Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 12.06.1996, Az.: 3 U 78/95

Streit um Ansprüche auf Schadensersatz wegen pflichtwidriger Anlageberatung; Umfang von Beratungs- und Informationspflichten bei einer Geldanlage im Rahmen eines Beratungsvertrages; Informationspflicht des Anlageberaters hinsichtlich einer fehlenden eigenen Bonitätsprüfung; Pflicht zur Abklärung des individuellen Risikoprofils mit der anlegergerechten Beratung im Einzelfall; Pflichtwidrige Anleiheempfehlung

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
12.06.1996
Aktenzeichen
3 U 78/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 25159
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1996:0612.3U78.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 10.03.1995 - AZ: 5 O 265/94

Fundstellen

  • EWiR 1996, 875-876 (Volltext mit red. LS u. Anm.) "Polly Peck"
  • WM 1996, 1484-1487 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZBB 1996, 249
  • ZIP 1996, 1242-1245 (Volltext mit red. LS)

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgerichts ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten wird auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Landgerichts ... vom 10. März 1995 teilweise und zwar dahin abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin über den abgeurteilten Betrag hinaus einen weiteren Betrag in Höhe von DM 25.370,05 nebst 6 % Zinsen auf DM 25.000,00 seit dem 21.04.1990 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung der weiteren Hälfte der 6 % Polly-Peck-Intl. 88/93 DM-Anleihe (Nominal DM 50.000,00), Wertpapier-Nr.: 483737, und Abtretung der weiteren Hälfte aller etwaiger Prospekthaftungsansprüche gegen die Mitglieder des Emissionskonsortiums betreffend den Emissionsprospekt zu der bezeichneten Polly-Peck-Anlage 88/93 von DM 25.370,05.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte ist mit weniger als DM 60.000,00 beschwert.

Der Wert für das Berufungsverfahren1 wird auf die Wertstufe von DM 50.000,00 bis DM 60.000,00 festgesetzt. In Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung in dem Urteil vom 10. März 1995 wird der Wert für das erstinstanzliche Verfahren ebenfalls auf die Wertstufe von DM 50.000,00 bis DM 60.000,00 festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen pflichtwidriger Anlageberatung der Beklagten.

2

Im September 1988 suchte die Klägerin die Geschäftsräume der Beklagten auf, weil sie insgesamt DM 200.000,00 anlegen wollte und zwar DM 50.000,00 langfristig sowieDM 150.000,00 kurzfristig, wobei der entsprechende Geldbetrag der Klägerin möglicherweise als Zwischenkredit von anderer Seite zugeflossen ist und von ihr für den Erwerb einer Eigentumswohnung vorgesehen war. Die Klägerin wollte einen "vernünftigen Zinssatz" (wie der Zeuge ... formuliert hat, Blatt 68 d.A.) und dabei eine bessere Verzinsung als auf einem Sparkonto oder mittels Festgeldanlage erreichen. Die Klägerin hatte bei der Beklagten ein Sparbuch und einen Kapitalbrief (Bl. 72 d.A.). Sie führte mit dem bei der Beklagten tätigen Bankfachwirt ... verschiedene Beratungsgespräche. Der von der Klägerin anzulegende Geldbetrag stand zunächst noch nicht zur Verfügung (Bl. 70 d.A.).

3

Aufgrund der Beratungsgespräche mit dem Anlageberater ... erwarb die Klägerin per 15.09.1988 eine Industrieanleihe der Firma Polly-Peck zum Nennwert von DM 50.000,00 bei der Endfälligkeit 1993 mit einem Jahreszins von 6 %. Sie hatte einschließlich der Stückzinsen nach der Wertpapierabrechnung (Bl. 37 d.A.) insgesamt DM 50.740,10 aufzuwenden. Auf diese Anleihe erhielt sie zum 20.04.1989 Zinsen in Höhe von DM 3.000,00 und zum 20.04.1990 weitere Zinsen von DM 3.000,00. Am Fälligkeitstag, dem 20.04.1993, erhielt die Klägerin auf den Nennbetrag keine Leistung.

