Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.06.2007, Az.: 1 Ws 191/07

Verfahrenseinstellung nach § 206a Strafgesetzbuch (StGB) mangels Bestehens der deutschen Gerichtsbarkeit; Begründung einer Inlandszuständigkeit durch Begehen von das deutsche Staatsgebiet tangierenden Handlungen als Teil eines Gesamtplanes; Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit aufgrund von stellvertretender Strafrechtspflege; Voraussetzungen für ein Absehen von der Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 Strafprozessordnung (StPO); Versagung einer Strafrechtsentschädigung für die von einem Angeklagten erlittene Freiheitsentziehung; Entfallen eines Entschädigungsanspruchs für eine Untersuchungshaft bei ursächlicher und schuldhafter Herbeiführung der Strafverfolgungsmaßnahme durch den Angeklagten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.06.2007
Aktenzeichen
1 Ws 191/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 38224
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2007:0605.1WS191.07.0A

Verfahrensgegenstand

Untreue

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage des Verfahrenshindernisses der fehlenden deutschen Gerichtsbarkeit, der Einstellung des Verfahrens und der Auslagen und Entschädigungsansprüche

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die deutsche Gerichtsbarkeit wird nicht dadurch begründet, dass ein Täter einen in Deutschland gekauften Gegenstand mit im Ausland rechtswidrig erlangtem Geld in Deutschland bezahlt.
    Ebensowenig kann der Gerichtsstand des Ergreifungsortes eine deutsche Gerichtsbarkeit begründen.

  2. 2.

    Der nachträgliche Wegfall von Umständen, die die strafrechtliche Verfolgbarkeit bestimmen, ist materiellrechtlich zu beachten.

  3. 3.

    Soweit eine Versagung einer Entschädigung in Betracht kommt, ist dies bei Verfahrenseinstellungen nur dann möglich, wenn der Angeklagte ohne die Einstellung mit bestimmter Wahrscheinlichkeit verurteilt worden wäre.
    Bei einem erst nachträglich festgestellten Verfahrenshindernis kann die Entschädigung erst dann versagt werden, wenn der erforderliche Schuldverdacht vorliegt.

In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft,
die sofortige Beschwerde des Angeklagten Z. und
die sofortige Beschwerde des Angeklagten D.
gegen den Beschluss der Strafkammer 14 -5. große Wirtschaftsstrafkammer -des Landgerichts H. vom 23. Februar 2007
nach Anhörung der Beschwerdeführer und der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .......,
den Richter am Oberlandesgericht ....... und
den Richter am Oberlandesgericht .......
am 5. Juni 2007
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit veranlassten notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Landeskasse zur Last.

Die sofortigen Beschwerden der Angeklagten werden auf deren Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

1

1.

Mit Beschluss vom 23. Februar 2007 hat das Landgericht H. das gegen die Angeklagten gerichtete Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses (fehlende bzw. entfallene deutsche Strafgerichtsbarkeit) nach § 206 a StPO eingestellt, die Kosten des gesamten Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Landeskasse auferlegt und festgestellt, dass der Angeklagte Z. für die vom 10. Oktober 2000 bis zum 28. April 2004 und der Angeklagte D. für die vom 14. Juli 2001 bis zum 7. Januar 2004 erlittene Freiheitsentziehung dem Grunde nach zu entschädigen sind. Wegen des dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

2

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 28.Februar 2007 sowie die Angeklagten mit ihren Rechtsmitteln vom 7. März 2007, soweit eine Haftentschädigung ab dem 29. April 2004 (Z.) bzw. ab dem 8. Januar 2004 (D.) versagt wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt das von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel.

3

2.

Die sofortigen Beschwerden sind zulässig.

4

3.

Die Rechtsmittel haben in der Sache aber keinen Erfolg.

5

Das Landgericht hat aus grundsätzlich zutreffenden tatsächlichen wie rechtlichen Erwägungen das Verfahren eingestellt, hiernach die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse auferlegt sowie den Angeklagten für die von ihnen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang verbüßte Untersuchungshaft eine Entschädigung aus der Staatskasse dem Grunde nach zugesprochen, und im Übrigen versagt.

