Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 21.09.2018, Az.: 15 A 8994/17

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
21.09.2018
Aktenzeichen
15 A 8994/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74204
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für die Bestimmung der Minderjährigkeit des stammberechtigten Kindes bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung der Person abzustellen, die eine Ableitung ihres Anspruch vom Stammberechtigten geltend macht.

Der entsprechende gesetzgeberische Wille lässt sich allein aus der Gesetzeshistorie in Verbindung mit einer Auslegung des Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU anhand des Ziels der Richtlinie unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs, in den sie sich einfügt, und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts herleiten.

Zur Begründung ist dagegen nicht von dem Grundsatz des § 77 Abs. 1 AsylG abweichend auf einen früheren Zeitpunkt als den der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Ebenso scheiden eine richtlinienkonforme Auslegung des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG im Hinblick auf die Richtlinie 2011/95/EU, eine unmittelbare Übertragung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 12. April 2018 - C-550/16 -, die Annahme eines Wertungswiderspruchs und ein systematischer Rückschluss zu den Regelungen in § 26 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 AsylG aus.

Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 5. Februar 2014 - 8 A 1236/12 -; VG Karlsruhe, Urteil vom 8. Februar 2018 - A 2 K 7425/16 -; VG Stuttgart, Urteil vom 23. Mai 2018 - A 1 K 17/17 -, alle juris

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2017 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Der am …. geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 7. Oktober 2017 in das Bundesgebiet ein und stellte am 18. Oktober 2017 einen Asylantrag, den er auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte (Bl. 87 Beiakte).

Dem am 17. November 1999 geborenen Sohn des Klägers, Herrn … …, der bereits am 10. Oktober 2015 in das Bundesgebiet eingereist war und am 10. November 2015 einen Asylantrag gestellt hat, wurde bereits mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. April 2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Zur Begründung des Asylantrags gab der Kläger in seiner Anhörung gegenüber dem Bundesamt an, er habe ursprünglich in Baschiqa/ Bashiqah/ Ba’ashiqah gelebt, bis der IS gekommen sei. Nach der Flucht am 6. August 2014 habe er zuerst in Mahad, danach in Dohuk und anschließend im Camp Essian in Sheikhan gelebt. Der IS habe Baschiqa eingenommen. Sein Haus und der Laden, in dem er gearbeitet habe, seien völlig zerstört worden. Ihm persönlich sei nichts zugestoßen, er habe aber Berichte von yezidischen Gefangenen gehört. Bevor der IS gekommen sei, hätten alle friedlich miteinander gelebt.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2017, zugestellt per Zustellungsurkunde am 14. Dezember 2017, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Der Kläger hat am 19. Dezember 2017 Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich darauf, dass er aufgrund seiner yezidischen Glaubenszugehörigkeit der Gruppenverfolgung durch den IS unterliege. Aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für seinen Sohn lasse sich für ihn Familienflüchtlingsschutz aus § 26 AsylG herleiten. Sein Sohn sei zu dem Zeitpunkt als er, der Kläger, seinen Asylantrag gestellt hat, noch minderjährig gewesen. Dass sein Sohn mittlerweile volljährig ist, sei unerheblich. Für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen komme es auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Das ergebe sich auch aus § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG sowie aus den für das Minderjährigenasyl geltenden Grundsätzen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. April 2018 hat das Gericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat am 13. April 2018 Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Er beruft sich zur weiteren Begründung auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. April 2018 (C-550/16). Nach dieser Entscheidung kommt es für die Beurteilung des Kriteriums „minderjährig“ bei dem Anspruch auf Familiennachzug der noch im Drittstaat lebenden Eltern zu ihrem unbegleitet eingereisten minderjährigen Kind auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Kindes und nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag an. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Entscheidung auch auf die Gewährung von Familienasyl nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG übertragbar ist.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Erkenntnismittel Bezug genommen, die in der den Beteiligten bekannt gemachten Liste des Gerichts aufgeführt sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne eine weitere mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 6. Dezember 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger aus dem Gesichtspunkt des Familienflüchtlingsschutzes die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1.

Der Kläger hat im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf die originäre Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen der von ihm geltend gemachten Verfolgung.

Ob die Voraussetzungen des § 3 AsylG erfüllt sind oder nicht, richtet sich gem. § 77 Abs. 1 AsylG nach den Umständen im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung.

Der Kläger hat im Irak keine individuelle Verfolgung erlitten und auch nicht glaubhaft gemacht, dass er eine solche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Als Grund für seine Ausreise hat der Kläger vorgetragen, dass er im August 2014 aus Angst vor dem IS den Ort Baschiqa verlassen habe und in ein Flüchtlingslager nach Sheikhan geflohen sei, wo er sich bis zu seiner Ausreise aufgehalten habe. Aus diesem Vorbringen ergibt sich nicht, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a AsylG erlitten oder diese ihm unmittelbar vor seiner Flucht bevorgestanden hat.

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Gemessen an den zu dieser Frage durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - juris Rn. 13 ff.) entwickelten Grundsätzen droht dem Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Gruppenverfolgung.

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser Minderheiten durch staatliche Behörden findet im Irak nicht statt. Die irakische Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 07.02.2017, S. 11 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - BFA - der Republik Österreich vom 24. August 2017/23. November 2017, S. 100; UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious minorities, 12.08.2016, S. 7 ff., 28 ff.).

Dem Kläger droht im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure, namentlich durch die Terrormiliz IS.

Zwar spricht einiges für die Annahme, dass zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers, also am 28. Juni 2017 (Bl. 13 Beiakte), als der Bereich, der unter Kontrolle des IS stand, nur rund 35 Kilometer von Baschiqa, dem Heimatort des Klägers, entfernt verlief (https://isis.liveuamap.com/en/time/28.06.2016), von einer Vorverfolgung auszugehen war. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes), dass die Furcht vor zukünftiger Verfolgung begründet ist, wenn eine Verfolgung in der Vergangenheit bestanden hat, ist im vorliegenden Fall aber widerlegt, da zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Baschiqa erneut von einer Gruppenverfolgung bedroht sein wird.