4

Zeitgleich erwarb sie bei der Beklagten aufgrund des Beratungsgespräches mit dem erstinstanzlich vernommenen Zeugen ... eine kanadische Dollar-Anleihe und zwar über 95.000,00 kanadische Dollar bei einem Zinssatz von 10 3/4 % und dem Erwerbspreis von DM 149.499,24 (Bl. 28 d.A.). Diese quellensteuerfreie Anleihe veräußerte sie nach einem halben Jahr und erzielte einen Gewinn von rund DM 11.000,00.

5

Bei dem Enwerb der Polly-Peck-Anleihe lag ein Emissionsprospekt vor. Die amtliche Zulassung und die Einführung zum amtlichen Handel war noch nicht durchgeführt. Der Antrag auf Zulassung zur Börse wurde am 23.11.1988 gestellt, der Zulassungsbeschluß datierte vom 28.11.1988, die Notierung wurde am 17.02.1989 aufgenommen. Davon, daß die Klägerin keine Gutschrift bei Endfälligkeit erhalten werde, unterrichtete die Beklagte die Klägerin unter dem 15.04.1993.

6

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung mit seinen weiteren Verweisungen Bezug genommen. Gegen das Urteil des Landgerichts, das eine hälftige Mitverantwortung der Klägerin zugrundegelegt und die Beklagte zum Ersatz des hälftigen Anlageschadens verurteilt hat, wenden sich beide Parteien mit ihren selbständigen Berufungen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die vor dem Senat gewechselten Schriftsätze verwiesen.

7

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

8

Die Berufung der Beklagten bleibt erfolglos, während sich die Klägerin mit ihrer Berufung durchsetzt. Der Klägerin steht gegen die Beklagte der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Beratungs- und Informationspflichten bei der Geldanlage in der geltend gemachten Höhe zu. Eine Mitverantwortung der Klägerin ist nicht gegeben.

9

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß zwischen den Parteien zumindest stillschweigend ein Vertrag zustandegekommen ist, in dessen Folge für die Beklagte Auskünfte- und Beratungspflichten erwachsen sind (vgl. Senatsurteil vom 13. September 1993 - 3 U 175/92 = ZIP 1993, 1457 = WPM 1994, 59). Wenn ein Interessent mit einem gezielten Auftrag zum Kauf eines Anlageobjekts an ein Kreditinstitut herantritt, ihm das Anlageobjekt von dritter Seite empfohlen worden ist und der Kunde gegenüber dem eingeschalteten Kreditinstitut nichts dafür verlauten läßt, daß er für seine bestimmte Anlageentscheidung die besonderen Kenntnisse des Kreditinstituts in Anspruch nehmen will, kann es an dem Abschluß eines Beratungsvertrages fehlen. Dann wird es ggf. allein darum gehen, daß die eingeschaltete und angefragte Bank alles unternimmt, um den bestimmten, gezielten Auftrag zu realisieren. Anders ist es hier. Wie der Anlageberater der Beklagten als Zeuge selbst zum Ausdruck gebracht hat, sind zwischen ihm und der Klägerin verschiedene Gespräche geführt worden, um die Anlagemöglichkeiten abzuklären.

10

Bei einer solchen Anlagevermittlung ist der Interessent richtig und vollständig zu informieren. Es dürfen von der Bank keine Umstände verschwiegen werden, die für den Geschäftswillen des Kaufinteressenten von entscheidender Bedeutung sein können. Es sind alle Umstände einzubeziehen, die für den Anlageentschluß relevant sind (Senat, a.a.O., m.w.N.). Soweit die Beklagte dazu die Auffassung vertritt, daß die von dem Bundesgerichtshof (WPM 1993, 1455 = ZIP 1993, 1148 [BGH 06.07.1993 - XI ZR 12/93]) für eine Anlageberatung herausgestellten Pflichten in dem Verhältnis zwischen den Parteien wegen des Erwerbs der Polly-Peck-Anleihe nicht eingreifen, ist ihr zu widersprechen. Konkret ging es in dem von dem Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um Bond-Papiere. Das Pflichtenprofil bei einer Anlageberatung, das der Bundesgerichtshof herausgestellt hat, kennzeichnet aber darüber hinaus ganz grundsätzlich und allgemein dieAnforderungen, die bei der Anlagevermittlung zu beachten sind, wenn es zu einem Beratungsverhältnis und -vertrag kommt.

