Amtsgericht Stadthagen
Urt. v. 01.03.2013, Az.: 41 C 317/11
Bibliographie
- Gericht
- AG Stadthagen
- Datum
- 01.03.2013
- Aktenzeichen
- 41 C 317/11
- Entscheidungsform
- Zwischenurteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64322
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zulässigkeit des obligatorischen Streitschlichtungsverfahrens in Niedersachsen zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage.
Tenor:
Die Klage ist zulässig.
Tatbestand:
Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft macht gegen den Beklagten nachbarrechtliche Ansprüche geltend. Die Parteien streiten bereits über die Zulässigkeit der Klage.
Die Parteien sind Nachbarn. Die westliche Grundstücksgrenze des Beklagten grenzt an die östliche Grundstücksgrenze der Klägerin. Auf dem Grundstück des Beklagten stehen im Bereich der Grundstücksgrenze mehrere Gehölze, Büsche und Bäume. Auf dem Grundstück der Klägerin befindet sich entlang der gemeinsamen Grenze ein Metallzaun. Im Jahr 2002 fand vor dem Schiedsmann des Samtgemeinde N. ein Schiedsverfahren unter Teilhabe des Beklagten statt; auf ein Schreiben des Schiedsmanns vom 18.03.2002 wird Bezug genommen (Bl. 27 d.A.). In der Wohnungseigentümerversammlung der WEG vom 04.05.2010 wurde die S-GmbH bis 31.05.2015 zur Verwalterin bestellt (Bl. 34 d.A.; TOP 7). Ferner wurde die Verwaltung ermächtigt, gegen den hiesigen Beklagten nach Ablauf des 20.05.2010 rechtliche Schritte einzuleiten (Bl. 34 d.A.; TOP 4). Die Hausverwaltung forderte den Beklagten in der Folge auf, bestimmte Überhänge zu beseitigen und Gehölze zu entfernen. Mit E-Mail vom 07.01.2011 lehnte der Beklagte die Beseitigung einer Birke ab. Der Beklagte wurde sodann nochmals mit anwaltlichem Schreiben vom 26.01.2011 bis 25.02.2011 zu Arbeiten aufgefordert, lehnte dies am 18.02.2011 jedoch ab.
Die Klägerin erachtet die Klage für zulässig, da die Zustellung der Klage nach Durchführung der Streitschlichtung stattgefunden habe.
Die Klägerin behauptet, es handele sich um massiven Überhang der in den Anträgen aufgeführten Gehölze. Die Birke drücke trotz einer vom Beklagten im Jahr 2010 vorgenommenen Einkerbung erneut gegen den klägerischen Zaun; ihr Stamm reiche über die Grenze auf das Grundstück der Klägerin. Birke und Ahorn drohten aufgrund der Schiefstellung bei Sturm umzufallen. Der Stamm der Birke drücke zudem gegen die Außenwand der Garage, wodurch es bereits zu Undichtigkeiten in der äußeren Garage gekommen sei. Er drücke auch gegen die aus Winkelsteinen hergestellte Stützwand, die im Fugenbereich bereits einen Versatz aufweise. Auch das Wurzelwerk von Birke und Ahorn führten zu Beschädigungen der Garage. Die Klägerin behauptet weiter, der Beklagte habe sich bereits im Oktober 2010 mündlich gegenüber der Hausverwaltung nach mehrfacher schriftlicher Aufforderung zur Beseitigung des Überhangs und zur Entfernung der Bäume bereiterklärt. Die Klägerin behauptet schließlich diverse Höhen der Gehölze zur Zeit der Klageerhebung (Bl. 80 d.A.). Die Klägerin ist der Ansicht, dass eine ihr nicht bekannte Vereinbarung von 2002 keine Gültigkeit mehr habe. Auch habe sich die Sachlage geändert, da der Baum sich jetzt stark zum Grundstück der WEG neige und erheblich gegen das Geländer und Garagendach drücke.
Die Klägerin hat unter dem 24.08.2011 die Klage anhängig gemacht (Bl. 1 d.A.). Auf expliziten Hinweis des Gerichts wurde vor Zustellung der Klage eine Verhandlung vor dem Schiedsmann der Samtgemeinde N. am 19.10.2011 ergebnislos durchgeführt. Die Erfolglosigkeitsbescheinigung datiert auf 02.11.2011 (Bl. 18 d.A.). Die Zustellung der Klage erfolgte aufgrund Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens am 04.11.2011 unter dem 08.11.2011 (Bl. 22 d.A.).