Die Front verläuft mittlerweile seit mehreren Monaten in rund 140 km Entfernung südwestlich von Baschiqa (vgl. hierzu das täglich aktualisierte Kartenmaterial unter https://isis.liveuamap.com/en/time/09.08.2018). Dass der IS wieder in Richtung Norden ziehen wird und damit erneute Übergriffe auf die religiösen Minderheiten in der Region zu befürchten sind, erscheint angesichts der zwischenzeitlichen Erfolge der Allianz nahezu ausgeschlossen (vgl. dazu ausführlich die den Beteiligten bekannte Entscheidung des VG Oldenburg, Urteil vom 27. Februar 2018 - 15 A 883/17 -, juris Rn. 37; vgl. ferner: VG Lüneburg, Urteil vom 26. März 2018 - 5 A 472/17 -, V.n.b.; VG Göttingen, Urteil vom 18. Juli 2018 - 2 A 392/16 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A -, juris; VG Karlsruhe, Urteile vom 10. Oktober 2017 - A 10 K 1508/17 -, juris Rn. 29, und vom 4. Juli 2018 - A 10 K 17769/17 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 13. März 2018 - 8 A 1135/17 -; VG Magdeburg, Urteil vom 20. Juni 2018 - 4 A 214/17 MD -, n.v.; VG Münster, Urteil vom 26. April 2018 - 6a K 4203/16.A -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 15. Januar 2018 - Au 5 K 17.35594 -, juris Rn. 55).

Das durch Spannungen geprägte Verhältnis von Yeziden zu Muslimen begründet ebenfalls nicht die Annahme einer Gruppenverfolgung. Zwar wird immer wieder von Belästigungen durch strenggläubige Muslime, die nicht mit Yeziden zusammen leben wollen und diese als Ungläubige schmähen, berichtet. Auch kommt es zu Benachteiligungen am Arbeitsmarkt und andere Diskriminierungen (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious minorities, August 2016, S. 19 f., 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 20.05.2016 zum Irak). Hieraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität bzw. die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte (VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Oktober 2017 - A 10 K 1508/17 -, juris Rn. 30 m.w.N.). Denn als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder die nach Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Daraus folgt, dass die Verfolgungshandlungen ein gewisses Maß an Schwere aufweisen müssen, um unter § 3a AsylG zu fallen. Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG müssen die begrifflichen Kriterien einer Foltermaßnahme oder einer unmenschlichen Behandlung oder Bestrafung erfüllen. Weniger schwerwiegende Beeinträchtigungen werden nicht erfasst (VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juni 2017 - 3 A 3731/16 -, juris Rn. 22 m.w.N.).

Zudem hat der Kläger in seiner Anhörung angegeben, dass alle Einwohner von Baschiqa vor dem Einmarsch des IS friedlich zusammengelebt hätten.

2.

Der Kläger kann einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft jedoch über § 26 Abs. 3 AsylG aus der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für seinen Sohn herleiten.

Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG wird den Eltern eines minderjährigen Flüchtlingsschutzberechtigten bei Vorliegen der in § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 AsylG genannten Voraussetzungen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Der Kläger ist der Vater des am 17. November 1999 geborenen Herrn … …, dem das Bundesamt mit Bescheid vom 18. April 2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat.

Der Sohn des Klägers als Stammberechtigter war zum Zeitpunkt der am 18. Oktober 2017 erfolgten Antragstellung des Klägers ledig und noch minderjährig. Dass der Stammberechtigte nach Antragstellung und noch vor der Entscheidung über den Asylantrag des Klägers volljährig geworden ist, führt nicht zum Wegfall der Voraussetzungen.

Für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten ist im Fall von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung der vom Stammberechtigten ableitenden Personen abzustellen.

Zur Begründung kann nicht von dem Grundsatz des § 77 Abs. 1 AsylG abweichend auf einen früheren Zeitpunkt als den der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden (dazu unter a)). Ebenso scheiden eine richtlinienkonforme Auslegung von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG im Hinblick auf die Richtlinie 2011/95/EU (dazu unter b)), eine unmittelbare Übertragung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 12. April 2018 - C-550/16 - [A., S. gg. Staatssecretaris van Veiliheid en Justitie] (dazu unter c)), die Annahme eines Wertungswiderspruchs (dazu unter d)) oder ein systematischer Rückschluss zu den Regelungen in § 26 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 AsylG (dazu unter e)) aus. Vielmehr lässt sich der entsprechende gesetzgeberische Wille allein aus der Gesetzeshistorie in Verbindung mit einer Auslegung des Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU herleiten (dazu unter f)).

a)

Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist dem Grundsatz des § 77 Abs. 1 AsylG entsprechend auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen.

Soweit in der Rechtsprechung teilweise vertreten wird, dass von diesem Grundsatz abzuweichen ist, wenn nach dem materiellen Recht ein früherer Zeitpunkt entscheidend ist (so VG Hamburg, Urteil vom 5. Februar 2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 17; dem folgend: VG Karlsruhe, Urteil vom 8. Februar 2018 - A 2 K 7425/16 -, juris Rn. 21), handelt es sich bei dieser Argumentation jedenfalls dann um einen Zirkelschluss, wenn, wie hier, die Beantwortung der Frage, ob nach dem materiellen Recht ein früherer Zeitpunkt entscheidend ist, gerade davon abhängt, welcher Zeitpunkt für die Entscheidung maßgeblich ist. Dass § 26 AsylG teilweise Tatbestandsvoraussetzungen enthält, die in zeitlicher Hinsicht an die Vergangenheit anknüpfen, wie etwa dass die Familie des Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden haben muss, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, ändert nichts an der Anwendbarkeit des § 77 Abs. 1 AsylG (vgl. Barrón, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 105. Aktualisierung Januar 2018, B 2 AsylG, § 77 Rn. 14).

