Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 25.07.1996, Az.: 1 U 17/96

Aufrechnungsbefugnis einer Genossenschaft im Falle der Auseinandersetzung gegen das ausgeschiedene Mitglied; Insolvenz des ehemaligen Mitglieds einer Genossenschaft; Haftung der Auseinandersetzungsguthabens des ausgeschiedenen Mitglieds für einen etwaigen Ausfall insbesondere im Konkurs- oder Vergleichsverfahren; Bestellung eines Pfandrechts am künftigen Auseinandersetzungsguthaben des Mitglieds einer Genossenschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
25.07.1996
Aktenzeichen
1 U 17/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 25071
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1996:0725.1U17.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 15.02.1996 - AZ: 10 O 298/95

Fundstelle

  • WM 1997, 487-489 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Auseinandersetzungsguthaben

Prozessführer

Herr ..., in seiner Eigenschaft als Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der ...

Prozessgegner

...,
vertreten durch ihren Vorstand ...

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts ... hat
durch
den Präsidenten des Oberlandesgerichts ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 1996
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts ... vom 15. Februar 1996 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Klägers sowie der Berufungsstreitwert betragen 31.012,50 DM.

Tatbestand

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

2

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

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1.

Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ist § 10 Abs. 2 Satz 1 der Satzung der Beklagten. Die Satzung einer Genossenschaft gilt mit dem Beitritt für jedes Mitglied (§ 18 Satz 1 GenG). Nachdem über das Vermögen der Firma ... durch Beschluß des Amtsgerichts ... vom 13.1994 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden war, ist die Gemeinschuldnerin durch Vorstandsbeschluß der Beklagten vom 5.5.1994 nach § 9 Abs. 1 lit d, Abs. 2 der Satzung wirksam als Mitglied ausgeschlossen worden. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 der Satzung hat das ausgeschiedene Mitglied Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben. Dieses beträgt einschließlich angefallener Zinsen unstreitig 31.012,50 DM.

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Ebenfalls unstreitig stehen der Beklagten Gegenforderungen in Höhe von 76.264,42 DM zu. In Höhe von 72.810,34 DM hat die Beklagte bereits vorgerichtlich die Aufrechnung erklärt gegen den Anspruch auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens sowie eine weitere, im vorliegenden Rechtsstreit nicht weiter interessierende Forderung der Gemeinschuldnerin in Höhe von 42.810,34 DM.

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Eine Aufrechnungsbefugnis der Beklagten ergibt sich grundsätzlich aus § 10 Abs. 2 Satz 2 der Satzung. Danach ist die Genossenschaft berechtigt, im Falte der Auseinandersetzung die ihr gegen das ausgeschiedene Mitglied zustehenden fälligen Forderungen gegen das auszuzahlende Guthaben aufzurechnen. Eine derartige Aufrechnung hilft der Beklagten vorliegend allerdings nicht weiter. Im Falle der Insolvenz eines ehemaligen Mitglieds ermöglicht sie der Beklagten keine Vorzugsbehandlung verglichen mit anderen Gläubigern. Die Beklagte ist in diesem Fall auf die übliche Quote angewiesen, die alle nicht bevorrechtigten Gläubiger auch erhalten.