11

Danach hat sich der Berater über relevante Umstände in der Person des Kunden zu vergewissern. Insbesondere ist ggf. der Wissensstand des Kunden zu erfragen und die Risikobereitschaft und -akzeptanz des Kunden zu klären und zu berücksichtigen. Dazu gehört es auch, im einzelnen abzuklären, welche Art von Anlage der Kunde wirklich wünscht.

12

Der Berater muß darüber hinaus über die grundsätzlichen (allgemeinen und speziellen) Risiken der vorgeschlagenen Anlageart informieren. Bei Industrieanleiben gehört dazu das Insolvenzrisiko des Emittenten.

13

Schließlich muß die beratende Bank ggf. auch eigene Informationen über das von ihr speziell empfohlene Anlagepapier einholen; dazu muß die Bank insbesondere auch Veröffentlichungen aus der Wirtschaftspresse hinzuziehen. Fehlen solche Informationen, muß dies dem Kunden gegenüber offenbart und dem Kunden verdeutlicht werden, daß der Bank eine eigene Risikoeinschätzung nicht möglich ist.

14

Zu dem letztgenannten Gesichtspunkt der eigenen Prüfung des Bonitätsrisikos vermag sich die Beklagte mit ihrem Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, veröffentlicht in WPM 1994, 1468, nicht zu entlasten. Das Oberlandesgericht Düsseldorf schränkt die Pflicht zur Bonitätsprüfung dahin ein, daß Nachprüfungen nur geboten sind, wenn eigene Informationen ohne weiteres erlangt werden können, weil bereits kritische Stimmen in der Wirtschaftspresse laut geworden sind, die eine spezielle Anlage als unsicher erscheinen lassen (können). Ohne daß besondere Anhaltspunkte vorliegen, soll eine Bank danach nicht verpflichtet sein, eine von anderer Seite übernommene und dort vorgenommene Prüfung in Zweifel zu ziehen. Nach Ansicht des Oberlandesgericht Düsseldorf würden die Pflichten einer Bank bei der Anlagevermittlung überzogen, wenn die Bank bei der Vielzahl der angebotenen ausländischen Anleihen in jedem Einzelfall selbst eine Bonitätsprüfung vornehmen müßte und sich nicht auf entsprechende Nachprüfungen anderer anerkannter Bankinstitute verlassen darf.

15

Anders als in jenem Fall hat die Beklagte hier im einzelnen nichts dazu vorgetragen, daß ihr eine realistisch erscheinende Bonitätsprüfung von anderer Seite zur Verfügung gestanden hat, sie sich auf eine positive Einschätzung gestützt und darauf eingelassen hat. Der bloße Hinweis auf Geschäftspartner besagt im einzelnen nichts. Der Blick in die Emissionsunterlagen ist nicht allein aussagekräftig. Die Namen der Emissionsbanken allein genügen in diesem Zusammenhang nicht. Der Anlageberater hat sich nach seiner Schilderung während dererstinstanzlichen Beweisaufnahme vielmehr darauf verlassen, daß sich keine negativen Merkmale gezeigt haben. Was er im einzelnen unternommen hat, um dies zu prüfen und zu überprüfen, hat er jedoch nicht geschildert.

