Landgericht Lüneburg
Urt. v. 09.04.2024, Az.: 5 O 115/23

Verletzung des Spielerschutzes bei geduldeter Überschreitung der Selbstlimitierung

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
09.04.2024
Aktenzeichen
5 O 115/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 16744
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Rechtsstreit
,XXX,XXX
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte XXX
Geschäftszeichen: XXX
gegen
XXX, vertreten durch d. Geschäftsführer XXX
- Beklagte -
Prozessbevoll
Rechtsanwält XXX
Geschäftszeichen: XXX
hat das Landgericht Lüneburg - 5. Zivilkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgerich XXX als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 09.04.2024 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 137.545,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 23.05.2023 zu zahlen.

  2. 2.

    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit der Teilnahme an Online-Sportwetten geltend.

Die Beklagte betrieb die Internetseite https:/XXX.de/de/. Über diese Seite konnten Sportwetten abgeschlossen werden. Die Beklagte erhielt am 9. Oktober 2020 eine Konzession für das Sportwettenangebot.

Der Kläger registrierte sich unter dem Benutzernamen XXX" und schloss bei der Beklagten in der Zeit vom 01.11.2020 bis zum 24.11.2022 Online-Sportwetten ab. Im Zeitraum vom 24.05.2022 bis zum 03.10.2022 nutze der Kläger parallel dazu das "Premium Upgrade" der Beklagten unter der Homepage https:/XXX, um unter dem Benutzernahmen XXX" Online-Sportwetten abzuschließen.

Aus Ziff. 3.5 der AGB der Beklagten ergibt sich, dass der Spieler selbst bei der Registrierung dazu aufgefordert wird, monatliche Einzahlungslimits festzulegen.

Im Zeitraum vom 01.11.2020 bis zum 24.11.2022 zahlte der Kläger jeden Monat mehr als 1.000 € bei der Beklagten ein. Der Kläger verlor die Kontrolle über sein Spielverhalten. Durch die Einzahlungen bei der Beklagten überschritt er seine Leistungsfähigkeit und geriet in eine finanzielle Notlage. Insgesamt verlor er 137.545,61 €.

Der Kläger stimmte am 14.06.2022 einer SCHUFA-Abfrage durch die Beklagte zu.

Der Kläger ist der Ansicht, die SCHUFA-Abfrage sei ungeeignet, einen tauglichen Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit darzustellen. Es ließe sich damit lediglich eine Aussage über mögliche Schulden treffen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 137.545,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger habe die Eingabe eines Verlustlimits getätigt. Sie behauptet weiter, sie habe das auffällige Spielverhalten und die hinreichende Leistungsfähigkeit überprüft. Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe sich an die gesetzlichen Bestimmungen zur Einsatzlimitierung gehalten.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Das Landgericht Lüneburg ist international zuständig gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c, 18 Abs. 1 EuGVVO. Danach kann der Verbraucher an seinem Wohnsitz seinen Vertragspartner verklagen, wenn dieser in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

Der Kläger handelte als Verbraucher. Verbraucher im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ist jede natürliche Person, die Verträge zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs schließt, sofern diese keiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können.

Der Kläger nahm bei den Online-Glücksspielen der Beklagten ausschließlich zu privaten Zwecken teil. Diese Teilnahme stelle für den Kläger eine Freizeitbeschäftigung dar.

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Lüneburg ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 EuGVVO.

II. Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Höhe von 137.545,61 €.

Mit Registrierung des Klägers bei der Beklagten ist zwischen den Parteien ein Rahmenvertrag geschlossen worden.

Die Beklagte hat eine Rücksichtspflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Die Pflichtverletzung besteht in der geduldeten Überschreitung der Selbstlimitierung. Eine Rücksichtspflicht ist verletzt, wenn der Schuldner sich nicht in der den Umständen nach erforderlicher Art und Weise verhalten hat. Bei Rücksichtspflichten wird ein Verhalten und kein darüberhinausgehender Erfolg geschuldet.

