dem Beklagten ausgesetzte Vermächtnis nicht auf die im Zeitpunkt des Todes des Längstlebenden rückständigen Tilgungsbeträge erstrecke. Sie hätten weiter unter Ziffer VI. verbindlich festgelegt, dass sämtliche Bestimmungen im Erbvertrag, soweit gesetzlich zulässig, vertragsmäßig unter gegenseitiger Annahme vereinbart worden seien. Das dem Beklagten ausgesetzte Vermächtnis sei von den beiden Erblassern angeordnet worden und nicht etwa nur von Frau CC. Es sei daher keine einseitige Verfügung der Erblasserin CC gewesen, sondern eine wechselseitige Verfügung beider Erblasser. Dadurch sei eine wechselseitige Verfügung erfolgt, die einseitig nicht mehr hätte widerrufen werden können. Eine Änderung der im Erbvertrag getroffenen Regelungen sei nur noch möglich, wenn alle Vertragsbeteiligten dieser zustimmen.

Die Erklärung vom 08.09.2021, die der Beklagte vorbereitet habe, stelle eine Änderung des Erbvertrages bzw. des Vermächtnisses dar, das die Erblasser zugunsten der Klägerin mit erbvertraglicher Bindung ausgesetzt hätten. Der Überlebende sollte indes nicht einseitig verfügen dürfen. Darauf seien die Parteien seinerzeit vom Notar bei Abschluss des Erbvertrages hingewiesen worden.

Die Erklärung der Erblasserin vom 08.09.2021 könne deshalb keine Wirksamkeit entfalten. Darin könne auch kein Erlassvertrag gesehen werden, weil die Vermächtnisbestimmung nicht mehr abgeändert werden konnte.

Hinzu komme, dass das Landgericht die Bestimmungen der §§ 2289, 2290 BGB nicht gesehen habe.

Gemäß § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB könne ein Erbvertrag nach dem Tode eines der Erblasser nicht mehr einseitig aufgehoben werden. Nach § 2290 Abs. 4 BGB bedürfe der Aufhebungsvertrag derselben Form wie der Erbvertrag, also der notariellen Beurkundung nach § 2276 Abs. 1 BGB. Eine solche Beurkundung sei nicht erfolgt. Demzufolge könne die Erklärung vom 08.09.2021 keine Wirksamkeit entfalten. Soweit das Landgericht gemeint habe, dass die Vorschrift des § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB der Aufhebung des Erbvertrages nicht entgegenstünde, weil Verfügungen unter Lebenden gemäß § 2286 BGB möglich seien, könne dem nicht zugestimmt werden, denn eine Abänderung unter Lebenden hätte von allen Vertragsbeteiligten, also von den Erblassern, erfolgen müssen.

Im Übrigen habe das Landgericht auch die Bestimmung des § 2287 BGB verkannt. Es habe und gebe keinen Grund für die Erblasserin entgegen den erbvertraglichen Bestimmungen die Raten zu erlassen. Dass der Beklagte möglicherweise finanzielle Schwierigkeiten hatte, begründe kein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers, vom Erbvertrag abzuweichen.

II.

Die zulässige Berufung ist offensichtlich ohne Erfolg.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ausgleich der geltend gemachten rückständigen Raten aus dem Grundstückskaufvertrag vom 10.04.2014 für die Monate Januar bis März 2019.

Die Erblasserin war nach dem Erb- und Verzichtsvertrag aus dem Jahr 2015 nicht gehindert, dem Beklagten die rückständigen und zukünftigen Raten zu Lebzeiten zu erlassen. Sie war lediglich gehindert, eine anderweitige Verfügung von Todes wegen zu treffen. Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt. Der Erlassvertrag war auch wirksam. Auf die mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts hierzu wird ausdrücklich Bezug genommen.