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Die Beklagte beruft sich demgegenüber auf § 10 Abs. 3 Satz 2 der Satzung. Diese Bestimmung sieht vor, daß das Auseinandersetzungsguthaben des ausgeschiedenen Mitglieds für einen etwaigen Ausfall insbesondere im Konkurs- oder Vergleichsverfahren haftet. Das Landgericht hat diese Satzungsbestimmung zutreffend als die Vereinbarung eines Pfandrechts angesehen. Mit der Regelung wollte die Beklagte Vorsorge treffen für den Fall, daß sie bei Illiquidität eines ausgeschiedenen Mitglieds offene Forderungen realisieren kann. Zwar ist die Bestimmung in § 10 Abs. 3 als Satz 2 an den vorstehenden Satz 1 angehängt, in welchem ein besonderer Fall einer derartigen Forderung der Genossenschaft gegen das Mitglied erwähnt ist. Die Haftungsvorschrift enthält jedoch darüber hinausgehend eine allgemeine Regelung auch für andere Fälle, in denen die Genossenschaft beim Ausscheiden eines Mitglieds noch Forderungen gegen dieses hat. Sie ist ein angemessenes Sicherungsmittel für die Beklagte, die ansonsten keine Sicherungsmöglichkeit für eigene Forderungen gegenüber dem ausscheidenden Mitglied hätte. Unter Berücksichtigung dieses wirtschaftlichen Hintergrunds kann in der Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 nichts anderes als die Vereinbarung eines Pfandrechts gesehen werden. Die Beklagte wollte, und zwar für jedes eintretende Mitglied erkennbar, mit dieser Satzungsbestimmung ein stärkeres Recht begründen als lediglich eine Aufrechnungsbefugnis, die sich auch ohne die Satzung aus der allgemeinen Vorschrift des § 387 BGB ergibt.

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2.

Entgegen der Annahme des Klägers hat die Beklagte ein Pfandrecht an dem Auseinandersetzungsguthaben bereits mit Beitritt der ... zur Beklagten erworben. Dieses Pfandrecht kann die Beklagte nach § 1282 Abs. 1 BGB durch Einziehung der Forderung realisieren, vorliegend also im Ergebnis durch Verrechnung mit einem gleich hohen Teil ihrer Kaufpreisforderung.

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Die Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 2 der Satzung ist rechtlich genauer zu qualifizieren als Bestellung eines Pfandrechts am künftigen Auseinandersetzungsguthaben des Mitglieds nach §§ 1273, 1279 BGB. Auch wenn die Bestellung des Pfandrechts an einer Forderung nach der Gesetzessystematik grundsätzlich drei Beteiligte voraussetzt, nämlich den Zedenten, den Zessionar sowie den Schuldner der Forderung, kann ein Pfandrecht auch an Forderungen, die gegen den Pfandgläubiger selbst bestehen, zu dessen Gunsten bestellt werden (BGH WM 1962, 183, 185 m.w.N.; RGRK-Kregel, BGB, 12. Aufl., § 1279 Rdn. 3). Der Verpfändung der Forderung steht rechtlich auch nicht entgegen, daß diese im Zeitpunkt des Beitritts des Mitglieds zur Genossenschaft noch nicht "aktuell bestand" und der Höhe nach auch noch nicht beziffert werden konnte. Ein Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben entsteht bereits mit dem Beitritt zur Genossenschaft aufschiebend bedingt, und zwar bedingt durch das Ausscheiden und einen dann aus der Bilanz folgenden positiven Auseinandersetzungssaldo (Meyer/Meulenbergh/Beuthien, GenG, 12. Aufl., § 73 Rdn. 6; Lang/Weidmüller, GenG, 32. Aufl., § 73 Rdn. 2; RGRK-Weber, a.a.O., § 398 Rdn. 65). Daher kann der Anspruch auch bereits vor dem Ausscheiden des Mitglieds aus der Genossenschaft abgetreten oder verpfändet werden (BGHZ 58, 327, 330; Meyer/Meulenbergh/Beuthien, a.a.O., Rdn. 7; Lang/Weidmüller, a.a.O., Rdn. 10). Schon mit der Verpfändung der aufschiebend bedingten Forderung verfügt das Genossenschaftsmitglied bindend und mit den für den Pfandgläubiger bestehenden Schutzwirkungen der §§ 160 bis 162 BGBüber die Forderung (RGRK-Steffen, a.a.O., § 158 Rdn. 3). Der Pfandgläubiger ist bei Eintritt der Bedingung also vor allem gegen Zwischenverfügungen geschützt, und zwar sowohl des Forderungsinhabers als auch eines Vollstreckungsgläubigers oder des Konkursverwalters (§ 161 Abs. 1 BGB).

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3.

