Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.03.2018, Az.: 2 Ss (OWi) 64/18
Vorlage zum EuGH zur Auslegung von Art. 13 Abs. 1 lit. p Verordnung (EG) Nr. 561/2006
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 05.03.2018
- Aktenzeichen
- 2 Ss (OWi) 64/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 17264
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- EGV 561/2006 Art. 13 Abs. 1 Buchst. p
- FPersV § 18 Abs. 1 Nr. 16
Tenor:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union (im folgenden: EuGH) werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Kann sich ein Viehgroßhändler, der lebende Tiere von einem Landwirt erwirbt und zu einem Schlachthaus in einer Entfernung von bis zu 100 Kilometern transportiert, dem er die Tiere verkauft, auf den Ausnahmetatbestand des Art. 13 Absatz 1 Buchstabe p) der Verordnung (EG) Nr 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr (im Folgenden: VO (EG) Nummer 561/2006) - "Fahrzeuge, die innerhalb eines Umkreises von bis zu 100 Kilometern für die Beförderung lebender Tiere von den landwirtschaftlichen Betrieben zu den lokalen Märkten und umgekehrt oder von den Märkten zu den lokalen Schlachthäusern verwendet werden"- berufen, weil es sich bei dem Erwerb von dem Landwirt um einen "Markt" im Sinne dieser Vorschrift handelt oder das Viehhandelsunternehmen selbst als "Markt" anzusehen ist
Wenn es sich nicht um einen "Markt" im Sinne dieser Vorschrift handelt:
Kann sich der Viehgroßhändler, der lebende Tiere von einem Landwirt erwirbt und sie in einem Umkreis von bis zu 100 Kilometern zu einem Schlachthaus transportiert, dem er die Tiere verkauft, in entsprechender Anwendung der vorgenannten Norm, auf diesen Ausnahmetatbestand berufen?
Gründe
I.
Das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union betrifft die Auslegung der VO (EG) Nr. 561/2006.
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Bußgeldverfahrens gegen den Betroffenen, mit dem das vorlegende Gericht als letzte Instanz befasst ist.
II.
Folgenden Sachverhalt hat das Amtsgericht für das vorlegende Gericht bindend festgestellt:
Am 8. November 2016 befuhr der gesondert verfolgte R... mit einem Lkw (zulässige Gesamtmasse: 26.500 kg) samt Anhänger (zulässige Gesamtmasse 18.000 kg - soweit es Urteil des Amtsgerichtes heißt: 180.000 kg, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler) eine Straße in G... (zulässige Gesamtmasse der Beförderungseinheit: 40.000 kg). Transporter und Anhänger waren mit Mastschweinen beladen und auf dem Weg zu einem Schlachthof. Bei der Fahrt sollte eine Strecke von 100 km (Abstand zwischen Landwirt und Schlachthaus) nicht überschritten werden.
Halter von Fahrzeug und Anhänger ist der Betroffene, der als Großhändler Tiere bei Landwirten einkauft, sodann zu Schlachthäusern transportiert und an diese Schlachthäuser wieder verkauft. Die geladenen Schweine waren am selben Tag bei einem Landwirt erworben worden.
Der Fahrer hatte - mit Wissen und Billigung sowie aufgrund allgemeiner betrieblicher Anordnung des Betroffenen als Vorgesetztem und Unternehmensinhaber - die Fahrerkarte nicht eingelegt.
Der Betroffene vertritt die Auffassung, für die Transporte von dem die Tiere verkaufenden Landwirt zum Schlachthof, würde die Ausnahmeregelung des § 18 Abs. 1 Nr. 16 Fahrpersonalverordnung eingreifen, weshalb er und seine Fahrer Fahrerkarten nicht verwenden müssten.
III.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Zulassens und Anordnens einer Fahrt ohne Fahrerkarte zu einer Geldbuße von 750 € verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaften und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts zulässig ausgeführten Rechtsbeschwerde, über die das vorlegende Gericht zu entscheiden hat.
III.
Grundsätzlich unterfällt das Fahrzeug des Betroffenen der Fahrtenschreiberpflicht nach Art. 3 VO (EU) Nr. 165/2014. Allerdings können die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) Nr. 165/2014 die in Artikel 13 Absätze 1 und 3 der VO (EG) Nr. 561/2006 genannten Fahrzeuge von der Anwendung der VO (EU) Nr. 165/2014 ausnehmen.
Hiervon hat die Bundesrepublik Deutschland Gebrauch gemacht.