Ebenso wenig überzeugt es, die Anwendbarkeit von § 77 Abs. 1 AsylG davon abhängig zu machen, ob die eintretenden Veränderungen, die über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für das Schutzbegehren des Asylantragstellers entscheiden, nicht vorhersehbar sind, wie im Falle politischer, gesellschaftlicher und sozialer Zustände, oder ob es sich um Umstände handelt, bei denen allein durch Zeitablauf irreversible Fakten geschaffen werden, indem Termine oder Fristen ablaufen, insbesondere weil die Antragsteller oder ihre Stammberechtigten volljährig werden (so VG Stuttgart, Urteil vom 23. Mai 2018 - A 1 K 17/17 -, juris Rn. 30). Eine solche Differenzierung ist in § 77 Abs. 1 AsylG nicht angelegt und ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift. So wie sich für den Kläger im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens günstigere Umstände ergeben können, können die geltend gemachten und den Schutzanspruch tragenden Umstände aber auch im Laufe des Verfahrens wegfallen (Barrón, in: Hailbronner, a.a.O., § 77 Rn. 15). Dies allein rechtfertigt es aber nicht, den Anwendungsbereich der Vorschrift je nach Sach- und Interessenlage infrage zu stellen. Vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers, derartigen Umständen ggf. im Rahmen des materiellen Rechts Rechnung zu tragen.

Hinzu kommt, dass die Anwendung von § 77 Abs. 1 AsylG in Bezug auf Rechtsvorschriften nicht punktuell für einzelne Tatbestandsvoraussetzungen unterschiedlich erfolgen kann. Auch bei § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylG, nach dem die Zuerkennung von Familienasyl voraussetzt, dass die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, handelt es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung, deren Eintritt in zeitlicher Hinsicht in aller Regel prognostizierbar ist. Gleichwohl dürfte insoweit unstreitig sein, dass es nicht darauf ankommt, dass die Anerkennung des Stammberechtigten bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung der ableitenden Person unanfechtbar gewesen sein muss, sondern dass das Bundesamt den ableitenden Personen Familienasyl auch dann gewähren kann (und muss), wenn die Anerkennung im Laufe des Verwaltungsverfahrens, spätestens aber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) unanfechtbar geworden ist. Auch hinsichtlich der in § 26 Abs. 1 Nr. 4 AsylG enthaltenen Voraussetzung, dass die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist, ist nicht auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen, sondern der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich, da ein Anspruch auf Familienasyl dann nicht mehr besteht, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung des Stammberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2006 - 1 C 8.05 -; Bodenbender, in: GK-AsylG, Loseblattsammlung, Stand: April 2017, II - § 26 Rn. 36 ff.).

b)

Dass für die Bestimmung der Minderjährigkeit des stammberechtigten Kindes bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf den Zeitpunkt der Antragstellung des zuziehenden Elternteils abzustellen ist, lässt sich nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG im Hinblick auf die Richtlinie 2011/95/EU ableiten (so aber Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 5. Februar 2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 18; ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 23. Mai 2018 - A 1 K 17/17 -, juris Rn. 33).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Hamburg muss für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abgestellt werden, um den Zweck der Richtlinie 2011/95/EU möglichst effektiv zu erreichen. Das Schutzziel der Aufrechterhaltung des Familienverbands in Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie knüpfe an den tatsächlichen Zustand an, dass sich Familienmitglieder in einen Mitgliedstaat geflüchtet haben und nunmehr dort ein (Teil-) Familienverband besteht. Eine vollständige Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie könne im Lichte dieses Schutzziels nur dann erreicht werden, wenn das Recht auf Aufrechterhaltung des Familienverbandes erworben werde, sobald der Familienverband tatsächlich im Fluchtstaat besteht, da bei Abstellen auf den späteren Zeitpunkt der behördlichen (oder gerichtlichen) Entscheidung, der bestehende Familienverband nicht durchgängig geschützt werde.

Diese Argumentation überzeugt nicht.

Es ist europarechtlich und insbesondere im Hinblick auf das Schutzziel des Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU nicht geboten, im Fall des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung der zuziehenden Person abzustellen.

Gemäß Art. 13 der Richtlinie 2011/95/EU erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die Flüchtlingseigenschaft nur dann zu, wenn er die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Richtlinie erfüllt, d.h. wenn er eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen kann. Demgegenüber verlangt es die Richtlinie nicht, Familienangehörigen des Verfolgten, die ihrerseits nicht der Verfolgung unterliegen, denselben Schutz zuzusprechen.

Ein lediglich „abgeleiteter Status“ ist bereits nicht von dem am 28. Juli 1951 in Genf geschlossenen und am 22. April 1954 in Kraft getretenen Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) erfasst, nach dem als Flüchtling nur eine Person gilt, die selbst eine begründete Furcht vor Verfolgung hat. Der Grundsatz der Wahrung des Familienverbands wurde in die Flüchtlingsdefinition des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Konvention nicht einbezogen (vgl. dazu im Einzelnen auch die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 28. Juni 2018 in der Rechtssache C-652/16, Vorabentscheidungsersuchen, sechste Vorlagefrage, Rn. 51).

