Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.02.2007, Az.: 1 Ws 74/07

Geeignetheit von Anträgen zur Erledigung im Adhäsionsverfahren; Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen; Abwägung zwischen dem Interesse der mutmaßlich Geschädigten und dem Gebot strafprozessualer Beschleunigung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.02.2007
Aktenzeichen
1 Ws 74/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 16080
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2007:0222.1WS74.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 23.01.2007

Fundstellen

  • StRR 2007, 44 (amtl. Leitsatz)
  • StV 2007, 293 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZAP EN-Nr. 0/2007
  • ZAP EN-Nr. 488/2007

Verfahrensgegenstand

Antrag auf Durchführung des Adhäsionsverfahrens

In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde der Adhäsionsantragstellerinnen
gegen den Beschluss der Strafkammer 15 des Landgerichts Hildesheim vom 23. Januar 2007
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Siolek,
den Richter am Oberlandesgericht Dr. Gittermann und
den Richter am Oberlandesgericht Schmidt-Clarner
am 22. Februar 2007
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerinnen als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

1

1.

Die Antragstellerinnen wenden sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des Landgerichts Hildesheim, mit welchem die Strafkammer 15 - 6. große Wirtschaftsstrafkammer - von einer Entscheidung über die Anträge der Adhäsionsantragstellerinnen nach Maßgabe von § 406 Abs. 1 StPO gegen die Angeklagten zu 2) und 4) abgesehen hat. Gegenstand des zugrunde liegenden Strafverfahrens ist das Veruntreuen namhafter Geldbeträge (insgesamt mehr als 230 Millionen Euro) in einer Vielzahl (282) von Fällen durch das von den Angeklagten betriebene Geldtransportunternehmen, wobei die Antragstellerin zu 1) einen Schaden in Höhe von ca. 11 Millionen Euro und die Antragstellerin zu 2) einen solchen in Höhe von ca. 3,6 Millionen Euro gegen zwei der vier Angeklagten geltend machen wollen (Eingang der Anträge vor Beginn der noch andauernden Hauptverhandlung). Die Kammer hat zur Begründung ihrer Entscheidung ausgeführt, die Anträge seien bereits nach Maßgabe von § 403 StPO unzulässig, weil der von den Antragstellerinnen geltend gemachte Schaden nicht aus den verfahrensgegenständlichen, sondern aus weiteren Straftaten erwachsen sei; im Übrigen seien die Anträge zur Erledigung im Adhäsionsverfahren im Sinne von § 406 Abs. 1 Satz 4 und 5 StPO ungeeignet.

2

2.

Das gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtmittel der Antragstellerinnen ist nach Maßgabe von §§ 406 a Abs. 1 Satz 1,311 StPO statthaft und zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

3

Die Kammer hat aus grundsätzlich zutreffenden rechtlichen wie tatsächlichen Erwägungen von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge abgesehen. Hierbei kann letztlich dahinstehen, ob die Adhäsionsanträge bereits unzulässig sind, denn die Kammer hat jedenfalls zutreffend die Geeignetheit einer Erledigung der Adhäsionsanträge im Strafverfahren nach Maßgabe von § 406 Abs. 1 Satz 5 StPO verneint. Insoweit kann auf die ausführlichen Gründe des angefochtenen Beschlusses, die der Senat auch seiner Entscheidung zugrunde legt, Bezug genommen werden.

4

Das Beschwerdevorbringen greift demgegenüber nicht durch.

5

Soweit die Antragstellerinnen hierbei erneut auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Dezember 2006 (2 BvR 958/06) und dem hieraus nach der Absicht des Gesetzgebers nach neuer Rechtslage hergeleiteten Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Anwendung des Adhäsionsverfahrens abstellen, steht dem der - auch nach ständiger, vor allem jüngerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - in Haftsachen stets zu beachtende Beschleunigungsgrundsatz gegenüber, der letztlich in der Regelung des § 406 Abs. 1 Satz 5 StPO seinen gesetzlichen Ausdruck gefunden hat. Diese Spannungslage zwischen dem Interesse von - mutmaßlich - Geschädigten einerseits und dem Gebot strafprozessualer Beschleunigung vor allem in Haftsachen andererseits hat die Kammer erkennbar abgewogen, zutreffend zugunsten des Beschleunigungsgrundsatzes entschieden und hiernach eine Geeignetheit der Sache für das Adhäsionsverfahren frei von Fehlern verneint.

6

Die Auffassung der Antragstellerinnen, der Kammer habe bei ihrer Entscheidung ein Ermessen nicht zugestanden, trifft nicht zu (vgl. hierzu ausführlich HansOLG Hamburg vom 29.7.2006, NStZ-RR 2006, 347 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und den Wortlaut des § 406 Abs. 1 n.F. StPO). Auch den weiteren Gründen dieser Entscheidung kann der Senat sich nur anschließen.

7

Im Hinblick auf den behaupteten Vorrang des Adhäsionsverfahrens ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass nach neuer Rechtslage und der gesetzgeberischen Intention zufolge (vgl. nur BT-Drucks. 829/03, S. 16) das Adhäsionsverfahren zwar verstärkt zur Anwendung gelangen soll. Hierbei aber muss das Recht der Antragsteller, ihren Vermögensschaden geltend zu machen, hinter dem durch Art. 2 GG geschützten Freiheitsgrundrecht der Angeklagten, der im in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz ebenso seinen Ausdruck findet wie in § 406 Abs. 1 Satz 5 StPO, zurücktreten.

8

Die Kammer hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots eine infolge eines Adhäsionsverfahrens zu erwartende Verzögerung einer Haftsache um nur wenige Tage regelmäßig dazu führt, die Ungeeignetheit der beantragten Verfahrensweise anzunehmen (vgl. auch LR-Hilger, 25. Aufl., § 405 a.F. Rn. 11). Weshalb dies nach neuer Rechtslage anders zu beurteilen sein soll, hat sich dem Senat nicht erschlossen. Dass bei Durchführen des Adhäsionsverfahrens eine in diesem Sinne zu erwartende erhebliche Verzögerung des Verfahrens zu erwarten steht, hat die Kammer mit ebenfalls zutreffenden Erwägungen dargelegt. Auch dem schließt der Senat sich an.

9

Die Kammer hat hinsichtlich der Geeignetheit im Sinne von § 406 Abs. 1 Satz 4 StPO schließlich nicht allein auf die Frage der Beschleunigung abgestellt, sondern im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. auch insoweit HansOLG Hamburg a.a.O.) weitere Aspekte herangezogen, die die Entscheidung tragen. Insoweit ist auf die Höhe und den Umfang der Klagforderung und deren Bedeutung für die Angeklagten, die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des strafprozessualen Schweigerechts sowie die Schwierigkeit zivilrechtlicher Fragen, die. durch den Strafprozess nicht abgedeckt werden, hinzuweisen.

10

Soweit die Antragstellerinnen mit ihrer Beschwerde vortragen, die Kammer habe bei ihrer Entscheidung das nach neuer Rechtslage anzunehmende Regel-Ausnahme-Verhältnis völlig außer Acht gelassen, ist darauf hinzuweisen, dass demgegenüber die Beschwerde die bei sachgerechter Betrachtung erforderliche Auseinandersetzung mit dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot vollends vermissen lässt.

11

Der Hinweis auf eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG greift schon deshalb nicht durch, weil der gesetzliche Richter durch die Entscheidung über das Adhäsionsverfahren erst bestimmt wird.

12

3.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht eröffnet, § 304 Abs. 4 StPO.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.