Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 11.04.2013, Az.: 1 Ss (OWi) 71/13
Unzulässigkeit des pauschalen Bestreitens der Ordnungsgemäßheit der Messung bei einem standardisierten Messverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 11.04.2013
- Aktenzeichen
- 1 Ss (OWi) 71/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 56440
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2013:0411.1SS.OWI71.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Helmstedt - 22.01.2013
Rechtsgrundlage
- 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG
Amtlicher Leitsatz
1. Wird die Geschwindigkeit mittels eines sog. standardisierten Messverfahrens (hier: TraffiStar S 330) festgestellt, ist das Gericht nicht gehalten, Beweisanträgen, die auf die Funktionsunfähigkeit der (hier: stationären) Geschwindigkeitsmessanlage abzielen, nachzugehen, wenn die ordnungsgemäße Funktion der Messanlage unter Aneinanderreihung physikalisch möglicher Störquellen ohne weiteren konkreten Vortrag lediglich angezweifelt wird.
2. Bei Messstellen, bei denen das Überwachungsgerät mit einem Wechselverkehrszeichen ("Schilderbrücke") verbunden ist (hier: BAB 2), genügt das sog. Schaltprotokoll zum Beleg, dass die fragliche Geschwindigkeitsbeschränkung im Zeitpunkt der Messung tatsächlich angezeigt war.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 22. Januar 2013 wird auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Helmstedt hat die Betroffene mit Urteil vom 22. Januar 2013 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h zu einer Geldbuße von 180 EUR verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr die schon zweifach wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung belangte Betroffene am 22. Mai 2012 um 13:17 Uhr mit einem Personenkraftwagen die mittlere von drei Fahrspuren der Bundesautobahn 2 in Fahrtrichtung Berlin. In Höhe Kilometer 158,587 war die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt durch entsprechende Schaltung der 162 Meter davor befindlichen Schilderbrücke auf 120 km/h begrenzt. Die Betroffene achtete nicht genügend auf die Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und fuhr mit einer Geschwindigkeit von 168 km/h. Dabei ist ein im Eichschein vorgegebener Sicherheitsabschlag von 3% (= aufgerundet: 6 Km/h) bereits berücksichtigt.
Die Geschwindigkeit wurde durch eine Weg-/Zeitberechnung mittels in die Fahrbahnen eingebauter Drucksensoren festgestellt, wobei ein Überwachungsgerät "TRAFIIPAX TraffiStar S 330" zur Anwendung gelangte, das an das Wechselverkehrszeichen ("Schilderbrücke") angebunden ist.
Zur Funktionsweise dieser Anlage ist dem Senat aus der Vielzahl anderer, dieselbe Messstelle betreffender Bußgeldverfahren und dort eingeholter Sachverständigengutachten sowie durch Auskünfte der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt bekannt geworden:
In die Fahrbahn der BAB 2 sind an der Messstelle im Abstand von jeweils 1,0m drei druckempfindliche Messgeber (Sensoren) eingelassen, die beim Überfahren elektrische Impulse erzeugen, deren Zeit festgehalten wird. Dadurch wird die Zeitdifferenz festgestellt, die zwischen den drei Impulsen vergeht, also die Zeit gemessen, die das Fahrzeug für das Zurücklegen der jeweils 1,0m langen Strecken zwischen dem Sensor 1 und dem Sensor 2 und der 2,0m langen Strecke zwischen dem Sensor 1 und dem Sensor 3 benötigt hat. Nach der Gleichung Geschwindigkeit = Weg/Zeit werden sodann aus den Messwerten drei Geschwindigkeiten berechnet und der jeweils geringste Wert in das Messfoto eingeblendet. Der ordnungsgemäße Zustand sowie die richtige Funktion der Sensoren werden durch jährliche Eichungen überprüft.
Ob und ggf. welche zulässige Geschwindigkeit zum Messzeitpunkt an der Schilderbrücke angezeigt wurde, wird "in Echtzeit" (also ohne jeden Zeitverzug) in einem Messprotokoll festgehalten, wobei nicht der Einschaltimpuls protokolliert wird, sondern - nach Rückmeldung der Anlage - der tatsächlich angezeigte Wert. Durch sog. "Räumzeiten" ist dabei sichergestellt, dass Messungen unmittelbar nach Änderung der angezeigten zulässigen Höchstgeschwindigkeit unterbleiben.