Wie die Genfer Konvention sieht auch die Richtlinie 2011/95/EU - ungeachtet des Erwägungsgrundes 16 der Richtlinie - die Zuerkennung einer abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft von Familienangehörigen eines anerkannten Flüchtlings nicht vor. Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU regelt lediglich, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst aber nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung der Familienangehörigen vereinbar ist. Unter die dort geregelten Vergünstigungen fallen Aufenthaltstitel, Reisedokumente, Zugang zu Beschäftigung und Bildung, zu Verfahren für die Anerkennung von Befähigungsnachweisen, Sozialhilfeleistungen und medizinischer Versorgung, Schutzmaßnahmen für unbegleitete Minderjährige, Zugang zu Wohnraum, Freizügigkeit innerhalb eines Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen, nicht dagegen der Schutz vor Zurückweisung gemäß Art. 21 der Richtlinie (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 28. Juni 2018 in der Rechtssache C-652/16, Rn. 52 f.; so auch Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Ra 2017/19/0609 bis 0611 vom 3. Mai 2018).

Einer statusrechtlichen Gleichstellung der Familienangehörigen mit dem anerkannten Flüchtling bedarf es danach im Hinblick auf europarechtliche Vorschriften nicht.

Daran ändert es nichts, dass § 26 AsylG - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - eine solche rechtliche Gleichstellung vorsieht. Art. 3 der Richtlinie 2011/95/EU ermächtigt im Licht ihres 14. Erwägungsgrundes die Mitgliedstaaten, günstigere nationale Normen zur Entscheidung darüber zu erlassen oder beizubehalten, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind. Daraus folgt, dass eine nationale Bestimmung, nach der Familienangehörigen einer Person, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, unabhängig davon als Flüchtlinge anerkannt werden, ob sie eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, die sie persönlich betrifft, mit den Bestimmungen der Richtlinie 2011/95/EU zwar grundsätzlich vereinbar (vgl. dazu und insbesondere zur Begründung für ein über den Wortlaut des Art. 3 der Richtlinie hinausgehendes Verständnis dahingehend, dass auch ein Antrag, mit dem ein Familienangehöriger einer Person, die die Kriterien für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt, seinerseits um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ersucht, erfasst sein muss, die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, a,a.O., zur sechsten Vorlagefrage, Rn. 53 ff.), keineswegs aber zwingend notwendig ist.

c)

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 12. April 2018 - C-550/16 - [A., S. gg. Staatssecretaris van Veiliheid en Justitie], NLMR 2018, 296) ist auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar übertragbar. Danach ist bei der Auslegung von Art. 2 lit. f der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung für das Recht auf Familiennachzug zu unbegleiteten Minderjährigen auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des unbegleiteten Kindes abzustellen. Zur Begründung hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten einer Person, die die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Richtlinie 2011/95/EU erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen, ohne in dieser Hinsicht über ein Ermessen zu verfügen. Weil die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nach dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU nur einen deklaratorischen Akt darstelle, habe jeder Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, der die materiellen Voraussetzungen von Kapitel III dieser Richtlinie erfülle, nach der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß Kapitel II ein subjektives Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, und zwar noch bevor hierzu eine förmliche Entscheidung ergangen ist (EuGH, a.a.O. Rn. 52 - 54).

In dem von dem Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall war demgemäß für den Anspruch der im Drittstaat befindlichen Eltern auf Familienzusammenführung zu dem im Mitgliedstaat lebenden minderjährigen Kind auf den Zeitpunkt von dessen Asylantragstellung abzustellen, weil bereits zu diesem Zeitpunkt die materiellen Voraussetzungen von Kapitel III der Richtlinie 2011/95/EU vorlagen, da es sich - wie durch die erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte (nur deklaratorische) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bestätigt - bei dem Kind um eine Person gehandelt hat, die Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU ausgesetzt war.

Eine hiermit vergleichbare Sachlage stellt sich jedoch nicht in den Fällen, in denen eine Person von einer anderen Person Familienflüchtlingsschutz ableiten will, ohne ihrerseits Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein. Hier gilt die oben dargestellte Prämisse des Europäischen Gerichtshofs, nach der der maßgebliche Zeitpunkt deshalb auf die Asylantragstellung vorzuverlagern ist, weil der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur deklaratorische Wirkung zukommt, wenn Verfolgungshandlungen vorliegen, gerade nicht.

d)

Die Anknüpfung des Vorliegens der Minderjährigkeit des Stammberechtigten an den Zeitpunkt der Asylantragstellung der ableitenden Personen lässt sich auch nicht mit dem Vorliegen eines Wertungswiderspruchs begründen. Das Verwaltungsgericht Hamburg (Urteil vom 5. Februar 2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 20, 22, 23) hält es für widersprüchlich, wenn beim Familienflüchtlingsschutz für Eltern, die zu ihren Kindern ziehen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG), andere Maßstäbe angelegt würden als in den beiden anderen Fällen, in denen kraft ausdrücklicher Regelung Kinder (§ 26 Abs. 2 AsylG) bzw. Geschwister (§ 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG) den Flüchtlingsschutz von den stammberechtigten Eltern ableiten können, obwohl es in allen Fällen um die Wahrung des im Fluchtstaat (neu) bestehenden Familien(teil)verbandes und die Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten gehe.

Der von dem Verwaltungsgericht Hamburg angenommene Wertungswiderspruch besteht jedoch tatsächlich nicht, da den Regelungen unterschiedliche gesetzliche Wertungen zugrunde liegen. Den vorgenannten Vorschriften liegen nicht, wie vom Verwaltungsgericht Hamburg angenommen, allein der Gedanke der Wahrung der Familieneinheit und das Ziel besserer Integration zugrunde, sondern eine unterschiedlich stark ausgeprägte Gefahr der mittelbaren Verfolgung je nach familiärer Stellung.