Durch einen Erbvertrag wird der Erblasser grundsätzlich nur von Todes wegen gebunden. Als Erbschaft bezeichnet das Gesetz in § 1922 BGB das beim Tode vorhandene Vermögen. Damit beschränkt sich die durch den Erbvertrag begründete Bindung gegenständlich auf dasjenige Vermögen, das der Erblasser bei seinem Tod hinterlässt. Er kann daher unter Lebenden nicht nur gemäß § 2286 BGB wirksam über den Vermächtnisgegenstand verfügen, sondern ist auch nicht verpflichtet, ihn für den Vermächtnisnehmer ordnungsmäßig zu verwalten oder überhaupt zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1993 - IV ZR 36/93 -, BGHZ 124, 35-39, Rn. 9). Gleiches gilt für die Erbmasse als solche. Der Erblasser ist nicht verpflichtet, die Erbmasse für den Vertragserben zu bewahren. Die Bestimmungen der §§ 2289, 2290 BGB stehen dem nicht entgegen, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat. Sie gelten nur für Verfügungen von Todes wegen.

Nach § 2286 BGB kann und darf der Erblasser, der sich durch Erbvertrag (bzw. ein gemeinschaftliches Testament) auf eine bestimmte Verfügung von Todes wegen festgelegt hat, über sein Vermögen trotz der eingegangenen Bindung durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen. Missbraucht der Erblasser dieses ihm verbliebene Verfügungsrecht, genießt der Vertragserbe (bzw. Schlusserbe) den Schutz des § 2287 BGB. Die Grenze zwischen den Fallgestaltungen, bei denen dem Vertragserben bei ihn benachteiligenden Verfügungen dieser Schutz zukommt, und denjenigen Fällen, in denen der Vertragserbe schutzlos bleibt, wird gemeinhin mit Hilfe der Frage nach dem "lebzeitigen Eigeninteresse" des Erblassers gezogen. Es kommt darauf an, dass die Schenkung ihrem Gehalt nach auf eine Korrektur des Erbvertrags angelegt war, was dann der Fall sei, wenn der Erblasser ohne ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse wesentliche Vermögenswerte - ohne angemessene Gegenleistung - anderen zuwendet (Staudinger/Raff (2022) BGB § 2287, Rn. 35). Nicht alle Fälle fehlenden Missbrauchs können unter dem Gesichtspunkt des lebzeitigen Eigeninteresses subsumiert werden, ausnahmsweise können auch andere Gesichtspunkte den Missbrauch entfallen lassen, sodass aus der Sicht des Bundesgerichtshofes der Missbrauch der Verfügungsfreiheit selbst die allgemeine Voraussetzung des Anspruchs ist (Staudinger/Raff, a.a.O.). Zur Feststellung des Missbrauchs bedarf es einer umfassenden Abwägung der Bindung des Erblassers an den Erbvertrag einerseits und der Gründe für die Benachteiligung des Vertragserben andererseits (BGH NJW-RR 1986, 1135, 1136 [BGH 21.05.1986 - IVa ZR 171/84]).

Ein Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsmacht liegt mangels lebzeitigem Eigeninteresse vor, wenn die Schenkung nur der nachträglichen Korrektur der erbvertraglichen Regelung zugunsten einer nunmehr genehmeren Person dienen soll (BGHZ 66, 8, 15; BGH WM 1977, 201; NJW 1980, 2307, 2308; OLG Hamm ErbR 2018, 34) oder vorgenommen wird, weil unerwartet ein erheblicher Vermögenszuwachs stattfand (BGHZ 83, 44, 47 = NJW 1982, 1100 = WM 1982, 401 = MDR 1982, 466), oder nur aufgrund der Erkenntnis, den beschenkten Ehegatten zu gering bedacht zu haben (BGHZ 77, 264 = WM 1980, 1126; OLG München, 23.11.2016 - 3 U 796/16, juris ) oder weil die Erblasserin meint, der Vertragserbe habe "zu Lebzeiten genug erhalten" (OLG Düsseldorf FamRZ 2018, 1865 [1867]).

Zu beachten ist, dass die eigentliche Schranke des § 2287 BGB nicht das lebzeitige Eigeninteresse des Erblassers (das bei genügend wohlwollender Betrachtung gefunden werden kann) ist, sondern die durch umfassende Abwägung aller Umstände zu treffende Feststellung, dass der Erblasser seine lebzeitige Verfügungsbefugnis nicht missbraucht hat (BGH FamRZ 2016, 2004 [2006]; BeckOGK/Müller-Engels [1.4.2022] Rn 57 ff; Staudinger/Raff, a.a.O, Rn. 43).