Die Klägerin beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, die auf seinem Grundstück […], an der westlichen Grundstücksgrenze zu den Grundstücken der Klägerin […], stehenden Gehölze zurückzuschneiden oder zu entfernen, nämlich:
- den Überhang von zwei Holundersträuchern, ca. 3 m hoch und in einer Entfernung von ca. 12 cm zur Grundstücksgrenze stehend, fachgerecht zu entfernen und auf die zulässige Höhe zurückzuschneiden,
- mehrere dünnstämmige, zusammen stehende Buchen, ca. 6 - 8 m hoch und in einer Entfernung von ca. 20 cm zur Grundstücksgrenze stehend, zu entfernen, hilfsweise den Überhang fachgerecht zu entfernen und auf die zulässige Höhe zurückzuschneiden,
- den Ahorn, ca. 10 bis 12 m hoch in einer Entfernung von etwa 80 cm zur Grundstücksgrenze stehend, nebst Wurzelwerk zu entfernen,
- die Birke, ca. 10 bis 12 m hoch und in einer Entfernung von etwa 10 bis 12 cm zur Grundstücksgrenze stehend, nebst Wurzelwerk zu entfernen,
2. für den Fall, dass der Beklagte seiner Verpflichtung gemäß vorstehender Ziffer 1 nicht oder nicht ordnungsgemäß innerhalb eines Monats ab Rechtskraft des Urteils und innerhalb der Zeit vom 15.10.2011 bis 15.03.2012 nachkommt, gegen den Beklagten ein Zwangsgeld festzusetzen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch einen Betrag von 5.000,00 €,
3. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin vorgerichtliche Kosten in Höhe von 860,24 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Klage sei unzulässig. Dies folge bereits aus dem Protokoll des Schiedsmanns vom 18.03.2002. Ferner seien die gestellten Anträge, da alternativ, unbestimmt. Zudem habe das Schiedsverfahren erst nach Klageerhebung stattgefunden.
Der Beklagte meint, der Rückschnitt der Buchen könne wegen Verjährung nicht verlangt werden. Zudem käme der Beklagte dieser Verpflichtung seit Jahren nach. Hinsichtlich der Holundersträucher gäbe es keine Anspruchsgrundlage. Auch bzgl. Ahorn und Birke sei der Beseitigungsanspruch verjährt und bestehe im Übrigen keine Gefahr; dies gelte auch hinsichtlich des Wurzelwerkes. Der Beklagte behauptet andere Höhen der Gehölze (Bl. 81 d.A.). Er behauptet, die Holundersträucher würden seit mehr als 5 Jahren eine Höhe von 1,20 m überschreiten und genauso lange in das Nachbargrundstück hineinragen. Sämtliche anderen streitgegenständlichen Gehölze seien bereits mehr als 5 Jahre alt.
Das Gericht hat bisher Beweis erhoben durch Augenscheinseinnahme vor Ort. Im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann vorliegend über das Vorliegen einer Prozessvoraussetzung, insbesondere die Zulässigkeit der Klage, durch Zwischenurteil nach § 303 ZPO entscheiden (vgl. Zöller/Vollkommer, 29. Aufl., § 303 Rn. 5).
Die Klage ist zulässig.