6

Die Entscheidung entspricht der Rechtslage.

7

Das gegenseitige Beschwerdevorbringen greift nicht durch.

8

Auch der Senat sieht sich zu einer abweichenden Entscheidung nicht in der Lage. Im einzelnen:

9

a) Einstellung des Verfahrens

10

Die von der Kammer vorgenommene Einstellung des Verfahrens nach § 206 a StPO ist nicht zu beanstanden.

11

Eine Verfahrensvoraussetzung, deren Fehlen zur Verfahrenseinstellung nach § 206 a StGB führt, ist das Bestehen der deutschen Strafgerichtsbarkeit wegen der angeklagten Tat (vgl. nur LRRieß, 25. Aufl., § 206 a StPO Rn. 38 m.w.N; KKTolksdorf, 5. Aufl. § 206 a StPO Rn. 11). Hierauf stützt die Kammer ihre Entscheidung. Die Kammer sieht weder eine Gerichtsbarkeit nach Maßgabe von §§ 3 und 9 StGB noch eine solche nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB für gegeben. Diese Bewertung trifft zu.

12

aa)

Soweit die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung darauf abstellt, dass entgegen der Auffassung des Landgerichts eine deutsche Gerichtsbarkeit gegeben sei, steht dies zunächst in Widerspruch zu den gerade für das vorliegende Verfahren geltenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 27. Juni 2006 (Az.: 3 StR 403/05), die Zweifel an deren Bedeutungsgehalt nicht zulassen. Der Senat sieht hiernach weder Veranlassung, noch Möglichkeit, hiervon abzuweichen. Demnach ist ein Tatort in D. nicht anzunehmen. Weder das Unterzeichnen des Vertrags mit der PMB in W. am 5. Juni 1995 noch das Überweisen der 4 Mio. DM auf das bei der D. Bank in F. am Main geführte Konto der C. am 20. Juni 1995 waren hiernach notwendige Tathandlungen der den Angeklagten zur Last gelegten Untreue zum Nachteil der G.bank in Kiew bzw. der Beihilfe hierzu. Denn der maßgebliche Vermögenswert wurde sowohl der Anklage als auch dem aufgehobenen Urteil zufolge der G.bank allein in K. entzogen. Allein der Umstand, dass die deutsches Staatsgebiet tangierenden Handlungen Teil eines Gesamtplanes der Angeklagten waren, begründet hier noch keinen Tatort. Auch ein Täter, der einen im Inland gekauften Gegenstand mit sodann im Ausland rechtswidrig erlangtem Vermögen schließlich im Inland bezahlt, begründet hierdurch keine Inlandszuständigkeit für das im Ausland begangene Vermögensdelikt.

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bb)

Auch unter dem Gesichtspunkt stellvertretender Strafrechtspflege nach Maßgabe von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist eine Gerichtsbarkeit in Deutschland nicht begründet.

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§ 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt -kumulativ -voraus, dass der Täter, der zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird. Die Angeklagten wurden auf deutschem Staatsgebiet festgenommen. Zudem wurde ihre von der U. beantragte Auslieferung seitens der deutschen Behörden mit der Begründung abgelehnt, dass sie wegen der verfahrensgegenständlichen Tat in D. zur Verantwortung gezogen werden sollen (vgl. S. 13 und 15 UA). Durch diese Entscheidung wurde die deutsche Gerichtsbarkeit erst begründet.

15

Die Voraussetzungen, die zur Annahme der deutschen Gerichtsbarkeit nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB geführt haben, sind zwischenzeitlich aber entfallen.