16

Soweit die Beklagte dazu darauf hinweist, daß sich bei einer eigenen Bonitätsprüfung nichts weiteres ergeben hätte, was einer Beratung und einer Beratungsempfehlung zum Erwerb der fraglichen Anleihe entgegengestanden hätte, befindet sich die Beklagte mit ihrer Einschätzung letztlich in Übereinstimmung mit dem bereits zitierten Senatsurteil vom 13. September 1993. Der Senat hat in diesem Urteil zugrundegelegt, daß für März 1989 nicht festzustellen ist, daß schon mit der späteren, ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung gerechnet werden mußte. Für diesen Zeitpunkt hat der Senat damals auch herausgestellt, daß die Beklagte keinen konkreten Anlaß hatte, die Polly-Peck als besonders risikobehaftet anzusehen. Insoweit teilt der Senat die Einschätzung bei OLG Frankfurt, WPM 1994, 2106. Daraus, daß sich nachträglich Papiere als schlechte Kapitalanlage erweisen, darf nicht darauf geschlossen werden, daß die Papiere zu einem weit früheren Zeitpunkt nicht empfohlen werden durften, wenn die ungünstige Entwicklung nicht vorherzusehen und einzuschätzen gewesen ist. Ein späterer, nicht erwarteter Zusammenbruch der Polly-Peck-Gruppe besagt auch nur indiziell nichts über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angaben im hier fraglichen Erwerbszeitpunkt September 1988, Nach Lage des Einzelfalls hat das OLG Frankfurt a.a.O., darauf abgestellt, daß der dortige Kläger mit dem relevanten Risiko vertraut gewesen ist und es diesem vornehmlich um die Erzielung einer höheren Rendite gegangen ist, die Beklagte jedenfalls wegen des Inhalts des Depots des Klägers davon ausgehen durfte. Insoweit geht es hier tatsächlich um eine ganz andere Situation.

17

Selbst wenn keine Pflicht zu einer eigenen Bonitätsprüfung besteht, ist es im Interesse des Kunden daran, die Anlage sachgerecht wirtschaftlich einschätzen und beurteilen zu können, geboten, daß die Bank ihrem Kunden deutlich macht, sie habe keine eigene Prüfung der Bonität angestellt. Ein solcher Hinweis ist ohne weiteres möglich. Ein solcher Hinweis entspricht dem Vertrauen, das der Kunde der Bank entgegenbringt und auf das sie sich eingelassen hat. Wenn der Anlageberater der Klägerin - wie er während seiner Vernehmung angedeutet hat - tatsächlich erklärt haben sollte, woher die Beklagte die Kenntnis von der Bonität der Polly-Peck-Anleihe habe, wäre einer solchen Hinweispflicht genüge getan worden. Der Anlageberater hat aber zugleich davon gesprochen, er glaube nicht, daß er dies explizit in allen Einzelheiten der Klägerin erklärt habe. Er habe wohl grob zum Ausdruck gebracht, aufgrund der Kenntnisse der Beklagten und deren Informationsstandes das Papier anbieten zu können. Wenn es tatsächlich so gewesen sein sollte, wäre die soeben bezeichnete Hinweispflicht nicht erfüllt worden, weil die Basis der Einschätzung der Bank der Klägerinnicht verdeutlicht worden wäre. Es kann hier aber letztlich offenbleiben, ob eine solche Hinweispflicht besteht, selbst wenn eine Pflicht zur eigenen Prüfung der Bonität nicht besteht. Die Beklagte haftet unter einem anderem Gesichtspunkt in vollem Umfang.

18

Dabei kommt es zu Gunsten der Klägerin nicht darauf an, daß die fraglichen Anleihen wohl erstmalig am 05.02.1990 geratet und zwar mit Ba 1 und in der Zeit danach herabgestuft worden sind. Ein fehlendes Rating bedeutet zumindest nicht schlechthin, daß sich im September 1988 ein solches Risko abzeichnen mußte, wie es sich bei der Einstufung eines entsprechenden Anlagepapiers in die schlechteste Stufe aufdrängt (vgl dazu OLG Schleswig, NJW-RR 1996, 556 [OLG Schleswig 30.11.1995 - 5 U 79/94]).

19

Die Beklagte ist jedenfalls wegen eines Fehlers unter dem Gesichtspunkt der anlegergerechten Beratung verantwortlich.

20

Neben der Pflicht zur objektgerechten, anlagegerechten Beratung, der Auswahl des passenden Objekts zum Interesse- und Risikoprofil des Anlegers, geht es stets um die Abklärung des individuellen Risikoprofiis mit der anlegergerechten Beratung im Einzelfall.