Die Betroffene, die ihre Fahrereigenschaft eingeräumt hat, zweifelt die Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung an und macht dazu insbesondere geltend, dass
- die Sensorenkabel nicht gültig geeicht gewesen seien,
- sich aus der Ermittlungsakte nicht ergebe, dass die Sensoren entsprechend der Bauartzulassung eingesetzt worden seien, insbesondere nicht erkennbar sei, dass sie sich "mit Kuppen jeweils überall über die Fahrbahnoberfläche erheben",
- Beschädigungen (und darauf beruhende Fehlfunktionen) der Sensorkabel aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens nicht ausgeschlossen werden können,
- es sich um einen "labilen Fahrbahnabschnitt" handele, so dass es aufgrund von Schwingungen (der Sensorkabel) zu Fehlmessungen gekommen sein kann,
- der Einbau von Trenntransformatoren nicht nachgewiesen sei, so dass auch Einflüsse des Stromnetzes ("unzulässig hohe Netzeinstreuungen") die Messergebnisse verfälscht haben können.
Mit der daran geknüpften Schlussfolgerung, dass die Messergebnisse im vorliegenden Fall nicht verwertbar seien, wendet sich die Betroffene gegen das Urteil des Amtsgerichts mit der Rechtsbeschwerde und rügt insbesondere die Ablehnung eines Beweisantrages, mit der die o.g. angeblichen Fehlfunktionen der Messstelle unter Beweis gestellt worden waren. Darüber hinaus rügt sie die Verletzung der Aufklärungspflicht sowie die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs und erhebt in allgemeiner Form zudem die Sachrüge (Behauptung der Verletzung materiellen Rechts).
Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat beantragt wie erkannt.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist fristgerecht eingelegt worden und auch sonst zulässig, aber unbegründet. Eine Nachprüfung des Urteils des Amtsgerichts unter Zugrundelegung der Begründung der Rechtsbeschwerde vom 27. Februar 2013 hat keine Gesetzesverletzung zum Nachteil der Betroffenen ergeben.
1. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Die Rüge der unzulässigen Ablehnung eines Beweisantrages wurde schon nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend erhoben. Eine Verletzung von § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG wurde nicht innerhalb der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 S. 1 StPO dargelegt.
Der geltend gemachte Verfahrensverstoß muss so bestimmt und ausführlich dargelegt werden, dass das Beschwerdegericht allein unter Zugrundelegung der Begründung der Rechtsbeschwerde und ohne Rückgriff auf die Akten beurteilen kann, ob ein Verfahrensverstoß vorliegt, sofern die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. Senge in: Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 3. Auflage, § 79, Rn. 88 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Das ist vorliegend nicht der Fall. Der innerhalb der Begründungsfrist abgegebenen Begründung der Rechtsbeschwerde ist schon nicht zu entnehmen, dass überhaupt ein Beweisantrag in der Hauptverhandlung gestellt worden ist. Zudem enthält die Begründung der Rechtsbeschwerde nicht die Wiedergabe eines ablehnenden Gerichtsbeschlusses. Zwar können Lücken im Tatsachenvortrag unschädlich sein, wenn gleichzeitig die Sachrüge erhoben wurde (vgl. Senge, aaO., Rn. 89). Die zur Darlegung der unzulässigen Ablehnung eines Beweisantrages fehlenden Tatsachen lassen sich vorliegend jedoch nicht aus dem Inhalt des Urteils ergänzen, den das Beschwerdegericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hat. Dem Urteil ist aber nur zu entnehmen, dass es in Ermangelung von Anhaltspunkten für eine Fehlmessung der beantragten weiteren Beweiserhebungen nicht bedurfte.
Auch die erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO ist unbegründet, weil das Amtsgericht zur Erhebung weiterer Beweise gerade nicht verpflichtet war. Denn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts war - gerade auch unter Berücksichtigung der gegen die Messmethode vorgebrachten Einwände - über das hinaus, was das Amtsgericht bereits veranlasst hat, nicht erforderlich.