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Auch hierzu hat der Bundesgerichtshof in der benannten Entscheidung hinreichend deutlich bereits ausgeführt, dass "deutsches Strafrecht nicht mehr anwendbar [ist], wenn die Angeklagten in die U. zurückgekehrt sind und damit [Unterstreichung durch den Senat] deren Strafgewalt unterliegen". Dass die Angeklagten D. inzwischen verlassen haben und sich in der U. grundsätzlich aufhalten, unterliegt nach den hierzu vorgelegten Mitteilungen der dortigen Behörden keinem Zweifel. Allein hiermit unterliegen sie der dortigen Strafgewalt. Wo genau sie sich in der U. aufhalten, ist unerheblich. Ob seitens der u. Behörden das Verfahren gegen die Angeklagten auch betrieben wird, ist hiernach ebenfalls ohne Belang. Insofern bedurfte es auch keiner weiteren Aufklärung durch die Kammer.

17

Auch trifft die Auffassung der Staatsanwaltschaft, die Angeklagten hätten D. freiwillig verlassen und hierdurch ihrem Belieben entsprechend den Eintritt eines Verfahrenshindernisses letztlich selbst herbeigeführt, nicht zu. Der Angeklagte D. wurde ausgewiesen, der Angeklagte Z. wurde abgeschoben.

18

Gegen beide Angeklagten wurden somit aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchgeführt, weshalb die Angeklagten aufgrund hoheitlicher Entscheidung das Bundesgebiet zu verlassen hatten und in das Hoheitsgebiet der U. zurückgekehrt sind. Ob diese Entscheidungen bzw. Maßnahmen seitens der Justiz oder der Verwaltungsbehörden bzw. in deren Zusammenwirken getroffen wurden, ist hierbei unerheblich.

19

Beim Angeklagten Z. kommt hinzu, dass gegen ihn aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts H. vom 7. Juni 2004 (Az.: 12 a KLs 4121 Js 31509/03) noch ein erheblicher Teil der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten zu verbüßen war, was eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach Maßgabe von § 456 a StPO erforderlich machte. Diese wurde am 1. Februar 2005 erteilt. Ohne diese hoheitlichen Maßnahmen, die zur Beendigung des Aufenthalts der Angeklagten in D. geführt haben, wäre ihr hier begründetes Betroffensein nicht beendet worden. Die nur subsidiär mögliche, stellvertretene Strafrechtspflege und die hierdurch erst begründete deutsche Gerichtsbarkeit nach Maßgabe von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB war an die Entscheidung der deutschen Behörden geknüpft, die hier betroffenen Angeklagten nicht in das Hoheitsgebiet ihres Heimatstaates zur dortigen Strafverfolgung zu übergeben. Nunmehr aber hat der deutsche Staat von diesem Anspruch abgesehen mit der Folge, dass eine Zuständigkeit hier nicht mehr begründet ist.

20

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Zuschrift darauf hinweist, dass auch bei Begründung des Gerichtsstandes des Ergreifungsortes nach § 9 StPO dieser bei späterer Änderung der Haftumstände nicht nachträglich wegfällt (vgl. hierzu MeyerGoßner, 49. Aufl. § 9 Rn. 6), bleibt außer Acht, dass § 9 StPO den Gerichtsstand rein verfahrensrechtlich bestimmt, während die Bestimmung des Gerichtsstandes nach § 7 Abs. 2 Satz 2 StGB materiellrechtlich überhaupt die Anwendung deutschen Strafrechts erst erlaubt. Materiellrechtlich aber ist der nachträgliche Wegfall die strafrechtliche Verfolgbarkeit erst bestimmender Umstände stets beachtlich, etwa das Wegfallen eines zunächst gestellten Strafantrags oder das Verneinen des zunächst von der Staatsanwaltschaft bejahten Strafverfolgungsinteresses (LRRieß, § 467 StPO Rn. 52). Nur ergänzend wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft allein der Gerichtsstand des Ergreifungsortes nach § 9 StPO eine deutsche Gerichtsbarkeit nicht begründen kann.