1. Für die Ansprüche aus dem Zeitraum vom 01.11.2020 bis 01.07.2021 ist der GlüStV 2012 anzuwenden.

Die Beklagte hat in dessen Geltungsbereich die Einhaltung des Ein- bzw. Auszahlungslimits sicherzustellen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.10.2023, Az. 19 U 48/23).

Dazu gehört insbesondere auch die Einhaltung von § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV. Die Einhaltung von § 4 Abs. 5 GlüStV ist Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis von Sportwetten im Internet. Dies steht im Einklang mit § 1 GlüStV 2012. Danach soll der Staatsvertrag das Entstehen von Glücksspiel- und Wettsucht verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung schaffen sowie eine begrenzte und geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellen. Außerdem ist der Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten. Aus der Natur der Sache ergibt sich bereits, dass die Umsetzung dieser Ziele in die Obliegenheit der Glücksspielanbieter fällt.

Aus § 241 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass neben der Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolgs, leistungsbezogene Schutzpflichten hinzutreten. § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV stellt eine Spielerschutzvorschrift dar (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.10.2023, Az. 19 U 48/23). Diese Sicherstellung gelang der Beklagten im Verhältnis zum Kläger nicht. Der Verweis auf die AGB hat den Kläger nicht davon abgehalten, das Einzahlungslimit zu übersteigen. Der Beklagten wäre es jedoch zumutbar gewesen, diese Regulierung im Sinne von § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV umzusetzen.

2. Für die Ansprüche aus dem Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 24.11.2022 ist der GlüStV 2021 anzuwenden. Der GlüStV 2021 trat am 01.07.2021 in Kraft.

Gemäß § 29 Abs. 3 des GlüStV 2021 wurden die vor Inkrafttreten des GlüStV 2021 erteilten Konzessionen bis zum 31. Dezember 2022 fortgeführt, unter der Bedingung, dass mit Ausnahme des Erlaubnisvorbehalts gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 des GlüStV 2012 die Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrags von 2021 Anwendung finden. Das Einsatz- und Einzahlungslimit ist in § 6c GlüStV 2021 vorgeschrieben.

Die Beklagte hat auch in diesem Zeitraum eine Rücksichtspflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Sie hat gegen § 6c Abs. 1, S. 1,2,6,8 GlüStV 2021 verstoßen. Auch § 6c GlüStV ist eine Spielerschutzvorschrift. Dem Erlaubnisinhaber werden Schutzpflichten für das Veranstalten von Glücksspielen auferlegt. Die gesetzlichen Regelungen des § 6c GlüStV 2021 sind in erforderlicher und zumutbarer Art und Weise von der Beklagten umzusetzen. Sie hat bereits gegen § 6c Abs. 1 S. 1 GlüStV verstoßen. In Zif. 3.5 der AGB der Beklagten wird der Spieler aufgefordert, selbst ein monatliches Einzahlungslimit festzusetzen. Damit hat die Beklagte § 6c Abs. 1 S. 1 GlüStV jedoch nicht in erforderlicher und zumutbarer Art und Weise umgesetzt. Es widerspricht dem Sinn und Zweck der spielerschützenden Vorschriften die suchtpräventiven Maßnahmen in seinen Machtbereich zu legen. Vielmehr ist es erforderlich und zumutbar, dass die Beklagte bei erfolgloser Aufforderung selbstständig die Umsetzung der Festlegung des Einzahlungslimits vornimmt. Dies blieb jedoch aus. Folglich wurde außerdem gegen § 6c Abs. 1 S. 6 GlüStV verstoßen. Gemäß § 6c Abs. 1 S. 6 GlüStV darf die Spielteilnahme nicht erfolgen, solange kein anbieterübergreifendes Einzahlungslimit festgesetzt wurde.

Das anbieterübergreifende Einzahlungslimit von grundsätzlich 1.000 € im Sinne von § 6c Abs. 1 S. 2 GlüStV 2021 wurde vom Kläger überschritten. Die Voraussetzungen zur Festsetzung eines abweichenden Betrages im Sinne von § 6c Abs. 1 GlüStV wurden von der Beklagten nicht geschaffen.