Nach §§ 15a Abs. 1 Ziffer 2 EGZPO ist in Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Nachbarrecht nach §§ 910, 911, 923 BGB und nach § 906 BGB sowie nach den landesrechtlichen Vorschriften im Sinne des Artikel 124 EGBGB, sofern es sich nicht um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt, die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig, dass vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Von dieser Ermächtigungsnorm umfasst werden vor allem Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung (vgl. LG Bückeburg, 1 S 40/12, in juris, m.w.N.). Niedersachsen hat von der Ermächtigungsnorm § 15a Abs. 1 Ziffer 2 EGZPO durch das Niedersächsische Schlichtungsgesetz vom 17.12.2009 (NSchlG) Gebrauch gemacht und in § 1 Nrn. 1 und 2 dieses Gesetzes bestimmt, dass in den dort genannten Fällen zunächst vor einem Schiedsamt nach dem Niedersächsischen Schiedsämtergesetz als Gütestelle versucht werden muss, die Streitigkeit zwischen den Parteien einvernehmlich außergerichtlich beizulegen (obligatorische Streitschlichtung). Der Regelungszweck des Gesetzes umfasst auch solche Ansprüche, die zwar nicht unmittelbar auf die dort aufgeführten Vorschriften gestützt oder daraus hergeleitet werden sollen, sondern auch auf andere Anspruchsgrundlagen (z.B. §§ 104, 823, 812 BGB), wenn eine enge Verknüpfung mit einer nachbarrechtlichen Streitigkeit besteht (vgl. LG Bückeburg, a.a.O.).
Die Klägerin als Wohnungseigentümergemeinschaft mit eigenen Rechten aus § 10 Abs. 6 WEG ist Nachbarin des Beklagten und unterfällt daher dem Anwendungsbereich der vorstehend zitierten Vorschriften.
Gemäß § 1 NSchlG ist die Erhebung der Klage vor dem Amtsgerichten erst zulässig, nachdem die obligatorische Streitschlichtung durchgeführt wurde. Gemäß § 1 S. 2 NSchlG hat der Kläger eine vom Schiedsamt ausgestellte Bescheinigung über einen erfolglosen Einigungsversuch mit der Klage einzureichen.
Erhebung der Klage erfolgt gemäß § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift. Das Schlichtungsverfahren muss also vor diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden haben (BGH, NJW 2005, 437 [BGH 23.11.2004 - VI ZR 336/03]). Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers (BGH, a.a.O.; BT-Drs. 14/980, S. 6).
Wille des Gesetzgebers ist damit, die Zulässigkeit der Klage davon abhängig zu machen, dass zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit das Schlichtungsverfahren durchgeführt wurde.
Zwar hat der Kläger gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 NSchlG (in Anlehnung an § 15a EGZPO) eine vom Schiedsamt ausgestellte Bescheinigung über einen erfolglosen Einigungsversuch mit der Klage einzureichen. Einreichung bewirkt Anhängigkeit der Klage; Klageerhebung erfordert Einreichung und Zustellung (Zöller/Greger, § 253 Rn. 4). Der BGH ist wohl dergestalt zu verstehen, dass eine Klage, die ohne Bescheinigung - mangels bisheriger Durchführung - eingereicht wird, nach Prüfung durch das Gericht eher nicht zugestellt werden sollte, sondern der Kläger auf die Unzulässigkeit der Klage hingewiesen werden sollte, damit vor Klagezustellung die Rücknahme erklärt werden kann, um Kosten denkbar gering halten zu können (BGH, NJW 2005, 437 [BGH 23.11.2004 - VI ZR 336/03], Tz. 20). Hat der Einigungsversuch hingegen vor Einreichung stattgefunden, kann die Bescheinigung bis zur Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit nachgereichet werden (BGH, a.a.O., Tz. 16 unter Verweis auf BT-Drs. 14/980, S. 6). So sei der eindeutige Wortlaut der Vorschrift.
Das Gericht teilt diese Auffassung nicht. Der Wortlaut ist widersprüchlich, da in S. 1 die Zulässigkeit der Klageerhebung und in S. 2 von der Einreichung gesprochen wird. Beide Zeitpunkte können - wie hier - erheblich auseinanderfallen.
Der Wortlaut des S. 2 bedeutet nicht, dass im Falle des Fehlens der Bescheinigung bei Einreichung, die Klage unzulässig wäre. Eine Rechtsfolge, was im Falle des Fehlens geschieht, sieht das Gesetz überhaupt nicht vor, weshalb unstreitig in bestimmten Konstellationen die Bescheinigung nachträglich eingereicht werden kann.