Diesem Ergebnis steht entgegen der Annahme des Klägers auch nicht § 10 Gesamtvollstreckungsordnung (= GesO) entgegen. Nach dem Einigungsvertrag vom 31.8.1990 ist die Verordnung der DDR über die Gesamtvollstreckung in Kraft geblieben, begrenzt auf das Beitrittsgebiet (Anlage II. Kapitel III., Sachgebiet A Abschnitt II. 1). Nach § 12 Abs. 1 GesO in der jetzt geltenden Fassung vom 23.5.1991 muß der Vermögensverwalter Gegenstände an die Berechtigten herausgeben, an denen Dritten ein Eigentums- oder ein Pfandrecht zusteht, wenn er das Recht nicht durch Zahlung ablöst; wenn der Verwalter die Herausgabe eines Gegenstands oder die Anerkennung eines Pfandrechts verweigert, kann der Berechtigte auf Herausgabe oder Feststellung seines Rechts klagen. Die Vorschrift gilt über ihren Wortlaut hinaus auch für Pfandrechte an Rechten (Kilger/K. Schmidt, KO, 16. Aufl., § 13 GesO, Anm. 3). Auch wenn der Kläger als gerichtlich bestellter Vermögensverwalter die Anerkennung eines Pfandrechts der Beklagten bisher abgelehnt hat, muß die Beklagte sich nicht darauf verweisen lassen, auf Feststellung dieses Pfandrechts ein gesondertes gerichtliches Verfahren zu betreiben.

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Ein Pfandrecht, auch ein solches an einer Forderung, gibt nach § 48 KO ein Recht zur abgesonderten Befriedigung (Kilger/K. Schmidt, a.a.O., § 48 KO, Anm. 1). Nach § 4 Abs. 2 KO erfolgt die abgesonderte Befriedigung unabhängig vom Konkursverfahren, Das bedeutet, daß eine Klage im ordentlichen Verfahren vor dem Prozeßrichter erforderlich ist, wenn das Absonderungsrecht bestritten wird (Kilger/K. Schmidt, a.a.O., § 4 KO Anm. 3). Das Konkursverfahren selbst soll also von derartigen Streitigkeiten verschont bleiben. Ebenso muß der Zweck von § 12 Abs. 1 GesO gesehen werden. Derjenige, der sich auf ein Pfandrecht an einem zur Masse gehörenden Gegenstand oder an einer entsprechenden Forderung beruft, muß dieses Pfandrecht außerhalb der Gesamtvollstreckung geltend machen. Nichts anderes macht allerdings die Beklagte. Sie beruft sich im Rahmen des vom Kläger außerhalb des Vollstreckungsverfahrens vor einem allgemeinen Zivilgericht betriebenen Klageverfahrens auf ihr Pfandrecht. Dabei kann es nicht entscheidend sein, daß die Beklagte dieses Pfandrecht nur als Gegenrecht gegen einen Anspruch des Klägers geltend macht, nicht aber selbst klagende Partei ist. Im vorliegenden Verfahren wird rechtskräftig festgestellt, daß die Beklagte ein Pfandrecht an der Forderung der Gemeinschuldnerin hat. Einen weitergehenden Erfolg könnte die Beklagte auch nicht erreichen, wenn sie, wie es der Kläger wohl anstrebt, auf ein von ihr gesondert zu betreibendes Klageverfahren verwiesen würde. Im Gegensatz zu § 11 Abs. 3 Satz 3 GesO wird für die Feststellung des Pfandrechts durch § 12 GesO gerade keine einheitliche Zuständigkeit des mit der Gesamtvollstreckung befaßten Gerichts begründet (vgl Kilger/K. Schmidt, a.a.O., § 13 GesO, Anm, 4).

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4.

Als unterliegende Partei muß der Kläger die Kosten der Berufungsinstanz tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713 sowie § 546 Abs. 2 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Die Beschwer des Klägers sowie der Berufungsstreitwert betragen 31.012,50 DM.