Neben einem lebzeitigen Eigeninteresse können daher weitere Rechtfertigungsgründe im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung gleichfalls Berücksichtigung finden. So hatte der 1. Entwurf des Gesetzes ausdrücklich die Pflicht- und Anstandsschenkungen vom Anspruch des Vertragserben ausgenommen, allerdings hielt der Gesetzgeber des BGB das für unnötig, weil Schenkungen "durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird" (§ 534 BGB) grundsätzlich nicht missbräuchlich sind (Staudinger/Raff, a.a.O, Rn. 44).

Gleiches ist anzunehmen für Schenkungen zu ideellen Zwecken, soweit sie in einem angemessenen Verhältnis zum Vermögen des Erblassers stehen, mit der gleichen Einschränkung für belohnende Schenkungen und Schenkungen, um Dank abzustatten (zusätzlich mit der Einschränkung, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zum Anlass stehen), soweit sie nicht schon durch ein lebzeitiges Eigeninteresse des Schenkers gerechtfertigt sind (Staudinger/Raff, a.a.O., Rn.45).

Ähnliches gilt bei Schenkungen aus familiären oder anderen persönlichen Rücksichten, bei deren Angemessenheit allerdings strengere Maßstäbe anzulegen sind, weil die Schwelle zur missbräuchlichen Korrektur der erbvertraglichen Zuwendung niedriger liegt (Staudinger/Raff, a.a.O., Rn. 46).

Maßgeblich dafür, ob und wie ein Anspruch wegen einer missbräuchlichen Schenkung besteht, hängt aber immer von einer Gesamtwürdigung aller Umstände ab, dem Wert der Schenkung und dem Vermögen des Erblassers, eine relativ geringfügige Schenkung wird nicht als missbräuchlich erscheinen. Gleiches gilt für eine Schenkung aus den laufenden Vermögenserträgen (die auch bei Anordnung der Nacherbfolge dem Vorerben zur freien Verfügung zustünden, J Mayer/Röhl, in: Reimann/Bengel/Dietz7 Rn 95; Staudinger/Raff, a.a.O., Rn.49).

Die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs trägt der Vertragserbe. Da der Vertragserbe an dem beeinträchtigenden Rechtsgeschäft aber regelmäßig nicht beteiligt war und der Erblasser keine Auskunft mehr geben kann, sind die Beweisanforderungen zugunsten des Vertragserben gelockert. Bei Vorliegen einer Schenkung - wie im vorliegenden Falle - muss der Beschenkte die Umstände darlegen, die auf ein berechtigtes Interesse des Erblassers schließen lassen; dann erst trifft den Vertragserben die volle Beweislast für die nicht billigenswerte Beeinträchtigung des Vertragserben (BGH 26.2.1986 - IVa ZR 87/84, NJW 1986, 1755; 1976, 749 [BGH 26.11.1975 - IV ZR 138/74]; OLG Hamm 14.9.2017 - 10 U 1/17, NJW-RR 2018, 454; Köln ZEV 2000, 106).

Gemessen an den vorgenannten Kriterien war die Erblasserin durch den Erbvertrag nicht gehindert, zu Lebzeiten über ihr Vermögen frei zu verfügen. Eine Verfügung von Todes wegen liegt ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist daher vorliegend allein, ob die Klägerin über § 2287 BGB geschützt ist, mithin ein Missbrauch der Verfügungsfreiheit der Erblasserin vorliegt.

Der Beklagte hat schlüssig Umstände dargelegt, die die Schenkung als insgesamt billigenswert erscheinen lassen und damit gegen die Annahme, dass die Erblasserin ihr verbliebenes Recht zu lebzeitigen Verfügungen zu Lasten der Klägerin als Vertragserbin missbrauchen wollte.