Die Beklagte hat des Weiteren gegen § 6c Abs. 1 S. 8 GlüStV 2021 verstoßen. Sie hat keine geeigneten Maßnahmen vorgenommen, um weitere Einzahlungen des Klägers, die über das festgesetzte Einzahlungslimit hinausgehen, zu unterbinden.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass sie durch die SCHUFA-Abfrage die gesetzlichen Bestimmungen zur Selbstlimitierung eingehalten hat. Die SCHUFA-Abfrage erfolgte ohnehin erst am 14. Juni 2022. Der Kläger hat jedoch bereits ab dem 15.10.2020 das monatliche Einzahlungslimit von 1.000 € regelmäßig überzogen. Die Beklagte hat die Überschreitung etwa 23 Monate geduldet, ohne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus erfüllt die SCHUFA-Abfrage nicht die Anforderungen, um eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in geeigneter und nachprüfbarer Weise nachzuweisen. Eine Schuldenfreiheit erbringt keine Aussage über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kann durch Vorlage von Bankauszügen oder Einkommensnachweisen ermittelt werden. So können auch Personen mit einem geringen Einkommen einen positiven SCHUFA Nachweis vorweisen und dennoch nicht in der wirtschaftlichen Lage sein, monatlich über 1.000 € für Online-Sportwetten zu investieren. Dennoch nahm die Beklagte Einsätze über 1.000 € von dem Kläger entgegen. Dadurch überschritt der Kläger seine Leistungsfähigkeit und geriet in eine finanzielle Notlage.

Die Beklagte hat die Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs.1 S. 2 BGB zu vertreten. Indem sie die Überschreitung der gesetzlichen Selbstlimitierung zugelassen hat, hat sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und damit fahrlässig gemäß § 276 Abs. 2 BGB gehandelt.

Diese Pflichtverletzung verursachte auch kausal einen Schaden. Durch die Pflichtverletzung der Beklagten war es dem Kläger möglich, über das Einzahlungslimit in Höhe von 1.000 € hinaus Geld bei der Beklagten einzuzahlen. Nach der Differenzhypothese wäre der Schaden gemäß § 249 BGB beim Kläger nicht eingetreten, hätte die Beklagte die Umsetzung der Sicherstellung der Selbstlimitierung gewährleistet. Die Kausalität scheidet nicht aus, weil ungewiss ist, ob der Kläger sich an die Vorgaben der Selbstlimitierung gehalten hätte. Sinn und Zweck der Spielerschutzvorschriften ist es, spielsuchtanfällige Menschen vor einer solchen Sucht und deren Folgen zu bewahren. Dass dieser Schutz nicht von den Spielern selbst gewährleistet werden kann und muss, ergibt sich bereits aus der Natur der Sache.

Der Kläger verlor die Kontrolle über sein Spielverhalten. Dadurch wurde der Kläger in seiner freien Willensbildung beeinträchtigt und geriet in eine finanzielle Notlage. Dies zeigt sich ebenfalls in der hohen Verlustsumme.

Die Gewinnchance ist keine gleichwertige Gegenleistung. Entsprechend dem Sinn und Zweck von § 4 Abs. 4 und Abs. 1 GlüStV ist die reine Teilnahmemöglichkeit nicht als ausreichend zu erachten, um ein Vermögensminus auszugleichen. Diese Annahme würde dazu führen, dass Ansprüche ausscheiden, was dem Schutzgedanken des GlüStV diametral zuwiderlauft und die Glücksspielanbieter trotz gesetzeswidrigen Verhaltens von ihrem Angebot profitieren lassen würde (LG Aachen Urt. v. 13.7.2021 - 8 O 582/20, BeckRS 2021, 20002 Rn. 39.).

Der Zinsanspruch besteht gemäß §§ 288, 291 BGB seit dem 23.05.2023.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.