Die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache hängt davon ab, wie Art. 13 Absatz 1 Buchstabe p) der VO (EG) Nr. 561/2006 zu verstehen ist. Der deutsche Verordnungsgeber hat nämlich durch § 18 Abs. 1 Nummer 16 Fahrpersonalverordnung einen gleichlautenden Ausnahmetatbestand geschaffen.
Kann sich der Betroffene mit Erfolg auf das Vorliegen der Voraussetzungen der vorgenannten Ausnahme berufen, wäre er vom vorlegenden Gericht freizusprechen. Lägen die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands nicht vor, wäre die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet zu verwerfen, mit der Folge, dass die Verurteilung durch das Amtsgericht rechtskräftig würde.
IV.
Der Betroffene vertritt die Auffassung, dass die Auslegung des Begriffs des lokalen Marktes ergebe, dass darunter auch ein einzelner landwirtschaftlicher Betrieb zu verstehen sei. Mindestvoraussetzung für das Entstehen eines Marktes sei eine potentielle Tauschbeziehung, d.h. abgesehen vom Tauschmittel mindestens ein Tauschobjekt, mindestens ein Anbieter und mindestens ein Nachfrager. Nach dieser Definition sei der Landwirt, bei dem der Betroffene die am 8.11.2016 beförderten Mastschweine gekauft habe, als Markt zu begreifen.
Die Vorschrift erlaube aber selbst unter Zugrundelegung der Auslegung des Amtsgerichts ... den Transport lebender Tiere von einem Landwirt zu einem Viehmarkt und von einem Viehmarkt zu einem Schlachthof: Wenn der einzelne Landwirt lebende Tiere in einem Umkreis von 100 km zum regionalen Viehmarkt befördern dürfe und der Käufer des Schlachtviehs die lebenden Tiere vom regionalen Viehmarkt weiter in einem Umkreis von 100 km zum Schlachthof transportieren dürfe, dann dürfe der Käufer die lebenden Tiere erst recht in einem Umkreis von 100 km um den Betrieb des Landwirts zum Schlachthof transportieren, wenn der Zwischenschritt des Marktes entfalle.
V.
Demgegenüber hat das Amtsgericht die Rechtsauffassung vertreten, dass die Auslegung des Begriffs des lokalen Marktes ergebe, dass darunter nicht ein einzelner wirtschaftlicher Betrieb zu verstehen sei. Eine erweiternde Auslegung des Tatbestandes auf die vorliegende Fallkonstellation - direkter Transport vom Erzeuger (Landwirt) zum Verwerter (Schlachthaus) - sei nicht geboten.
VI.
Die maßgeblichen nationalen Vorschriften lauten auszugsweise wie folgt:
§ 8 Fahrpersonalgesetz
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
1. als Unternehmer
...
b) einer Vorschrift der Verordnung (EG) Nr. 2135/98, der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 oder des AETR zuwiderhandelt, soweit eine Rechtsverordnung nach § 2 Nr. 1 Buchstabe e oder Nr. 2 Buchstabe e für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist,
...
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 3 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden.
...
§ 18 Fahrpersonalverordnung
(1) Nach Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 werden im Geltungsbereich des Fahrpersonalgesetzes folgende Fahrzeugkategorien von der Anwendung der Artikel 5 bis 9 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und der Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 ausgenommen:
...
16. Fahrzeuge, die innerhalb eines Umkreises von bis zu 100 Kilometern vom Standort des Unternehmens für die Beförderung lebender Tiere von den landwirtschaftlichen Betrieben zu den lokalen Märkten und umgekehrt oder von den Märkten zu den lokalen Schlachthäusern verwendet werden.
...
§ 23 Fahrpersonalverordnung
(1) Ordnungswidrig im Sinne des § 8 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b des Fahrpersonalgesetzes handelt, wer als Unternehmer gegen die Verordnung (EU) Nr. 165/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Fahrtenschreiber im Straßenverkehr, zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über das Kontrollgerät im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr (ABl. L 60 vom 28.2.2014, S. 1) verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig
...
2. entgegen Artikel 32 Absatz 1 für das einwandfreie Funktionieren des Fahrtenschreibers oder die ordnungsgemäße Benutzung des Fahrtenschreibers oder der Fahrerkarte oder des Schaublattes nicht sorgt,
...
VII.
Da die Auslegung des Begriffes "Markt" nicht derart offenkundig ist, dass sie keinerlei Raum für einen vernünftige Zweifel lässt und nach Kenntnis des vorlegenden Gerichts auch noch nicht Gegenstand einer Entscheidung durch den EuGH war, wird die Sache dem EuGH zur Beantwortung der eingangs formulierten Fragen vorgelegt.