Der Senat teilt zunächst die Auffassung des Landgerichts, dass die Regelung in § 5 Nr. 3 des Grundstückskaufvertrages vom 10.04.2014, der eine Anpassung der auf den Kaufpreis zu zahlenden Tilgungsbeträge bei einer Änderung des Verbraucherpreisindexes vorsieht und der Regelung in Ziffer IV. des Erb- und Verzichtsvertrages vom 14.01.2015, betreffend das Vermächtnis, den Zweck hatten, den Eltern der Parteien bzw. deren Mutter regelmäßige Einkünfte zur Deckung ihres Lebensunterhaltes zu sichern. Die monatlichen Lebenshaltungskosten - soweit gedeckt durch die monatliche Kaufpreisrate - sollten nicht zu einer Schmälerung des Nachlasses führen. Die Klägerin konnte damit nach der gewählten Regelung nicht damit rechnen, in dem ihr später zufallenden Nachlass den Kaufpreis für das Grundstück (vollständig) vorzufinden. Ob und in welcher Höhe die laufenden Lebensunterhaltskosten mit oder ohne die monatliche Kaufpreisrate den Nachlass geschmälert hätten oder gar hätten anwachsen lassen, war jedenfalls zum Zeitpunkt des Erbvertrages ungewiss. Die Schenkung umfasste damit nicht eine feste Summe aus der Erbmasse, sondern lediglich mögliche laufende Vermögenserträge in Form der monatlichen Kaufpreisraten in Höhe von 2.000,00 €. Insoweit kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass bei tatsächlicher monatlicher Zahlung der Raten diese auch später als Vermögenswert ganz oder auch nur teilweise in der Erbmasse vorhanden gewesen wären. Im Gegenteil dürften die Beteiligten davon ausgegangen sein, dass die Beträge - jedenfalls zum Teil - für den täglichen Lebensbedarf der Eltern verbraucht würden.

Im Weiteren ist nach den Feststellungen des Landgerichts zu konstatieren, dass sich die Klägerin und Beklagte die Betreuung der Eltern geteilt haben, wobei sich der Beklagte um die bürokratischen und finanziellen Angelegenheiten kümmerte, wie unter anderem die Kontakte mit Kranken- und Pflegekasse, die Antragstellungen bei diesen, die Beantragung der Pflegegelder sowie Erhöhung der bewilligten Pflegegrade. Der Beklagte hat hierzu vorgetragen, er habe den behindertengerechten Umbau des Badezimmers, den Einbau eines Treppenliftes und die Beschaffung der Pflegeeinrichtungen im Haus organisiert, sich um die Organisation der Baumaßnahmen und deren Finanzierung gekümmert, eine Pflegekraft für die häusliche Pflege organisiert, Bankkonten und Buchhaltung verwaltet und sämtliche Krankenhaus- und Arztbesuche organisiert und begleitet. Auch durch die gewinnbringende Anlage einer größeren Summe aus dem Vermögen der Eltern habe er dafür gesorgt, dass der Lebensunterhalt der Eltern sehr auskömmlich gewährleistet gewesen sei.

Im Hinblick auf die umfassende Betreuung des Beklagten in bürokratischen und finanziellen Angelegenheiten ist allerdings festzustellen, dass diese offensichtlich nicht die nach außen zu Tage getretene Motivation für die Erblasserin war, dem Beklagten die Kaufpreisraten zu erlassen. Vielmehr befand sich der Beklagte nach seinen eigenen Bekundungen in finanziellen Schwierigkeiten. Seine beiden Söhne, die Enkel der Erblasserin, hätten sich zu diesem Zeitpunkt im Studium befunden, wodurch hohe Kosten entstanden seien. Mit dem Verzicht auf weitere Kaufpreisraten habe die Erblasserin ihrem Sohn und ihren beiden Enkeln in einer finanziell schwierigen Situation helfen wollen. Die Überforderung des Beklagten mit der monatlichen Zahlung und der Umstand, dass die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann nach dem Vortrag des Beklagten, dem die Klägerin angesichts der ihr insoweit obliegenden Beweislast nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten ist, nicht auf die Zahlungen angewiesen waren, stellt ausweislich des schriftlichen Erlassvertrages vom 08.09.2021 die eigentliche Motivationslage für den Erlass der monatlichen Kaufpreisraten dar. In die zu treffende Gesamtabwägung geht aber die vom Beklagten geleistete Betreuung gleichwohl ein. Festzuhalten bleibt zudem auch, dass jedenfalls auch die indirekte Unterstützung der Enkel der Erblasserin durch die (Mit-) Finanzierung des Studiums durchaus eine billigenswerte familiäre Unterstützung darstellt, die zu berücksichtigen ist.