21

Dafür ist nicht entscheidend, wie die Klägerin angedeutet hat, daß die streitbefangenen Papiere zu einer Zeit angeboten worden sind, in der die Börsenzulassung noch nicht erfolgt war, Eine Börsenzulassung und ein Zulassungsprospekt dürfen allerdings nicht allein zum Maßstab für eine Beratung gemacht werden. Die Börsenzulassung hat für die Anlageentscheidung keine wesentliche Erkenntniskraft, Demgegenüber ist allerdings auch nicht zu verkennen, daß ein Anlageinteressent wie die Klägerin u.U. von vornherein größeres Vertrauen in eine Anlage entwickelt, wenn die Anlage bzw. Anleihe börsengängig ist, und von vornherein einer entsprechenden Anlage eher ablehnend gegenübersteht, wenn das fragliche Papier nicht börsengängig ist. Ein entsprechendes Problembewußtsein hat der Anlageberater für die Beklagte gegenüber der Klägerin nicht geschaffen. Er hat - wie er selbst ausgesagt hat (Bl. 71 d.A.) - die Tatsache, daß die Anleihe noch nicht börsengängig war, der Klägerin nicht mitgeteilt. Hinsichtlich der entscheidenden Risiken hätte die Klägerin allerdings keine größere Erkenntnisbasis erlangt, wenn ihr eine entsprechende Mitteilung gemacht worden wäre.

22

Die Klägerin ist aufklärungsbedürftig gewesen. Nach der Bekundung des Anlageberaters war das Geschäft am 15. September 1988 das erste Geschäft, das er mit der Klägerin abgewickelt hat (Bl. 69 d.A.). Einschlägige Erfahrungen hatte die Klägerin nicht. Sie hatte keine deutlichen Vorstellungen hinsichtlich des konkreten Anlagegeschäfts. Auch als "Kauffrau" fehlten ihr die konkret erforderlichen Informationen und das konkret wesentliche Spezialwissen. Mitentsprechenden Produkten hatte sie beruflich nichts zu tun. Um Folgegeschäfte verwandter Art ging es nicht. Bisher hatte sie lediglich Festgeld angelegt und Spareinlagen unternommen.

23

Die Bereitschaft der Klägerin, Kanada-Dollar-Anleihen zu erwerben, besagt nichts zu den Polly-Peck-Papieren, da es hinsichtlich der Fremdwährungsanleihe um eine kurzfristige Anlage gegangen ist und zudem beide Anlagen zeitgleich erfolgt sind.

24

Die Klägerin hat daraufhingewiesen, daß die mittelfristige Anlage, die von ihr als langfristig eingeschätzt worden ist, ohne Risiko sein müsse, da sie von den erwirtschafteten Zinsen leben wollte und mußte. Der Anlageberater hat während seiner Vernehmung darauf hingewiesen, daß ihm bekannt gewesen sei, die Klägerin wolle hinsichtlich der Anlage von 50.000,00 DM eine feste Zinseinnahme haben (Bl. 72 d.A.). Demgegenüber hat der Berater nach seinem eigenen Bekunden nicht (nach-)gefragt, welche Risiken die Klägerin wirklich bereit gewesen ist einzugehen. Den weiteren persönlichen Anlagehintergrund hat er nicht gezielt erhellt. Er hat nicht abgeklärt, ob Industrieanleihen überhaupt für die Klägerin infrage kamen. Unterschiedliche Risiken verschiedener Anlagearten hat er der Klägerin nicht deutlich gemacht. So hat er insgesamt gesehen eine eigenverantwortbare Entscheidung der Klägerin nicht ermöglicht, weil er ihr das dafür erforderliche Basiswissen hinsichtlich des einschlägigen Marktes nicht vermittelt hat. Er hat - wie er selbst zum Ausdruck gebracht hat - nur (neben den kurzfristigen Dollars) die Polly-Peck Anlage vorgeschlagen. Selbst das grundsätzliche Insolvenz- bzw. Ausfallrisiko einer Industrieanleihe hat er für die Klägerin nicht deutlich gemacht oder sie darüber befragt, ob sie ein entsprechendes Risiko eingehen wolle.