Entscheidend ist, dass das Gesetz per Wortlaut nicht ausschließt, dass zwischen Anhängigkeit (Einreichung) und Rechtshängigkeit das obligatorische Streitschlichtungsverfahren nachgeholt werden kann. Diese Lesart wäre auch mit einer konsequenten Auslegung von § 15a EGZPO vereinbar. Eine Nachholung nach Klageerhebung - nach Rechtshängigkeit und daher entweder während des schriftlichen Vorverfahrens oder parallel zu einem frühen 1. Termin - ist insbesondere daher unzulässig, weil ein paralleles Vorgehen der Rechtssuchenden vermieden werden soll, um ein willentliches Scheiternlassen im Bewusstsein des gleichzeitig laufenden Rechtsstreites zu verhindern; die vom Gesetzgeber angestrebten Zwecke könnten kaum verwirklicht werden (vgl. BGH, a.a.O.).
Diese Gefahr besteht nicht, wenn das Gericht von der Zustellung der Klage absieht und den Kläger auf die Möglichkeit der Rücknahme der Klage oder die Durchführung des Schlichtungsverfahrens hinweist. Zwar ist grundsätzlich eine Klage gemäß § 271 Abs. 1 ZPO unverzüglich zuzustellen, so dass dem Kläger für die Durchführung des Verfahren nur ein kurzer Zeitraum verbliebe, der ebenfalls nicht dem gesetzgeberischen Willen einer zweckmäßigen Schlichtung entsprechen dürfte.
Allerdings ist das Absehen von der Zustellung der Klage in besonderen Fällen geboten (Zöller/Greger, § 271 Rn. 6), z.B. bei Fehlen des vorgeschriebenen Schlichtungsversuchs (Zöller/Greger, § 253 Rn. 21a mit Verweis auf BGH, NJW 2005, 437 [BGH 23.11.2004 - VI ZR 336/03] Tz. 20). Nach Ansicht des Gerichts kann das Gericht in diesem Fall nicht nur von der Zustellung der Klage absehen, um den Kläger zur Rücknahme zu bewegen, sondern es muss ihm andererseits auch die Möglichkeit geben, das Schlichtungsverfahren - zeitlich unbefristet - nachholen zu können. Der Kläger erleidet hierdurch nämlich keinen Rechtsverlust, da die Verweigerung der Zustellung des Klägers seinen Justizgewährungsanspruch berührt und sein Grundrecht auf rechtliches Gehör (vgl. Zöller, § 253 Rn. 21a). Wenn der Kläger sich jetzt selbst für das Durchführen des Schlichtungsverfahrens entscheidet, können seine Rechte nicht verletzt sein. Der Beklagte ist durch diese Vorgehensweise nicht betroffen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger an einer ernsthaften Durchführung des regelmäßig übersehenen Schlichtungsverfahrens im Hinblick auf bereits entstandene Kosten im Zusammenhang mit der Einreichung der Klage kein Interesse mehr haben dürfte, weil es keinen Rechtssatz dergestalt gibt, dass Kläger grundsätzlich nur noch an einer streitigen Entscheidung interessiert sind. Die Prozessordnung selbst zielt auf eine gütliche Einigung in jedem Stadium des Verfahrens ab, hat mithin die Vorstellung von einem Kläger, der regelmäßig an einer mit Kosten verbundenen Streitbeilegung interessiert ist. Dass dieses für eine außergerichtliche Streitbeilegung im Schlichtungsverfahren nicht zutreffend wäre, ist nicht erkennbar.
Auch im vorliegenden Fall haben sich die Parteien vor der Schlichtungsstelle sachlich auseinandergesetzt und nach einer Lösung gesucht. Von einem bloßen Durchlaufen einer Prozessvoraussetzung kann somit in diesem Fall nicht gesprochen werden.
In Abwägung der Argumente erachtet das Gericht im Ergebnis die Durchführung des obligatorischen Streitschlichtungsverfahrens zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit als zweckmäßig und dem gesetzgeberischen Interesse gemäß und ferner vom Wortlaut des Gesetzes erfasst.
Die Zulässigkeit der Klage berührt ersichtlich das zur Akte gelangte Schreiben des Schiedsmanns vom 18.03.2012 nicht, da dieses ausschließlich Bezug auf die Birke nimmt und ferner nicht ersichtlich ist, inwieweit die Klägerin überhaupt hieraus verpflichtet wäre. Näheres hat der Beklagte nicht vorgetragen.
Bedenken an den Anträgen hat das Gericht im Übrigen keine im Hinblick auf § 253 ZPO.