21

Das Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit führt zur Einstellung nach § 206 a StPO. Eine demgegenüber etwaig vorrangige (vgl. hierzu LRRieß a.a.O. Rn. 61 a; MeyerGoßner, 49. Aufl. § 206 a StPO Rn. 2), nur vorläufige Einstellung nach Maßgabe von § 205 StPO kam nicht in Betracht, weil das Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit kein in der Person der Angeklagten liegendes Verfahrenshindernis darstellt und die Abwesenheit auch nicht nur vorübergehend ist: Der Angeklagte Z. wird deutsches Staatsgebiet allein deshalb nicht betreten können, weil er anderenfalls bis zum Eintritt der Vollstreckungsverjährung die restliche Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 7. Juni 2004 zu erwarten hätte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung, beide Angeklagten seien gewillt, sich dem vorliegenden Verfahren zu stellen, jedenfalls für den Angeklagten Z. zumindest zweifelhaft. Aber auch beim Angeklagten D. ist zu bedenken, dass bei seiner Einreise in das Bundesgebiet er erneut im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB hier betroffen wäre mit der möglichen Folge, dass das Verfahrenshindernis fehlender deutscher Gerichtsbarkeit entfallen und das Verfahren erneut gegen ihn betrieben werden könnte (vgl. hierzu LRRieß a.a.O. Rn. 79). Auch der erneute Erlass eines Haftbefehls oder eines hierauf gestützten Auslieferungsersuchens der deutschen Justizbehörden, um die Anwesenheit der Angeklagten vor Gericht und somit deren Aufenthalt auf deutschem Staatsgebiet herbeizuführen, erscheint wenig wahrscheinlich, nachdem den Gründen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2006 zufolge ein dringender Tatverdacht einer Untreue zum Nachteil der Gradobank nicht mehr anzunehmen sein wird. Insofern ist die Auffassung des Landgerichts letztlich zutreffend, dass das Verfahrenshindernis 'dauernd' im Sinne von § 206 a StPO ist.

22

Dies bedeutet nicht, dass es endgültig ist oder für immer besteht. Dies setzt die Vorschrift aber auch nicht voraus. Ausreichend ist vielmehr, dass das Verfahrenshindernis mehr als nur vorläufig ist und nicht zumindest kurzfristig behoben werden kann (LRRieß und MeyerGoßner a.a.O.). Hiervon ist vorliegend aber nicht auszugehen.

23

b) Auslagenentscheidung

24

Infolge der Einstellung des Verfahrens ist auch die Kosten und Auslagenentscheidung des angefochtenen Beschlusses nicht zu beanstanden.

25

Diese beruht auf § 467 Abs. 1 StPO, nachdem das Verfahren gegen die Angeklagten eingestellt wurde.

26

Diese Folge ist zwingend. Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn einer der in § 467 Abs. 3 StPO normierten Ausnahmetatbestände vorliegt.

27

Der Ausnahmetatbestand des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO liegt indessen nicht vor.

28

Hiernach kann davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Das Verfahrenshindernis muss hiernach letztlich alleinige Ursache der Einstellung gewesen sein; erst dann ist ein Ermessen im Sinne von § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO eröffnet ["Das Gericht kann .. absehen, wenn .."].

29

Rechtshistorischer Hintergrund dieser Regelung waren NSGewaltverbrechen, bei denen es nicht vermittelbar erschien, bei einem Angeklagten, dessen Schuld feststeht, der aber aufgrund eines Verfahrenshindernisses (v.a. wegen Verjährung) nicht verurteilt werden konnte, die Staatskasse noch mit den Kosten seiner Verteidigung zu belasten (vgl. LRHilger, 25. Aufl., § 467 StPO Rn 50 m.w.N.). Die Bedeutung dieser Regelung für andere Verfahren wird indessen nicht einheitlich beurteilt. Insbesondere wird kontrovers beurteilt, wann eine Verurteilung 'nur' wegen eines Verfahrenshindernisses nicht erfolgt bzw. welche Dichte der gegen den Angeklagten bestehende Verdacht neben dem Verfahrenshindernis hierbei erreicht haben muss.