25

Die pflichtwidrige Anleiheempfehlung war schadensursächlich. Schon die Vermutung spricht dafür, daß die Klägerin bei pflichtgemäßer Aufklärung von dem fraglichen Geschäft abgesehen hätte, zumal die erwartete Zinshöhe keinen Anlaß gegeben hat, ein größeres Wagnis einzugehen oder überhaupt ein nicht nur unbedeutendes Risiko zur Rückzahlung bei Endfälligkeit auf sich zu nehmen. Zudem steht nach den eigenen Äußerungen der Klägerin auch unter Berücksichtigung der Angaben des Anlageberaters als Zeugen fest, daß die Klägerin bei Kenntnis von dem dem fraglichen Papier immanenten (und nicht erst von einem besonderen) Risiko etwas anderes gekauft hätte und damit bei Endfälligkeit keinen vergleichbaren Ausfall erlitten hätte.

26

Um die Schadenshöhe als solche streiten die Parteien nicht. Insoweit ist auf die Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug zu nehmen.

27

Entgegen der Ansicht des Landgerichts trifft die Klägerin jedoch keine Mitverantwortung. Das Landgericht stellt darauf ab, daß die Klägerin die in den eigenen Angelegenheiten gebotene Sorgfalt vernachlässigt habe, die erforderlich gewesen sei, um sich soweit als möglich und zumutbar vor einem finanziellen Verlust selbst zu bewahren. Sie habe sich aufgrund des Beratungsgesprächs nicht zum Kauf der Papiere entschließen dürfen, sondern weiteren fachkundigen Rat einholen müssen. Sie habe nachfragen und sich ggfs. eine Bedenkzeit vorbehalten müssen und sich nicht damit begnügen dürfen, der nach ihrer eigenen Darstellung bloßen Anpreisung der Anleihe im Vertrauen auf die Kompetenz des Beraters zu glauben. Der Berater habe aus ihrer eigenen Sicht sachliche Grundlagen nicht genannt, die Polly-Peck Papiere ihr nahezu angepriesen und förmlich aufgedrängt mit dem mehrfach wiederholten Hinweis darauf, wie sicher diese Papiere seien.

28

Dieser Erwägung zur Mitverantwortung tritt der Senat entgegen. Wie in dem Senatsurteil vom 13. September 1993 zu Polly-Peck Papieren (a.a.O.) herausgestellt, kann den Anlageinteressenten bei besonderen Umständen eine Mitverantwortung treffen. Dies ist der Fall, wenn Warnungen von dritter Seite oder differenzierende Hinweise desjenigen, der berät, nicht ausreichend beachtet werden. In dem Urteil vom 13. September 1993 hat der Senat (a.a.O.) einen solchen Fall auch angenommen, wenn der Anlageinteressent eine Überlegungszeit nicht nutzt, um zu überlegen, bzw. er sich nicht überlegt hat, den Geldgeschäften dort nachzugehen, wo er sie sonst - üblicherweise - vorgenommen hat, ohne daß Probleme aufgetreten sind und er bei der Geldanlage sicher sein wollte. In dem neben der heutigen Entscheidung gleichzeitig verkündeten Senatsurteil 3 U 77/95 hat der Senat zudem zum Ausdruck gebracht, daß an eine Mitverantwortung zu denken ist, wenn der Anlageinteressent Papiere der auch hier fraglichen Art erwirbt, obwohl ihm selbst die Sache eigentlich "nicht geheuer" gewesen ist.