Die erste gesetzliche Regelung der Institution des Familienasyls erfolgte in § 7a Abs. 3 AsylVfG (BGBl. I, 1992, 2170). Die seinerzeit erst auf die Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT-Drs. 11/6955, S. 74) eingefügte Vorschrift sah eine Ableitung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten auf dessen Ehegatten und die zum Zeitpunkt der Anerkennung bereits geborenen minderjährigen ledigen Kinder vor. Vornehmliches Ziel der Regelung sollte die Entlastung des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichtsbarkeit sein, da sie die Möglichkeit eröffnet, von einer unter Umständen schwierigen Prüfung eigener Verfolgungsgründe der Familienangehörigen abzusehen. Zudem sei die vorgeschlagene Neuregelung auch sozial gerechtfertigt, weil sie die Integration der nahen Familienangehörigen der als Asylberechtigte aufgenommenen politisch Verfolgten fördere (BT-Drs. 11/6960, S. 29 f.).

Bis zu dieser Neuregelung hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein Asylanspruch grundsätzlich nicht bereits daraus abgeleitet werden kann, dass jemand Familienangehöriger eines politisch Verfolgten ist, weil es an einer unmittelbaren Verfolgungsmaßnahme fehle, solange sich der Verfolgungswille nicht auch gegen den Drittbetroffenen richte (BVerwG, Urteil vom 27. April 1982 - 9 C 239.80 -, BVerwGE 65, 244). Allerdings bestehe eine widerlegliche Vermutung, dass Ehegatten und den (minderjährigen) Kindern des politisch Verfolgten - nicht dagegen irgendeinem Familienangehörigen - das gleiche Schicksal mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt:

„Grundlage der Regelvermutung ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats eine besondere potentielle Gefährdungslage, der gerecht zu werden Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet. Diese Gefährdungslage rührt wiederum aus der Neigung unduldsamer Staaten her, im Kampf gegen oppositionelle Kräfte, anstatt auf den politischen Gegner, dessen sie nicht habhaft werden können, auf Personen, die dem Verfolgten   b e s o n d e r s   nahestehen, zuzugreifen, um hierdurch ihr Ziel, abweichende Meinungen zu unterdrücken, in der einen oder anderen Weise doch noch zu erreichen (Urteil vom 2. Juli 1985 - BVerwG 9 C 35.84 - a.a.O.). In einer derartigen Gefährdungslage, wie sie Geltungsvoraussetzung der Regelvermutung ist, befinden sich aber nicht die Verwandten oder Familienangehörigen eines politisch Verfolgten schlechthin, sondern nur seine Ehefrau und seine (minderjährigen) Kinder.

Schon die frühere, vom erkennenden Senat aufgegebene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Teilhabe von Familienangehörigen am Status des Asylberechtigten (vgl. Urteil vom 29. April 1971 - BVerwG 1 C 42.67 - BVerwGE 38, 87 <88>; Urteil vom 19. April 1974 - BVerwG 1 C 31.71 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 4), die - auch - auf die besondere Gefährdung naher Angehöriger eines politisch Verfolgten als wesentlichen Grund gestützt war, hatte eine solche besondere Gefährdung nur für einen eng begrenzten Kreis von Familienangehörigen angenommen. Die Umschreibung dieses Kreises mit denjenigen, "die von einem Flüchtling abhängig sind" und deshalb nach der Erfahrung "im Verfolgungsland ebenfalls Verfolgungen, zumindest aber schweren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind", weist bereits auf dem politisch Verfolgten besonders nahestehende, ihm zudem durch Hilfs- und Schutzbedürftigkeit besonders verbundene Personen und damit vorrangig auf seinen Ehegatten und seine minderjährigen Kinder hin. Im Urteil des erkennenden Senats vom 2. Juli 1985 - BVerwG 9 C 35.84 - (BVerwG a.a.O.) ist ferner dargelegt, dass bei Anwendbarkeit der Regelvermutung jede weitere Prüfung entfällt, ob die festgestellten Fälle einer Angehörigenverfolgung Ausdruck einer allgemeinen Praxis des Verfolgerstaates sind und ob die ihnen zugrundeliegenden Umstände besondere Rückschlüsse gerade auch auf eine eigene Verfolgungsgefahr desjenigen gestatten, der sich auf die Vergleichsfälle beruft. Dieser Verzicht auf eine weitergehende Prüfung im Rahmen der Verfolgungsprognose ist jedoch nur dort gerechtfertigt, wo eine Realisierung der Gefährdung, die sich in den festgestellten Vergleichsfällen verwirklicht hat und in der sich auch der im konkreten Verfahren um Asyl Nachsuchende befindet, allgemein besonders naheliegt. Dies aber ist nicht bei Familienangehörigen schlechthin, also der Generationen-Großfamilie, sondern nur bei Ehegatten und (minderjährigen) Kindern der Fall, also der in der Hausgemeinschaft geeinten engeren Familie. Nur zwischen ihnen und dem politisch Verfolgten besteht - auch aus der Sicht des Verfolgerstaates - im Regelfall eine genügend enge persönliche Bindung, um durch Drangsalierung des Angehörigen nötigend auf den eigentlich verfolgten politischen Gegner wirken zu können oder um den Angehörigen stellvertretend für den eigentlich Verfolgten in Anspruch zu nehmen (vgl. Urteil vom 2. Juli 1985 - BVerwG 9 C 35.84 - a.a.O.).“

Hiernach sind die in § 26 Abs. 1 und 2 AsylG geregelten Fälle der Gewährung von Familienasyl für Ehegatten bzw. minderjährige ledige Kinder im Hinblick auf die unterschiedliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht mit dem in § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG geregelten Fall der Anerkennung der Eltern oder eines anderen Personensorgeberechtigten eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten vergleichbar. Weil Eltern und andere Personensorgeberechtigte nicht von ihrem minderjährigen ledigen Kind abhängig sind, sondern eine besondere Verbindung durch Hilfs- und Schutzbedürftigkeit nur in umgekehrter Richtung besteht, kann im Falle der politischen Verfolgung des Minderjährigen nicht im Wege einer Regelvermutung davon ausgegangen werden, dass dessen Eltern bzw. Personensorgeberechtigten oder Geschwister gleichfalls Verfolgungen oder schweren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind.