30

Nach der historisch und mit dem Wortlaut begründeten, restriktiven Auffassung wird überwiegend für erforderlich gehalten, dass die Schuld des Angeklagten nach bereits durchgeführter Hauptverhandlung festgestellt worden ist oder zumindest bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses frei von Zweifeln mit Sicherheit von einer Verurteilung des Angeklagten auszugehen ist (statt vieler: BGH NStZ 95, 406 [BGH 01.03.1995 - 2 StR 331/94]; OLG Rostock vom 6.2.2004, 1 Ws 350/03; OLG Hamm, NStZRR 97, 127; KG, NJ 99, 494 im Falle Erich Mielke ebenfalls nach Zurückverweisung infolge zumindest einstweilen erfolgreicher Revision des Angeklagten und erst dann erfolgter Einstellung; KG, NJW 94, 600 [KG Berlin 14.07.1993 - 4 Ws 157/93] im Falle Erich Honecker; BayObLG, NJW 70, 875 [OLG Köln 10.10.1969 - 1 Ws 129/69]; OLG Celle, NJW 2002, 3720 [OLG Celle 28.05.2002 - 1 Ws 132/02]; LRHilger, a.a.O. Rn. 53; KKFrank, 5. Aufl. § 467 StPO Rn. 10, der darauf hinweist, dass derartige Fälle unter Zugrundelegen der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR kaum noch vorstellbar seien).

31

Teilweise wird vorausgesetzt, dass ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei einer erneuten Hauptverhandlung die Tatschuld in Frage stellen würden (BGH, NStZ 00, 330 [BGH 05.11.1999 - 3 StE 7/94 - 1 (2); StB 1/99]), oder dass die Verurteilung des Angeklagten hinreichend sicher erscheint (OLG Köln, StraFo 03, 105 [OLG Köln 06.12.2002 - 2 Ws 604/02]). Nach Auffassung des Thüringischen Oberlandesgerichts soll ein erheblicher Tatverdacht ausreichen, der anzunehmen sei bei einem ins Auge springenden, mehr als hinreichenden, nämlich massiven Tatverdacht, bei der eine Verurteilung auf der Hand liege (Beschluss vom 11.1.07, 1 Ws 195/05), während zum Teil ein zumindest hinreichender Tatverdacht für ausreichend erachtet wird, um von der Regelung der Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO Gebrauch machen zu können (OLG Hamm, NStZRR 01, 126; OLG München, NStZ 89, 134 [OLG München 01.08.1988 - 2 Ws 237/88]; OLG Frankfurt, NJW 80, 2031 [OLG Frankfurt am Main 23.04.1980 - 2 Ws 90/80]; MeyerGoßner, 49. Aufl., § 467 StPO Rn. 16). Weitere Voraussetzung für ein Absehen von der Auslagenerstattung ist hierbei aber im Rahmen des -dann erst eröffneten -Ermessens das Hinzutreten besonderer Umstände, etwa das mutwillige Herbeiführen des Verfahrenshindernisses durch Flucht (OLG Hamm und MeyerGoßner a.a.O.).

32

Welcher der benannten Auffassungen letztlich zu folgen ist, kann für das vorliegende Verfahren indessen dahinstehen (so zutreffend bereits das Landgericht). Denn selbst ein nach der weitesten Auffassung erforderlicher, zumindest hinreichender Tatverdacht kann im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2006 nicht mehr angenommen werden. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, dass auf der Grundlage der von der Kammer in ihrem Urteil getroffenen Feststellungen die den Angeklagten zur Last gelegte Untreue zum Nachteil der G.bank nicht anzunehmen ist. Insoweit besteht zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht einmal hinreichender Tatverdacht.

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Soweit die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Zuschrift demgegenüber darauf abstellt, dass nach Aufhebung des Urteils vom 7. Juni 2004 das Verfahren in den Stand nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses -der hinreichenden Tatverdacht voraussetze -zurückversetzt worden sei, trifft dies in verfahrensrechtlicher Hinsicht zwar zu. Dies bedeutet aber nicht notwendig die Annahme derselben Sach und Erkenntnislage, die nach Zulassen der Anklage und vor Beginn der Hauptverhandlung vorlag. Vielmehr spiegeln die vom Landgericht im Urteil niedergelegten Feststellungen trotz Aufhebung des Urteils den Sach und Erkenntnisstand wieder, der zum Zeitpunkt des Urteils vom 7. Juni 2004 vorlag und auch jetzt noch vorliegt. Hierzu hat der Bundesgerichtshof aber ausgeführt, dass unter Zugrundelegen dieses Erkenntnisstandes eine Verurteilung wegen einer Untreue zum Nachteil der G.bank bzw. wegen einer Beihilfe hierzu nicht in Betracht kommt. Insofern ist das fortbestehende Vorliegen eines eine Verurteilung wahrscheinlich machenden, mehr als hinreichenden Tatverdachts derzeit eher zweifelhaft.