29

Hier liegt der Fall jedoch anders. Die Klägerin hat sich in den wiederholten Gesprächen mit dem Anlageberater darum bemüht, eine eigenverantwortbare Entscheidung treffen zu können. Demgegenüber hat der Anlageberater dies nicht ermöglicht und gesichert, weil er ihr das erforderliche Basiswissen nicht (von sich aus) vermittelt hat. Die Risikoeinschätzung hat der Anlageberater ermöglichen müssen. Gerade deswegen hat sich die Klägerin an die Beklagte gewandt. Darauf hat sich die Beklagte eingelassen. Wegen dieser Risikoeinschätzung mußte die Klägerin dann nicht im eigenen Interesse ein anderes Kreditinstitut aufsuchen oder anderweit die notwendige Sachkunde und Kenntnismöglichkeit zu erreichen versuchen. Ihr Verhalten hinsichtlich der Dollaranleihe bleibt insoweit wiederum ohne Bedeutung. Dabei handelte es sich um eine kürzere Laufzeit, zudem ging es um andere Risiken. Die wegen der Eigenverantwortung gebotenen Fragen haben die Klägerin gerade veranlaßt, bei der Beklagtennachzufragen und sich dort zu erkundigen. Dies kann ihr deswegen nicht im Rahmen einer Mitverantwortung entgegengehalten werden. Selbst wenn in dem Beratungsgespräch die Rede davon gewesen sein sollte - was der erstinstanzliche Zeuge für möglich gehalten hat, ohne daß er dies letztlich mit Gewißheit hat bekunden können -, daß die Klägerin den Vorabzug der Quellensteuer vermeiden wollte, wirkt sich dies hinsichtlich einer Mitverantwortung ebenfalls nicht aus. Das Ziel, der Quellensteuer auszuweichen, hätte sich auch auf andere Weise erreichen lassen, wobei es wiederum die Pflicht des Anlageberaters gewesen wäre, der Klägerin darüber Gewißheit und Sicherheit zu verschaffen. Es war im Beratungsgespräch klar, daß die Klägerin aus den Polly-Peck Papieren feste Einkünfte erzielen wollte. Daß dies möglich war, hat der Anlageberater gerade hinsichtlich der fraglichen Papiere bestätigt und von daher keinen Anlaß für Zweifel seitens der Klägerin gegeben. Aufgrund der Ausstattung (mit nur 6 % Zinsen) hat der Anlageberater nach seiner eigenen Schilderung kein Risiko hergeleitet, er hat dabei selbst darauf gesehen, daß die konkrete Verzinsung auch im Vergleich zu inländischen Schuldnern bei gleicher Laufzeit keine außergewöhnliche Ausstattung war. Allein der Umstand, daß die Klägerin als Kauffrau um gewisse Risiken im Geschäftsverkehr weiß bzw. darum wissen muß, fuhrt nicht dazu, ihr eine Mitverantwortung wegen der Aktivität auf dem Geld- bzw. Anlagemarkt anzulasten. Die bloße Teilnahme an solchen Geschäften ist ihr i.S.d. §§ 254, 242 BGB nicht anzulasten. Gerade dafür, dies möglichst gefahrfrei zu halten und die damit notwendig verbundenen Risiken ab- und einschätzen zu können, hat sich die Klägerin an die Beklagte gewandt, die darum wußte und die deswegen die Klägerin zu beraten harte.

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i.V.m. § 97 ZPO. Soweit die Klägerin die Klage erstinstanzlich zurückgenommen hat, handelt es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung, die keine besonderen Kosten veranlaßt hat (§ 92 Abs. 2 ZPO).

31

Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf § 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht angezeigt. Maßgebend sind konkrete Umstände des Einzelfalls.

32

Der Wert für das Berufungsverfahren ergibt sich aus dem Ziel der Berufung der Beklagten (das mit 25.370,05 DM zu bemessen ist) und dem korrespondierenden Wert der Berufung der Klägerin hinsichtlich der weiteren Schadenshälfte. Selbst wenn insoweit die von der Klägerin verlangten Zinsen hinzugerechnet werden, wird der Betrag von 60.000,00 DM nicht überschritten.

33

Die erstinstanzliche Wertfestsetzung ist abzuändern, da nach Ansicht des Senats die von der Klägerin verfolgten Zinsen eine Nebenforderung i.S.d. § 4 ZPO darstellen, auch wenn es sich um einen Schadensersatzanspruch handelt. Der Schadenscharakter ändert nichts an der Abhängigkeit vom Hauptanspruch (vgl. auch OLG Bamberg JurBüro 1978, 1549).

Streitwertbeschluss:

Der Wert für das Berufungsverfahren1 wird auf die Wertstufe von DM 50.000,00 bis DM 60.000,00 festgesetzt. In Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung in dem Urteil vom 10. März 1995 wird der Wert für das erstinstanzliche Verfahren ebenfalls auf die Wertstufe von DM 50.000,00 bis DM 60.000,00 festgesetzt.