Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 02.06.2009, Az.: 1 Ss 81/09
Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bei Bagatelldelikten eines vorbestraften Angeklagten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 02.06.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ss 81/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 15885
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:0602.1SS81.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg, 16 Ns 40/08 vom 16.03.2009
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs. 1 StGB
- § 223 StGB
Amtlicher Leitsatz
Eine Körperverletzung mit sehr geringem Unrechts- und Schuldgehalt (hier: eine spontan als Reaktion auf eine Beleidigung ausgeteilte folgenlose Ohrfeige) rechtfertigt nach § 47 Abs. 1 StGB auch bei einem erheblich vorbestraften Angeklagten, der zur Tatzeit unter Bewährung stand, keine kurze Freiheitsstrafe.
Tenor:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der kleinen Jugendkammer des Landgerichts Oldenburg vom 16. März 2009 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden hat.
Gründe
Die Angeklagte ist von der Jugendrichterin des Amtsgerichts Wilhelmshaven am 22. August 2008 unter Freispruch im Übrigen wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt worden. Auf die hiergegen eingelegte Berufung der Angeklagten, die sie auf das Strafmaß beschränkt hat, hat die kleine Jugendkammer des Landgerichts Oldenburg am 16. März 2009 die Freiheitsstrafe auf 2 Monate herabgesetzt.
Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Landgericht hat zu Recht nicht mehr über die Schuld der Angeklagten befunden. Ihre Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß ist wirksam. Die Feststellungen des Amtsgerichts zur Tat bilden eine ausreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung. Sie sind insbesondere nicht unklar, widersprüchlich, zu dürftig oder lückenhaft. Letzteres auch nicht deshalb, weil - wie die Generalstaatsanwaltschaft meint - eine nach den Feststellungen naheliegende Tatrechtfertigung durch Nothilfe nicht erörtert worden sei. Das trifft hinsichtlich der amtsgerichtlichen Feststellungen nicht zu. Aus diesen ist nichts für eine Nothilfesituation zu entnehmen. Solches könnte sich zwar aus den Ausführungen des Berufungsgerichts ergeben. Hierauf kommt es aber für die Frage, ob eine Beschränkung der Berufung auf das erstinstanzlich festgesetzte Strafmaß wirksam ist, nicht an.
Die Revision ist begründet, weil der Strafausspruch des Landgerichts keinen Bestand haben kann. Das Urteil enthält keine tragfähige Begründung der nach § 47 StGB hier erforderlichen Unerlässlichkeit der verhängten kurzen Freiheitsstrafe. Das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Ausnahmevorschrift bedarf einer eingehenden Begründung, nämlich einer umfassenden Feststellung und erschöpfenden Würdigung aller tat und täterbezogenen Umstände, die für und gegen die Annahme eines derartigen Ausnahmefalls sprechen, vgl. KG StV 2007, 35.
Das Landgericht hat insoweit allein auf das krasse Bewährungsversagen der Angeklagten und die Hartnäckigkeit abgestellt, mit der sie immer wieder Straftaten begehe (UA S. 7 oben). Darin liegt hier keine ausreichende Begründung der Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe. Denn die zu ahndende Straftat weist nur einen minimalen Schuldgehalt an der untersten Grenze des überhaupt Strafwürdigen auf.
Die Tat der Angeklagten bestand nach den Feststellungen darin, dass sie in erheblich alkoholisiertem Zustand dem Zeugen ... eine Ohrfeige gab, als dieser nicht damit aufhörte, ihren Lebensgefährten mit dem Ausdruck "Kinderficker" zu beleidigen. Die von der daraufhin in Rage geratenen Angeklagten dem Zeugen verpasste Ohrfeige verursachte bei diesem eine kurze Schmerzempfindung, aber keinerlei Körperschäden. Die Ohrfeige erfüllte zwar schon den Straftatbestand der Körperverletzung. Sie wies aber - selbst wenn sie nicht wegen Nothilfe gerechtfertigt war - unter den gegebenen Umständen trotz des der Angeklagten bekannten Umstandes, dass der Beleidiger in seinen geistigen Fähigkeiten eingeschränkt war, nur einen denkbar geringen Unrechts und Schuldgehalt auf. Ein solches Delikt im absoluten Bagatellbereich ist auch bei vorangegangenem Bewährungsversagen eines mehrfach vorbestraften Angeklagten nicht geeignet, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zu rechtfertigen.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Strafzumessung an das Landgericht zurückzuverweisen, und zwar - da die allein durch den früheren heranwachsenden Mitangeklagten begründete jugendgerichtliche Zuständigkeit nach dessen rechtskräftig gewordener Verurteilung inzwischen entfallen ist, an eine andere allgemeine kleine Strafkammer.