Soweit die Klägerin mit der Berufung vorträgt, dass der Umstand, dass der Beklagte möglicherweise finanzielle Schwierigkeiten gehabt habe, kein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin begründen könne, vom Erbvertrag abzuweichen, teilt der Senat diese Ansicht. Es liegt kein Fall der üblicherweise von der Rechtsprechung entwickelten Fallkonstellationen für ein lebzeitiges Eigeninteresse vor, wie etwa die Sicherstellung der häuslichen Pflege und Betreuung. Die Klägerin verkennt hierbei aber, dass neben einem lebzeitigen Eigeninteresse auch weitere Rechtfertigungsgründe im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung gleichfalls Berücksichtigung finden können (s.o.).

So lässt der Umstand, dass sich der Beklagte neben der Klägerin umfangreich um die Erblasserin und auch seinen vorverstorbenen Vater in finanzieller und bürokratischer Hinsicht gekümmert hat sowie, dass der Lebensunterhalt der Eltern auch ohne die monatliche Rate gesichert war, wie es der Erlassvertrag dokumentiert, den Erlass der monatlichen Raten in familiärer und persönlicher Hinsicht durchaus als sittlich billigenswert und damit nicht missbräuchlich erscheinen. Hierbei hat das Landgericht zu Recht berücksichtigt, dass die monatliche Ratenzahlung ihrer Intention nach in erster Linie für den Unterhalt der Eltern dienen sollte. Wenn nun der Beklagte u.a. durch die gewinnbringende Anlegung eines Teils des Vermögens seiner Eltern deren Unterhalt zumindest auch teilweise sichern konnte und die Eltern damit nicht mehr in erster Linie auf die monatlichen Ratenzahlungen aus dem Grundstücksverkauf angewiesen waren, fließt auch dieser Aspekt jedenfalls in die Gesamtabwägung mit ein.

Zwar hat die Klägerin erstinstanzlich bestritten, dass der Lebensunterhalt ihrer Eltern entgegen der Behauptung des Beklagten (sehr) auskömmlich gewesen sei. Die Klägerin hat jedoch - trotz gerichtlichen Hinweises des Landgerichts mit der Ladung zum Beweisaufnahmetermin vom 29.12.2022 - für ihre widersprechenden Behauptungen keinen Beweis angeboten und diese Erwägung damit nicht widerlegt. Insoweit trifft sie aber nach der Darlegung der maßgeblichen Umstände durch den Beklagten, die gegen einen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsbefugnis sprechen, die volle Beweislast (s.o.). Auch mit der Berufung bietet die Klägerin für ihre entgegenstehenden Behauptungen weiterhin keinen Beweis an.

Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung erachtet der Senat die Umstände, dass einerseits die Erblasserin lediglich laufende Vermögenserträge der Erbmasse durch den Erlass entzogen hat und nicht einen feststehenden Vermögensbetrag sowie andererseits, dass die Erblasserin nach ihren eigenen Bekundungen nicht mehr auf die monatlichen Raten für ihren Lebensunterhalt angewiesen war, sie mit dem Erlass nicht nur ihrem Sohn, sondern auch ihren Enkeln in einer finanziellen Notlage helfen wollte und, dass der Beklagte die Erblasserin vermögensrechtlich und bürokratisch maßgeblich unterstützt hat, auch vor dem Hintergrund der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Klägerin als Vertragserbin, als insgesamt billigenswert. Der Erlass stellt damit nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass insbesondere die Höhe der möglichen Beeinträchtigung aufgrund des möglichen Verbrauchs der Raten und sonstigen Einkünfte für den Lebensunterhalt der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes nicht fest bestimmt werden kann, keinen Missbrauch der der Erblasserin kraft Gesetz eingeräumten lebzeitigen Verfügungsfreiheit dar. Ein Missbrauch liegt damit nicht vor, so dass der Klägerin der Schutz nach § 2287 BGB nicht zu Gute kommt.

Im Ergebnis hat es damit bei der landgerichtlichen Entscheidung zu bleiben und die Berufung ist zurückzuweisen.