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Entsprechendes muss gelten, soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung Möglichkeit zur Prüfung gibt, ob sich der Angeklagte D. einer Untreue zum Nachteil der H. durch Verwendung des Darlehns für eigene Zwecke und der Angeklagte Z. sich einer Beihilfe hierzu strafbar gemacht haben könnte und ob dies von der Anklage erfasst ist. Denn ein mehr als hinreichender, erheblicher oder bis zur Schuldspruchreife gediehener Tatverdacht besteht auch insoweit nicht. Hinzu kommt, dass nicht die Angeklagten das Verfahrenshindernis herbeigeführt haben [vgl. soeben unter 3 a) aa)], so dass es auch am Hinzutreten besonderer Umstände fehlt, um selbst nach der weitesten Auffassung zum erforderlichen Tatverdacht von einer Auslagenerstattung absehen zu können.

35

Schließlich kommt nicht in Betracht, aus Billigkeitsgründen eine Entscheidung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO zumindest für denjenigen Zeitraum anzunehmen, bis zu welchem das Verfahrenshindernis -vorliegend das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland -noch nicht eingetreten war (vgl. zu dieser Erwägung LRHilger Rn. 58). Denn zum Einen erscheint fraglich, ob die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO geltender Fassung (anders als die Vorschrift des § 467 a.F.) eine solche Differenzierung überhaupt zulässt, und zum Anderen würde auch dies voraussetzen, dass eine Verurteilung der Angeklagten bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses sicher oder zumindest hinreichend wahrscheinlich erscheint (a.a.O.). Hieran aber fehlt es.

36

c) Entschädigungsanspruch

37

aa) Beschwerde der Staatsanwaltschaft

38

Ebenfalls ohne Erfolg muss das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleiben, soweit es sich gegen das Bewilligen einer Strafrechtsentschädigung für die von den Angeklagten erlittene Freiheitsentziehung richtet.

39

Hierzu hat bereits die Kammer zutreffend darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG der des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO grundsätzlich nachgebildet ist und das Versagen einer Entschädigung hiernach dann in Betracht kommt, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

40

Demnach wird auch nach dieser Vorschrift vorausgesetzt, dass ein Angeklagter ohne die erfolgte Einstellung mit bestimmter Wahrscheinlichkeit verurteilt worden wäre (Schätzler/Kuntz, StrEG, 3. Aufl., § 6 Rn. 23; Meyer, Strafrechtsentschädigung, 6. Aufl., § 6 Rn. 27; MeyerGoßner, 49. Aufl., § 6 StrEG Rn. 7; jeweils m.w.N.). Die erforderliche Verdachtsdichte ist hierbei dieselbe wie im Rahmen von § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO. Insoweit kann auf die hiesigen Ausführungen zu § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO in vollem Umfange Bezug genommen werden. Hiernach fehlt es an der erforderlichen Schuldverdachtsfeststellung mit der Folge, dass das Verfahren nicht 'nur' wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt wurde.

41

Soweit zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG teilweise ausgeführt wird, bei einem erst nachträglich eintretenden Verfahrenshindernis sei eine Entschädigung in der Regel zu versagen (MeyerGoßner a.a.O.; Schätzler/Kuntz a.a.O. Rn. 31), ist zur Klarstellung darauf hinzuweisen, dass dies die für erforderlich gehaltene Schuldverdachtsfeststellung voraussetzt. Erst bei Vorliegen des erforderlichen Schuldverdachts ist Ermessen eröffnet, um von einer Entschädigung absehen zu können. An der erforderlichen Schuldverdachtsfeststellung aber fehlt es (vgl. soeben unter 3. b).