In den Urteilsgründen hat das Amtsgericht in völlig ausreichender Weise ausgeführt, dass das Schaltprotokoll der Anlage für den Zeitpunkt der Messung eine an der Schilderbrücke angezeigte Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 120 Km/h ausgewiesen hat und die Überschreitung dieser Geschwindigkeit durch die Betroffene mittels einer gültig geeichten Geschwindigkeitsmessanlage vom Typ Traffipax/Traffistar S330 mit Anbindung an eine Wechselverkehrszeichenanlage festgestellt wurde. Dabei hat das Amtsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass sich die Eichung, die am 7.12.2011 erfolgt und bis zum 31.12.2012 gültig war, ausdrücklich auch auf die Drucksensoren bezieht und seit der letzten Eichung der Messanlage keine relevanten Veränderungen an der Messanlage eingetreten sind. Auch eine Beeinflussung der Geschwindigkeitsmessung durch den auf dem Messfoto erkennbaren - parallel fahrenden - Lastkraftwagen hat das Amtsgericht ausgeschlossen und dazu mitgeteilt, dass die verschiedenen Fahrspuren mit jeweils eigenen Sensoren ausgerüstet seien. Dass die beiden Fahrzeuge ausschließlich ihre jeweiligen Fahrspuren tatsächlich benutzt, also zum Zeitpunkt der Messung den Fahrstreifen nicht gewechselt haben, lässt sich auf dem Messfoto eindeutig erkennen.
Das Amtsgericht hat bei der Feststellung der vorwerfbaren Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch den im Eichschein im Hinblick auf denkbare Fehlerquellen vorgeschriebenen Toleranzabzug von drei Prozent zugunsten der Betroffenen berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund und Berücksichtigung, dass die in anderen Sachen eingeholten Sachverständigengutachten die ordnungsgemäße Funktion der Messstelle jeweils bestätigt haben, erscheint insbesondere die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts war dadurch vernünftigerweise nicht zu erwarten.
Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Amtsgericht vielmehr nachvollziehbar zur Überzeugung gelangt, dass der Sachverhalt geklärt und die Wahrheit gefunden ist. Bei dem vorliegend verwendeten Messverfahren handelt es sich um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. OLG Thüringen, Beschluss vom 14.04.2008 - 1 Ss 281/07, Rn. 26, zitiert nach juris) und konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung haben - nach den Ausführungen des Amtsgerichts in den Urteilsgründen - nicht vorgelegen. Der Tatrichter würde die an seine Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen aber überspannen, wenn er ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung an der Zuverlässigkeit der Messung zweifelt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2013 - 1 RBs 2/13, Rn. 10; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19.10.2012 - 1 Ss Bs 12/12, Rn. 8; alle zitiert nach juris). Auch der Begründung der Rechtsbeschwerde ist nicht zu entnehmen, dass dem Amtsgericht konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion der Anlage bekannt gewesen oder durch die Betroffene im konkreten Fall aufgezeigt worden sind.
Dass mit der Rechtsbeschwerde die ordnungsgemäße Funktion der Messanlage unter Aneinanderreihung physikalisch möglicher Störquellen lediglich aufs Geratewohl ("ins Blaue hinein") angezweifelt wird, genügt angesichts der nachgewiesenen gültigen Eichung der Anlage nicht, um dem Tatrichter weitere Beweiserhebungen nahezulegen.
Auch die erhobene Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist ebenfalls unbegründet. Aus den Urteilsgründen folgt, dass das Amtsgericht das Vorbringen der Betroffenen zu den Sensoren und zu dem parallel fahrenden Lastkraftwagen zur Kenntnis genommen, in seine Überlegungen mit einbezogen und sodann - wie festgestellt - gesetzeskonform (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) von einer weiteren Beweiserhebung abgesehen hat.
2. Die nur allgemein erhobene Sachrüge greift ebenfalls nicht durch, weil die Feststellungen des Amtsgerichts zum äußeren Tatgeschehen sowie zur inneren Tatseite den Schuldspruch und die Rechtsfolgen in jeder Hinsicht tragen.
III.
Weil die Rechtsbeschwerde somit ohne Erfolg bleibt, beruht die Kostenentscheidung auf §§ 473 Abs. 1 StPO, 79 Abs. 3, 46 Abs. 1 OWiG.