Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.01.2012, Az.: 1 Ws 504/11
Möglichkeit des Stützens einer Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 178 GVG auf sich nicht aus dem Ordnungmittelbeschluss ergebenden Umständen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.01.2012
- Aktenzeichen
- 1 Ws 504/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 10101
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:0117.1WS504.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 09.12.2011 - AZ: 325 Cs 71/09
Rechtsgrundlage
- § 178 GVG
Fundstelle
- NStZ-RR 2012, 119-120
Amtlicher Leitsatz
Das Verhängen von Ordnungsmitteln nach § 178 GVG kann auch auf Umstände gestützt werden, die sich zwar nicht aus dem Ordnungsmittelbeschluss ergeben, die dem Betreffenden dem Protokoll der Hauptverhandlung zufolge aber bekannt sind.
Dem Oberlandesgericht obliegt als Beschwerdegericht nach § 181 Abs. 3 GVG eine eigene Prüfung auch im Hinblick auf Art und Maß des Ordnungsmittels.
In der Strafsache
gegen A. M.,
geboren am ... 1990 in P.,
wohnhaft J.straße in B. (bei S.),
Verteidiger: Rechtsanwalt D. aus G.,
wegen Hausfriedensbruchs
hier: Festsetzung von Ordnungshaft
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gerichtete Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 9. Dezember 2011 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 17. Januar 2012
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Angeklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, mit welchem gegen ihn eine Ordnungshaft von 5 Tagen festgesetzt wurde, nachdem er sich trotz wiederholter Aufforderung geweigert hatte, sich zur Urteilsverkündung zu erheben. Ausweislich der Gründe der angefochtenen Entscheidung war gegen den Angeklagten zuvor in einem Parallelverfahren [ebenfalls wegen Hausfriedensbruchs auf einem zukünftigen Baugelände für Laborgebäude der Pharmaindustrie (Ergänzung durch den Senat)] als Zuhörer aus demselben Grunde bereits ein Ordnungsgeld verhängt worden. Die Ordnungshaft wurde im Anschluss an die Hauptverhandlung vollstreckt; der Angeklagte wurde am 14. Dezember 2011 aus der Haft entlassen.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig.
1. Die Beschwerde ist zunächst in der nach § 181 Abs. 1 GVG vorgesehenen Wochenfrist bei dem insoweit zuständigen Amtsgericht Hannover eingegangen.
2. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht nicht entgegen, dass vor Eingang der Akten beim Senat und somit vor einer Entscheidung über die Beschwerde der Angeklagte nach vollständiger Vollstreckung aus der Haft bereits entlassen wurde, denn die Vollstreckung macht die Beschwerde nicht gegenstandslos (LR-Wickern, StPO, 26. Aufl., § 181 Rn. 4; KK-Diemer, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 181 GVG Rn. 4; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 54. Aufl., § 181 GVG Rn. 3). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass im Falle einer nachträglichen Aufhebung des Ordnungshaftbeschlusses weder§ 51 StGB noch § 2 StrEG zur Anwendung gelangen und insofern ein Interesse an der Feststellung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht verneint werden kann. Der Angeklagte hat überdies beantragt, die Rechtswidrigkeit des Ordnungshaftbeschlusses festzustellen, so dass sein Rechtsmittel trotz zwischenzeitlich eingetretener Erledigung mit dem Feststellungsbegehren zulässig bleibt.
III.
Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. In der Sache ist das Festsetzen der Ordnungshaft nicht zu beanstanden.
a) Das Verfahren betreffend die Anordnung der Ordnungshaft wegen Ungebühr nach Maßgabe von § 178 GVG ist frei von Rechtsfehlern. Der Vorsitzende hat insbesondere vor Verhängen des Ordnungsmittels eine entsprechende Maßnahme ausdrücklich (und zwar konkret Ordnungshaft in Höhe von 5 Tagen, falls der Angeklagte sich weiterhin zur Urteilsverkündung nicht erhebt) angedroht und hat dem Angeklagten hierzu Gelegenheit entweder zum Überdenken seines Verhaltens oder zur Stellungnahme gegeben; der Angeklagte hat sich hiernach geäußert. Eine vom Angeklagten im Rahmen seiner Beschwerde behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt demnach nicht vor. Dessen ungeachtet stand der Ungebührwille des Angeklagten außer Frage, so dass eine vorherige Anhörung ohnedies entbehrlich war (vgl. hierzu LR-Wickern, StPO, 26. Aufl., § 178 GVG Rn. 36). Der Beschluss ist schließlich in der Hauptverhandlung erlassen und auch begründet worden.
b) Das Amtsgericht ist zu Recht von einer Ungebühr in der Sitzung ausgegangen. Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (vgl. nur Meyer-Goßner, § 178 GVG Rn. 1 ff m.w.N.). Zu einem geordneten Ablauf in diesem Sinne gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen (OLG Hamm NJW 1975, 942 [OLG Hamm 04.02.1975 - 5 Ws 14/75]) und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsführung. Die Ordnungsmittel nach§ 178 GVG können insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen oder bewusste Provokationen eingesetzt werden (KK-Diemer, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 178 GVG Rn. 1). Zwar ist das Erheben sämtlicher in der Hauptverhandlung anwesender Personen bei Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung und zur Urteilsverkündung nicht gesetzlich vorgeschrieben. Nr. 124 Abs. 2 RiStBV enthält insoweit vielmehr nur eine Beschreibung der üblichen Form in der Hauptverhandlung. Deren Nichtbeachtung stellt aber gleichwohl eine Ungebühr in der Hauptverhandlung im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG dar (LR-Wickern Rn. 5 und 15 m.w.N. zur Rechtsprechung). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der Betreffende - wie vorliegend - zuvor entsprechend ermahnt worden war (KK-Diemer a.a.O.). Dass der Angeklagte hierbei schuldhaft handelte, steht außer Frage. Das behauptete Wahrnehmen politischer Interessen im Sinne von Art. 5 GG steht der Annahme schuldhaften Handelns nicht entgegen.