42

bb) Beschwerde des Angeklagten Z.

43

Auch die Beschwerde des Angeklagten Z. bleibt ohne Erfolg. Der Angeklagte Z. wendet sich dagegen, dass ihm für die in der Zeit vom 29. April 2004 bis zum 7. Juni 2004 erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung versagt wurde.

44

Das Landgericht hat seine Entscheidung insoweit auf § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG gestützt. Das ist nicht zu beanstanden.

45

Anders als § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO oder § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG setzt die Vorschrift einen Schuldverdacht nicht voraus. Vielmehr knüpft diese Vorschrift allein an die Ursächlichkeit und das Verschulden einer Person in Bezug auf das Herbeiführen einer Strafverfolgungsmaßnahme an (Schätzler/Kuntz, § 5 StrEG Rn. 10).

46

Die Vorschrift erlaubt auch, eine Entschädigung für einen Teil oder einen Teilabschnitt der Maßnahme zu versagen (Schätzler/Kuntz a.a.O., Rn 9). Im Falle von Untersuchungshaft entfällt der Entschädigungsanspruch, wenn der Angeklagte durch sein Verhalten den Erlass des Haftbefehls herausgefordert hat, wobei unerheblich ist, ob der Haftbefehl ohnehin -also aus anderen Gründen erlassen worden wäre (OLG Hamburg, MDR 80, 79; MeyerGoßner, § 5 StrEG, Rn. 11). Liegen die Voraussetzungen des § 5 StrEG vor, ist ein Ermessen des Gerichts nicht eröffnet [".. ist zu versagen .."].

47

Hiernach hat das Landgericht zu Recht eine Entschädigung für einen Teil der erlittenen Untersuchungshaft versagt. Die Gründe der angefochtenen Entscheidung treffen auch insoweit zu. Hierauf wird Bezug genommen. Das Beschwerdevorbringen greift ihnen gegenüber nicht durch.

48

Der Senat hat -insoweit auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft geprüft, ob der Zeitpunkt des Versagens der Entschädigungspflicht zurückverlegt werden kann auf den Zeitpunkt der maßgeblichen prozessordnungswidrigen Verdunkelungshandlungen. Diese lagen ausweislich des Urteils des Landgerichts H. vom 21. Oktober 2004 jedenfalls zum Teil deutlich vor dem 29. April 2004. Zwar ist im Rahmen von § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG grundsätzlich auf das Verhalten des Beschuldigten abzustellen; maßgeblich für den Entschädigungsanspruch aber bleibt die durch die Handlungen des Beschuldigten hervorgerufene Maßnahme (vgl. Schätzler/Kuntz, § 5 Rn. 48). Dies war vorliegend das Erweitern des Haftbefehls um den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr.

49

Das dem Angeklagten in vorliegendem Verfahren zur Last gelegte Tatverhalten selbst ist schließlich nicht geeignet, die Entschädigungspflicht zu versagen. Denn die Vorschrift des § 5 Abs. 2 StrEG dient grundsätzlich nicht dazu, Ansprüche allein aufgrund des in der Tat selbst liegenden Verdachts zu versagen; erforderlich ist vielmehr ein in besonderem Maße vorwerfbares Verhalten (vgl. auch Meyer, § 5 Rn 35).

50

Denn anderenfalls würde in jedem Falle, in dem es trotz zunächst bejahten Tatverdachts nicht zu einer Verurteilung kommt, eine Entschädigungspflicht versagt werden müssen. Die ist mit der Vorschrift des § 5 Abs. 2 StrEG erkennbar nicht gewollt. Im Übrigen kann ein das Versagen der Entschädigung etwaig rechtfertigender Tatverdacht unter Zugrundelegen des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2006 auch nicht mehr angenommen werden.

51

cc) Beschwerde des Angeklagten D.

52

Für die Beschwerde des Angeklagten D. gilt Entsprechendes.

53

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

54

5.

Ein Rechtsmittel gegen die vorliegende Entscheidung ist nach § 304 Abs. 4 StPO nicht eröffnet.