Soweit sich das Verwaltungsgericht Hamburg (Urteil vom 5. Februar 2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 22) zur Begründung des angenommenen Wertungswiderspruchs auf den Bericht des Innenausschusses bezieht, nach dem die Gewährung von Familienasyl sozial gerechtfertigt sei, weil sie der Integration der nahen Familienangehörigen der als Asylberechtigte aufgenommenen politischen Verfolgten diene, ist darauf hinzuweisen, dass sich diese - zusätzliche - Aussage allein auf die seinerzeit vorgeschlagene Gesetzesänderung bezog, die Rechtsstellung eines Asylberechtigten auf dessen Ehegatten und die zum Zeitpunkt der Anerkennung bereits geborenen minderjährigen ledigen Kinder abzuleiten. Ausgangspunkt für die vorgeschlagene Änderung war es allerdings, Bundesamt und Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Fällen von einer Prüfung eigener Verfolgungsgründe der Familienangehörigen eines Asylberechtigten zu entlasten, in denen - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - ohnehin eine widerlegliche Vermutung der stellvertretenden Mitverfolgung kraft enger persönlicher Bindung besteht, also im Falle von Ehegatten und (minderjährigen) Kinder des politisch Verfolgten, nicht dagegen darüber hinaus.

Entsprechendes gilt für die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Neuregelung des Asylverfahrens getroffenen Aussagen des Innenausschusses, durch die Klarstellung in § 26 Abs. 2 AsylVfG, dass die Kinder des Asylberechtigten zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung minderjährig und ledig sein müssen, sollten nachteilige Auswirkungen einer etwaigen längeren Verfahrensdauer verhindert werden, und die Erweiterung der Regelung um nach der Anerkennung des Asylberechtigten geborene Kinder erfolge im Hinblick auf einen einheitlichen Rechtsstatus der Familie (BT-Drs. 12/2718, S. 20 und 60).

Dass der Gesetzgeber es dagegen gerade nicht aus Gründen der Familieneinheit und Integration als zwingend angesehen hat, dass die Angehörigen einer Familie über einen einheitlichen Rechtsstatus der Asylanerkennung verfügen, wie es das Verwaltungsgericht Hamburg (Urteil vom 5. Februar 2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 22) annimmt, ergibt sich insbesondere daraus, dass im Zuge der Gesetzesänderung mit dem seinerzeitigen § 26 Abs. 3 AsylVfG, der auch heute noch inhaltlich in nur unwesentlich veränderter Form als § 26 Abs. 5 Satz 2 AsylG fortbesteht, sog. Ableitungsketten ausdrücklich ausgeschlossen worden sind. Danach kann der Anspruch auf Kinderasyl nicht an die Kinder derjenigen weitergegeben werden, die ihrerseits nur ein von ihren Eltern abgeleitetes Asylrecht erhalten haben (Empfehlung des Innenausschusses ohne nähere Begründung, BT-Drs. 12/2718, S. 20 und 60), obgleich auch zwischen den Kindern des Asylberechtigten und deren Kindern eine familiäre Einheit mit einem grundsätzlich gleichen Integrationsbedürfnis besteht.

e)

Auch ein dahingehender Rückschluss, die ausdrückliche Regelung in § 26 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 AsylG spreche dafür, dass auch in den Fällen des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen sei (so wohl Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 5. Februar 2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 17), überzeugt nicht, weil sich hieraus ebenso gut der Schluss ziehen lässt, dass der Gesetzgeber nur dort eine ausdrückliche Regelung getroffen hat, wo er sie in Abweichung zu der üblichen Behandlung der Fälle für erforderlich gehalten hat (so bereits VG Stuttgart, Urteil vom 23. Mai 2018 - A 1 K 17/17 -, juris Rn. 27).

Hinzu kommt, dass sich die genannten Normen im Hinblick auf den jeweiligen Anknüpfungspunkt für die Minderjährigkeit unterscheiden, so dass eine Übertragbarkeit auch aus diesem Grund ausscheidet. Denn während es bei § 26 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 AsylG darauf ankommt, dass die vom Stammberechtigten ableitenden Personen (Kind oder Geschwisterkind) minderjährig sind, stellt § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf die Minderjährigkeit des Stammberechtigten ab. Damit lässt sich aufgrund des unterschiedlichen Bezugsobjektes nicht in zulässiger Weise der Schluss ziehen, dass es, weil in den beiden erstgenannten Fällen auf die Minderjährigkeit des ableitenden Asylantragstellers zum Zeitpunkt der eigenen Antragstellung abgestellt wird, bei § 26 Abs. 3 AsylG auf die Minderjährigkeit des anerkannten Asylberechtigten zum Zeitpunkt der Asylantragstellung der ableitenden Eltern bzw. Personensorgeberechtigten ankommt.

f)

Dass für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten im Fall von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung der Person abzustellen ist, die eine Ableitung ihres Anspruchs vom Stammberechtigten geltend macht, lässt sich allein aus der Gesetzeshistorie in Verbindung mit einer Auslegung des Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU herleiten (so im Ergebnis wohl auch VG Karlsruhe, Urteil vom 8. Februar 2018 - A 2 K 7425/16 -, juris Rn. 28).

Während der Gesetzgeber noch in der zum 9. Juli 1990 in Kraft getretenen ersten gesetzlichen Regelung des Familienasyls in § 7a Abs. 3 AsylVfG nur eine Gewährung der „Rechtsstellung eines Asylberechtigten“ für dessen Ehegatten und die zum Zeitpunkt der Anerkennung bereits geborenen minderjährigen ledigen Kinder formulierte, erfolgte im Rahmen der Gesetzgebung zur Neuregelung des Asylverfahrens auf Empfehlung des Innenausschusses (BT-Drs. 12/2718, S. 20 und 60) zum 1. Juli 1992 eine dahingehende Klarstellung, dass den Familienangehörigen eines Asylberechtigten mit der Familienasylgewährung nicht mehr nur die Rechtsstellung eines Asylberechtigten gewährt wird, sondern dass sie gleichfalls als Asylberechtigte anerkannt werden.