2. Im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden ist die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf die Höhe der vom Amtsgericht festgesetzten Ordnungshaft. Insoweit obliegt dem Senat als Beschwerdegericht eine eigene Prüfung auch im Hinblick auf Art und Maß der Festsetzung (vgl. LR-Wickern § 181 Rn. 13). Denn die sitzungspolizeiliche Gewalt des erkennenden Gerichts endet nach Abschluss der Sitzung (Meyer-Goßner § 181 GVG Rn. 6).
Nach § 178 Abs. 1 GVG kann im Falle der Ungebühr ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 1.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden. Die Dauer der vorliegend verhängten Ordnungshaft von 5 Tagen lag demnach im oberen Bereich der möglichen Ordnungsmittel. Dies erscheint allein vor dem Hintergrund der im angefochtenen Beschluss festgestellten Ungebühr (Weigerung, sich zu erheben) und in Anbetracht des gegenständlichen Vorwurfs des Hausfriedensbruchs sowie der schließlich verhängten Rechtsfolge von 40 Tagessätzen Geldstrafe zunächst nicht frei von Bedenken. Indessen ist die Prüfung eines Ordnungsmittels nicht allein auf die im zugrunde liegenden Beschluss festgestellten Tatsachen beschränkt. Vielmehr können auch solche Umstände in die Prüfung einbezogen werden, die sich zwar nicht aus den Beschlussgründen, die sich aber aus dem Protokoll auch für den Betroffenen ohne weiteres ergeben (OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 183), diesem dem Protokoll zufolge also hinlänglich bekannt sind.
Hierzu ist dem - dem Angeklagten auch im Beschwerdeverfahren bekannt gemachten - Protokoll u.a. zu entnehmen, dass der Angeklagte wie auch in vorigen Sitzungen vom Vorsitzenden aufgefordert werden musste, seine Mütze und die von ihm in der Hauptverhandlung getragene Schwimmbrille abzunehmen. Angaben auch zu seiner Person hat er trotz wiederholten Nachfragens abgelehnt. Der Angeklagte hat ausweislich des Protokolls nachfolgend eine Reihe von Anträgen gestellt, die erkennbar in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Sache standen und letztlich auf eine gezielte Provokation des Gerichts im Sinne eines inszenierten Happenings abzielten. Das Verfahren wurde von zahlreichen Sympathisanten des Angeklagten und von einem erheblichen Medieninteresse begleitet. Einem als Zeugen gehörten Polizeibeamten wurde vom Angeklagten eine zu Protokoll genommene Zeichnung vorgehalten, die bei vernünftiger Betrachtung nur als sinnentleertes Rätsel über überforderte Polizeibeamte gewertet werden kann. In einem gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsantrag führte der Angeklagte aus, dieser habe 'seinen Unverschämtheiten freien Lauf gelassen' und habe sich in seiner 'provokativen Prozessführung gebadet'; der Vorsitzende habe vergessen, dass er 'aufgrund mangelnder Zauber- und Durchsetzungskräfte' nicht im Stande sei, jemandem das Wort zu entziehen; der Vorsitzende habe 'bezüglich der Überschätzung seiner Fähigkeiten' sich 'nicht anders zu helfen gewusst', als Ordnungshaft anzudrohen. Im Saal zur Sicherung anwesende Polizeibeamte wurden als 'uniformierte Spielfiguren des vorsitzenden Richters' bezeichnet. Auf die Ankündigung des Vorsitzenden, er werde Ordnungshaft von fünf Tagen Dauer festsetzen, wenn der Angeklagte sich trotz dreifacher Aufforderung zur Urteilsverkündung nicht erhebe, hat dieser erklärt, das sei unverhältnismäßig, er werde sich aber 'auch für zehn Tage Ordnungshaft nicht für die Erhabenheit des Richters erheben'. Dieses gesamte und dem Angeklagten auch in der Hauptverhandlung vor Verhängen des Ordnungsgeldes bekannte Geschehen zeigt, dass es diesem während der gesamten, von einem erheblichen Interesse der Medien und der Öffentlichkeit gezeichneten Hauptverhandlung auf eine gezielte Provokation des Gerichts und den Versuch ankam, den Vorsitzenden bloßzustellen. All dies rechtfertigt im Ergebnis das Festsetzen der Ordnungshaft auch der Höhe nach.
IV.
Soweit der Angeklagte überdies beantragt hat, neben der Anordnung der Ordnungshaft auch deren Vollstreckung für rechtswidrig zu erklären, bestand hierfür kein Anlass. Dies gilt umso mehr, als die vom Angeklagten eingelegte Beschwerde keine aufschiebende Wirkung entfaltet hat (KK-Diemer § 181 GVG Rn. 4). Soweit der Angeklagte schließlich beantragt hat, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festzustellen, ist der Senat hierüber zu entscheiden in vorliegendem Beschwerdeverfahren nicht berufen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 5 GKG.
VI.
Ein Rechtsmittel ist gegen die vorliegende Entscheidung nach § 304 Abs. 4 StPO nicht eröffnet.