Die damit erfolgte Gewährung von Statusrechten für Familienangehörige ist nicht von Verfassungs wegen geboten. Aus Art. 16a Abs. 1 Satz 1 GG kann nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Angehörigen Asylberechtigter, die in ihrer Person keine politische Verfolgung erlitten haben und denen auch keine politische Verfolgung droht, den gleichen Status zuzubilligen wie dem Asylberechtigten selbst. Auch Art. 6 Abs. 1 GG zwingt den Gesetzgeber nicht, die Gewährung des Asylrechts auf die Familienangehörigen eines politisch Verfolgten zu erstrecken (BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 19. Dezember 1984 - 2 BvR 1517/84 -, juris). Aus Art. 6 Abs. 1 GG kann lediglich gefolgert werden, dass den Ehegatten und den minderjährigen Kindern von Asylberechtigten ein Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt werden muss. Dem Gesetzgeber steht insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der es ihm unbenommen lässt, dem Interesse des Asylberechtigten und seiner Angehörigen an der Fortführung der ehelichen und familiären Gemeinschaft durch Schaffung entsprechender ausländerrechtlicher Regelungen, die einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vermitteln, Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 389.94 -, BVerwGE 75, 304 <310 ff.> m.w.N.; Bodenbender, in: GK-AsylG, Loseblattsammlung, Stand: April 2017, II - § 26 Rn. 12 f.).

Die Einfügung von § 26 Abs. 3 AsylG, auf dessen Satz 1 sich der Kläger für seinen Anspruch auf Flüchtlingszuerkennung beruft, erfolgte mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3474). Nach der neu geschaffenen Regelung werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU unter näher genannten Voraussetzungen als Asylberechtigte anerkannt. Für zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt dies nach dem ebenfalls neu geschaffenen § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG entsprechend.

Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU enthält die folgende Definition:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck ‚Familienangehörige‘ die folgenden Mitglieder der Familie der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:

- (…)

- (…)

- der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist“.

Ziel der Gesetzesänderung war die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2011/95/EU als Neufassung der Richtlinie 2004/83/EG („Qualifikationsrichtlinie“), deren - hier insoweit nicht relevante - Vorgaben bereits mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) in das deutsche Recht übernommen worden sind. Laut der Gesetzesbegründung zu § 26 Abs. 3 AsylG (BT-Drs. 17/3063, S. 21) entspreche es der Richtlinienvorgabe für international Schutzberechtigte in Art. 2 lit. j 3. Anstrich, dass der Familienschutz erstmalig auch auf Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter und andere sorgeberechtigte Erwachsene ausgedehnt wird. Die Einbeziehung minderjähriger lediger Geschwister in das Familienasyl sei zur Aufrechterhaltung der Familieneinheit und im Interesse des Minderjährigenschutzes erfolgt.

Der deutsche Gesetzgeber wollte demgemäß - wie bereits durch die vorangegangenen Regelungen zum Familienasyl - durch die Neufassung des § 26 Abs. 3 AsylG eine statusrechtliche Gleichstellung der nicht selbst verfolgten Familienangehörigen, soweit sie unter den nunmehr mit Art. 2 lit. j 3. Anstrich der Richtlinie erweiterten personellen Schutzbereich fallen, mit der Person schaffen, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist. Mit anderen Worten sollten die Familienangehörigen, die nach der Vorgabe in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen haben, im Wege der Ableitung - obwohl weder europa- noch verfassungsrechtlich geboten - denselben Schutz erhalten, wie der Schutzberechtigte selbst.

Dies allein beantwortet noch nicht die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Bestimmung des Begriffs der Minderjährigkeit des Stammberechtigten in § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG abzustellen ist, da auch Art. 2 lit. j 3. Anstrich der Richtlinie selbst zu dieser Frage keine Aussage enthält. Diese Vorschrift bestimmt nur, dass Familienangehöriger im Sinne der Richtlinie der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener ist, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person „minderjährig und nicht verheiratet ist“, ohne Hinweis darauf, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzung erfüllt sein muss. Daraus kann indes nicht geschlossen werden, dass es Sache der Mitgliedstaaten wäre, zu entscheiden, auf welchen Zeitpunkt sie für die Feststellung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, abstellen möchten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes, dass eine Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten muss, die unter Berücksichtigung des Kontextes der Vorschrift und des mit der Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (EuGH, Urteile vom 26. Juli 2017 - C-225/16 - [Ouhrami], Rn. 38 und vom 12. April 2018 - C-550/16 - [A., S. gg. Staatssecretaris van Veiliheid en Justitie], Rn. 41).

Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU sieht vor:

„Wahrung des Familienverbands

(1)   Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann.

(2)   Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist.

(…)“

Art. 24 dieser Richtlinie bestimmt:

„Aufenthaltstitel

(1)   So bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes und unbeschadet des Artikels 21 Absatz 3 stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist, einen Aufenthaltstitel aus, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

Unbeschadet des Artikels 23 Absatz 1 kann der Aufenthaltstitel, der Familienangehörigen von Personen ausgestellt wird, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist, weniger als drei Jahre gültig und verlängerbar sein.

(2)   So bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, und ihren Familienangehörigen einen verlängerbaren Aufenthaltstitel aus, der mindestens ein Jahr und im Fall der Verlängerung mindestens zwei Jahre gültig sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

(…)“

Daraus, dass Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU - anders als etwa Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie - gerade keinen Verweis auf das nationale Recht oder die Mitgliedstaaten enthält, ist zu schließen, dass der Unionsgesetzgeber, wenn er die Bestimmung des Zeitpunkts, bis zu dem die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, minderjährig sein muss, damit seine selbst nicht originär schutzberechtigten Familienangehörigen für sich Ansprüche zur Aufrechterhaltung des Familienverbandes geltend machen können, in das Ermessen der Mitgliedstaaten hätte stellen wollen, auch in diesem Zusammenhang einen solchen Verweis vorgesehen hätte. Zudem erlegt Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten die präzise positive Verpflichtung auf, den durch Art. 2 lit. j der Richtlinie definierten Familienangehörigen zum Zwecke der Wahrung des Familienverbandes die in den Artikeln 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen zu gewähren, ohne dass sie dabei über einen Wertungsspielraum verfügen.

Die Frage, auf welchen Zeitpunkt zur Beurteilung des Alters einer Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, abzustellen ist, damit deren Familienangehörigen die in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie genannten Leistungen in Anspruch nehmen können, ist, weil Wortlaut und Systematik insoweit unergiebig sind, ist anhand des Ziels der Richtlinie unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs, in den sie sich einfügt, und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu beantworten.

Insoweit ist festzustellen, dass mit der Richtlinie nicht nur allgemein das Ziel verfolgt wird, der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, sowie dessen Familienangehörigen die Aufrechterhaltung des Familienverbandes innerhalb des Mitgliedstaates zu ermöglichen, sondern dass die Richtlinie ausweislich ihrer Erwägungsgründe 18 und 19 ein besonderes Augenmerk auf die Situation der Minderjährigen legt.

Der Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2011/95/EU lautet:

„(18) Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1989 über die Rechte des Kindes vorrangig das ‚Wohl des Kindes‘ berücksichtigen. Bei der Bewertung der Frage, was dem Wohl des Kindes dient, sollten die Mitgliedstaaten insbesondere dem Grundsatz des Familienverbands, dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen, Sicherheitsaspekten sowie dem Willen des Minderjährigen unter Berücksichtigung seines Alters und seiner Reife Rechnung tragen.“

Im Erwägungsgrund 19 der Richtlinie heißt es:

„(19) Der Begriff ‚Familienangehörige‘ muss ausgeweitet werden, wobei den unterschiedlichen besonderen Umständen der Abhängigkeit Rechnung zu tragen und das Wohl des Kindes besonders zu berücksichtigen ist.“

Die praktische Wirksamkeit von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie wäre in Frage gestellt, wenn das Recht auf Wahrung des Familienverbands aus dieser Bestimmung davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die zuständige nationale Behörde förmlich über die Anträge der Familienangehörigen des international Schutzberechtigten über die in dieser Vorschrift genannten Leistungen entscheidet. Dies liefe nicht nur dem Ziel der Richtlinie zuwider, die Wahrung des Familienverbands zu begünstigen und dabei insbesondere Minderjährige besonders zu schützen, indem ihnen ihre Personensorgeberechtigten durch Erteilung von Aufenthaltstiteln längerfristig zur Seite gestellt werden, sondern auch den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit. Denn obgleich Art. 24 Abs. 1 und 2 der Richtlinie vorsieht, dass die Ausstellung eines Aufenthaltstitels „so bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes“ zu erfolgen hat, hingen die Erfolgsaussichten des Antrags der Familienangehörigen von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz durch die nationale Behörde ab (vgl. zu dieser Argumentation in Bezug auf das Recht auf Familienzusammenführung: EUGH, Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16 - [A., S. gg. Staatssecretaris van Veiliheid en Justitie], Rn. 55 ff.).

Art. 2 lit. j 3. Anstrich i.V.m. Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU ist daher dahingehend auszulegen, dass ein Familienangehöriger im Sinne der Richtlinie bei Vorliegen der weiteren genannten Voraussetzungen der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener ist, der für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person zum Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen minderjährig und nicht verheiratet war.

Weil der deutsche Gesetzgeber nach der Gesetzeshistorie und ausweislich der konkreten Gesetzesbegründung mit der Änderung des § 26 Abs. 3 AsylG eine statusrechtliche Gleichstellung der nicht verfolgten Familienangehörigen mit dem anerkannten Schutzberechtigten gewähren wollte, ist auch für die Anwendung des § 23 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf denselben personellen Schutzumfang abzustellen, wie er sich aus der Auslegung des Art. 2 lit. j 3. Anstrich der Richtlinie 2011/95/EU ergibt.

Demgemäß ist auch für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG maßgeblich, ob die Minderjährigkeit des stammberechtigten ledigen Kindes zum Zeitpunkt der Antragstellung der von ihm ableitenden Eltern oder anderen Erwachsenen i.S.d. Art. 2 lit. j der RL 2011/95/EU bestanden hat.

Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Zum Zeitpunkt der am 18. Oktober 2017 erfolgten Asylantragstellung des Klägers war dessen am 17. November 1999 geborener Sohn ledig und noch minderjährig.

g)

Auch die weiteren Voraussetzungen von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG liegen vor. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Stammberechtigten vom 18. April 2017 ist seit dem 21. April 2017 unanfechtbar (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylG, Bl. 119 Beiakte 002). Die Familie bestand schon im Herkunftsland (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG, Bl. 63 Beiakte 001, Bl. 70 Beiakte 002). Der Kläger hat seinen Asylantrag am 18. Oktober 2017 und damit unverzüglich nach seiner am 7. Oktober 2017 in das Bundesgebiet erfolgten Einreise gestellt (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Anhaltspunkte dafür, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Sohnes des Klägers zu widerrufen oder zurückzunehmen ist, sind nicht gegeben (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Schließlich hatte der Vater des bei Antragstellung minderjährigen Stammberechtigten mangels anderweitiger Anhaltspunkte die Personensorge inne (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylG). Für das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 26 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 AsylG ist nichts ersichtlich.